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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 59: Silberschweif und Nelkenblüten



Frodos Geburtstag und auch die folgenden Tage von Bilbos Aufenthalt verliefen ohne weitere Vorkommnisse. Frodo behielt seine Tränen für sich und gab vor, tatsächlich an Übermüdung gelitten zu haben. Bilbo erschien er glücklich und doch wollte ihm das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war, keine Ruhe lassen, auch wenn er den Grund dafür nicht erkannte.
Frodo gab sich alle Mühe, zufrieden auszusehen, doch es schmerzte ihn, in Bilbos Nähe zu sein. Der Gedanke an ein mögliches Zuhause in Beutelsend ließ ihn nicht mehr los und manchmal wünschte er sich nichts mehr, als in Bilbos Arme zu stürzen und ihm zu sagen, was er fühlte, in der Hoffnung, Bilbo würde seine Worte noch einmal überdenken, aber er wagte es nicht. Er hatte Angst, erneut enttäuscht zu werden und wusste, das allein genügte, um ihn am Sprechen zu hindern.
Nur wenige Tage nach der Geburtstagsfeier, als Bilbo seinen Heimweg antreten wollte, vergaß Frodo seine Vorsätze jedoch. Bilbo nahm ihn zum Abschied in die Arme und Frodo fühlte die Wärme, nach der er sich so sehr sehnte, und wusste doch, dass er alleine war. Gerade in jenem Augenblick, als er sich seiner Sehnsucht hingeben wollte, in der Hoffnung, all der Schmerz der vergangenen Tage wäre nur einem Traum entsprungen, hallten erneut Bilbos Worte in seinen Ohren.
"Saradoc hatte mir geschrieben."
Bilbo war nur wegen Saradoc hier und nicht, weil er dieselbe Wärme empfand, die Frodo spürte - noch nicht. Erst musste Frodo dieser Liebe würdig werden und dann konnte es geschehen, dass Bilbo seinetwegen kam.
Für Bilbo waren die Tränen seines Neffen Abschiedstränen, denn genau das war es, was dieser ihm sagte, und doch wuchsen seine Bedenken noch, als er Frodo in den Armen hielt. Etwas hatte sich verändert.

Pippin kuschelte sich jede Nacht zu Frodo ins Bett. Das Heimweh des jungen Hobbits ließ nicht nach, doch die Nähe seines Vetters schien Pippins Kummer zu lindern. Er war jedoch nicht der Einzige, dem diese Nähe wohl tat, denn auch Frodo dürstete nach jener Art der Zuneigung und war froh, dass der junge Tuk bald gänzlich auf eine eigene Matratze verzichtete. Während Pippin abends oft weinte, um dann in Frodos Armen einzuschlafen, vergoss der Ältere keine weiteren Tränen. Er wollte Pippin nicht noch mehr Kummer bereiten und begnügte sich mit der tröstenden Wärme, die sein Vetter ihm spendete, wenn er heimlich nach seiner Hand tastete und sie fest umklammert hielt, oder sich wieder an ihn herankuschelte, sollte sich einer von ihnen im Laufe der Nacht vom anderen abgewandt haben.
Doch auch Pippin musste sich bald verabschieden, denn nach über einem Monat zog es selbst seine Schwester Perle nach Tukland zurück. Merry redete lange vergebens auf seinen jüngeren Vetter ein, und auch Frodo wollte ihn nicht wieder gehen lassen. Er versuchte jedoch nicht, Pippin zum Bleiben zu überreden, denn es schien ihm nicht recht, dass er ihn seines Zuhauses beraubte nur weil er sich selbst nach einem solchen sehnte.
War es Frodo nach Bilbos Abschied besser ergangen, da er sich nicht länger hatte verstellen müssen, ging es ihm nach Pippins Aufbruch schlechter. Er vermisste den Trost, den sein Vetter ihm, ohne es zu ahnen, gespendet hatte und lauschte lange vergebens auf das beruhigende Atemgeräusch, das ihn in so manchen schlaflosen Nächten begleitet hatte.

Als der Winter langsam ins Land zog, erholte Frodo sich jedoch von seinem Kummer. Die ersten Blätter waren bereits wenige Tage, nachdem Bilbo das Brandyschloss verlassen hatte, gefallen und nur Tage darauf bedeckte eisiger Tau frühmorgens die Wiesen. Der Wind pfiff und jagte schneidend über die kahl geernteten Felder. Es regnete oft und nicht selten wurden die herabfallenden Wassertropfen von winzigkleinen Schneeflocken begleitet. Saradoc sorgte sich sehr ob der zunehmenden Kälte, fürchtete die Ereignisse des Grausamen Winters im Jahre 1311 könnten sich wiederholen. Viele Bewohner des Brandyschlosses litten an Erkältungen oder Schlimmerem und es war kaum jemand anzutreffen, der ohne ein gelegentliches Husten oder Niesen auskam.
An Jul erreichte die Kälte ihren Höhepunkt. In den letzten Tagen des Vorjuls schneite es wie nur selten zuvor und an Jul wären kleine Hobbits wie Melilot, die zu dieser Zeit ihre ersten Schritte tat, beinahe brusttief im Schnee gestanden, wären sie alt genug gewesen, um alleine draußen zu spielen.

