Stories of Arda Home Page
About Us News Resources Login Become a member Help Search

Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 58: Zurückgewiesen



Bilbo, es war von Anfang an Bilbo. Ich gehöre hier nicht her, das wusste ich schon immer, doch wo mein Platz stattdessen ist, konnte ich nie sagen. Jetzt weiß ich es. Bilbo, ich gehöre zu Bilbo. Mein Platz ist in Beutelsend.
Ob Bilbo ahnt, dass ich zu ihm gehöre? Hat er es vielleicht schon lange gewusst und nicht gehandelt? Ist er vielleicht gerade deswegen hier? Nimm mich mit dir, Bilbo! Bring mich weg von hier! Hol mich zu dir nach Beutelsend! Hol mich nach Hause!
Ich wünschte, ich könnte es ihm sagen, doch das kann ich nicht. Erst muss ich ganz sicher sein. Was, wenn ich mich irre? Was, wenn mir meine Müdigkeit gestern Nacht Streiche spielte?
Nein, das kann nicht sein. Selten war mir etwas bewusster, als jener Gedanke gestern Nacht. Ich gehöre zu Bilbo. Seine Wärme ist das Zuhause, nach dem ich mich sehne.
Nimm mich mit dir, Bilbo! Geh nicht noch einmal fort und lass mich verlassen hier zurück!
Ich muss es ihn wissen lassen, doch wie? Ich wage nicht, es ihm zu offenbaren. Ich wüsste nicht wie. Meine Gefühle kann ich nicht beschreiben und wie ich es ihm sonst erklären sollte, weiß ich nicht.
Frag mich, Bilbo. Ich bitte dich, frag mich, ob ich mit dir kommen will und ich werde dir antworten. Ich würde dir alles sagen, wenn du mich nur wissen ließest, dass du dasselbe fühlst. Fühlst du es nicht, so wären meine Hoffnungen nur Schein und selbst mein Gefühl hätte mich verraten, doch das hat es nicht. Kein Gefühl ist stärker als jene Sehnsucht, die ich empfinde, wenn du nicht hier bist.
Heimweh. Ich weiß, wie Pippin sich fühlt. Ich leide an Heimweh, seit ich Beutelsend vor beinahe sechs Jahren verlassen habe, das ist mir jetzt klar.
Bitte, Bilbo, nimm mich mit dir!



Frodos Hände zitterten. Er war kaum dazu in der Lage, seine Worte niederzuschreiben. Tränen rannen über seine Wangen und sein Herz pochte, als wolle es ihm aus der Brust springen. Sein Mund war trocken und er keuchte. Er war so aufgeregt, er glaubte, zerspringen zu müssen. Verzweiflung, Erleichterung, Hoffnung, Freude, Angst, alle Gefühle schienen sich in ihm zu überschlagen.
In der vergangenen Nacht hatte er keinen Schlaf gefunden. Nur kurz war er neben Pippin eingenickt, doch Erholung hatte es für ihn keine gegeben. Die ganze Nacht über hatte ein einziger Gedanke jeden anderen unmöglich gemacht. Nach so langer Zeit hatte er endlich sein Zuhause gefunden. Endlich wusste er, wo er hingehörte.
Verzweifelt blickte er zum Bild seiner Eltern, während immer mehr Tränen sich in seinen Augen sammelten und über seine Wangen liefen.
"Sorgt dafür, dass er mich mit sich nimmt", bat er leise schluchzend. "Ich will wieder ein Zuhause haben."
Mit zittrigen Fingern schloss er schließlich sein Tagebuch, drückte es an seine Brust und schloss die Augen, darum bemüht, wieder Kontrolle über seine Tränen und das Zittern, das seinen ganzen Körper umklammert hielt, zu erlangen.

Sonnenstrahlen fielen durch das runde Fenster über dem Bett und warfen ihr Licht in die dunklen Ecken des kleinen Zimmers. Frodo saß am Schreibtisch, hatte sich auf seinem Stuhl leicht nach vor gebeugt und hielt sich verkrampft an seinem Tagebuch fest. Seine Haare waren zerzaust, die dunklen Locken zeigten wirr in alle Richtungen. Die Matratze, die für Pippin gedacht war, lehnte am Schrank neben seiner Zimmertür und Decke und Kissen lagen sorgsam zusammengelegt daneben. Frodo hatte Pippins Bett zur Seite räumen müssen, um an seinen Schreibtisch zu kommen, doch sein eigenes Bett hatte er nicht einmal angesehen, seit er aufgestanden war. Die Bettdecke war zur Seite gestrampelt, das Leintuch verzogen und das Kissen zusammengeknetet.

