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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 62: Getroffene Entschlüsse



Frodo saß im Schneidersitz am Fußende von Merrys Bett und knabberte an einem Keks. Der Duft von Kamille lag in der Luft und das Feuer im Kamin knisterte leise, als die Flammen einen noch frischen Holzscheit züngelnd umringten. Verträumt beobachtete Frodo das Schauspiel, während sich flackernde Schatten über sein Gesicht legten und an den Wänden des Zimmers emporragten. Er hatte sich bereits am vergangenen Abend entschieden, würde jedoch erst nach dem Abendessen dazu kommen, dem Herrn von Bockland seine Entscheidung, sein Zimmer betreffend, mitzuteilen, da Saradoc bereits früh am Morgen nach Steingrube, einer Ortschaft im Süden Bocklands, geritten war. Von Merry hatte er erfahren, dass die Einwohner besorgt waren, da viele, die in der Nähe des Hohen Hags lebten, glaubten, die Bäume im Alten Wald wären an diesen trüben Wintertagen besonders rege und Saradoc hatte dieser Sache nachzugehen. Merry hatte darüber gelacht, war der Ansicht, die Hobbits würden Gespenster sehen, doch Frodo war sich dabei nicht so sicher. Merry mochte vielleicht die Geschichten um den Alten Wald kennen, hatte den Hohen Hag, der dessen Grenze bildete, jedoch niemals überschritten. So unwahrscheinlich die Erzählungen um den Wald und die Bäume alle klingen mochten, zu einem gewissen Teil glaubte jeder daran und seit Frodo sich einmal selbst in die unheimlichen Täler jenseits des Hags verirrt hatte, war er bereit, sie noch weniger in Frage zu stellen. Was immer die Bewohner von Steingrube gesehen haben mochten, sie hatten bestimmt ihre Gründe, den Herrn zu sich zu rufen.
Frodo war dies nur Recht. Je länger Saradoc fort war, desto später würde er die Enttäuschung in seinen Augen sehen. Er hatte seine Worte überdacht, war jedoch bei seiner Entscheidung geblieben. Sein Zimmer konnte er nicht verlassen und würde es auch nicht tun, erst recht nicht, damit die Küchen-Mimi dort einziehen konnte.

Frodo blinzelte, blickte in Merrys Augen, die ihn neugierig musterten. Dem jungen Hobbit ging es heute wesentlich besser als noch am Vortag und auch wenn sein Husten geblieben und er noch immer zu schwach zum Aufstehen war, hatten seine Wangen ein wenig Farbe angenommen. Merry lehnte, wie schon am vergangenen Nachmittag, am Kopfende seines Bettes und nippte an einer dampfenden Tasse Kamillentee. Den grünen Schal, welchen Frodo ihm am vergangen Tag angelegt hatte, trug er noch immer, offensichtlich überzeugt von dessen Wirkung.
"Woran denkst du?", fragte der junge Hobbit schließlich, wobei er vorsichtig in seinen Tee pustete.
Frodo zuckte mit den Schultern. Zwar war er sich sicher, dass Saradoc Merry nichts von seinen Plänen erzählt hatte, doch wie er dazu kam, ausgerechnet über die Küchen-Mimi nachzudenken, wollte er dennoch nicht erklären. Es würde Merry verletzen und das wollte er seinem Vetter nicht antun. Nichtsdestotrotz musste er sich eingestehen, dass er förmlich darauf brannte, mehr über Mimosa zu erfahren. Wer war die Frau, die ihr Zimmer so bereitwillig an andere weiterreichte, obschon sie es mit ihrem geliebten Gatten geteilt hatte, bis der Tod sie trennte? Weshalb war sie gewillt, die Erinnerungen an ihren Mann aufzugeben? Hatte sie Togo Braunlock am Ende gar nicht geliebt?
Merry konnte bestimmt einiges über die alte Frau in der Küche erzählen, war er schließlich Sohn des Herrn und wusste oft von Dingen zu berichten, von denen Frodo nicht einmal gehört hatte. Frodo nahm einen weiteren Bissen seines Kekses, blickte ins Feuer und grübelte über seine ungestellten Fragen.