Da es im Winter keine Arbeiten auf den Feldern zu verrichten gab, wurden alle jungen Hobbits im Alter von zehn bis fünfundzwanzig vormittags von Saradas und anderen gebildeten Bewohnern des Brandyschlosses im Lesen, Schreiben, Rechnen und in sonstigen nützlichen Dingen unterrichtet. Nur jene Tweens, die bereits eine Lehre angetreten hatten, waren vom Unterricht befreit, denn es lag in den Händen ihrer Meister sie alles zu lehren, was für sie wichtig war. Frodo, Merry und die anderen Kinder waren ob der misslichen Wetterlage wieder dazu übergegangen, in ihrer Freizeit Karten zu spielen und verbrachten ganze Nachmittage an den Wohnzimmertischen, diskutierten wild über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Zuges, straften einander mit bösen Blicken und Worten, sollte jemand es wagen, in die Karten eines anderen zu schielen, lachten über schlaue Taktiken und errungene Siege und genossen die gemeinsame Zeit.
Wie jeden Winter musste Frodo häufig an seine Eltern denken und sein Herz war schwer mit Erinnerungen an Zeiten, in die er sich zurücksehnte. Auch an Beutelsend dachte er manchmal und an die Monate, die er im Winter vor sechs Jahren dort erlebt hatte, und auch wenn er sich dorthin zurückwünschte, schmerzten ihn jene Bilder. Zuweilen vergaß er über Bilbos Worte, oder gab vor, sie wären nie gefallen und an anderen Zeiten trafen sie ihn so hart und schmerzvoll, dass er in Tränen ausbrach und lange brauchte, um sich wieder zu beruhigen. Bilbos Briefe empfing er mit derselben Freude und beantwortete sie mit derselben Gewissenhaftigkeit wie eh und je, versuchte jedoch mindestens zwei Seiten mit Berichten und Erlebnissen zu füllen und stellte sich dabei vor, wie jede verfasste Seite Bilbos Liebe für ihn steigerte.



~*~*~



Frodo saß auf der Holzbank vor dem Kachelofen und lehnte den Kopf mit einem Kissen an die beheizten Kacheln. Im Winter war dies sein Lieblingsplatz und in Momenten wie diesen glaubte er, hier sogar schlafen zu können. Der Raum war warm und verströmte eine angenehme Stimmung. Die flackernden Flammen mehrerer Kerzen erhellten das Zimmer, ebenso wie das Licht eines großen Leuchters, der in der Mitte des Raumes von der Decke hing. Viele Tische, Bänke und Stühle waren aufgestellt worden, um den Bewohnern des Brandyschlosses genügend Platz zu bieten und das Wohnzimmer machte beinahe den Eindruck einer Wirtsstube, wenn nicht der Geruch ein anderer gewesen wäre. Zwar hing auch hier der strenge Duft von Pfeifenkraut in der Luft, doch der Geruch selbst war feiner. Er mischte sich mit dem von Lavendel, Erdnussöl, Kamille und Rosenblüten, dem Duft unzähliger Hobbitfrauen, die viele Stunden in diesem Wohnzimmer verbrachten, um Kleider zu nähen, Decken zu besticken oder Mützen zu stricken. Nur leise Gespräche erfüllten den Raum und ab und an drang ein Niesen oder ein Husten an Frodos Ohr, doch über alle anderen Unterhaltungen hinweg hörte er die tiefe Stimme Gorbadocs, die voller Inbrunst eine Geschichte zum Besten gab. Frodo hörte seinen Worten nur halbherzig zu, doch seine Augen beobachteten die Kleinkinder, die mit großen Augen und offenen Münder völlig begeistert zu Gorbadoc empor blickten. Frodos Großvater saß in einem Schaukelstuhl und die Kinderschar hatte es sich um ihn herum auf dem Fußboden gemütlich gemacht. Ein Lächeln huschte über Frodos Lippen. In Momenten wie diesen schien selbst Gorbadoc wieder so glücklich, wie eh und je. Er war schon immer ein Meister der Geschichten gewesen. Nur Bilbo konnte ihm das Wasser reichen, und so würde es auch immer bleiben.

Frodo wandte den Blick ab. Mit einem tiefen Seufzen zog er die Knie zur Brust und schlang die Arme darum. Nur wenn er Geschichten erzählte, wirkte Gorbadoc so fröhlich, wie er es immer gewesen war, doch selbst dann glaubte Frodo ab und an einen traurigen Glanz in den tiefen braunen Augen erkennen zu können. Er würde seinen Verlust niemals vollständig überwinden können. Ein Stück seines Herzens fehlte, war zerbrochen, genau wie Frodos Herz gebrochen war. Gleich vier große Teile waren ihm genommen worden und nur mehr kleine Scherben schienen übrig geblieben. Drei, die er liebte, hatte er an den Tod verloren und die vierte Person hatte ihn zurückgewiesen, wenn auch nur vorübergehend. Zumindest hoffte er das.
Er seufzte erneut. Woher nahm der Winter die Macht, ihm das Herz schwerer zu machen, als es ohnehin schon war?

Überrascht hob Frodo den Kopf, als die Wohnzimmertür schwungvoll geöffnet wurde und brüllendes Gelächter die leisen Gespräche verstummen ließ. Marroc, Ilberic, Sadoc und Reginard betraten grölend den Raum und taten der angenehm warmen Stimmung einen abrupten Abbruch. Auf einige zischende Zurufe von alten Damen und leisen, aber strengen Ermahnungen dämpften sie die Lautstärke ihrer Stimmen und stapften auf einen kleineren Tisch in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes zu. Marroc drehte sich kurz um und entdeckte Frodo. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke, doch Frodo wandte sich ab, als sich Marrocs Augen zu drohenden Schlitzen verengten. Er hatte nicht vor, das Glück, das ihm in den letzten Monaten hold gewesen war, leichtsinnig herauszufordern. Mit einer raschen Bewegung rutschte Frodo von der Holzbank und verließ eiligst das Zimmer, da er wusste, dass es nur schlecht enden konnte, wenn er und Marroc lange in einem Raum waren. Im Grunde kam ihm das plötzliche Auftauchen seines Peinigers gerade recht. Frodo wollte ohnehin nach draußen, in der Hoffnung, die Kälte und der Schnee würden ihn auf andere Gedanken bringen und die trübe Stimmung, die ihn umfing, seit Merry vor zwei Tagen krank geworden war, vertreiben.