Tief Luft holend, öffnete Frodo schließlich seine Augen. Jetzt, da er jene Gedanken, die ihm in der vergangenen Nacht den Schlaf geraubt hatten, niedergeschrieben hatte, fühlte er sich ein wenig besser. Seine Tränen waren für den Augenblick versiegt und auch das Zittern seiner Hände hatte nachgelassen. Sein Herz klopfte noch immer wie wild, schien ihm gelegentlich bis zum Hals zu schlagen, doch waren seine Schläge nun ruhiger als zuvor. Für einen Augenblick stahl sich sogar der Hauch eines Lächelns über Frodos Gesicht. Er hatte endlich erkannt, wo sein Zuhause war, und nun galt es, Bilbo von der Notwendigkeit eines Umzuges zu überzeugen. Er kniete sich auf den Boden, verräumte sorgsam sein Tagebuch in der Holztruhe, stand schließlich auf und blickte zum Bild seiner Eltern.
Er würde mit Bilbo sprechen, würde in Erfahrung bringen, ob der alte Hobbit ähnliche Dinge fühlte wie er selbst, und vielleicht, vielleicht war er dann sogar in der Lage, Bilbo seinen Wunsch mitzuteilen. Sein Herzschlag beschleunigte sich alleine bei dem Gedanken daran, denn trotz all der Erleichterung, die er über seine neu gewonnene Erkenntnis empfand, war er aufgeregter denn je und hatte Angst vor der bevorstehenden Unterhaltung, weil er nicht wusste, wie er seine Worte wählen sollte.
Erneut nahm er einen tiefen Atemzug, streckte die Hand aus, und strich zärtlich und mit außergewöhnlicher Vorsicht über den Holzrahmen, der das Bild seiner Eltern hielt.
"Helft mir, bitte", wisperte er beinahe tonlos, während die Sonne seine linke Wange wärmte.



~*~*~



Der kühle Wind der vergangenen Tage hielt auch an diesem Nachmittag an und obschon die Sonne vom Himmel lachte, war es längst nicht so warm, wie es den Anschein hatte. Die Blätter rauschten in den Bäumen und Bilbo glaubte, bei manchen bereits eine leichte Verfärbung erkennen zu können. Es war selten, dass er einen Tag vor seinem Geburtstag bereits so deutliche Spuren des Herbstes erkennen konnte und er vermutete, dass Saradoc, mit dem er sich in der vergangenen Nacht lange unterhalten hatte, Recht behalten und es einen langen, harten Winter geben würde.
Bilbo hatte den Wind im Rücken, als er mit einem Picknickkorb in der rechten Hand gemächlich nach Süden ging. Er und Frodo, der neben ihm her lief, eine Decke unter den linken Arm geklemmt, folgten dem Lauf des Brandyweins, das gemächliche Plätschern des Flusses in den Ohren. Während er seinen Mantel angezogen hatte, um die Kälte fernzuhalten, trug Frodo nur eine wollene, grüne Jacke, die im nächsten Frühling vermutlich an Merry oder einen anderen jüngeren Hobbit weitergereicht werden würde, da sie Frodo schon beinahe zu klein war.

Bilbo beobachtete den Jungen und fragte sich, was er auf dem Herzen hatte. Frodo machte einen aufgeregten Eindruck, von dem er zweifelsohne überzeugt war, dass er ihn sich nicht anmerken ließ. Obschon seine Augen meist auf das Gras unter seinen Füßen gerichtet waren, schielte der Junge immer wieder heimlich in seine Richtung und Bilbo hatte bald Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, dass er längst um die verstohlenen Blicke wusste.
Es war Frodos Idee gewesen, zu picknicken. Bald nach dem Frühstück hatte der Junge an seiner Zimmertüre geklopft und beinahe zögernd diesen Wunsch geäußert. Schon da schien er ausgesprochen angespannt zu sein, hatte seine Finger festgehalten, als wolle er sie am Zittern hindern und war kaum dazu in der Lage gewesen, Bilbo anzusehen. Dennoch hatte er darauf bestanden, mit ihm alleine zu gehen, auch wenn diese Bitte nur als schüchternes Flüstern über seine Lippen gekommen war.
Er hatte sich daran erinnert, was Frodo ihm bei ihrem letzten Picknick nahe dem Brandywein gesagt hatte und hatte ohne zu zögern zugestimmt.
In seinen Gedanken hörte er beinahe Frodos Stimme und die Worte, die er damals gesprochen hatte, ließen ihm keine Ruhe. Selbst als er am frühen Nachmittag den Picknickkorb gepackt und mit Frodo an seiner Seite aufgebrochen war, ließen ihn die Worte nicht vollständig los.

"Du hast gemeint, ich würde mich nicht auf das Picknick freuen. Ich habe mich darauf gefreut. Es war nur, dass ich geglaubt hatte, wir würden alleine gehen. Ich hatte geglaubt, wir könnten miteinander reden."

