Stories of Arda Home Page
About Us News Resources Login Become a member Help Search

Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 44: Auf dem Brandywein



Frodo zuckte erschrocken zusammen, als er Stimmen vernahm, die auf ihn zukamen. Regungslos verharrte er unter den Sträuchern, ließ seine Augen in alle Richtungen wandern. Merimac trottete lachend mit seiner Gattin Adamanta an den Beerensträuchern vorüber, unter denen Frodo sich versteckte. Wie so oft um diese Jahreszeit, der Nachlithe ging bereits zu Ende, hatte Frodo sich heimlich zu den Beerensträuchern zurückgezogen, wo er sich in aller Ruhe an den süßen Beeren gütlich tat.

Es war ein sonniger Tag und der angenehme Geruch von frisch gemähtem Heu, Lilien und Gladiolen hing in der Luft. Der Himmel leuchtete in einem strahlenden Blau, die Vögel zwitscherten und der Wind säuselte leise, als er zärtlich über die Wälder und Felder des Auenlandes strich. Die Haare wurden ihm ins Gesicht geweht, als Frodo den Hobbits mit seinen Augen folgte.
Er verbrachte den Nachmittag alleine, denn Merry war mit seinem Vater auf den Brandywein hinaus gefahren. Merry sollte sein Können im Umgang mit Booten verbessern und dabei war er einerseits wenig von Nutzen und noch dazu, hielt sich sein Interesse dafür in Grenzen. Er hatte nie wirklich gelernt, mit Booten umzugehen, denn immer war er zu jung gewesen. Als er dann das nötige Alter erreicht hatte, war er nicht mehr daran interessiert, in ein Boot zu steigen und so war es auch heute noch. Für ihn war es genug, in der Lage zu sein, mit der Fähre das andere Ufer erreichen zu können, mehr brauchte er nicht.
Merry hingegen war von der Bootsfahrt ganz und gar begeistert. Den ganzen Morgen war er übermütig um ihn herum gesprungen, hatte von nichts anderem mehr gesprochen. Inzwischen war er bestimmt schon irgendwo inmitten des Flusses und kämpfte gegen die Strömung an. Frodo schauderte unwillkürlich. Der Gedanke an die Strömung des Flusses und Boote die darauf trieben, war ihm selbst nach fast fünf Jahren noch immer nicht geheuer.

Er erhob sich von seinem Versteck, als sich Merimac und Adamanta weit genug entfernt hatten. Nachdem er sich noch jeweils eine Himbeere und ein kleines Johannisbeersträußchen gepflückt hatte, ging er ebenfalls zum Brandyschloss zurück. Für den Augenblick hatte er genug Beeren.

Sein Weg führte ihn in die Bibliothek. In den letzten Wochen hatte er außergewöhnlich wenig gelesen und fand, dass es höchste Zeit war, dem entgegenzutreten. Gedankenverloren ging Frodo durch den dunklen Raum. Die Bibliothek besaß keine Fenster und selbst im Sommer war es in diesem Zimmer des Brandyschlosses ungewöhnlich kühl, denn auch einen Kamin gab es hier nicht. Die Bibliothek war lediglich ein Raum, aus dem Bücher geholt und wieder zurückgebracht wurden. Gelesen wurden die Bücher meist woanders, außer ein Hobbit schätzte die Stille und machte sich nichts aus der kühlen, stickigen und modrigen Luft des Zimmers. Frodo gehörte zu diesen Hobbits. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er sich daran erinnerte, wie er selbst damals, als er kaum in der Lage gewesen war, mehr als einige Worte zu lesen, hierher gekommen war. Meist war es spät in der Nacht gewesen, wenn er eigentlich hätte schlafen sollen, doch er hatte sich aus seinem Zimmer geschlichen, einen Kerzenhalter mit sich genommen und war dann oft stundenlang in der Bibliothek gesessen, um in all den Büchern zu blättern.
Ihn störte der Geruch nicht. In Wahrheit mochte er ihn sogar, den unverwechselbaren Duft von altem Leder, den modrigen Geruch von vergilbtem Papier. Frodo sog ihn tief in sich ein, als seine Finger über die Buchrücken strichen. Er fragte sich, ob es in Bruchtal wohl auch solche Bibliotheken gab.
Mit einem amüsierten Lächeln schüttelte er den Kopf. Natürlich gab es dort Bibliotheken, vermutlich solche, die noch sehr viel größer waren, als die des Brandyschlosses und alle Bücher und Schriftrollen waren in elbischer Sprache verfasst. Ein sehnsüchtiges Seufzen entwich seinen Lippen. Wie lange hatte er schon nicht mehr elbisch gesprochen?
"Elbereth", flüsterte er und runzelte die Stirn.
Er hatte den Namen der Schöpferin der Sterne schon lange nicht mehr laut ausgesprochen und nun, da er es tat, klang er fremd und zugleich vertraut in seinen Ohren. Wie lange war es her, dass er diesen Namen das erste Mal vernommen hatte. Gedankenverloren schloss er die Augen.