In eine dicke Jacke und einen warmen Umhang gehüllt, machte sich Frodo schließlich zu den Ställen auf. Mit einer schwungvollen Bewegung warf er das eine Ende eines orangegrünen Schals über die Schultern, als er durch den Schnee stapfte und der Wind ihn säuselnd begrüßte. Er schauderte unwillkürlich ob der plötzlichen Kälte. Der Schnee unter seinen Füßen fühlte sich eisig an und es dauerte einige Zeit, bis Frodo sich an das kalte Gefühl gewohnt hatte, doch er würde ohnehin reiten. Merimac hatte es ihm erlaubt, und so brauchte er sich keine Gedanken zu machen.

Das Scharnier der Stalltür protestierte mit eisernem Krächzen, als Frodo die Tür knarrend öffnete. Der Wind pfiff durch feine Risse im Holz und doch war es im Innern des Stalles merklich wärmer. Der Duft von Heu hieß den jungen Hobbit willkommen, gemischt mit dem unvergleichlichen Geruch der Ponys. Frodo sog den Duft tief in sich ein, während er sich blinzelnd umblickte, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Eines der Ponys schnaubte aufgeregt und ein Lächeln erschien auf Frodos Lippen, als er schnurstracks auf die hinterste Box zuging.

Das Pony scharrte mit den Hufen und schnaubte erneut, als Frodo langsam auf es zutrat. Es war ein junger Hengst mit schwarzem Fell und weißen Fesseln, der erst im vergangenen Sommer von Merimac zugeritten worden war. Einzelne silberne Haare zogen sich durch das gesamte Fell des Tieres und verliehen ihm eine einzigartige Schönheit. Frodos Finger strichen zärtlich über die weichen Nüstern und die Blesse des Tieres, als er den Hengst mit leisen Worten begrüßte. Seit der Hengst zugeritten worden war, ritt Frodo kein anderes Pony mehr und so hatte sich eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen ihm und dem Tier entwickelt. Saradoc gab seinen Tieren keine Namen, doch Frodo hatte dieses Pony Silberschweif getauft und zu seiner Überraschung festgestellt, dass der Hengst seinen Namen zu kennen schien. Frodo holte eine Bürste von der Wand, bevor er in die Box des Ponys trat und sanft über dessen seidiges Fell strich und dessen Hals tätschelte, ehe er es zu bürsten begann. Staub wirbelte auf und kitzelte Frodo in der Nase, brachte ihn zum Niesen, doch Silberschweif erschrak nicht und wartete geduldig darauf, dass sein kleiner Freund seine Arbeit beendete.
Während er das Pony bürstete und für den Ausritt fertig machte, sprach Frodo ständig auf das Tier ein. Merry hatte sich oft darüber lustig gemacht und gemeint, er spräche mehr mit dem Pony als mit sonst jemandem und von Zeit zu Zeit glaubte Frodo, dass sein Vetter damit nicht ganz Unrecht hatte. Es war wesentlich einfacher, mit einem Tier zu sprechen als mit einem Hobbit. Personen konnten ihn unterbrechen, ihn verletzen, ein Tier tat das nicht.

Seine Hand glitt erneut über das seidige Fell am Hals des Tieres. Frodo tätschelte den Hengst, ehe er ihm den Sattel auflegte. Er hatte sich nie viele Dinge gewünscht, erst recht nicht solche großen und wertvollen Dinge wie ein Pony, doch bei Silberschweif war das anders. Frodo wünschte sich, der Hengst wäre nicht nur ein Pony im Stall, sondern sein Pony. Mit ihm könnte er ausreiten, wann immer ihm das ständige Kommen und Gehen im Brandyschloss zuviel wurde, oder seine Gedanken ihn zu ersticken drohten. Natürlich konnte er das jetzt auch, doch wenn Silberschweif sein Pony wäre, müsste er nicht erst um Erlaubnis fragen, sondern könnte ihn einfach aus dem Stall führen und mit ihm über die Felder preschen. Frodo liebte es, den Wind in seinem Gesicht zu spüren und die Landschaft an sich vorübersausen zu sehen. Dann glaubte er, alle Sorgen hinter sich lassen zu können und für kurze Augenblicke war er frei und so glücklich, dass er glaubte, weinen zu müssen. Nie hatte er sich beim Reiten so gefühlt, doch seit er im Winterfilth das erste Mal mit Silberschweif ausgeritten war, war er sicher, so zu einer Unbeschwertheit zurückfinden zu können, die ihn jegliche Verzweiflung vergessen ließe.
Frodo wollte Silberschweif für sich, doch er würde Saradoc niemals darum bitten. Er war einer der wenigen Hobbits seines Alters, der ein eigenes Zimmer hatte, er konnte nicht auch noch nach einem eigenen Pony verlangen.

Wieder wurde Frodo vom beißenden Wind begrüßt, als er nach draußen trat und er schlotterte noch ehe er daran denken konnte, dass ihm kalt war. Rasch schwang er sich in den Sattel und lenkte Silberschweif nach Südosten. Er hatte vor, seine gewöhnliche Strecke etwas zu ändern. Anstatt am Fluss entlang zu reiten, wollte er dieses Mal die Weiten der südlichen Felder genießen und sollte er danach noch nicht genug haben, konnte er über den Weg nahe dem Flussufer zurück reiten.

