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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Author notes
Entschuldigt, dass das neue Kapitel so lange auf sich hat warten lassen, aber ich bin jetzt in meinem ersten Semester an der Uni und mit der Zeit sieht es nicht immer gut aus. Neben Referaten und sonstigen Arbeiten muss ich mich durch eine ziemlich unfangreiche Lektürenliste durcharbeiten und zum Schreiben bleibt da nicht immer Zeit - vor allem nicht für eine Geschichte wie die Schicksalsjahre. Jede Szene der Schicksalsjahre fordert mich mehr als ein kruzes englisches Ficlet oder dergleichen, ganz einfach, weil ich hier mehr in die Personen eintauchen muss, um Emotionen aufrechtzuerhalten und nicht das Gefühl zu erwecken, dass mitten in der Szene irgendwie eine Bindung bricht. Nichtsdestotrotz arbeite ich so oft ich kann an den Schicksalsjahren und bitte um euer Verständnis, wenn es mal etwas länger dauert mit den Updates.

Zu guter Letzt möchte ich euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest wünschen und einen guten Start in das Jahr 2006. Übrings hat die Geschichte am 2. Januar ihr 3-jähriges Jubiläum. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht.



~*~*~



Kapitel 56: Ich hab dich lieb



Regen prasselte in dicken Tropfen gegen Frodos Zimmerfenster und perlte daran ab, als die Tür mit einem leisen Knarren geöffnet wurde, und eine kleine Gestalt, nur mit einem Nachthemd bekleidet und mit einer flackernden Kerze in der Hand, eintrat. Lautlos stapfte der junge Hobbit an den Schreibtisch, ein vergnügtes Grinsen im Gesicht, und stellte die Kerze ab. In Gedanken war Frodo noch beim vergangenen Nachmittag. Aufgrund des Regens waren er und seine Vettern den ganzen Tag zu Hause geblieben, und hatten sich in Merrys Zimmer einquartiert, wo sie, nach einer langen Suche nach Decken, Stühlen, Kissen und Matratzen ihre eigene kleine Höhle errichtet hatten. Anschließend hatten sie sich einige Äpfel aus der Speisekammer geholt und sich damit verpflegt. Saradoc war davon wenig begeistert gewesen, als er sie zum Abendessen gerufen hatte, hatte ihr mühevoll gebautes Zuhause als ein heilloses Durcheinander bezeichnet und ihnen die wenigen verbliebenen Äpfel wieder weggenommen. Der Herr von Bockland war der Ansicht, dass sie nach dem Essen keine Verwendung mehr dafür haben würden. Außerdem hatte er verlangt, dass die neu gebaute Höhle wieder abgebrochen wurde und alle Decken, Stühle und sonstigen Bauutensilien wieder dorthin zurückgebracht wurden, wo Frodo, Merry und Pippin sie am Nachmittag gefunden hatten. Die jungen Hobbits hatten nur widerwillig gehorcht, waren jedoch fest entschlossen, eine neue Höhle zu bauen, sobald sich ihnen die Möglichkeit bot.
Auch nach dem Abendessen war Frodo wieder in Merrys Zimmer verschwunden, wie er es jeden Tag tat, seit Pippin hier angekommen war. Die Stunden vor dem zu Bett gehen, waren die amüsantesten. Die Pläne für den nächsten Tag wurden diskutiert, Kissenschlachten geführt und nicht selten ließ Frodo sich dazu überreden, eine Geschichte zu erzählen, wobei er auf gruslige Enden verzichtete, da er wusste, wie ängstlich Pippin danach sein konnte.
Auch heute hatte er eine Geschichte erzählt, eine, die er in einem Buch gelesen hatte. Er hatte sie in eigenen Worten und mit geringen Änderungen an seine Vettern weitergegeben, die, wie immer, voller Begeisterung an seinen Lippen gehangen hatten, bis Esmeralda sie unterbrochen und zu Bett geschickt hatte.