~*~*~



Er konnte das Feuer im Kamin prasseln hören, roch plötzlich, neben den Büchern, auch den Geruch von Pfeifenkraut. Bilbo hatte sich vor dem Kamin in Beutelsend niedergelassen, während er selbst einen Turm baute, aus den Karten, die er von seinem Onkel erhalten hatte. Er war glücklich gewesen, in jenen lang vergangenen Tagen in Beutelsend, auch wenn sein Herz schwer gewesen war. Es war so lange her und doch erinnerte er sich an jenen Abend, als wäre es vor wenigen Tagen gewesen. Damals hatte er das erste Mal von Elebereth, von Varda gehört. Er hatte das erste Mal von Valinor erfahren und von der Erschaffung der Sterne.



~*~*~



Als er die Augen wieder öffnete, bemerkte er, dass er die Gemütlichkeit und die Ruhe der geräumigen Hobbithöhle in Hobbingen vermisste und dass ihm Bilbo sehr fehlte. Noch immer schrieb er ihm regelmäßig Briefe und erhielt auch jedes Mal eine Antwort, doch hatte er ihn nun schon seit mehr als drei Jahren nicht mehr gesehen. Er seufzte leise. Ob er ihn darum bitten sollte, ihn wieder einmal besuchen zu dürfen? Ob er fragen sollte, ob nicht Bilbo wieder nach Bockland reisen konnte?
Frodo schluckte, schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein, das konnte er nicht machen. Es war eine weite Reise von Hobbingen bis nach Bockland. Er würde niemals die Erlaubnis erhalten, sich alleine auf den Weg zu machen und von Bilbo konnte er nicht verlangen diesen Weg auf sich zu nehmen, außer er wollte es von sich aus.
Frodo wusste aus den Briefen, dass auch Bilbo ihn vermisste, doch wagte er dennoch nicht, ihn danach zu fragen. Es erschiene ihm unhöflich.

Vehement schüttelte er den Gedanken ab. Er würde Bilbo wieder sehen, das hatte der alte Hobbit bei ihrem letzten Treffen versprochen, er brauchte nur zu warten.
Ohne nachzusehen, wonach er seine Hand ausstreckte, griff er nach einem Buch. Der Titel verkündete stolz: Geschichten aus dem Alten Wald.
Verwundert und erfreut zugleich zog Frodo eine Augenbraue hoch. Dieses Buch könnte ihm gefallen. Mit einem Lächeln auf den Lippen strich er über den dunklen, ledernen Einband, wischte den Staub davon ab und verließ dann die Bibliothek auf leisen Sohlen.