Merry runzelte die Stirn, zuckte dann jedoch ebenfalls mit den Schultern. Er konnte sehen, dass Frodo etwas auf dem Herzen hatte, doch wenn dieser nicht darüber sprechen wollte, konnte er ihn nicht dazu zwingen. Über den Rand seiner Tasse blickte er zu seinem Vetter, unterdrückte den aufkommenden Hustenreiz und versagte.
Auch wenn sie einen Großteil des Nachmittages schweigend verbrachten, genoss Merry die Nähe seines Vetters und war gewillt zu warten, sollte Frodo seine Entscheidung doch noch überdenken und kundtun, was ihn beschäftigte.

Zu seiner Freude entwich nur Augenblicke später ein leises Seufzen Frodos Kehle. Sein Vetter blickte zögernd in seine Augen, als hoffe er, dort erkennen zu können, ob er die folgenden Worte wirklich aussprechen sollte. Merry lächelte ihm aufmunternd zu und Frodo schüttelte den Kopf, erwiderte das Lächeln schließlich.
"Was weißt du über Mimosa Braunlock, die Küchen-Mimi?"
Merry runzelte verdutzt die Stirn. "Die Küchen-Mimi? Wie kommst du denn ausgerechnet auf sie?"
Wieder zuckte Frodo mit den Schultern. Er hatte geahnt, dass Merry diese Frage stellen würde, und da sie unumgänglich war, versuchte er, so ahnungslos wie möglich auszusehen.
Merry sah ihn einen Augenblick stirnrunzelnd über den Rand seiner Tasse hinweg an, schien dann aber auf eine Antwort Frodos zu verzichten und nahm stattdessen einen weiteren Schluck der dampfenden Flüssigkeit.
"Ich wusste nichts über sie", gestand Merry und Frodo runzelte fragend die Stirn.
Merry grinste. "Ich würde noch immer nichts über sie wissen, wäre ich vor etwa einem Monat nicht in Papas Arbeitszimmer gewesen, als ihm die Nachricht von Togos Tod überbracht wurde. Togo war zwar schon weit über achtzig, doch sein Tod kam überraschend und Papa war sehr betrübt. Ich wollte ihn trösten, doch da ich Togo kaum kannte, habe ich Papa gebeten, mir etwas über ihn zu erzählen."
Frodo staunte. Er wusste um Merrys Neugier, doch dass ihm das Glück so hold war und Merry sich erst vor kurzem ausgerechnet über die Person informiert hatte, über die er nun mehr zu wissen begehrte, hätte er nicht gedacht. Den Keks in seiner Hand vergessend sah er auf seinen Vetter, wartete gespannt bis dieser seinen Bericht über die Braunlocks begann.
Merry grinste zufrieden, ob der Erwartung in Frodos Augen. Für einen Moment war er versucht, die Geduld seines Vetters etwas auf die Probe zu stellen, entschied sich dann aber dagegen, schlürfte seinen Tee und erzählte.

Mimosa und Togo gehörten nicht zur Familie, waren nicht einmal entfernt mit den Brandybocks verwandt. Togo aber war ein guter Freund von Frodos Onkel Dodinas gewesen und ein Meister im Anbau von Getreide. Togo war es, der über das Tun auf den Feldern östlich des Brandyweins bestimmte und mit fleißigen Helfern schon viele Jahre für eine gute Ernte sorgte, auch wenn Bestellung und Ernte eigentlich Aufgabe des Herrn waren. Saradoc und auch Gorbadoc hatten sich jedoch gerne von Togo beraten lassen, denn dieser verstand zwar nichts von Handel und Geschäften, wusste jedoch umso mehr über Erde, Korn und deren Zustand. Als Dank für seine Unterstützung hatte Togo vor vielen Jahren ein geräumiges Zimmer im Brandyschloss erhalten, das er seither zusammen mit Mimosa bewohnt hatte. Mimosa wurde in der Küche eingestellt, wo sie zur rechten Hand Asphodels und Beryllas geworden war und nicht nur selbst kochte, sondern auch gemeinsam mit den Frauen das Tun in der Küche überwachte. Das Leben hatte es Mimosa jedoch nicht leicht gemacht. Sie konnte keine Kinder bekommen, auch wenn sich das Paar nichts mehr gewünscht hatte, und mit dem Tod Togos war eine Welt für sie zusammengebrochen.