Bilbo war sich sicher, dass es auch dieses Mal darauf hinauslief. Frodo hatte etwas auf dem Herzen und wollte es ihm anvertrauen, nur dass er dieses Mal in der Lage gewesen war, seinen Wunsch, mit ihm alleine zu sein, auch zu äußern, obgleich es ihm sichtlich schwer gefallen war. Nichtsdestotrotz erfüllte es Bilbo mit Stolz und ein Lächeln stahl sich über seine Lippen. Er war neugierig, was Frodo ihm zu sagen hatte, doch drängte er den Jungen nicht. Frodo würde sprechen, sobald er soweit war und noch machte er nicht den Eindruck, für ein Gespräch bereit zu sein.
Bilbo lächelte, als er Frodo erneut dabei erwischte, wie er zu ihm herüberschielte, auch wenn ihn die Ruhelosigkeit des Jungen ein wenig beunruhigte. Was erregte ihn so sehr, dass er nicht einmal dazu in der Lage war, ihm in die Augen zu sehen? Mit derselben Heimlichkeit, mit der dieser ihn betrachtete, ließ Bilbo nun seinerseits seinen Blick zu seinem jungen Begleiter wandern, schüttelte seine Unruhe dann aber ab. Frodo teilte ihm im Laufe des Nachmittages bestimmt mit, was ihn so sehr beschäftigte. Zuvor galt es jedoch, die angespannte Stimmung, die zwischen ihnen aufgekommen war, zu lösen und so stimmte Bilbo ein altes Wanderlied an.

Frodo ging neben Bilbo her und hatte alle Mühe, seine Gefühle zu verbergen. Der Wind wehte ihm frisch gegen den Nacken und Frodo begrüßte die Kälte, die ihn dabei durchfuhr. Er glaubte, innerlich zu kochen vor Aufregung, hatte immer wieder das Gefühl, laut schreien zu müssen, wenn Bilbo nicht bald auffiel, was er ihn bemerken lassen wollte. Es war nicht leicht gewesen, ihn um diesen Ausflug zu bitten. Er hatte ihm dabei nicht in die Augen blicken können, aus Angst, er würde erneut zu weinen beginnen. Selbst jetzt konnte er ihn nur mit Mühe ansehen. In seinen Gedanken schrie er immer wieder, flehte Bilbo förmlich an, ihn mit sich zu nehmen, doch die Worte kamen nicht über seine Lippen. Er wagte es nicht, wollte außerdem zuerst sicher gehen, dass Bilbo seine Bitte nicht als den selbstsüchtigen Wunsch eines verwöhnten Kindes abtat, sondern verstand, was er fühlte. Und selbst wenn er diese Sicherheit hatte, bestand noch immer die Gefahr, dass er den nötigen Mut nicht aufbringen konnte und davor war ihm bange. Wenn er auch nur daran dachte, seine Bitte zu äußern, schien sich seine Kehle zuzuschnüren und ihm die Luft zum Sprechen zu rauben.

In Gedanken malte er sich bereits aus, wie Bilbo ihm erwiderte, dass er ihn mit sich nahm. Frodo konnte vor seinen Augen sehen, wie der alte Hobbit ihn in die Arme schloss, konnte die Wärme, die ihn dabei erfüllte, beinahe fühlen und wusste, dass er sie niemals wieder würde gehen lassen, wenn sie ihm noch einmal gewährt wurde.
Immer wieder wanderte sein Blick zu Bilbo, vergewisserte sich, ob der alte Hobbit etwas von dem bemerkte, was in ihm vorging, doch selbst wenn er das tat, ließ Bilbo sich das nicht anmerken. Frodo wünschte sich nichts mehr, als diesen Nachmittag bereits hinter sich zu haben, als er einen weiteren Blick zu seinem Onkel warf und dieser ihm entgegen lächelte. Beinahe erschrocken wandte Frodo seine Augen ab, fröstelte, als eine frische Windböe sein Haar zerzauste und war beinahe überrascht, als Bilbo plötzlich zu singen begann.
Der Gesang des alten Hobbits erinnerte ihn an vergangene Besuche in Beutelsend, brachte jene Freude, die er damals empfunden hatte, zu ihm zurück und machte sein Herz unmerklich leichter. Bilbo musste dasselbe empfinden wie er. Ein dünnes Lächeln stahl sich über seine Lippen und eh er sichs versah, hatte Frodo in das Lied mit eingestimmt.