Frodo war bereits in die ersten Seiten des Buches vertieft, als er durch die Gänge des Brandyschlosses wieder nach draußen lief. Sein Weg führte ihn an der Küche vorbei. Ein verführerischer Geruch brachte ihn zum stehen, ließ ihn neugierig aufblicken. Er streckte die Nase in die Luft und schnüffelte. Es roch nach frisch gebackenem Kuchen und nach Himbeeren.
Frodo klappte das Buch zu, spähte vorsichtig in die Küche. Er konnte niemanden sehen, doch hörte er Esmeralda und seine Großmutter, die sich mit einem anderen, männlichen Hobbit unterhielten. Frodo erkannte dessen Stimme nicht, und obschon er neugierig war, wer es sein konnte, übte doch der Kuchen, der noch immer dampfend auf der Anrichte stand, eine weitaus größere Anziehungskraft auf ihn aus.
Noch immer genüsslich schnuppernd trat er näher. Sein Magen meldete sich mit einem hungrigen Knurren. Frodo verzog verlegen das Gesicht und blickte sich versichernd um. Ein Stück würde er sich bestimmt nehmen dürfen.
Rasch hatte er sich ein Messer aus der Schublade geholt und sich ein großzügiges Stück des Himbeerkuchens abgeschnitten. Mit einem schmerzvollen Zischen zog er die Hand wieder zurück, mit der er die Leckerei hatte aufheben wollen und ließ seinen kühlen Atem über seine Finger wandern, die er sich am Kuchen, der vermutlich gerade erst aus dem Ofen genommen worden war, verbrannt hatte.

Esmeraldas Kopf erschien in der Tür, die in das Esszimmer führte.
"Frodo!" rief sie überrascht aus. "Wirst du wohl die Finger vom Kuchen lassen! Den gibt es erst später."
Erschrocken trat Frodo einen Schritt zurück, verschränkte rasch die Hände hinter dem Rücken, senkte den Kopf und grummelte etwas Unverständliches. Tiefes, lautes Lachen drang an sein Ohr und er hob überrascht den Kopf. Neben Esmeralda erschien die kräftige Gestalt von Bauer Maggot.
Frodo schnappte nach Luft, trat unwillkürlich einen weiteren Schritt zurück und blickte nervös nach allen Seiten, beinahe damit rechnend, die Hunde des Bauern würden plötzlich wieder knurrend und kläffend vor ihm stehen. Dann machte er auf dem Absatz kehrt, griff nach seinem Buch und eilte aus der Küche. Er konnte gerade noch hören, wie der Bauer ihn einen Tunichtgut nannte und daraufhin erneut in schallendes Gelächter ausbrach.



~*~*~



Tief in den Zeilen versunken, die er las, lag Frodo im weichen Gras des Hügels, nicht weit unter der großen Eiche. Über ihm waren die anderen Kinder des Brandyschlosses in ein Spiel vertieft, doch Frodo nahm ihre fröhlichen Stimmen kaum wahr. Auch Merrys Stimme hörte er nicht, die verzweifelt nach ihm rief, als die Sonne nach Westen zog und sich langsam tiefer senkte.

Erst als es zu dunkel zum Lesen wurde, kehrte er in die Wirklichkeit zurück und blickte sich verwundert um. Die Stimmen der Kinder waren verstummt und die Sonne war nur noch ein blasser Streifen am westlichen Horizont. Überrascht sprang er auf und eilte zur großen Eiche hinauf. Als er zum Brandyschloss hinüber blickte, sah er, dass in den Fenstern der großen Höhle bereits Lichter brannten. Sein Magen knurrte und erinnerte ihn daran, dass es höchste Zeit für das Abendessen war, zu dem er vermutlich zu spät kommen würde.
Schnell rannte er zur Höhle und stürmte in das Esszimmer, wo, wie er befürchtet hatte, bereits alle versammelt waren und sich aus großen Schüsseln Salat schöpften, während andere einige Platten mit Fleisch herumreichten. Saradoc sah ihn streng an, als Frodo sich, völlig außer Atem, an seinen Platz setzte.
"Du bist zu spät", erklärte er trocken. "Du weißt, wann du zu Hause sein solltest."
Frodo nickte betroffen und senkte den Kopf. Aus den Augenwinkeln erkannte er ein freches Grinsen in Merrys Gesicht und gab seinem Vetter, der neben ihm saß, einen leichten Tritt ins Schienbein. Merry presste die Lippen zusammen und schielte zu seinem Vater, der den Blick noch immer nicht von Frodo abgewandt hatte.
"Du wirst Mirabella beim abräumen der Tische helfen", meinte Saradoc dann und schaute kritisch auf das Buch, das Frodo mit sich gebracht hatte. "Bücher gehören nicht an den Tisch."
Frodo nickte missmutig, griff aber rasch nach dem Buch und legte es sich auf den Schoß, ehe auch er nach einer Salatschüssel langte.