Während Silberschweif gemächlich dahin trabte und der kalte Wind Frodos Wangen ein gesundes Rot verlieh, schweiften die Gedanken des jungen Hobbits ab. Er musste an Merry denken, der ihn auf solchen Ausritten meist begleitete, doch daran war im Augenblick nicht zu denken. Seit dem Abend vor zwei Tagen hatte sich sein Vetter ständig erbrechen müssen und lag nun mit Fieber, einem hohlen Magen und der Erkältung, die er schon seit fast einer Woche mit sich herumgeschleppt hatte, im Bett. Saradoc hatte, nach einem längeren Besuch Fastreds, sogar das Besuchsverbot verhängt und Frodo machte sich große Sorgen um Merry. Er kam nicht umhin daran zu denken, was das letzte Mal geschehen war, als Saradoc das Besuchsverbot über jemanden verhängt hatte und immer, wenn er daran dachte, verkrampfte sich sein Magen und eine plötzliche Verzweiflung ergriff ihn, sodass er glaubte, sofort in Merrys Zimmer stürmen zu müssen, um nach dem Rechten zu sehen. Bisher jedoch war es ihm immer gelungen, sich wieder zu beruhigen und auch jetzt schüttelte Frodo den Gedanken ab und trieb Silberschweif an.
Wenn er erst einmal die Felder erreicht hatte und in vollem Galopp darüber hinwegfegen konnte, würde er all seine Sorgen vergessen, an nichts denken, genau wie er es vor langer Zeit im Alten Wald getan hatte. Frodo fröstelte unwillkürlich bei der Erinnerung daran.

"Frodo!"
Erschrocken zuckte er zusammen und riss dabei ungewollt an den Zügeln. Silberschweif schnaubte verärgert und warf den Kopf zurück. Verwundert drehte Frodo sich um und erkannte Nelke, die in einen blauen Umhang gekleidet auf einem rostbraunen Pony auf ihn zugetrabt kam. Die Kapuze wurde ihr vom Kopf geweht und ihre braunen Locken tanzten im Wind. Frodo verdrehte die Augen. Ausgerechnet ihr musste er hier über den Weg laufen. Einen Augenblick zog er es in Erwägung einfach umzudrehen und davon zu reiten, doch er entschied sich dagegen und wartete, bis ihr Pony neben seinem zum Stehen gekommen war.
Nelke lächelte von einem Ohr zum anderen. Ihre Wangen waren nicht weniger rot als seine eigenen und sie schlotterte, als sie ihren Umhang ein wenig enger um sich wickelte.
"Was machst du hier?", fragte Frodo und konnte dabei sein Missfallen über ihre Anwesenheit kaum verbergen. Er trieb Silberschweif an, ließ das Pony im Schritt über die schneebedeckte Wiese gehen.
Nelke schob die Unterlippe vor und sah ihn einen Augenblick beleidigt an. "Dafür, dass ich mich dieser Kälte aussetze, könntest du ruhig etwas freundlicher sein", ließ sie ihn ernst wissen.
Frodo warf ihr einen vielsagenden Blick zu. "Ich habe dich nicht darum gebeten, mich zu begleiten. Es steht dir also frei, wann immer du willst, zu gehen."
Seine Stimme klang nicht unfreundlich, doch Frodo wollte alleine sein und schaffte es nicht, dies seiner Stimme nicht anklingen zu lassen. Wenn ihm schon jemand begegnen musste, weshalb ausgerechnet Nelke? Weshalb konnte es nicht jemand sein, der es sich nicht zum Zeitvertreib gemacht hatte, ihn zu verdrießen? Er blickte stur auf Silberschweifs Mähne, trieb den Hengst zu einem etwas schnelleren Tempo an, doch Nelke blieb an seiner Seite.
"Ich weiß, dass du mich nicht darum gebeten hast", antwortete sie und ihre Stimme klang sanfter, als Frodo erwartet hätte. Er hatte geglaubt, sie wäre nun beleidigt, würde ihm eine Gehässigkeit an den Kopf werfen und dann erzürnt umdrehen, doch das tat sie nicht. Stattdessen sagte sie: "Ich wollte nicht, dass du noch länger alleine bist. Es ist nicht gut, so lange alleine zu sein."
Frodo konnte seine Überraschung kaum verbergen. Ein beißender Wind wehte ihm ins Gesicht und er zügelte die Geschwindigkeit unwillkürlich, als er sie verwundert anblickte. Wie konnte sie das meinen? Glaubte sie nun etwa, auf ihn aufpassen zu müssen?
"Ich kann sehr gut auf mich selbst Acht geben", ließ er sie wissen und warf ihr dabei einen scharfen Blick zu. "Außerdem bin ich nicht so lange alleine, wie du vielleicht glaubst."
Nelke lachte. Frodo wusste nicht, was daran so amüsant war und auch der Klang ihres Lachens ließ ihn im Dunkeln. Es klang betrübt, spitz, wie es Marrocs Lachen manchmal war, und zugleich amüsiert. Verwirrt sah er sie an. Einen Augenblick war ihm, als würde sie ihn für dumm verkaufen und war beinahe gekränkt.
"Nein, du bist wirklich nicht lange allein", meinte sie dann und dieses Mal war Spott deutlich in ihrer Stimme zu hören. "Du warst nur den ganzen Vormittag so schweigsam, dass Saradas glaubte, du wärest eingeschlafen und seit der Unterricht vorüber ist, sitzt du alleine im Wohnzimmer und bist mit deinen Gedanken so weit entfernt, dass du nicht einmal bemerkst, wenn man mit dir spricht. Nun willst du reiten, um selbst jenen, die im Wohnzimmer sitzen, aus dem Weg zu gehen, nicht dass du irgendetwas für die Geschehnisse dort übrig zu haben scheinst."
Überrascht sah Frodo sie an, zog wieder an Silberschweifs Zügeln, worauf der Hengst mit einem ungeduldigen Schnauben zum Stehen kam. Das Pony wollte endlich über das vor ihm ausgebreitete Feld galoppieren, wie Frodo es ursprünglich vorgehabt hatte.
Beinahe entschuldigend blickte Frodo in Nelkes Augen, denn ihre Stimme war immer betrübter geworden und ihre Augen sprachen Bände. Vielleicht glaubte sie tatsächlich, auf ihn aufpassen zu müssen, und auch wenn ihn das ärgerte, so sprach doch ehrliche Sorge aus ihrer Stimme. Sie sollte sich nicht um ihn sorgen, niemand sollte das. Er senkte beschämt den Kopf.
"Du solltest dir um mich keine Sorgen machen", erklärte er schließlich leise. "Ich bin nun einmal gerne allein."
Nelke lächelte und dieses Mal war es ein freundliches Lächeln, das Frodo erwiderte, ehe er recht wusste, was er tat. "Also gut, Frodo Beutlin, ich werde mich nicht sorgen", meinte sie und zwinkerte ihm zu, "aber nur, wenn du mich bei einem Wettreiten besiegst."
Mit diesen Worten trat sie ihrem Pony in die Flanken und galoppierte durch den Schnee. Silberschweif brauchte gar nicht erst angetrieben zu werden. Er setzte dem anderen Pony blitzartig hinterher, als wisse er, was von ihm verlangt wurde. Frodo hatte kaum Zeit, seine Schenkel gegen den Sattel zu pressen, so schnell war das Pony losgestürmt. Der Wind pfiff in den Ohren des Hobbits und blies ihm die Haare zurück. Er spürte die klirrende Kälte an Händen und Füßen. Seine Wangen pochten, während der kalte Wind Tränen in seine Augen trieb. Schnee wirbelte unter den Ponyhufen auf und spritzte bis zu seinen Waden, während die Landschaft an ihm vorübersauste. Für den Augenblick vergaß er tatsächlich um seine Sorgen, doch nicht auf die Weise, wie er es erhofft hatte. Er war viel zu sehr damit beschäftig, Nelke wieder einzuholen, um sich über etwas anderes Gedanken zu machen.
Der blaue Umhang flatterte wild hinter dem Mädchen her, während die Pferde über die Ebene preschten. Silberschweif hatte Nelke schon beinahe eingeholt und strengte sich an, um mit ihrem Pony gleichzuziehen. Die Hufe donnerten über den gefrorenen Boden und ließen eine Wolke aus Schnee hinter den Hobbits aufwirbeln.