In einer Senke zwischen zwei größeren Hügeln breiteten sie schließlich ihre Decke aus. Hier wehte der Wind nur schwach und Bilbo zog seinen Mantel aus, während Frodo sich auf die Decke setzte und die Arme um die Knie schlang. Das Licht der Sonne glitzerte in den blauen Augen des Jungen, während sie jeder von Bilbos Bewegungen folgten, bis dieser sich schließlich ebenfalls auf der Decke niederließ und ein belegtes Brot unter dem rot-weiß karierten Tuch, das den Korb bedeckte, hervorfischte. Frodo sah ihn einige Zeit an, wandte dann jedoch den Blick ab und betrachtete den Brandywein, der zu ihrer Rechten dahin floss und ein beruhigendes Plätschern vernehmen ließ.
"Es ist schön hier", bemerkte Bilbo beiläufig, wobei er einen Bissen von seinem Brot nahm. "Ich freue mich sehr, dieses Picknick mit dir verbringen zu können."

Frodo hob den Kopf und zu Bilbos Überraschung und Freude lachte er so hell und warm, als wolle er mit der Sonne wetteifern. Seine Augen glänzten. "Ich freue mich auch sehr, dass du hier bist", antwortete er und langte nach dem Picknickkorb, um sich einen Apfel zu suchen.
Das Herz klopfte Frodo bis zum Hals und sein Magen flatterte, sodass ihm im Grunde nicht im Geringsten nach Essen zumute war, doch er fand, dass er etwas zu sich nehmen musste, schließlich hatte er Bilbo um ein Picknick gebeten. Er hatte Angst, wusste noch immer nicht, wie er dieses Gespräch führen sollte. Das aufgeregte Zittern, gegen das er schon den ganzen Tag ankämpfte, ließ sich kaum noch verbergen.
Frodo ließ seinen Blick erneut zum Brandywein wandern und lauschte dem Wasser, hoffend, er könne so ein wenig Ruhe finden. Seine Worte waren wahr, er freute sich ungemein, mit Bilbo hier sein zu können, doch im Augenblick wurde diese Freude von Angst und Aufregung überschattet. Er wünschte sich nichts mehr, als dass dieses Gespräch bereits hinter ihm läge, Bilbo geantwortet hatte, und dass er den alten Hobbit nicht wieder würde verlassen müssen.
Tief Luft holend, drehte er sich schließlich wieder zu Bilbo um.
"Du hast nicht geschrieben, dass du kommst." Seine Stimme war leise, klang beinahe ein wenig anklagend, doch sah er Bilbo dabei nicht an.
Bilbo lächelte und zwinkerte ihm zu. "Ich wollte dich überraschen und, wie mir scheint, ist mir das ausgezeichnet gelungen."
Frodo hob bei Bilbos Antwort den Kopf, nickte erfreut und erwiderte das Lächeln. Diese Überraschung war ihm gelungen und vielleicht hatte Bilbo noch eine weitere geplant? Machte er gar schon alles bereit, ihn nach Beutelsend mitzunehmen und wartete nur noch den morgigen Tag, seinen Geburtstag, ab, um ihm dies zu verkünden?
"Wie lange wirst du bleiben?", fragte Frodo aufgeregt, hatte Mühe, ruhig auf der Decke sitzen zu bleiben. Angespannt blickte er Bilbo an und auch wenn dieser sofort antwortete, schien es Frodo, als würde sich der alte Hobbit ausgesprochen viel Zeit dafür nehmen. Wenn Bilbo tatsächlich bereits Pläne hatte, dann musste er wissen, wann er aufbrechen musste. Nahm Bilbo ihn wirklich mit nach Hause? Konnte es sein, dass seine Sehnsucht endlich gestillt werden sollte und er wieder ein Zuhause bekam?
"Nur etwa eine Woche", sagte Bilbo betrübt, und blickte Frodo traurig und forschend zugleich an.
"Eine Woche", flüstere Frodo ungehört und wandte seinen Blick wieder dem Fluss zu. Das war nicht viel Zeit, um sich von Merry zu verabschieden und seine Sachen zu packen, doch es würde genügen. Wenn Bilbo nicht länger bleiben konnte, dann würden ihm auch wenige Tage ausreichen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und Frodo glaubte, kaum genug Luft zu bekommen, um seine nächste Frage zu stellen. Hoffnung erfüllte sein Herz, stärker denn jemals zuvor. Aufgeregt spielte er mit seinen Fingern, hielt sie schließlich fest, um das immer stärker werdende Zittern zu verbergen. Sein Mund war trocken und den Apfel, der inzwischen in seinem Schoß lag, hatte er schon längst vergessen. Frodo konnte nicht länger warten. Er musste wissen, ob er mit seiner Vermutung richtig lag, oder er würde bersten. Seine Stimme klang leise und zitterte, als er den Mund öffnete, und es dauerte einige Momente, bis er tatsächlich in der Lage war zu sprechen.
"Warum bist du hier?"