Mit einem zufriedenen Seufzen legte Frodo seine Gabel hin und lehnte sich im Stuhl zurück. Seine Finger strichen ungeduldig über den ledernen Einband und die rauen Seiten des Buches. Er konnte es kaum abwarten, weiter zu lesen. Saradoc räusperte sich und erinnerte Frodo daran, dass er etwas zu erledigen hatte. Missmutig blickte der junge Hobbit auf, machte sich dann aber dennoch daran, den Tisch abzuräumen. Merry war ihm freiwillig dabei behilflich, doch das nicht ganz ohne Grund. Er erzählte ihm von seinem Nachmittag auf dem Brandywein und versuchte Frodo die Kunst des Bootfahrens schmackhaft zu machen.
"Du musst morgen unbedingt mitkommen!" verlangte er. "Das Wetter ist perfekt um zu fischen. Und mit dem Boot auf dem Wasser…", ein verträumter Ausdruck schlich über sein Gesicht und Merry seufzte glücklich. "Es ist so wunderschön, Frodo. Du musst unbedingt mitkommen. Außerdem kann ich sehr gut mit einem Boot umgehen. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du Papa fragen."
Frodo schüttelte den Kopf. "Ich glaube dir, doch ich will nicht mit einem Boot auf den Fluss."
"Komm schon. So schlimm ist das nicht. Es macht sogar riesigen Spaß, wenn du einmal drinnen sitzt. Du warst schon viel zu lange nicht mehr mit einem Boot draußen", erklärte Merry, unwillig so schnell nachzugeben.
"Das hat seine Gründe", entgegnete Frodo scharf. "Ich war schon immer selten auf dem Fluss und nachdem meine Eltern…", er stockte kurz. Noch immer fiel es ihm schwer, dieses Ereignis in Worte zu fassen. "… diesen Unfall hatten, ist mir die Lust auf Bootfahrten gänzlich vergangen. Und das wird sich auch nicht ändern, nur weil dein Vater meint, dass er dich inzwischen auch alleine auf den Fluss lassen kann."
"Aber ich kann es wirklich!" beharrte Merry und nahm einen weiteren Stapel Teller mit sich, um sie in die Küche zu tragen. "Ich habe mein halbes Leben in Booten verbracht, du bräuchtest dir also überhaupt keine Sorgen zu machen. Außerdem möchte ich mit dir fischen gehen."
"Dann gehen wir fischen", meinte Frodo und drehte sich zu ihm um, als sie in die Küche gingen. "Wir laufen nach Süden, wo das Wasser tiefer ist, setzen uns ans Ufer und…"
"Am Ufer", grummelte Merry, "ist es sterbenslangweilig und wir müssen ewig warten, bis endlich ein Fisch anbeißt."
"Dann wirst du auf mich verzichten müssen", schloss Frodo, stellte das Geschirr ab und sah seinen Vetter ernst an, ehe er erneut ins Esszimmer trottete. "Ich werde in kein Boot steigen."
"Du weißt doch gar nicht, was dir entgeht!" versuchte Merry verzweifelt zu überzeugen.
"Und ich will es auch gar nicht wissen."
"Frodo, der Fluss ist nicht dein Feind. Du wirst nicht sterben, nur weil du mit mir fischen gehst."
Frodo drehte sich abrupt um, sodass Merry beinahe in ihn hinein gerannt wäre. Ein gefährliches Funkeln trat in seine Augen, als er seinen jüngeren Vetter scharf ansah. "Du solltest nicht von Dingen sprechen, die du nicht verstehst, Meriadoc."
Merry zuckte zusammen, als Frodo ihn bei seinem vollen Namen nannte, etwas, das äußerst selten geschah.
"Ich werde nicht mit dir in ein Boot steigen, und wenn du noch so gut damit umgehen kannst. Wenn du mit mir fischen gehen willst, können wir das gerne machen, aber nicht in einem Boot."
Merry seufzte verzweifelt, als Frodo zum Esstisch trottete und ihn alleine stehen ließ. Er hatte so sehr gehofft, seinen Vetter überreden zu können. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals mit ihm fischen gegangen zu sein und hatte sich gewünscht, dies nachholen zu können. Frodo wusste genauso gut wie er, dass man am Ufer keine Fische fing, auch wenn man ein noch so guter Angler war. Mit traurigen Augen eilte er ihm hinterher, sah fast flehentlich zu seinem Vetter auf.
"Auch nicht, wenn ich dich darum bitte?"
Frodo schüttelte den Kopf und lief mit den letzten Schüsseln an Merry vorüber, zurück in die Küche. Sein Vetter trottete mit gesenktem Kopf hinter ihm her.
"Es würde bestimmt Spaß machen", sagte er und ließ nur den kleinsten Hauch von Traurigkeit in seiner Stimme mitklingen. Auch wenn Frodo ihn zuvor fast zornig angesehen hatte und ihn nun beinahe zu meiden schien, wollte Merry noch nicht aufgeben.