Frodo fröstelte und langte nach seiner Decke, die er sich mit einer schwungvollen Bewegung um die Schultern legte. Die Flamme der Kerze flackerte, ließ dunkle Schatten an den Wänden tanzen und tauchte Frodos Gesicht in ein fahles, rotgoldenes Licht. Frodo wollte sich gerade auf das Bett setzen, als sein Blick auf einen Brief fiel, der ungeöffnet auf seinem Schreibtisch lag. Fragend runzelte er die Stirn und griff danach. Saradoc musste den Brief in sein Zimmer gebracht haben, als er nicht da gewesen war, um ihn in Empfang zu nehmen.
Ein Lächeln huschte über seine Züge, die Falten auf seiner Stirn glätteten sich und ein erfreutes Glitzern trat in die ohnehin schon leuchtenden Augen. Der Brief kam aus Hobbingen. Mit Bedacht öffnete Frodo das Siegel der Beutlins und nahm den Brief beinahe zärtlich aus dem Umschlag. Bilbo hatte ihm endlich wieder geschrieben, nachdem er seit über einem Monat nichts mehr von dem alten Hobbit gehört hatte. Frodo vermutete, dass dieser im Augenblick sehr beschäftigt war.
So war es auch. Als Frodos Augen der feinen, unruhigen Hand seines Onkels folgten, erfuhr er, dass Bilbo sich im letzten Monat mit einer Gruppe von Zwergen getroffen hatte. Sie waren auf der Durchreise gewesen und für wenige Tage bei ihm in Beutelsend geblieben. Frodos Augen wurden groß. Bilbo hatte ihm unendlich viele Geschichten von Zwergen erzählt, doch getroffen hatte er bisher noch keinen. Wie gerne wäre er ebenfalls in Beutelsend gewesen, um die Zwerge willkommen zu heißen und sich mit ihnen zu unterhalten. Frodo hob den Kopf und blickte voller Sehnsucht in die Flamme der Kerze, stellte sich vor, wie es wohl wäre, in Beutelsend zu sein und gemeinsam mit Bilbo eine Gruppe von Zwergen zu bewirten. Unbemerkt schlich sich dabei wehmütiger Kummer in sein Herz und ließ es schwer werden. Plötzlich waren die Zwerge vollkommen unwichtig und nur noch Beutelsend zählte. Wie lange es her war, dass er Bilbo besucht hatte und wie gerne er nach Hobbingen zurückkehren würde. Leise seufzend schloss Frodo die Augen.



~*~*~



Das Feuer im Kamin knisterte. Züngelnde Flammen ließen Schatten an den Wänden tanzen. Frodo sog den Duft von Pfeifenkraut tief in sich ein, während seine Augen gespannt auf Bilbo ruhten, der mit einem Gläschen Wein und verträumten Augen in seinem Sessel saß und ihm von seinen Abenteuern mit den Zwergen erzählte. Eine wohlige Wärme umgab ihn. Ein Lächeln huschte über Bilbos Gesicht. "Elben sind nicht böse, mein Junge. Aber sie waren misstrauisch…"



~*~*~



Frodo zuckte zusammen und wandte sich überrascht um, als ein Windstoß den Regen heftiger gegen sein Fenster prasseln ließ. Er fröstelte erneut, schüttelte den Kopf, wickelte die Decke enger um sich und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Brief zu, vorgebend, er wäre nicht von einer Erinnerung heimgesucht worden, die sein Herz mit einem unerfüllten Wunschtraum zurückließ.