Erst als sie die Bocklandstraße erreichten, zügelten die beiden Hobbits ihre Ponys und machten schließlich Halt.
"Gar nicht schlecht", ließ Frodo Nelke mit einem Lächeln wissen, denn er war nur wenige Momente vor ihr auf dem zugeschneiten Schotterweg angelangt.
Nelke nickte ihm dankend zu. Sie keuchte und ihr Atem schwebte in weißen Wölkchen vor ihrem Gesicht. "Und wohin nun?"
Frodo keuchte ebenfalls, als wäre er es gewesen, der den ganzen Weg gerannt war. Nichtsdestotrotz klopfte er Silberschweif anerkennend den Hals, ehe er sich auf der Straße umblickte. Sie war leer und erstreckte sich nach beiden Richtungen in unergründliche Weiten. Er blies die Luft aus seinen Lungen und beobachtete die dünne weiße Wolke, die vor seinen Augen emporstieg.
"Lass uns nach Westen reiten", sagte er dann und sah sich um. "Dort erreichen wir den Weg, der das Flussufer säumt. So können wir zurück reiten. Wenn wir noch weiter nach Süden gehen, wird es hügeliger werden, genau wie das am Flussufer auf dieser Höhe bereits der Fall ist. Wir haben uns ein ganzes Stück vom Fluss entfernt und müssen erst durch den Wald, der den Weg an der östlichen Seite säumt. Dort wird es weniger windig sein und mit etwas Glück ist auch der Weg windgeschützt."
Nelke folgte seinem Blick. In der Ferne konnte sie bereits den Waldrand erkennen. Sie nickte schweigend und lenkte ihr Pony in diese Richtung. Frodo ließ Silberschweif neben ihr hertraben. Sie sprachen kaum miteinander, erst recht nicht, als sie den Wald erreichten und Frodo voran ritt, um sie auf Wurzeln und Löcher in der Erde hinzuweisen. Immer wieder musste er sich ducken, um sich nicht den Kopf an einem Ast zu stoßen. Für kurze Zeit waren sie sogar gezwungen, ihre Ponys zu führen, da das Dickicht zu verwachsen war, doch schließlich erreichten die beiden Hobbits den Weg und Frodo hörte das vertraute Plätschern des Brandyweins zu seiner Linken. Auf diesem Weg war er schon mit einem Pony unterwegs gewesen, als er noch nicht einmal hatte reiten können und er genoss seine Vertrautheit.
Er wollte sofort weiter reiten, doch Nelke bat um eine kurze Pause. Frodo gewährte ihr diese und wies auf eine Bank hin, die ein Stück weiter nördlich unter einer Trauerweide im Wald verborgen lag.
"Woher weißt du das alles?", fragte Nelke verwundert, als sie wieder neben ihm her ritt.
Frodo zuckte mit den Schultern und grinste verschmitzt. "Ich erkunde die Gegend mit der Leidenschaft eines Abenteurers", erklärte er nicht ganz ohne Stolz und doch senkte er gleich darauf den Kopf. Er hatte sagen wollen, dass er sein Zuhause auskundschaftete, um jeden noch so verborgenen Winkel davon zu kennen, doch Bockland war nicht sein Zuhause, ebenso wenig wie das Brandyschloss, das fühlte er nur zu deutlich. Er spürte einen schmerzhaften Stich in seinem Herzen und mit einem Mal kehrte die Traurigkeit, die er zu vergessen suchte, zurück und umfing ihn wie ein dichter Nebel, dem er nicht entkommen konnte. Unbemerkt biss er sich auf die Lippen, um das leise Wimmern, das sich in seiner Kehle formte, zu unterdrücken.
Nelke zog eine Augenbraue hoch und schüttelte verständnislos den Kopf.