Merry verstummte und Frodo fand sich außerstande etwas anderes zu tun, als seinen Vetter anzustarren. Der junge Hobbit schlürfte seinen Tee und blickte gedankenverloren auf die Schatten, die auf seiner Bettdecke tanzten, beinahe so, als wäre die Menge an Wissen, die er gerade an seinen Vetter weitergereicht hatte, eine Kleinigkeit gewesen. Frodo hielt es für unmöglich, dass Saradoc Merry all dies erzählt hatte und fragte sich, welch anderer Quellen sich sein Vetter bediente, um seinen Wissensdurst zu stillen. Saradocs Arbeitszimmer war auch für dessen Sohn tabu, wenn der Herr nicht selbst dabei war und doch konnte Frodo sich vorstellen, dass Merry heimlich Dokumente, Schriftrollen und Briefe seines Vaters durchsuchte. Allerdings fragte er sich, welche Art von Unterlage festhalten sollte, wer Togo und Mimosa Braunlock waren, und wozu dies gut sein sollte.

Durch Merrys Husten wurde Frodos Gedankengang unterbrochen. Verwundert sah er in die blauen Augen seines Vetters, auf dessen Gesicht die Schatten des Feuers tanzten.
"Woher weißt du das alles?", begehrte er ungläubig zu wissen.
Merry grinste von einem Ohr zum anderen, zuckte mit den Schultern und blickte Frodo ebenso ahnungslos an, wie dieser ihn zuvor betrachtet hatte. Frodo wusste nicht weshalb, doch Merrys Verhalten löste ein ungutes Gefühl bei ihm aus. Er versuchte, dieses nicht zu beachten, änderte seine Sitzstellung, zog seine Beine an und schlang die Arme um die Knie.
Vielleicht hatte er Mimosa falsch eingeschätzt und verfrüht über sie geurteilt. Er hatte über sie gespottet, noch ehe er gewusst hatte, wer sie überhaupt war und schämte sich nun dafür. Saradoc hatte ihn zu Recht getadelt, denn durch sein Handeln war er nicht besser als jene, die über ihn lästerten.
Frodo spürte ein Kribbeln im Nacken und schielte zu Merry, der ihn eingehend musterte.
"Ich weiß, warum du nach ihr fragst. Papa hat dir bereits von seinen Plänen berichtet, nicht wahr? Eigentlich sollte ich nicht davon wissen, aber ich habe vor einigen Tagen zufällig ein Gespräch meiner Eltern belauscht. Milos bevorstehender Einzug macht Papa sehr nervös. Aber seine Idee gefällt mir. Stell dir nur einmal vor, was wir alles machen könnten: plaudern bis spät in der Nacht, Höhlen bauen, ohne uns von Papa oder Zubettgehzeiten stören zu lassen, nachts heimlich Kekse essen, den Tag schon mit einer Kissenschlacht beginnen. Wir können auch Madoc und Minto einladen, oder uns heimlich zu ihnen hinüber schleichen. Oh, wie viel Spaß wir haben würden!"