Mit einem Seufzen legte Frodo den Brief schließlich zur Seite, und wandte den leeren Blick wieder der Kerze zu. Seine Augen waren feucht und voller Sehnsucht, doch erlaubte er sich keine Tränen. Sein Herz war schwer und das Glitzern, das seinen Blick zuvor hatte strahlen lassen, war verschwunden. Er war glücklich über den Brief, doch ein Brief war nicht, was er sich wünschte. Er wollte die Zwerge treffen, die in Beutelsend gewesen waren, wollte die Gamdschies wieder sehen. Er wollte Bilbo, wollte die Geborgenheit, die Wärme, die der alte Hobbit ihm geben konnte und doch wusste er, dass ihm all das verwehrt blieb.
Rasch stand er auf, wandte sich zu seinem Nachtkästchen um, und kniete davor nieder, ehe er die unterste Schublade öffnete und eine kleine Holztruhe hervor holte, die er sich vorsichtig in den Schoß legte. Er warf einen kurzen Blick auf das Bild seiner Eltern, spitzte die Ohren und sah dann zur Tür. Als er sicher war, dass er nicht gestört werden würde, strich Frodo sanft über das vom Alter dunkel gefärbte Holz der Truhe, und öffnete sie vorsichtig. Die rostenden Eisenscharniere protestierten quietschend, als er den Deckel bis zum Anschlag zurückschob, und ein kleiner Splitter löste sich von einer ohnehin schon mitgenommen Kante. Alles, was ihm wichtig war, abgesehen vom Bild seiner Eltern, bewahrte er in dieser Truhe auf. Sein Blick fiel zuerst auf den Silberpfennig, den er von Fastred erhalten hatte. Er glitzerte im Licht der Kerze. Frodo schob ihn beiseite, wobei seine Finger über die Umschläge von Bilbos Briefen strichen, und holte sein Tagebuch hervor, das er für einen Augenblick beinahe liebevoll betrachtete.

Er setzte sich wieder an den Schreibtisch, schlug das Buch mit achtsamen Fingern auf und griff nach einer Feder, die er vorsichtig in die Tinte tauchte. Draußen pfiff der Wind und ließ den Regen gegen das Fenster peitschen, doch Frodo achtete kaum darauf, als er trübselig zu schreiben begann.



Kein Wort. Er hat es mit keinem Wort erwähnt und das, wo ich doch so sehr darauf gehofft hatte. Nicht ein einziges Wort. Er fragt nicht einmal, ob ich irgendetwas geplant habe, spricht mit keinem Wort von seinen Plänen. Nichts.
Er wird nicht kommen. Bilbo wird seinen Geburtstag wieder in Beutelsend feiern und nicht nach Bockland kommen. Weshalb sollte er auch? Es ist
sein Geburtstag und auch, wenn es ebenso der meine ist, welches Recht habe ich denn, ihn hierher zu bestellen? Nur weil ich es gerne hätte, kann ich nicht von ihm verlangen, den langen Weg auf sich zu nehmen, erst recht nicht an seinem Geburtstag. Es wäre selbstsüchtig.
Aber es ist auch mein Geburtstag und nichts wünsche ich mir mehr, als ihn wieder zu sehen. Warum muss er immer wieder gehen? Weshalb kann er nicht einfach hier bleiben, bei mir? Ihm gelingt es immer, die Schatten in meinem Herzen zu vertreiben, doch wenn ich zu hoffen beginne, verlässt er mich und ich muss mich wieder alleine zurechtfinden.
Er hat gesagt, er würde bald wieder kommen. Doch wann ist ‚bald'? Mir scheint es, als würde sein letzter Besuch schon Jahre zurückliegen, dabei kann es nicht länger als fünf Monate her sein, seit er das letzte Mal hier gewesen ist.
Wann kommst du zurück, Bilbo? Wird es auch dieses Mal beinahe vier Jahre dauern, bis ich dich wieder sehe?



Frodo wischte mit dem Ärmel die Tränen weg, die sich unweigerlich in seinen Augen sammelten bei dem Gedanken daran, noch so lange auf einen Besuch Bilbos warten zu müssen. Es war eine viel zu lange Zeit und er wusste nicht, ob er in der Lage war, sie zu überbrücken. Dennoch musste er es versuchen. Ihm blieb zumindest die Hoffnung, dass Bilbo mit seinem Besuch nicht zu lange warten würde, und bis dahin konnte er von der Erinnerung leben. Zumindest hoffte er das, denn oft waren es die Erinnerungen, die sein Herz schwerer machten, als es ohnehin schon war.
Frodo holte tief Luft und wartete, bis seine Tränen versiegten. Ein Schleier der Traurigkeit überschattete die Freuden des vergangenen Tages bei dem Gedanken daran, seinen Geburtstag ohne Bilbo feiern zu müssen und für den Augenblick fühlte Frodo sich unfähig, weiter zu schreiben. Schweigend steckte er die Feder wieder in die Halterung und schloss das in braunes Leder gebundene Buch.