Bilbo hatte Frodo stirnrunzelnd beobachtet. Etwas ging in dem Jungen vor, das so stark war, dass Frodo kaum noch in der Lage war, es zu kontrollieren. Es beunruhigte ihn, den Jungen so aufgewühlt zu erleben, und doch machte er sich keine großen Sorgen, denn die Augen des Kindes schienen förmlich mit der Sonne um die Wette zu leuchten. Hatte er irgendwelche Pläne? Heckte er mit seinen scheinbar harmlosen Fragen etwa einen Streich aus, oder plante eine Geburtstagsüberraschung? Bilbo grinste in sich hinein, während er sein Brot verspeiste und sich ausmalte, was wohl in Frodos Kopf vorging und war beinahe überrascht, als Frodo seine nächste Frage stellte. Das Lächeln in seinem Gesicht verschwand und für einen Augenblick huschte ein beschämter Ausdruck über seine Züge. Er wollte Frodo nicht belügen, wie es zu diesem Besuch gekommen war und so seufzte er schwer, ehe er zu einer längeren Erklärung ansetzte.
"Saradoc hatte mir geschrieben. Er meinte, du würdest dich freuen, wenn ich dich besuchen käme und, da es dein Geburtstag ist, wollte ich dir diese Freude machen."

Frodo konnte spüren, wie er blass wurde. Sein freudig aufgeregter Gesichtsausdruck wich purer Enttäuschung. Er fühlte sich wie versteinert, leer. Seine Welt zerbrach in tausende kleiner Scherben, ließ nur mehr Dunkelheit zurück. Der Boden unter seinen Füßen tat sich auf, verschlang ihn und er fiel, fiel, bis ihm schwindelte und er panisch die Augen vor der immer dunkler werdenden Schwärze schloss.
Sein Herz schien für einige Augenblicke still zu stehen und erst, als er glaubte, zu ersticken, erinnerte er sich daran, Luft zu holen. Das Leuchten seiner Augen schwand, machte einem trüben, leeren Ausdruck Platz. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn wie die glühende Klinge eines Schwertes und er konnte spüren, wie sein Herz zerbrach und alle seine Hoffnungen, Träume und Wünsche von der Spitze der Klinge durchbohrt wurden. Frodo stützte sich mit den Händen im Gras ab um zu verhindern, tatsächlich zusammenzubrechen und hätte beinahe versagt, da jegliche Kraft aus seinen Armen gewichen zu sein schien. Tränen brannten in seinen Augen, doch Frodo blinzelte sie verzweifelt weg. Bilbo sollte nicht sehen wie er weinte. Bilbo, der ihn verraten hatte.
Saradoc!
Seine Gedanken schrieen immer wieder jenen Namen.
Saradoc! Er kam nur, weil er ihn herbestellt hat. Saradoc! Und ich hatte gehofft, er würde von sich aus kommen. Meinetwegen. Ich hatte gehofft, er würde fühlen, was ich fühle, hatte geglaubt, er könne mir jenes Zuhause wieder geben, nach dem ich mich so lange sehnte. Ich hatte gedacht, Bilbo wäre anders, doch wenn nicht einmal er wegen mir kommt, ohne, dass ihn jemand darum bittet, wer dann?
Jegliche Emotion wich aus ihm, ließ nur mehr Enttäuschung und Einsamkeit zurück, die nun die dunkle Leere füllten, die Bilbos Worte in ihm entfesselt hatten. Verzweifelt kniff Frodo die Augen zusammen.
Lass es ein böser Traum sein, hörte er sich rufen. Wenn ich aufwache, wird es Morgen sein und dieses Mal wird Bilbo anders antworten. Er muss seine Antwort ändern!

"Frodo? Frodo, hörst du mir zu? Ist alles in Ordnung?"
Frodo öffnete überrascht die Augen und fröstelte, als ein Windhauch ihn streifte und seine Haare durcheinander brachte. Verwirrt blickte er in Bilbos sorgenvolles Gesicht. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und die besorgten Augen des alten Hobbits musterten ihn eingehend.
"Ja", antwortete Frodo emotionslos und nickte verwirrt, während seine Augen verstört ins Leere blickten. "Ja, ich höre zu."
"Geht es dir gut?", fragte Bilbo noch einmal und griff zärtlich nach Frodos Schulter, was dieser widerwillig zuließ. "Du bist blass, mein Junge."
Frodo benötigte alle Willenskraft, die ihm noch geblieben war, um Bilbos Hand nicht von seiner Schulter zu stoßen und auf der Stelle davon zu laufen. Wie konnte er ihn "mein Junge" nennen? Er war nicht sein Junge, er war niemandes Junge. Warum musste Bilbo sein falsches Spiel weiterhin spielen? Warum konnte er nicht einfach aufhören, den fürsorglichen, besorgten Onkel zu mimen, wenn er es nicht so meinte?
"Ich habe in der letzten Nacht kaum geschlafen", zwang er sich schließlich zu antworten und fügte dann mit leiser Stimme hinzu, dass er sehr müde war und sich sofort hinlegen wolle, sobald sie zurück im Brandyschloss waren.