Frodo hatte Mühe, sein Entsetzen zu verbergen. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand einen solch heftigen Schlag verpasst, dass ihm die Ohren klingelten und sich sein Magen umdrehte. Saradoc mochte vielleicht nichts preisgegeben haben, doch Merry wusste davon. Wie konnte er nun in seinem Zimmer bleiben, ohne seinen Vetter zu verletzen? Der Anblick des erfreuten Leuchtens in den Augen des Jüngeren ließ es ihm übel werden. Er würde die Freude daraus, stehlen, sie in tausende Scherben zerschlagen. Eine plötzliche Panik drohte ihn zu übermannen. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt.
Wie hatte es soweit kommen können? Es war schon schwer genug, Saradoc gegenübertreten zu müssen, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen, doch Merry dasselbe zu sagen, würde er nicht übers Herz bringen. Merry würde enttäuscht sein und wütend werden, und das vollkommen zu Recht, hatte es doch eine Zeit gegeben, da sie jeden Abend versucht hatten, in das Zimmer des anderen zu gelangen. Und nun, da sich ihnen die Möglichkeit bot sogar zusammenzuziehen, war Frodo dagegen. War dies seine Art, Merry seine Freundschaft zu beweisen?
"Du bist davon nicht begeistert?", fragte Merry zögernd und sein Ausdruck der Freude bröckelte, während sich tiefe Falten auf seine Stirn legten.
Frodo blickte in die zweifelnden Augen, das Gesicht sorgenvoll und bekümmert.
Er hatte lange über seine Entscheidung nachgedacht, in der Hoffnung, niemand außer ihm und Saradoc erfahre jemals davon. Darüber hatte er jedoch vergessen, dass nicht nur sein Zimmer und was es ihm bedeutete wichtig war, sondern auch seine Freundschaft zu Merry. Saradoc hatte ihm zwar gesagt, dass er bei seinem Vetter einziehen würde, doch Frodo hatte niemals über die positiven Seiten nachgedacht, die ein solcher Umzug mit sich brachte. Merry hingegen schien keine negativen Seiten zu sehen, listete lediglich Vorteile auf, die Frodo außerordentlich gefielen. Blickte er seinem Umzug womöglich zu ablehnend entgegen? Nun, da er darüber nachdachte, fielen ihm immer mehr Vorzüge ein. Merry könnte Recht behalten. Ein gemeinsames Zimmer brachte möglicherweise mehr Spaß als verlorene Erinnerungen. Außerdem würde Frodo so die ersehnte Anerkennung Saradocs erlangen und war diese den Preis nicht wert?
"Frodo?" Merrys Blick war zweifelnd, beinahe ängstlich. Seine Hände klammerten sich krampfhaft an der Teetasse fest.
Frodo begegnete dem Blick seines Vetters und die Sorgenfalten, die sich in seine eigene Stirn gegraben hatten, glätteten sich. Mit einem Mal erschien ein Lächeln auf seinen Lippen, und doch lag ein Schatten der Traurigkeit auf seinen Zügen. "Natürlich bin ich das, allerdings hatte ich gehofft, man könne dich überraschen, du dummer Brandybock!"
Merrys Augen strahlten und der junge Hobbit hüpfte aufgeregt auf seinem Bett auf und ab. "Das heißt, du wirst einziehen?"
Frodo zögerte einen Augenblick, nickte dann aber. "Noch heute werde ich Saradoc Bescheid sagen."
"Wundervoll!" rief Merry aus und hätte in seinem Überschwang beinahe den Rest seines Tees verschüttet.



~*~*~



Frodo umklammerte den Türknauf zu Saradocs Arbeitszimmer so fest, als würde sein Leben davon abhängen. Nie war er so voller Zweifel gewesen, wenn er dem Herrn von Bockland eine Entscheidung hatte mitteilen müssen. War er am Nachmittag noch überzeugt, bei Merry einziehen zu wollen, wurde ihm nun immer unbehaglicher, je länger er darüber nachdachte. Möglicherweise war es doch keine so gute Idee gewesen, seine Meinung so überstürzt zu ändern. Er hatte in der Eile unmöglich alles beachten und das Für und Wider abwägen können. Hatte er sich vielleicht doch nur von einem von Merry aufgedrängten Gefühl leiten lassen, ohne es wirklich zu wollen? Er hatte sich lange mit seinem Vetter unterhalten und gemeinsam hatten sie sich ausgemalt, was sie alles machen konnten, sobald sie erst zusammen wohnten. Frodo war voller Begeisterung gewesen, doch jetzt nagten erneute Bedenken an seinem Herzen. Erst am vergangenen Abend war er entschlossen gewesen, sein Zimmer und die Erinnerungen, die darin verborgen lagen, niemals zu verlassen oder gar freiwillig hinter sich lassen zu können. Hatte der heutige Nachmittag bei Merry ihn all das vergessen lassen, woran er sich noch gestern geklammert hatte?
Frodo hörte Stimmen näher kommen und erschrak. Der Gang war hell erleuchtet und ganz gleich, wer um die Ecke treten würde, sollte nicht sehen, wie er zaudernd vor der Türe von Saradocs Arbeitszimmer stand und Löcher in den Knauf starrte, als wäre dieser der Ursprung allen Übels. Am Nachmittag hatte er eine Entscheidung gefasst und den Fehler begangen, diese Merry mitzuteilen. Er konnte nun nicht mehr zurück, ganz gleich, wie überstürzt er gehandelt haben mochte. Er würde bei Merry einziehen, ob er nun an seinem Zimmer und den Erinnerungen hing, oder nicht.
Frodo klopfte und trat in das Arbeitszimmer, ohne eine Antwort abzuwarten.