Erschrocken blickte er auf, als die Tür geöffnet wurde, und ein verirrter Luftzug durch sein Zimmer sauste, der die Kerze auf dem Schreibtisch zornig flackern ließ. Merimas stand in der Tür. Sein weißes Nachthemd leuchtete im Schein der Kerze, als er mit einem verlegenen Lächeln im Gesicht eintrat.
"Merimas", flüsterte Frodo überrascht und runzelte die Stirn. "Ist alles in Ordnung?"
Er stand auf und ging auf den jungen Hobbit zu, doch dieser rührte sich nicht von der Stelle, blickte nur weiterhin verlegen zu ihm auf, nur um kurz darauf die Augen zu senken und zu Boden zu starren. Frodo kniete sich vor dem Jungen nieder und legte ihm die Hände auf die Schultern.
"Wo sind deine Eltern?"
Merimas antwortete nicht.
"Ist mit deinen Geschwistern alles in Ordnung?"
Der junge Hobbit nickte, doch schien er weiterhin unfähig zu sprechen.
"Hat deine Mama dich zu mir geschickt?"
Das Kind schüttelte den Kopf und blickte verlegen zu Boden.
Frodo verstand nicht, was der Junge hier machte und da Merimas scheinbar unwillig war, ihm seinen Besuch zu erklären, musste er den Grund dafür selbst in Erfahrung bringen. Er ging zur Tür und blickte in den Gang hinaus, doch dieser war leer. Kurzerhand ging Frodo zur gegenüberliegenden Tür, dem Zimmer von Hanna und Marmadas, und wollte anklopfen, doch Merimas stoppte ihn, indem er ihm beinahe flüsternd zurief, dass niemand da war.
"Minze und Melilot schlafen", erklärte der Junge leise, wobei er den Blick weiterhin gesenkt hielt.
Frodo wandte sich wieder zu ihm um. "Weshalb schläfst du nicht?"
Merimas antwortete nicht, und so blieb Frodo nichts anderes übrig als zu erraten, weshalb der Junge zu ihm gekommen war.
"Hast du schlecht geträumt?"
Ein schwaches Nicken bestätigte seine Vermutung, doch Merimas blickte weiterhin verlegen zu Boden.
Frodo lächelte und ging zurück in sein Zimmer. "Du willst bei mir schlafen, bis deine Eltern zurückkommen?", schlussfolgerte er weiter und wurde mit erneutem Nicken belohnt.
Noch immer lächelnd kniete er sich wieder vor dem Kind nieder und wartete darauf, dass der Junge den Kopf hob, um ihn anzusehen. "Dann sollst du in meinem Bett schlafen, Merimas Brandybock."
Ein Grinsen stahl sich über das müde Gesicht des Jungen, als er seine Hände um Frodos Hals schlang und den Hobbit in eine feste Umarmung zog. Frodo war überrascht, doch er lächelte ebenfalls und trug das Kind schließlich zu seinem Bett, wo es sich der Kleine sogleich bequem machte, und sich von Frodo zudecken ließ.
"Wo schläfst du?", wollte Merimas wissen, als Frodo sich daran machte, sein Tagebuch zu verräumen.
Frodo grinste. "Ich hoffe darauf, dass du mir genügend Decke übrig lässt, sodass ich auch noch ein wenig Platz darunter finde."
Merimas kicherte vergnügt und winkte Frodo mit der Bettdecke zu, um zu zeigen, dass er noch mehr als genug Platz für seinen Freund hatte.
Frodo lächelte, und verstaute die Truhe wieder in seinem Nachtkästchen, während Merimas zum Fenster blickte, wo unablässig neue Wassertropfen landeten und der Scheibe entlang zu Boden rannen. Ehe Frodo sich jedoch zu dem jungen Hobbit gesellte, ging er noch einmal zur Tür, und blickte in den Gang hinaus. Von Hanna und Marmadas fehlte weiterhin jede Spur und so entschied er, die Türe nur anzulehnen, und die Kerze brennen zu lassen, in der Hoffnung, einer der beiden würde das Licht bemerken, nach dem Rechten sehen und dabei Merimas bei ihm entdecken. Als er sich schließlich in sein Bett legte, war Merimas schon beinahe eingeschlafen. Der kleine Hobbit kuschelte sich eng an Frodo und seufzte zufrieden, als dieser fast zögernd einen Arm um ihn legte.
Frodo hatte beinahe um seine Traurigkeit und seine Sehnsucht vergessen, als er leise lächelte. Er mochte den kleinen Hobbit, hatte ihn schon immer gemocht, doch hatte er nicht gewusst, wie gern Merimas ihn hatte und wie sehr der Kleine ihm vertraute. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie sehr er selbst an dem kleinen Hobbit hing, doch jetzt, da das Kind an ihn gekuschelt in seinem Bett schlief, wurde ihm dies nur allzu bewusst und er konnte nicht anders, als zu lächeln, als auch er langsam in einen tiefen Schlaf driftete.
Er bemerkte nicht, wie Marmadas seinen Sohn nur wenig später aus dem Bett hob, während Hanna ihn wieder zudeckte, einen Kuss auf seine Stirn hauchte, die Kerze, die nun auf Frodos Nachtkästchen stand, ausblies und mit einem letzten liebevollen Blick auf sein zufriedenes Gesicht das Zimmer verließ.