Frodo stöhnte auf und drehte sich zu ihm um. Er vermutete, dass Merry Recht hatte und er wäre gerne mit ihm fischen gegangen, doch wagte er es nicht. Zwar gestand er sich das nicht ein, doch er fürchtete sich davor, mit einem Boot auf den Brandywein hinaus zu fahren. Alleine der Gedanke in ein Boot zu steigen, ließ ihn erschaudern. Seine Mutter war, genau wie Merry, davon überzeugt gewesen, sich mit Booten und der Strömung des Flusses auszukennen und doch war sie ertrunken. Das Können seines Vaters hatte sich zwar in Grenzen gehalten, doch war Primulas Vorliebe für Bootfahrten im Mondschein auf ihn übergegangen. Und auch Frodo hatte es gemocht, sich auf der gemächlichen Strömung des Flusses treiben zu lassen, doch seit seine Eltern ums Leben gekommen waren, hatte sich diese Vorliebe ins Gegenteil gewandelt und er traute weder den Booten, noch dem Fluss.

"Ich weiß", seufzte Frodo schließlich. "Aber ich kann nicht."
Merry sah zu ihm auf, spürte förmlich, wie er Frodos Sturkopf zum Schmelzen brachte. "Willst du es denn nicht einmal versuchen?"
Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass sein Vetter wegen dem Tod seiner Eltern Angst vor Booten hatte, doch andererseits, war bei Frodo alles möglich.
Als Frodo nicht antwortete, fügte er mit einem leisen Seufzen hinzu: "Wenn du noch immer nicht willst, nachdem wir bei der Bootanlegestelle waren, können wir uns immer noch irgendwo ans Ufer setzen und auf unser Glück hoffen."
Frodo schwieg weiterhin, setzte sich jedoch wieder in Bewegung, um ein letztes Mal in das Esszimmer zu gehen, wo er das Buch holen wollte, welches er auf seinem Platz hatte liegen lassen. Merry folgte ihm, sah ihn die ganze Zeit erwartungsvoll an, bis er schließlich antwortete.
"Also gut, ich werde mit dir kommen. Aber du musst mir versprechen, dass du mir weder böse noch beleidigt sein wirst, wenn ich nein sage."
Merry grinste von einem Ohr zum andern.
"Ganz bestimmt nicht!" rief er erfreut. "Ich werde sofort Papa Bescheid sagen."
Mit diesen Worten sprang er davon, ließ seinen Vetter alleine im Licht der Lampen stehen. Frodo blickte ihm beunruhigt hinterher, runzelte die Stirn und fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, einzuwilligen.