Überrascht hob Saradoc den Kopf, lächelte aber, als er erkannte, wer so überstürzt in sein Zimmer geeilt kam. "Ich habe dich bereits erwartet."
Frodo entgegnete nichts darauf, schloss schweigend die Tür und blickte zu Boden. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und der Kummer, den sein Vorhaben unweigerlich mit sich brachte, ließ ihn jeglichen Mut, den er versucht hatte aufzubringen, verlieren. Die Kerzen in den Wandhalterungen waren entzündet, ebenso wie jene auf dem Schreibtisch. Im Kamin knisterte ein Feuer, das dem Zimmer einen rötlichen Schimmer verlieh. Frodo fröstelte dennoch, als er von Saradoc zu sich gewunken wurde. Folgsam nahm er den Stuhl, der an der Wand stand, platzierte ihn vor dem Schreibtisch und blieb dahinter stehen, bis Saradoc ihn mit einem Kopfnicken einlud, Platz zu nehmen. Nicht einmal hob er dabei den Kopf.

Der Herr saß müde in seinem Sessel, paffte an seiner Pfeife und sah den jungen Hobbit erwartungsvoll über einen Stapel Briefe hinweg an. Er war erst zum Abendessen zurückgekehrt und hatte einen langen, anstrengenden Tag hinter sich, an dem er vielen beunruhigten Hobbits in Steingrube hatte Gehör schenken müssen. Frodos betrübter Anblick behagte ihm jedoch gar nicht und er ahnte, was der Junge ihm nun mitteilen wollte. Dennoch sagte er nichts, wollte Frodo die Möglichkeit geben, seinen Entschluss selbst auszusprechen und ihm nicht die Worte aus dem Mund nehmen. Als Frodo jedoch keine Anstalten machte zu sprechen, sondern nur auf den Boden blickte und mit seinen Fingern spielte, legte Saradoc schließlich die Pfeife weg und räusperte sich.
"Ich nehme an, du hast über meine Worte nachgedacht", sagte er und Frodo nickte noch ehe er seinen Satz zu Ende gesprochen hatte.
Saradoc runzelte die Stirn. Frodo wirkte so verkrampft, als hätte er eben erst damit begonnen, über seine Worte nachzudenken, schien keineswegs bereit, ihm eine Entscheidung mitzuteilen. Er fragte dennoch, ob er einen Entschluss gefasst habe.

Frodo hatte die Hände gefaltet und blickte auf seine Finger, zu zerrissen, um Saradoc anzusehen. Der Herr würde wissen, dass er seine Entscheidung zwar getroffen hatte, sich ihrer aber nicht sicher war. Er würde ihn wieder weg schicken und das wollte er nicht. Frodo musste daran festhalten, schließlich hatte er es versprochen, und Saradoc sollte sehen, dass er zu seinem Entschluss stand. Der Herr sollte stolz auf ihn sein, wie bereitwillig er sein Zimmer aufgab. Doch noch konnte er ihn nicht ansehen, fühlte sich nicht in der Lage, eine solch folgenschwere Nachricht mitzuteilen. Noch war er zu unsicher.
"Hast du einen Entschluss gefasst?", hörte er Saradoc fragen und auch wenn seine Stimme ruhig war, klang sie laut in Frodos Ohren. Dies waren jene Worte, die seinem Zaudern ein Ende setzen sollten. Jetzt musste er Saradoc das Ergebnis seines Nachdenkens präsentieren, auf sein Zimmer und seine Erinnerungen verzichten und sich für Merry und Saradocs Anerkennung entscheiden. Jetzt musste er zu seinem Wort stehen und durfte nicht länger über das Richtig oder Falsch nachgrübeln.
Frodo schluckte den Knoten in seinem Hals, holte tief Luft und blickte schließlich tief in Saradocs Augen. Dies sollte der Augenblick sein, in dem er den Herrn glücklich machen würde, wie es seinen Vater glücklich gemacht hätte, eine solche Entscheidung aus seinem Munde zu hören. Der Gedanke allein genügte, um ihm ein Lächeln zu entlocken.
"Ich habe mich entschieden", verkündete er dann und das Lächeln auf seinen Lippen wurde noch breiter, als er den verwunderten Gesichtsausdruck Saradocs sah. Offensichtlich hatte er nicht mit einer solchen Antwort gerechnet, denn Frodos Stimme klang freudiger und entschlossener, als selbst er es erwartet hatte.
"Ich habe mich entschieden", wiederholte er noch einmal. "Ich werde in Merrys Zimmer einziehen, sobald du es von mir verlangst. Mimosa soll mein Zimmer bekommen." Frodo stockte einen Augenblick. "Ich hoffe, es wird ihr Freude bereiten."
Ebenso, wie es dir Freude bereiten soll, fügte er in Gedanken hinzu.