~*~*~



Pippin blickte zum Himmel. Die Kronen der Laubbäume glitzerten im Sonnenlicht, und die Blätter, die sich bald verfärben würden, warfen verspielte Schatten auf das Gesicht des jungen Hobbits. Der Duft von Erde, Laub und Kiefernadeln hing in der Luft. Ein Zweig brach unter dem Gewicht seines Vetters und Pippin blickte sich zweifelnd um. Sie waren inzwischen ausgesprochen tief in den Wald gegangen, und er konnte die Wiese, die dessen nördlichen Rand säumte, längst nicht mehr erkennen.
"Bist du sicher, dass Merry uns hier finden wird?", fragte er beinahe zögernd, ließ sich seine Unsicherheit jedoch kaum anmerken.
Frodo spürte es dennoch und schmunzelte in sich hinein. "Merry und ich kennen diesen Wald wie unsere Westentasche. Keine Sorge, er wird uns finden."
Er ging zwischen den Stämmen zweier Bäume hindurch und kletterte über die Wurzel eines dritten. Pippin folgte ihm, trat schließlich an seine Seite, während Frodo sich auf einer kleinen Lichtung umsah.

Sie waren im Wald südlich der Straße nach Bockenburg und auf der Suche nach einem geeigneten Standort für ihre eigene Hobbithöhle. Seit sie vor zwei Tagen eine Höhle in Merrys Zimmer gebaut hatten, konnten die jungen Hobbits an nichts anderes mehr denken, als an eine weitere selbst gemachte Höhle und Frodo und Merry waren zu dem Entschluss gekommen, dass sich der Wald am besten dazu eignen würde. Hier fanden sie nicht nur das nötige Holz, sondern waren außerdem in der Lage, ihr neues Zuhause dort zu bauen, wo Saradoc nicht von ihnen verlangen konnte, es wieder abzubrechen. So waren Frodo und Pippin gleich nach dem Mittagessen aufgebrochen. Merry wollte später zu ihnen stoßen, denn er hatte, wie er sagte, wichtige Angelegenheiten mit seinem Vater zu besprechen. Wie wichtig diese Angelegenheiten wirklich waren und worum es sich dabei genau handelte, wollte er seinen Vettern jedoch nicht verraten.