~*~*~



Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch das Fenster in Frodos Zimmer. Frodo blinzelte kurz, rümpfte verschlafen die Nase und drehte sich noch einmal um. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel hielt ihn davon ab, wieder einzuschlafen und auch Merimas, der im Gang vor seiner Tür lauthals nach seiner Schwester rief, war keine große Hilfe dabei, noch ein wenig Schlaf zu finden. Gähnend rappelte er sich auf und blickte verschlafen aus dem Fenster. Er hatte am vergangenen Abend lange über die Bootsfahrt nachgedacht und war zu keinem Ergebnis gekommen. Zwar freute er sich darauf, mit Merry fischen zu gehen, doch dabei in einem Boot zu sitzen, war ihm nicht geheuer. Boote waren unberechenbar und man konnte nie wissen, was geschah, wenn man in eine gefährliche Strömung geriet. Dennoch hatte er sich fest vorgenommen, es zumindest zu versuchen.

Mit einer raschen Bewegung schlug er die Decke zurück, griff nach seiner Hose und zog sich an. Er war gerade damit beschäftigt, sich die obersten Knöpfe seines Hemdes zuzuknöpfen, als er schnelle Schritte näher kommen hörte. Kurz darauf wurde seine Zimmertür schwungvoll geöffnet und Merry stand schnaufend vor ihm.
"Ein herrlicher Tag!" verkündete dieser übermütig grinsend. "Wir sollten sofort aufbrechen. Wir brauchen noch Würmer und Maden und diese sollten wir sammeln, ehe das ganze Schloss auf den Beinen ist."
Frodo zog grinsend eine Augenbraue hoch. "Guten Morgen, Merry. Danke, ich habe sehr gut geschlafen und nein, du hast mich überhaupt nicht erschreckt, als du hereingestürmt kamst."
"Das wusste ich", meinte Merry ernst, als er Frodo förmlich aus dem Zimmer scheuchte.
Frodo kicherte, als sie den Gang entlang liefen und das Brandyschloss durch die Hintertür verließen. Einige verschlafene Hobbits blickten ihnen verwundert hinterher, denn es war keineswegs üblich, die Höhle vor dem Frühstück zu verlassen.

Frodo verzog angeekelt das Gesicht, als sie zum Misthaufen liefen.
"Glaubst du nicht, wir finden die Maden auch an einem anderen Ort, an dem es besser riecht?", presste Frodo hervor, der sich alle Mühe gab, nicht zu atmen.
Merry schüttelte den Kopf, ließ seine Augen über die verwelkten Pflanzen, verfaulten Tomaten und verschimmelten Gemüseresten wandern und wurde rasch fündig. Frodo gab einen angeekelten Laut von sich, als Merry in den Mist hineinlangte und einige Maden herauspickte um sie anschließend in einem Eimer zu deponieren.
"Ich werde mich um die Würmer kümmern", meinte er dann und ließ Merry wissen, dass er zum Gemüsegarten kommen solle, sobald er fertig war.

Frodo brauchte nicht lange zu graben, ehe auch er einige Würmer gefunden hatte. Und auch wenn seine Hände mindestens genauso schmutzig waren, wie die von Merry, war ihm die Suche im Gemüsebeet doch lieber gewesen, als die im Misthaufen.