Frodo begrüßte diese Ausrede. So konnte er sich in sein Zimmer verkriechen und den Rest des Abends alleine verbringen, ohne dass sich irgendwer zu sorgen brauchte. Er würde über alles nachdenken und über sein weiteres Vorgehen entscheiden, bis dahin wollte er vorgeben, dass alles in Ordnung war. Bilbo sollte nicht wissen, dass er ihn verletzt hatte, tiefer vermutlich, als ihn jeder andere hätte verletzen können. Es kostete ihn alles, was er an Willenskraft, an Körperkraft aufbringen konnte, nicht zu weinen, nicht an Bilbos Worten zu zerbrechen und sich nichts von seinem Schmerz anmerken zu lassen, doch er wusste, dass er diese Kraft aufbringen konnte, zumindest, bis er zurück in seinem Zimmer war, und die Welt aussperren konnte.
Mit zittrigen Fingern tastete er nach dem Apfel, der noch immer auf seinem Schoß lag, versuchte zu lächeln, was ihm kläglich misslang, und nahm dann einen herzhaften Bissen von der Frucht. Der Apfel schmeckte fahl auf seiner trockenen Zunge. Der Geschmack schien das saftige Fleisch verlassen zu haben, hatte es leer zurückgelassen, genau wie Frodo von all seinen Hoffnungen und Träumen verlassen worden war und nun leer und ohne jegliche Emotion zurückgeblieben war. Bereits nach dem ersten Bissen wurde ihm übel, doch Frodo zwang sich dazu, den ganzen Apfel zu essen und noch ein belegtes Brot zu sich zu nehmen und sei es nur, um Bilbo im Glauben zu lassen, dass wirklich alles in Ordnung und er nur ein wenig übermüdet war.

Bilbo hatte Frodo sorgenvoll beobachtet, als plötzlich jegliche Farbe aus dem Gesicht des Jungen gewichen war. Er schien zu schwindeln, denn plötzlich stützte er sich mit seinen Händen im Gras ab, als könne er das Gewicht seines Körpers nicht halten. Der Anfall schien jedoch vorüber zu gehen und auch wenn Frodos Gesicht im Laufe des Nachmittages nicht wieder an Farbe zunahm und Bilbo ihn die ganze Zeit aufmerksam beobachtete, schien ihm Frodos Erklärung, dass er zu wenig geschlafen hatte, durchaus einleuchtend. Frodo hatte schließlich Pippin bei sich im Zimmer und wer wusste, wie lange die beiden Vettern sich nachts noch unterhielten, nachdem ihnen aufgetragen worden war, zu Bett zu gehen. Er konnte es Frodo nicht übel nehmen, war er schließlich in seinem Alter nicht anders gewesen. Dennoch war etwas an Frodos Verhalten seltsam, ließ ihn immer wieder ins Grübeln verfallen, doch kam er nicht dahinter, was genau es war, das ihm so ungewöhnlich erschien.



~*~*~



Frodo gab Bescheid, dass er zu müde war, um das Abendessen abzuwarten und stattdessen sofort zu Bett wollte. Merry und Pippin erklärte er, dass er den heutigen Abend nicht mit ihnen verbringen würde, nachdem er sich höflich bei Bilbo für das Picknick bedankt und sich von ihm verabschiedet hatte. Kaum war er jedoch in seinem Zimmer angekommen und hatte die Tür hinter sich geschlossen, brach alles aus ihm heraus und er sank bitterlich weinend zu Boden. Seine Hände klammerten sich verzweifelt in Pippins Kissen fest, das noch immer neben der Tür lag, während er hilflos schluchzte und nach Luft rang.
Hatte er sich so sehr irren können? Hatte sein Gefühl ihn so getäuscht? Es schien ihm unmöglich, denn nichts hatte sich jemals so richtig, so wahr angefühlt. Er wusste, dass Bilbo sein Zuhause war und doch hatte er sich geirrt. Bilbo, von dem er geglaubt hatte, dass er ihn liebte, dass er anders war als alle anderen, hatte ihn verraten, ihn im Stich gelassen.
Er hatte geglaubt, Bilbo würde ihn verstehen und jede neue Nachricht von ihm hatte sein Herz mit noch mehr Freude gefüllt als die vorangegangene. Seine Worte hatten ihm Trost gespendet und ihm neue Hoffnung gegeben, seine Umarmungen hatten eine Sehnsucht gestillt, die ihm oft hatte das Herz bluten lassen. In seinen Armen hatte er dieselbe Wärme wie in den Armen seiner Mutter gefühlt. Er hatte ihm vertraut wie keinem anderen, hatte mehrere Male darüber nachgedacht, sich ihm anzuvertrauen, nur um jetzt erfahren zu müssen, dass all dies nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Für Bilbo war er vermutlich nicht mehr als eine Bürde, eine Pflicht, zu der er gerufen wurde, wann immer Saradoc es wünschte.