"Ich glaube, das ist ein guter Platz für unsere Höhle", erklärte Frodo mit einem zufriedenen Lächeln. "Der Boden ist zwar noch feucht, aber immerhin trockener als zwischen den Bäumen."
Pippin nickte und machte sich auf, die Lichtung auf eigene Faust zu erkunden, während Frodo bereits erste Zweige und Äste für die Höhle zusammensuchte. Die Lichtung war von hohen Laubbäumen und einigen Kiefern gesäumt, an denen Pippin erstaunt nach oben blickte. Der Wind säuselte in den Baumkronen, doch hier unten konnte er kaum einen Luftzug bemerken.
"Pippin, hör auf zu träumen und mach den Mund zu, bevor der Spatz da drüben auf die Idee kommt, ein Nest darin zu bauen!"
Pippin blickte seinen Vetter entgeistert an, bemerkte dann, dass sein Mund tatsächlich offen stand, und schloss ihn mit einem gekränkten Ausdruck im Gesicht. Seine Augen wanderten zu der Buche, auf die Frodo zuvor gedeutet hatte. Ein Spatz saß auf einem der Äste, hatte den Kopf schief gelegt, und blickte neugierig auf sie herab. Pippin beobachtete ihn einen Augenblick kritisch, wandte sich dann jedoch ab.
"Sind wir heute mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden, Vetter Frodo?"
Frodo, der mit einigen Zweigen auf dem Arm seinen Vetter grinsend beobachtet hatte, lachte. "Eigentlich stand ich mit demselben Fuß auf wie jeden Morgen."
"Was?!" rief Pippin entgeistert, konnte sich aber ein Kichern nicht verkneifen. "Du bist immer so freundlich?"
Frodo grinste. "Natürlich bin ich das! Fiel dir das denn bisher nicht auf?"
"Eigentlich nicht", meinte Pippin und ging in die Knie, um etwas vom Boden aufzuheben.
Frodo schüttelte lächelnd den Kopf und lud sich einen weiteren Zweig auf, als Pippin plötzlich in Jubel ausbrach. Überrascht wandte er sich um. Sein Vetter stand unter einem Baum, und hüpfte vergnügt von einem Bein auf das Andere.
"Das ist nicht nur ein guter Platz für unsere Höhle, das ist ein ausgezeichneter Platz dafür", meinte er überschwänglich und ließ sich zu Boden plumpsen. "Jetzt brauche ich nur noch einen Stein."
"Einen Stein?" Frodo runzelte die Stirn, ließ die Äste, die er gesammelt hatte, fallen und trat verwirrt auf seinen Vetter zu. Wer wusste, welche Verrücktheit dieser nun wieder ausgeheckt hatte?
Pippin nickte, und winkte ihm mit einer Haselnuss. Frodos Gesicht hellte sich auf, als er nach oben blickte und erkannte, dass es sich sein Vetter unter einem Haselnussstrauch gemütlich gemacht hatte. Sogleich ließ er sich neben ihm zu Boden fallen und suchte seinerseits nach reifen Nüssen. Verrückt mochten Pippins Ideen zwar manchmal sein, doch sein Gespür, wenn es darum ging, etwas Essbares zu finden, war selbst für einen Hobbit außergewöhnlich. Pippin kaute währenddessen, in Ermangelung eines Steines, an der Schale seiner Haselnuss und versuchte so, diese zu knacken.
"Ich glaube, ich weiß, was Merry mit seinem Papa bespricht", sagte er plötzlich unvermittelt.
Frodo, der inzwischen selbst mit der Schale einer Haselnuss kämpfte, indem er sie zwischen seinen Händen zu zerdrücken versuchte, zog neugierig eine Augenbraue hoch.
"Er wird ihn fragen, ob ich bei dir schlafen kann."
Die Haselnuss in seiner Hand vergessend, wandte Frodo sich überrascht zu seinem Vetter um, und runzelte die Stirn, doch noch ehe er etwas fragen konnte, fuhr Pippin fort.
"Ich bin jetzt schon zwei Wochen hier und abends musst du immer in dein Zimmer gehen, während Merry und ich uns noch lange unterhalten können. Ich würde mich auch gerne mit dir lange unterhalten können, und da dachte ich mir, dass ich vielleicht die verbleibenden Wochen bei dir schlafe. Dann könnte Merry abends zu uns kommen und unsere Höhlen bauen wir in deinem Zimmer." Pippin sah hoffnungsvoll zu seinem Vetter auf, der ihn aus verwunderten Augen anblickte. "Was sagst du dazu?"

Frodo war sprachlos. Für den Augenblick konnte er nichts weiter tun, als Pippin verblüfft anzusehen. Nie zuvor hatte ihn jemand darum gebeten, bei ihm übernachten zu dürfen. Zum einen, weil sein Zimmer sehr klein war, zum anderen, weil nur Merry darum hätte bitten können und für gewöhnlich war es Frodo, der dann in Merrys Zimmer schlief, und nicht umgekehrt. Doch nun saß Pippin vor ihm und blickte ihn aus hoffnungsvollen Augen an, die versuchten, die Antwort auf seine Frage aus seinem Gesicht zu lesen. Zuerst hatte Frodo geglaubt, er hätte sich vielleicht verhört, doch Pippins Ausdruck überzeugte ihn vom Gegenteil. Sein Herz machte einen Sprung in seiner Brust, und für einen kurzen Augenblick fürchtete er, es würde bersten ob der plötzlichen Freude, doch nichts geschah.