Für einen kurzen Moment war Saradoc sprachlos und konnte nichts weiter tun, als verdutzt in die ehrlichen und fest entschlossenen Augen des jungen Hobbits vor sich zu starren. Solche Worte hatte er nicht erwartet, erst recht nicht in solch einer aufrechten Art und Weise, wie Frodo sie ihm eben dargeboten hatte. Was hatte den Jungen umgestimmt, wo er doch am vergangenen Abend so aufbrausend auf den Vorschlag reagierte, dass er selbst den Mut, seine Grenzen zu überschreiten, gefunden hatte?
Nichtsdestotrotz war er erleichtert über Frodos Entschluss und er lächelte zufrieden. "Ich danke dir, Frodo. Was immer dich dazu bewogen hat, deine Meinung doch noch zu ändern, hat eine große Last von meinem Herzen genommen."
Frodo erwiderte das Lächeln und stand auf, als Saradoc sich erhob und hinter dem Schreibtisch hervortrat.
"Ich danke dir", wiederholte der Herr erfreut und legte ihm dabei eine Hand auf die Schulter.

Frodo strahlte von einem Ohr zum anderen, in freudiger Erwartung der Anerkennung, die er nun erhalten sollte. Glücklich blickte er in das zufriedene Gesicht Saradocs, dessen Augen vor Freude und Erleichterung leuchteten. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und er hatte Mühe, nicht aus lauter Aufregung zu zittern. Er hatte sein Zimmer aufgegeben für das Lob und die Anerkennung Saradocs und dies sollte der Augenblick sein, da er beides erhielt. Würde er ihn in die Arme nehmen und dieselben liebevollen, bestätigenden Worte sprechen, mit denen er sich beizeiten an Merry wandte? Würden seine Augen dabei mit demselben Stolz erstrahlen mit dem der Herr seinen Sohn so häufig betrachtete? Das Feuer im Kamin knisterte und ließ ein freudiges Kribbeln durch Frodos Körper laufen.