Frodo zitterte am ganzen Leibe. Ihm war kalt, und sein Körper wurde von immer neuen, immer mehr Schluchzer geschüttelt, die aus seinen einsamen, leeren Augen quollen und über seine Wangen liefen, nur um anschließend von seinem Kinn zu tropfen und nasse Flecken auf seinem Hemd und der Hose zu hinterlassen. Er hatte die Arme um seine angezogenen Knie geschlungen und lehnte an der Tür seines Zimmers. Das letzte Tageslicht, das durch das kleine Fenster in das Zimmer drang, erreichte die Gestalt des Kindes nicht, denn obschon die Sonne im Westen noch nicht untergegangen war, hatte ihr Licht das östliche Fenster längst verlassen.

Eine alles verschlingende Leere hatte Besitz von ihm ergriffen. Ein schmerzhaftes Pochen erfüllte ihn bis in die hintersten und dunkelsten Abgründe seiner Seele. Und er fiel, fiel immer noch.
Jede Verletzung, die andere Hobbits ihm zugefügt hatten, jede Wunde, die Marrocs Worte und Taten in ihm aufgerissen hatten, waren nicht mehr als kleine Kratzer im Vergleich zu dem, was Bilbo ihm angetan hatte. Er hatte Bilbo geliebt, wie keinen anderen und auch wenn er sich wünschte, er würde ihn nun hassen, konnte er es nicht. Es wäre so viel einfacher, wenn er ihn hassen könnte, doch er liebte ihn, liebte ihn, nach allem, was er ihm angetan hatte. Er liebte ihn mehr als alles andere und selbst jetzt, da er seinetwegen gebrochen und verlassen in seinem Zimmer lag und kaum noch atmen konnte ob der Schluchzer, die ihn immer wieder nach Luft schnappen ließen, wünschte er sich nichts mehr, als in seinen Armen zu liegen und von ihm getröstet zu werden. Es war schwer, eine solch tiefe Wärme zu vergessen, eine Sehnsucht, die stärker war, als jedes Gefühl, das er je empfunden hatte, hungern zu lassen, obschon er wusste, dass er sie stillen konnte.

Sein Herz blutete und wehklagte. Immer wieder schrie es Bilbos Namen und fragte ihn, weshalb er das getan hatte. Weshalb er ihn im Glauben gelassen hatte, ihn zu lieben, wenn er es doch nicht tat und nur hier war, weil Saradoc ihn darum gebeten hatte. Warum hatte er ihm Hoffnungen gemacht, wenn er sie mit einem Schlag zerstörte? Frodo verstand es nicht, würde es nie verstehen. Eines jedoch war ihm klar. Er war alleine und nie, niemals würde jemand seinetwegen kommen und ihm ein Zuhause geben. Er war alleine, musste so zurechtkommen und für sich selbst sorgen.

Doch noch während er jenem Gedanken folgte, während unerschöpfliche Tränen der Einsamkeit und Verzweiflung jeglichen Schmerz zu ertränken versuchten, keimte neue Hoffnung in ihm auf. Vielleicht war Bilbo sein Zuhause und teilte seine Gefühle und möglicherweise war er es, der noch nicht hart genug an sich gearbeitet hatte, um Bilbos Liebe und seine Zuneigung zu verdienen.
Frodos ganzes Sein stürzte sich auf jenen kleinen Hoffnungsschimmer und umklammerte ihn, auf dass er nicht wieder erlöschen konnte. So musste es sein. Er verdiente Bilbos Liebe nicht. Er musste stark sein und hart an sich arbeiten, um jene Zuneigung erhalten zu dürfen und genau das würde er tun. Bilbo sollte nichts von all dem erfahren, was heute geschehen war. Frodo würde weitermachen wie bisher. Von nun an jedoch wollte er besser sein. Er würde folgsam sein, würde sich nicht aufdrängen, würde seine Wünsche zurückstellen und nur etwas mit Bilbo unternehmen, wenn der alte Hobbit ihn darum bat, um ganz sicher zu gehen, ihn nicht zu belästigen. Er würde zeigen, wie zufrieden er war, wie wenig er brauchte, um glücklich zu sein und vielleicht, vielleicht würde Bilbo ihn dann nach Hause holen. Vielleicht verdiente er seine Liebe dann.