Wenig später saßen die beiden jungen Hobbits auf der Bank unter einer Trauerweide. Sie hatten sich ihre Umhänge eng um die Schultern gewickelt und blickten über die verschneite Landschaft. Selbst auf den Waldboden hatten sich einige Schneeflocken verirrt. Die dünnen Äste der Weide hingen trüb zu Boden und tanzten wie verschwörerische Schatten vor ihren Augen, wann immer der Wind sich pfeifend durch den Wald schlich. Frodo und Nelke waren wieder in Schweigen verfallen, was Frodo nur recht war. Er war ausgeritten, um alleine zu sein und vielleicht konnte er das tatsächlich, obwohl Nelke an seiner Seite war. Zumindest schien das Mädchen heute nicht darauf aus, ihn zu ärgern und dafür war er dankbar. Frodo hauchte in seine kalten Hände und rieb die Finger aneinander, während er die Ponys beobachtete, die scheinbar völlig unbeeindruckt von der Kälte zwischen den Bäumen standen und ab und an die Nasen zu Boden streckten, um den Schnee zur Seite zu schieben. Silberschweif hob den Kopf, schien kurz zu ihm herüberzublicken, schnaubte und vergrub seine Nase dann wieder im Schnee. Frodo lächelte einen Augenblick, ehe auch er den Blick wieder senkte und erneut in seine Hände hauchte.

"Du bist unglücklich."
Frodo hob überrascht den Kopf und bemerkte erst jetzt, dass Nelke ihn schon längere Zeit zu beobachten schien. Er konnte ihren Blick förmlich am ganzen Körper spüren und verkrampfte sich unwillkürlich. Ein wenig unbehaglich rutschte er auf seinem Platz hin und her. Ihre Bemerkung beunruhigte ihn, ließ ihn vorsichtig werden. Was hatte sie vor?
"Wie kommst du darauf?", fragte er scheinbar unbeeindruckt, doch seine Zunge war trocken, seine Stimme leise. Beinahe zögernd sah er sie an.
Nelke legte den Kopf ein wenig schief. "Es hat etwas mit deinen Augen zu tun."

Frodo erstarrte. Fern in seinen Gedanken echote die Stimme seiner Großmutter.
"Du bist hier unglücklich, Kind. Ich sehe es manchmal in deinen Augen."
Mirabella hatte dasselbe gesagt, was ihm Nelke nun offenbarte. Furcht ergriff ihn. Was konnte sie in seinen Augen sehen? Was war es, das sie dazu getrieben hatte, ihn heute zu begleiten? Was wollte sie mit ihrer Bemerkung bezwecken? Verzweifelt unterdrückte er den Drang wegzulaufen, der sich auf einmal so stark in ihm regte, dass er es kaum vermochte, dagegen anzukämpfen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er musste sich einen Moment von ihr abwenden, bis sich sein schneller gewordener Herzschlag wieder beruhigt und seine Anspannung ein wenig nachgelassen hatte.
Als Frodo langsam den Kopf hob, runzelte er die Stirn, sah ihr in die Augen, doch senkte er den Blick, als ihm klar wurde, dass er selbst Dinge in den Augen anderer sah. War ihm nicht erst heute die Traurigkeit in Gorbadocs Blick aufgefallen? Wusste er nicht bereits, dass jegliches Lachen, nach Mirabellas Tod aus Gorbadocs Augen gewichen war? Hatte er sich nicht selbst oft gefragt, ob andere ebenso in seinen Augen lesen konnten, wie er es in Gorbadocs tat? War Nelkes Bemerkung die Antwort darauf?
"Was meinst du damit?", fragte er schließlich, als er den Kopf erneut hob, und konnte das Zittern seiner Stimme nur mit Mühe verbergen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und er hoffte, Nelke könne ihm seine Angst nicht ansehen. Die Kälte, die er zuvor empfunden hatte, schien plötzlich nebensächlich, war beinahe vollständig verflogen.
"Es gab eine Zeit, in der sie strahlten, doch nun sind sie trübe geworden", wisperte sie betrübt, während ihre Augen traurig in die seinen blickten. Plötzlich spürte er ihre Hand auf seiner Wange. Sie war warm auf seiner kalten Haut, ihre Berührung so sanft wie eine Feder. Frodo fühlte sich wie versteinert, konnte nicht mehr tun, als stumm in ihre Augen zu blicken.
"Ich wünschte nichts mehr, als dieses Leuchten wieder zu sehen und dich unbeschwert lachen zu hören", sprach sie leise und ihre Stimme klang wie erstickt, als wäre sie den Tränen nahe.
Frodo stockte der Atem. Merry hatte in letzter Zeit oft dasselbe gesagt und selbst Esmeralda schien seine anhaltende Traurigkeit nicht entgangen zu sein. Erst vor einer Woche war sie zu ihm gekommen und hatte ihn danach gefragt.