"Gibt es sonst noch etwas, das ich für dich tun kann?"
Vor Überraschung stockte Frodo der Atem. Das konnte unmöglich Saradocs Ernst sein. Es konnte doch nicht sein, dass er ihn wegschicken wollte, ohne Lob, ohne ein Wort des Stolzes. Verzweifelt suchte er in den Augen des Herrn nach einer Antwort, doch Saradocs Blick ließ keine weiteren Absichten erkennen. Sollte es tatsächlich bei Dankbarkeit bleiben? Zu fassungslos für eine Antwort schüttelte Frodo den Kopf.
"Dann wäre ich froh, wenn du bald zu Bett gehen würdest", ließ Saradoc verlauten, nahm die Hand von seiner Schulter und setzte sich wieder in den Sessel.
Frodo verharrte einen Augenblick reglos. Alle Aufregung war von ihm abgefallen, ließ ihn hohl zurück. Beinahe wie in einem Traum griff er nach seinem Stuhl und stellte ihn an die Wand.
Saradoc konnte ihn unmöglich wegschicken. Sollten am Ende all seine Ruhelosigkeit und die Verluste, die seine Entscheidung mit sich gebracht hatten, umsonst gewesen sein? Würde er Saradocs Bestätigung nicht einmal so erhalten? Hatte er sie denn nicht verdient?
Frodos Hände klammerten sich plötzlich an der Lehne des Stuhles fest. Er überließ Saradoc sein Zimmer, wenn das nicht genügte, um seine Anerkennung, seine Liebe, zu verdienen, was dann? Er konnte jetzt nicht gehen und aufgeben. Heute würde er dafür kämpfen, denn eine Möglichkeit, wie diese, würde sich ihm nicht wieder bieten.
Entschlossen wandte er sich um, sammelte all den Mut zusammen, den er in sich finden konnte und blickte Saradoc in die Augen. Er öffnete den Mund, doch in jenem Augenblick stockte seine Stimme und die Worte kamen nur als ein zaghaftes Flüstern über seine Lippen. "Hast du nicht etwas vergessen?"
Verwundert runzelte Saradoc die Stirn, blickte einen langen Moment auf das Kind, das zuvor noch so überzeugt gesprochen hatte. Was hatte ihm seine Entschlossenheit so plötzlich genommen und es so zaudernd sprechen lassen?
"Was sollte ich vergessen haben?"
Kannst du dir das nicht denken?
In Gedanken flehte Frodo darum, dass Saradoc auffalle, was er wollte und wiederholte immer wieder dieselbe Frage, doch über seine Lippen kam nur ein leises: "Nichts."
Kaum war dieses eine Wort gesprochen, senkte er erneut das Haupt und ballte seine Hände zu Fäusten. Er war zu schwach, zu feige, fand nicht einmal den Mut eine einfache Bitte zu äußern. Was würde er dafür geben, dass Saradoc erkannte, wonach er sich sehnte. Von sich selbst enttäuscht wandte er sich um und ging zur Tür. Frodo hatte den Türknauf bereits in der Hand, als er Saradoc eine gute Nacht wünschte, ehe er das Arbeitszimmer raschen Schrittes verließ.

Saradoc blieb mit seiner Verwunderung alleine zurück. Erst als sich die Tür hinter Frodo geschlossen hatte, war ihm plötzlich klar geworden, dass Frodo noch etwas von ihm gewollt hatte, doch so sehr er sich auch bemühte, er fand nicht heraus, worum es sich dabei handelte. Beinahe war er versucht, den Jungen zurückzuholen und ihn danach zu fragen, doch ließ er den Gedanken fallen. Er war zu erschöpft, um Frodos verworrenes Verhalten zu ergründen. Sollte es eine wichtige Angelegenheit sein, würde der Junge bestimmt wieder kommen und einen zweiten Versuch wagen und dann würde er sich die Zeit und die Geduld nehmen, Frodos heimlichem Wunsch auf den Grund zu gehen.