Pippin hatte es zwar keine Überwindung gekostet, seine Frage zu stellen, doch als er nun in das Gesicht seines Vetters blickte, wurde ihm unbehaglich. Er hatte mit einem Ja, oder einem Nein gerechnet, aber nicht mit Verwunderung. Unsicher rutschte er auf dem Boden hin und her und suchte den Blick seines Vetters, war einen Augenblick sogar versucht, Frodo auf dieselbe Weise in die Wirklichkeit zurückzuholen, wie es sein Vetter zuvor mit ihm gemacht hatte.
"Frodo?" seine Stimme war leise geworden, als er den Kopf schief legte und seinem Vetter in die Augen blickte. "Darf ich?"
Ohne Vorwarnung schlang Frodo plötzlich seine Arme um ihn, und Pippin schnappte überrascht nach Luft, hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten und wäre um ein Haar nach hinten gefallen.
"Natürlich darfst du!" rief Frodo und versuchte die Freude, und den Unglauben, die in seiner Stimme mitklangen, zu verbergen. "Wenn wir genügend Platz für dich finden, wäre ich überglücklich, wenn du bei mir übernachten würdest."
Nun war es an Pippin, seine Arme freudig um Frodos Hals zu schlingen. Er lächelte. "Ich werde wenig Platz benötigen und den findet Onkel Saradoc bestimmt."

Als Frodo schließlich von Pippin abließ, und sich wieder nach seiner Haselnuss umsah, strahlte er von einem Ohr zum anderen.
Pippin grinste ebenfalls. "Ich hätte nicht gedacht, dass dich das so sehr freuen würde."
Frodo zuckte mit den Schultern und kicherte. Seine Augen strahlten voller Glück und das Grinsen in seinem Gesicht reichte von einem Ohr zum anderen. "Ich auch nicht."
"Aber dass du mich deshalb so erschrecken musst…", Pippin schweifte ab und brach stattdessen in ein vergnügtes Lachen aus, in das Frodo mit einstimmte.
Gerade in diesem Augenblick tauchte Merry zwischen den Bäumen auf, und wollte sogleich erfahren, was seine Vettern so erheiterte. Diese winkten jedoch ab und bald darauf machten sie sich daran, eine kleine, instabile, aber gemütliche Hobbithöhle zu bauen.