Frodo klammerte sich verzweifelt an jenen Hoffnungsschimmer. Es würde nicht leicht werden, doch er würde kämpfen, um sein Ziel zu erreichen und eines Tages jene Liebe verdienen, nach der er hungerte.
Doch trotz aller Hoffnung wollte der Schmerz nicht ersterben und die Tränen nicht versiegen. Er hatte geglaubt, Bilbo würde ihn so lieben wie er war, war seit der vergangenen Nacht sogar davon überzeugt gewesen. Alles hatte dafür gesprochen und ihn mit unsäglicher Freude und Erleichterung erfüllt und doch hatte er das Gegenteil erfahren müssen. Er war nun einmal nicht mehr, als ein einsamer Hobbit aus dem Auenland, der weder ein Zuhause, noch eine Familie hatte, und er musste lernen damit umzugehen und für sein Glück zu kämpfen.



~*~*~



Als Pippin bald nach dem Abendessen in das Zimmer kam, lag Frodo unter seiner Bettdecke. Es war dunkel und nur der Schein von Pippins Kerze erleuchtete den kleinen Raum. Leise stellte er den Kerzenhalter auf den Nachttisch und machte sich auf Zehenspitzen daran, die Matratze wieder auf den Boden zu legen und sein Bett fertig zu machen. Auf keinem Fall wollte er Frodo aufwecken. Wenn er sogar zum Abendessen zu müde gewesen war, brauchte er bestimmt sehr viel Schlaf.
Er wollte gerade unter seine Decke schlüpfen, als ein leises Wimmern an sein Ohr drang. Überrascht hob Pippin den Kopf und blickte auf Frodos Bett. Die Kerze hatte er noch nicht ausgelöscht und im schwachen Lichtschein konnte er erkennen, dass Frodo sich unter der Bettdecke rührte.
"Frodo?", flüsterte er beinahe tonlos.
Nichts rührte sich und Pippin vermutete, dass sein Vetter aufgrund eines Traumes unruhig gewesen war, doch plötzlich hörte er, wie Frodo nach Luft schnappte und leise schluchzte. Schnurstracks kletterte er auf das Bett seines Vetters und zog an der Bettdecke.
"Lass mich, Pippin! Geh weg!", klagte dieser und seine Stimme klang heiser und war getränkt von Tränen.
Pippin ließ die Bettdecke erschrocken los, legte die Stirn in Falten und schluckte schwer. Bei dem Klang von Frodos Stimme traten ihm selbst die Tränen in die Augen.
"Du weinst", stellte er traurig fest.
Er zupfte erneut an der Bettdecke, und dieses Mal gelang es ihm, sie aus dem schwachen Griff seines Vetters zu lösen. Frodo lag zusammengekauert auf der rechten Seite, hatte die Arme um eines seiner angewinkelten Knie geschlungen und vergrub das Gesicht im Kissen. Kurzerhand schlang Pippin seinen linken Arm um Frodos Brust und drückte seinen Vetter an sich, während er sich ebenfalls in jenes Bett legte, in dem er in den vergangenen Tagen oft geschlafen hatte.
"Geh, Pippin!" forderte Frodo noch einmal heiser und konnte dabei ein erneutes Schluchzen nicht unterdrücken. Er verkrampfte sich, als er Pippins Arm um seine Brust und den Atem des jüngeren Hobbits an seinem Nacken spürte.
"Nein", beharrte Pippin, während erste Tränen über seine Wangen liefen. "Du weinst und ich werde dich trösten, genau wie du mich getröstet hast."

Das erste Mal, seit er in sein Bett gekrochen war, öffnete Frodo die Augen. Tränen der Rührung mischten sich zu jenen der Verzweiflung. Er mochte einsam sein, doch er hatte Pippin, der, im Gegensatz zu Bilbo, vollkommen freiwillig zu ihm kommen wollte, ihn sogar darum gebeten hatte, bei ihm schlafen zu dürfen. Er wäre nicht weniger herzlos wie Bilbo, würde er ihn jetzt wegschicken. Das hatte sein Vetter nicht verdient. Er schnappte noch einige Male nach Luft, entspannte sich dann und erlaubte sich, von Pippin festgehalten, getröstet zu werden. Es war nicht das, was er suchte, doch es fühlte sich gut an und erlaubte seinem gebrochenen Herzen einen Augenblick der Zufriedenheit. Seine eigene Hand tastete nach Pippins und drückte sie sanft, während er seine geschwollenen Augen zusammenkniff und die letzten Tränen sich ihren Weg über seine aufgeweichten Wangen suchten. Trotz seiner scharfen Worte war er seinem Vetter sehr dankbar, und eine tiefe Liebe erfüllte sein Herz. Aber was konnte Pippin schon ausrichten? Pippin war nur ein Freund, genau wie Merry. Sie konnten ihm die Familie und das Zuhause, das er so sehr vermisste, nicht ersetzen. Doch sie waren für ihn da.





<< Back

Next >>

Leave Review
Home     Search     Chapter List