Wie blind eilte Frodo durch die Gänge des Brandyschlosses, war froh, dass keiner ihm genügend Aufmerksamkeit schenkte, um seinen verzweifelten Gemütszustand zu bemerken. Verbissen kämpfte er gegen die Tränen an, die in ihm aufzusteigen drohten. Wut auf sich selbst und auf Saradoc mischte sich mit dem bitteren Geschmack der Enttäuschung und der Verzweiflung über den Verlust, den er nun würde hinnehmen müssen. Ihm wurde klar, dass er auf seine Zweifel hätte hören sollen.
Als er den östlichen Gang endlich erreicht hatte, begann er zu laufen, wobei die erste Träne ungehindert über seine rechte Wange kullerte. Schnell riss er seine Zimmertür auf, stürmte in den geliebten Raum und ließ sich verzweifelt auf sein Bett fallen, wo er den Kampf gegen seine Tränen endgültig verlor. Verzweifelt vergrub er das Gesicht in seinem Kissen und schluchzte jämmerlich.
Ihm waren zwei Möglichkeiten zur Wahl gestanden und ganz gleich für welche er sich entschloss, er hätte sowohl Freude als auch Kummer davon getragen. Also hatte er sich für einen Weg entschieden, doch sein Entschluss war falsch gewesen. Niemals hätte er sich gegen sein Zimmer aussprechen dürfen, ganz gleich, wie hoch der Preis dafür sein mochte. Nun hatte er nichts mehr, kein Zimmer, keine Anerkennung, kein Zuhause.
Saradoc hatte ihn verraten, hatte ihm die erhoffte Freude genommen und auch wenn Frodo noch klar vor Augen war, wovon Merry und er am Nachmittag geträumt hatten, schienen diese Dinge nun gering und nichtig im Vergleich zu dem, was er nun aufgeben musste. Er verlor sein Zuhause, den einzigen Ort an dem er sich noch hatte wohl fühlen können und bekam nicht mehr, als ein Wort des Dankes. Insgeheim verachtete er den Herrn, dass er ihm nicht mehr hatte geben wollen und schimpfte sich selbst für die Einfalt, mit der er in Saradocs Arbeitszimmer getreten war. Was hatte er denn erwartet? Saradoc mochte wissen, dass er sein Zimmer liebte, doch er konnte unmöglich begreifen, was es für ihn bedeutete, es aufzugeben. Ebenso würde Saradoc nie verstehen, wie sehr Frodo nach jener Anerkennung hungerte, die der Herr seinem Sohn zuteil werden ließ. Nur ein einziges Mal wollte er so gelobt werden, wie Merry, doch dieser Tag würde niemals kommen. Seine Hoffnungen waren falsch gewesen und der Preis, den er dafür würde bezahlen müssen, war höher, als selbst er begreifen konnte.
Die Brust schien ihm wie zugeschnürt und er wollte seinen Kummer hinausschreien, in der Hoffnung, wieder atmen zu können, doch er wagte es nicht. Stattdessen rollte er sich in seinem Bett zusammen, zog sich die Decke über den Kopf und ließ die Geborgenheit, die er hier finden konnte, auf sich wirken. Doch der Trost, den er in dieser Nacht erhalten sollte, war geringer, als Frodo erhofft hatte, denn er wurde von Verzweiflung überschattet und dem Wissen, jene Geborgenheit nicht mehr lange gewährt zu bekommen.



~*~*~



Zärtlich strich Hanna über die Wange ihrer jüngsten Tochter. Melilot war nach langem Quengeln endlich eingeschlafen und nun hatten auch Minze und Merimas die Ruhe die sie brauchten, auch wenn sich ihr Sohn vom Jammern des Babys schon lange nicht mehr stören ließ. Nach beinahe sechs Jahre im elterlichen Schlafzimmer war der junge Hobbit unempfindlich gegen Geräusche und schlief ein, sobald er müde war, ganz gleich wer noch im Zimmer war.
Verwundert hob Hanna den Kopf als sie hörte, wie eine Tür knarrend ins Schloss fiel.
"Frodo?", flüsterte sie verwirrt, warf einen letzten Blick auf ihre Tochter und trat dann aus dem kleinen, durch einen Vorhang abgetrennten Bereich ihrer Kinder heraus, ging am Kamin vorbei zur Tür, wobei sie sich die Falten an ihrer Schürze glatt strich. Vorsichtig trat sie in den Gang hinaus und sah sich um. Keiner war zu sehen und so trat sie an die gegenüberliegende Tür und lauschte. Zu ihrem Entsetzen drang leises Schluchzen an ihr Ohr, dessen Klang sie tief in ihrem Herzen berührte und sie traurig stimmte. Entschlossen, Frodo Trost zu spenden, griff sie nach dem Türknauf und wollte anklopfen, als plötzlich ein anderes Geräusch an ihr Ohr drang. Melilot hatte wieder zu weinen begonnen. Hanna brach es das Herz zwischen zwei weinenden Kindern zu stehen und sich für eines entscheiden zu müssen. Verzweifelt biss sie sich auf die Lippen, blickte von einer Tür zur anderen.
"Vergib mir, Frodo", flüsterte sie dann, legte eine Hand an die Tür und schloss die Augen.
Melilots Klagen wurde lauter und schließlich zögerte Hanna nicht länger und eilte zu ihrer Tochter, doch ihr Herz schmerzte beim Gedanken, Frodo mit seinen Tränen allein zu lassen.





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