~*~*~



Ein Rascheln drang an Frodos Ohr. Er öffnete die Augen, doch die Welt blieb dunkel. Es musste bereits nach Mitternacht sein und eigentlich wollten er und Pippin nun schlafen, doch offensichtlich hatte sein Vetter andere Pläne. Saradoc hatte abends eine Matratze für Pippin in sein Zimmer gebracht, die nun zwischen seinem eigenen Bett und dem Schreibtisch lag, sodass Frodo über seinen Vetter klettern musste, wenn er aufstehen wollte. Auch den Schreibtisch würde er nicht benutzen können so lange Pippin hier war, aber das machte ihm nichts aus, war er doch noch immer überglücklich, seinen Vetter bei sich im Zimmer willkommen heißen zu können. Die Freude, die er am Nachmittag empfunden hatte, hatte nicht nachgelassen. Pippin wollte bei ihm übernachten und Saradoc hatte es tatsächlich erlaubt. Es war ein unglaubliches Gefühl, sein Zimmer mit jemandem teilen zu können, jemanden bei sich zu haben, mit dem er bis spät in der Nacht reden konnte und gleichzeitig im eigenen Bett schlafen zu können.
Pippin hatte sich sofort bei ihm einquartiert, als Saradoc die Matratze gebracht hatte. Nach dem Abendessen war Merry bei ihnen gewesen, doch auch als dieser zu Bett geschickt worden war, hatten Frodo und Pippin noch ihren Spaß gehabt und lange Gespräche bis tief in die Nacht geführt. Frodo war schon beinahe eingeschlafen, als das unruhige Rascheln, und ein leises Grummeln an sein Ohr drangen.
"Pippin?", flüsterte er und drehte sich in seinem Bett um. "Bist du noch wach?"
Die Geräusche verstummten und Frodo beugte den Kopf über den Rand seines Bettes, in der Hoffnung, trotz der Dunkelheit in seinem Zimmer erkennen zu können, ob mit seinem Vetter alles in Ordnung war. Erschrocken zuckte er zusammen, als eine Hand ihn an der Nase traf. Neben ihm sog sein Vetter scharf die Luft ein.
"Entschuldige", flüsterte Pippin, "ich dachte, du wärest in deinem Bett und wollte schauen, ob du immer noch so nahe beim Fenster liegst."
Frodo runzelte die Stirn, und stützte den Kopf auf den Arm. "Weshalb?"
Wieder drang ein Rascheln an sein Ohr. Pippin schien unruhig mit seiner Bettdecke zu spielen. "Ich…", begann er, verstummte jedoch gleich darauf wieder.
Eine lange Zeit herrschte Schweigen, das nur vom Rascheln von Pippins Bettdecke gebrochen wurde.
"Erinnerst du dich noch an Beutelsend?", fragte der junge Hobbit.
Frodo spürte einen schmerzhaften Stich im Herzen. Wie könnte er diesen längstvergangenen Besuch vergessen? Damals war seine Welt noch im Gleichgewicht, und seine Seele noch heil gewesen. Frodo nickte, vergessend, dass sein Vetter dies in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, doch Pippin sprach dennoch weiter.
"Du hast damals gesagt, ich könne jederzeit zu dir kommen, wenn ich mich einsam fühle und, nun ja…", er schweifte ab und sprach nicht weiter.
Frodo lächelte, glaubte er doch zu wissen, dass Pippins Wangen eine gesunde Farbe annahmen.
"Du fühlst dich einsam", wisperte er und es war keine Frage.
Pippin antwortete nicht, nickte stattdessen, und auch wenn Frodo dies nicht erkennen konnte, rutschte er bis ganz an die Wand zurück und machte so Platz für seinen Vetter, der bereitwillig zu ihm ins Bett kletterte.
Mit einem zufriedenen Seufzen ließ Pippin sich in die Kissen sinken, und zog sich seine Decke, die er von seinem eigenen Bett mitgenommen hatte, bis unter das Kinn, während Frodo sich neben ihm in die Kissen kuschelte und zufrieden die Augen schloss. Pippin war bei ihm, wollte bei ihm sein und das machte ihn glücklich.
"Frodo?" Pippins Stimme war kaum mehr als ein Wispern, und Frodo öffnete widerwillig die Augen. Er wusste, dass Pippin ihn ansah, konnte seinen Blick förmlich spüren. Ein Lächeln, das er in dessen Stimme hören konnte, schlich über die Lippen seines Vetters.
"Auch wenn wir uns nur sehr selten sehen, habe ich dich trotzdem sehr lieb."

Frodo fühlte sich für einen Augenblick wie versteinert. Er konnte nicht atmen, konnte sich nicht bewegen, selbst sein Herzschlag schien für einen Moment auszusetzen. Tränen der Rührung und der Freude sammelten sich in seinen Augen. Wann hatte ihm das letzte Mal jemand gesagt, dass er ihn liebte? Hatte das seit dem Tod seiner Eltern überhaupt jemand getan? Frodo wusste es nicht, und das machte diesen Augenblick zu einem ganz Besonderen. Pippin hatte gesagt, was niemand sonst auszusprechen wagte. Er hatte Worte gesprochen, die Frodo zuletzt vor solch langer Zeit gehört hatte, dass er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, und dafür war er Pippin unendlich dankbar.
"Ich", stotterte er und schluckte den Knoten in seinem Hals, während er Tränen aus seinen Augen blinzelte, "Ich habe dich auch lieb, Pip."
Pippin murmelte verschlafen, und während stumme Tränen der Freude, der Dankbarkeit und der Liebe sich ihren Weg über Frodos Wangen suchten, schlief der junge Hobbit schließlich ein.





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