~*~*~



Frodo blickte schweigend in das flackernde Licht der Kerze auf dem Schreibtisch. Er hatte die Arme auf dem Tisch verschränkt und ließ das Kinn auf seinen Händen ruhen. Ein zu Ende geschriebener Brief lag neben ihm in einem Umschlag, wartete nur noch darauf, versiegelt zu werden. Frodo achtete nicht auf den Brief, sondern blickte starr in die Flamme der Kerze. Er fühlte sich alleine und verlassen. Drei Seiten hatte er Bilbo geschrieben und doch zweifelte er daran, dass dies genügte, um Bilbos Liebe für sich zu gewinnen. Er fühlte sich den Tränen nahe und kämpfte dennoch verbissen dagegen an, als es plötzlich an seiner Zimmertüre klopfte und Esmeralda eintrat.
Frodo hob verwundert den Kopf, als Merrys Mutter in das Licht der Kerze trat. Sie lächelte.
"Asphodel erzählte mir, du wärest heute Nachmittag geflüchtet, als sie dir die Haare schneiden wollte", sie zwinkerte ihm zu, wusste sie doch, wie ungern er sich seine Haare kürzen ließ. "Sie meinte, deine Lockenpracht würde förmlich darum betteln, abgeschnitten zu werden und da dachte ich mir, ich überprüfe selbst, ob sie damit richtig liegt."
Frodo wich zurück, als Esmeralda in die Knie ging und nach seinen Locken langte. Er war am Nachmittag nur knapp einem neuen Haarschnitt entgangen und wollte, dass es auch so blieb. Auf keinem Fall wollte er sich von Asphodel die Haare schneiden lassen. Seine Tante war dafür bekannt, dass sie nicht gerade freundlich mit ihren Schützlingen umging, nachdem sie mit dem zehnten Kind fertig war. Manchmal war ihre Stimmung auch schon nach dem fünften Kind griesgrämig und Frodo konnte nicht verstehen, wie so viele Eltern seiner Tante die Aufgabe des Haare Schneidens überlassen konnten und dies nicht selbst übernahmen, wie es seine Mutter immer getan hatte. Außerdem hatte Asphodel eine Vorliebe für besonders kurze Locken, schnitt sie sogar noch kürzer als Esmeralda, und Frodo passte das überhaupt nicht. Ihm gefiel die Länge seiner Haare, mochte es, wenn sie ihm gerade so weit ins Gesicht hingen, um seine Ohren zu wärmen und hatte nichts dagegen, wenn einige Strähnen ihn am Nacken kitzelten.
"Die Haare passen so, wie sie sind", erklärte er trotzig, als Esmeralda an einigen seiner dunklen Locken zupfte. Er hatte keine Lust, dies heute zu diskutieren. Andere Dinge, wichtigere Dinge beschäftigten ihn zurzeit und die Länge von Bilbos Brief war eines davon. Würde es etwas an Bilbos Liebe ändern, wenn er eine weitere Seite füllte, auch wenn er nicht wusste, was er noch schreiben sollte?

Esmeralda lächelte, als sie sich erhob, ihre Hand aber auf dem Kopf des Jungen ruhen ließ. "In Ordnung. Du bekommst eine Gnadenfrist von einem Monat, doch dann wird auch dein Krauskopf gebändigt und wenn ich mich selbst darum kümmern muss", drohte sie, doch Frodo nickte nur und wandte seinen Blick wieder der Kerzenflamme zu, schien förmlich darauf zu warten, dass sie sein Zimmer wieder verließ. Esmeralda brach es das Herz, ihn so zu sehen. Ihre Finger kämmten sanft durch seine dunklen Locken. Sie wollte nicht gehen, noch nicht, ganz gleich, wie angespannt Frodo unter ihren Händen zu sein schien.
In der vergangenen Nacht hatte sie geträumt. Sie war in Frodos Zimmer gewesen, hatte ihm durch die Haare gestrichen, wie sie das nun tat, und Frodo hatte es zugelassen. Er hatte den Kopf an ihren Rock gelehnt und sich von ihr in die Arme nehmen lassen. Sie hatte ihn gerne in ihre Arme geschlossen, ihn getröstet und seinen Kummer gelindert, hatte beinahe selbst geweint, als Frodos Tränen ihre Schürze tränkten und sie ihn einfach nur an sich gedrückt und festgehalten hatte. Doch dies war kein Traum. Hier wagte sie nicht, einen Arm um seine Schultern zu legen und ihn in eine Umarmung zu ziehen. Frodo würde es nicht zulassen, war er schließlich jetzt schon so angespannt, dass er förmlich darauf zu warten schien, jeder weiteren Bewegung auszuweichen. Wie gerne würde sie ihn daran hindern, ihn trotzdem in die Arme nehmen, doch sie wusste, Frodo würde sich weigern, würde sich dann noch mehr verschließen und das wollte sie keinesfalls riskieren. Nicht einmal Hanna drang in diesen Tagen zu ihm durch und das bereitet ihr Sorgen.

Frodo spürte Esmeraldas Hand an seinem Kopf, als diese sich wieder erhob, spürte die zärtliche Bewegung ihrer Finger. Er verkrampfte sich unwillkürlich, als er plötzlich bemerkte, dass ihr Rock an seiner Wange lag. Wie eine Welle durchströmte Sehnsucht seinen Körper, füllte ihn bis zur letzten Faser aus. Er schloss erschrocken die Augen und biss sich auf die Lippen. Wie gerne er jener Sehnsucht nachgeben würde. Alles in ihm schrie förmlich danach, sich der Berührung hinzugeben, sich an ihren Rock zu lehnen und ihr zu erlauben, seinen Schmerz zu lindern. Doch Frodo wusste, sobald er dieser Sehnsucht auch nur ein wenig nachgab, würde er zu weinen beginnen und seine Einsamkeit und die Verzweiflung würden unaufhörlich neue Tränen aus ihm herausbrechen lassen und er wollte sie dies nicht sehen lassen. Er wagte nicht, ihr soweit zu vertrauen, denn wer wusste, was geschehen würde, wenn er einmal zu weinen begann. So verkrampfte er sich noch mehr und versuchte, die zärtlichen Finger, die nicht aufhörten, durch seine dunklen Locken zu streichen, nicht länger zu beachten.

"Was ist los, Frodo?", fragte Esmeralda schließlich, wobei sie ihre Finger weiterhin tröstend durch seine Haare gleiten ließ. "Du lachst selten in letzter Zeit."
Und das Leuchten, das dich umgab, ist fast erloschen', fügte sie in Gedanken hinzu und stutzte. Jetzt sah sie selbst, wofür sie Primula einst belächelt hatte.
"Das trübe Wetter schlägt sich auf mein Gemüt", entgegnete Frodo mit leiser Stimme, sah dabei nicht einmal zu ihr auf.
Einen Augenblick hielt Esmeralda inne, ehe ihre Finger mit der sanften Berührung fortfuhren. ‚Ich glaube dir nicht, doch deine Ausreden kommen so rasch und sind so glaubhaft, dass du uns gar nicht erst die Möglichkeit einräumst, sie zu hinterfragen, ganz gleich, was wir zu wissen begehren. Es ist nicht das Wetter, habe ich Recht?', fragte sie in Gedanken, doch kein Wort verließ ihre Lippen.

Frodo hatte beinahe zu zittern begonnen, so stark kämpfte er nun schon gegen seine Sehnsucht an. Er wollte ihr keine weiteren Sorgen aufbürden, doch er wünschte sich nichts mehr, als zu weinen, wollte von ihr getröstet werden, wollte, dass sich ihre Arme schützend um ihn legten, wollte, dass sie nicht wieder damit aufhörte, ihm durch die Haare zu streichen.
Hast du mich lieb?
In Gedanken fragte er, was ihm auf der Zunge lag, doch fürchtete er die Antwort zu sehr, um seine Frage laut auszusprechen.

Esmeralda schaffte es schließlich, ihre Finger zu stoppen und zog ihre Hand zurück. "Dann lass uns hoffen, dass das Wetter bald besser wird", sagte sie und rang sich ein Lächeln ab.
Frodo gelang es, dieses schwach zu erwidern.
Esmeralda schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, drehte sich aber noch einmal um, um ihm zu sagen, er solle nicht zu lange aufbleiben.
Frodo nickte schwach, als sie das Zimmer verließ. Der Verlust ihrer Berührung hatte ihn wie ein Blitz getroffen und ließ sein Herz nun leer und blutend zurück. Mit einem verzweifelten Seufzen ließ er den Kopf wieder auf seine Arme sinken und schloss die Augen, wobei eine einzelne Träne über seine Wange lief.



~*~*~



Frodo blickte noch immer in Nelkes Augen, während ihre Hand auf seiner Wange ruhte. Er war kaum in der Lage zu atmen, geschweige denn, sich zu bewegen. Ihre grünen Augen und ihre Berührung schienen ihn festzuhalten. Erst jetzt, da er länger in diese Augen blickte, fiel ihm auf, dass sie nicht nur grün waren. Ein brauner Schimmer lag darin, schien tief aus Nelkes Innern zu kommen und ihren Augen eine unvergleichliche Schönheit zu verleihen. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet, ebenso wie die spitzen Ohren, die sich unter den braunen Locken versteckt hielten. Ihr Haar, das nun offen auf ihren Schultern ruhte, war heller als sein eigenes, jedoch dunkler als das von Merry.
Frodo hatte nie darauf geachtet, doch jetzt fiel ihm auf, wie hübsch sie war. Er spürte ein Kribbeln im Bauch, nicht unangenehm, doch in Nelkes Nähe ließ es ihn sich unwohl fühlen. Er entzog sich ihrer Berührung, als er endlich aus seiner Erstarrung erwachte und blickte verlegen zu Boden. Nelke tat es ihm gleich und vergrub beschämt ihre Hand in ihrem Schoß.
Frodos Mund war noch trockener als zuvor. Ihre Berührung hatte ihn ihre Worte beinahe vergessen lassen und nur langsam kehrten sie in seine Gedanken zurück. Das Kribbeln in seinem Bauch ließ nicht sofort nach, doch war es nicht mehr so deutlich zu spüren wie zuvor. Er hatte so etwas noch nie gefühlt und, auch wenn er es als angenehm empfand, behagte es ihm nicht, nicht in Nelkes Nähe. Was war überhaupt in sie gefahren, dass sie ihn plötzlich so ansah, solche Dinge zu ihm sagte und ihn berührte? Was war in ihn gefahren, dass er das zuließ, es beinahe genoss, anstatt zurückzuweichen? Sie war schließlich ein Mädchen und ein ziemlich dummes noch dazu, auch wenn sie heute anders zu sein schien.

Frodo schielte zu ihr hinüber. Nelke hatte den Kopf gesenkt, hielt die Hände in ihrem Schoß fest umklammert. Sie zitterte. Plötzlich wirkte sie sehr verletzlich und für einen Augenblick glaubte Frodo sogar, sie mögen zu können. Diesen letzten Gedanken schlug er sich jedoch rasch wieder aus dem Kopf. Nelke war schon immer eine Nervensäge gewesen, und würde auch eine bleiben, ganz gleich, was eben geschehen war. Und doch kam Frodo nicht umhin, daran denken zu müssen, wie sie ihn im Sommer am Fluss verteidigt hatte. Damals schon hatte er gedacht, dass sie ihn mochte und heute bestätigte sich das für ihn noch einmal, schließlich war sie jetzt mit ihm hier und hatte Dinge gesagt und getan, die ihn berührten, auch wenn ihm das nur langsam klar wurde. Ihre Worte hatten ihn zweifelsohne berührt, ebenso, wie ihre Berührung, oder er hätte sich dessen erwehren können. Es bestand kein Zweifel: Nelke mochte ihn. Und vielleicht, vielleicht mochte er sie auch, allerdings nur ein kleinwenig.
Alleine der Gedanke daran trieb ihm die Röte ins Gesicht und er fragte sich, was Merry wohl dazu sagen würde und war erleichtert, dass man ihm seine Verlegenheit ob des schneidenden Windes nicht ansehen konnte.

Frodo holte tief Luft, räusperte sich schließlich unbeholfen und warf sich ein Ende des Schals über die Schultern.
Nelke blickte überrascht auf, schien aus ihren eigenen Gedanken zu erwachen, als sie ihn verwirrt ansah.
"Wir sollten aufbrechen", bemerkte Frodo. "Es ist kalt."
Nelke nickte, lächelte kurz und stand dann auf. "Lass uns aufbrechen."





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