~*~*~



Der Tag war noch nicht weit fortgeschritten, als Merry und Frodo zum Fluss hinunter trotteten und doch schien die Sonne schon warm vom tiefblauen Himmel, versprach einen heißen Sommertag. Beide Kinder hatten einen voll beladenen Rucksack auf dem Rücken. Merry trug außerdem zwei Eimer mit sich, wovon einer Erde voller Würmer und Maden beinhaltete, die sie als Köder verwenden wollten. Frodo war mit zwei Ästen, an denen je eine lange Schnur mit einem stählernen Haken festgemacht war, und einem dritten Eimer bewaffnet.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in Frodos Magengegend bemerkbar, als sie die Anlegestelle erreichten. Während Merry in eines der Boote kletterte und die Eimer und seinen Rucksack sicher verstaute, blieb Frodo unsicher davor stehen. Er hatte die Stirn gerunzelt, als seine Augen jeder von Merrys Bewegungen kritisch folgten. Jetzt, da er hier war, glaubte er nicht mehr, dass er in das Boot steigen wollte. Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück.
"Du hast es versprochen!" erinnerte ihn Merry sogleich, dem Frodos Zurückweichen nicht entgangen war.
Frodo schluckte und sah Merry mit einem stummen Flehen in seinen Augen an, doch Merry schüttelte den Kopf.
"Das Boot ist noch an Land", wies er ihn hin. "Es kann also überhaupt nichts geschehen."
Frodo warf ihm einen vielsagenden Blick zu, seufzte leise und machte dann einen zögernden Schritt auf seinen Vetter, der bereits im Boot saß, zu. Merry grinste zufrieden, nahm Frodo die Angeln und den Eimer ab und verstaute auch diese. Frodo reichte ihm auch seinen Rucksack, doch machte er noch immer keine Anstalten, selbst in das Boot zu steigen. Erwartungsvoll zog Merry eine Augenbraue hoch, lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und wartete.

Frodo sagte die Lage gar nicht zu. Er ließ seinen Blick zum Fluss hinüber wandern, der an dieser Stelle ruhig und gemächlich dahin floss. Nur leise hörte er das Wasser fliesen. Die Vögel zwitscherten über ihm und ein kleiner Spatz setzte sich auf die Kante des Bootes, in dem Merry saß und legte den Kopf schief, als würde auch er auf ihn warten. Frodo seufzte erneut, holte dann aber tief Luft und kletterte in das Boot hinein. Der Spatz flog davon und Merry grinste von einem Ohr zum anderen.
"Das wäre geschafft", verkündete er freudig. "Wie fühlst du dich?"
Frodo saß völlig verkrampft da, rang sich jedoch ein Lächeln ab. "Seltsam."
"Das wird sich ändern, sobald wir im Wasser sind", meinte Merry mit versicherndem Ton.
Frodo krallte sich sofort an beiden Seiten des Bootes fest und starrte Merry entgeistert an. Dieser grinste. "Keine Sorge, ohne dich komme ich nicht bis ins Wasser. Du wirst noch einmal heraus kommen und mir helfen müssen."
Frodo entspannte sich ein wenig, bat aber, noch ein Weilchen sitzen bleiben zu dürfen, um sich an das Gefühl zu gewöhnen, wie er sagte. Merry bemerkte, wie die Falten auf seiner Stirn langsam verschwanden und ein zufriedenes Grinsen huschte über sein Gesicht. Er hatte gewusst, dass er Frodo dazu bringen konnte, in ein Boot zu steigen, auch wenn es etwas länger dauerte, als ihm lieb war.

Schließlich jedoch stand Frodo auf und half Merry dabei, das Boot in den Fluss zu schieben. Sie waren noch nicht sehr tief im Wasser, als Frodo wieder in das Boot klettert, während Merry es noch etwas weiter hinaus stieß, ehe auch er wieder hinein sprang. Das Boot schaukelte gefährlich, und Frodo krallte sich entsetzt an dessen Rand fest.
"Merry, …", stotterte er ängstlich. "Merry, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee war. Lass uns wieder zurückgehen!" Er klammerte sich fester an das Holz, während das Boot noch immer ein wenig schaukelte, da Merry bereits nach einem Ruder gegriffen hatte.
"Es schaukelt zu sehr, lass uns umdrehen."
Merry seufzte und verharrte regungslos. Wenn er in Frodos ängstliches Gesicht sah und seine flache Atmung hörte, glaubte er nicht daran, dass er heute noch würde fischen können.
"Das Boot ist nicht dein Feind", erklärte Merry ruhig. "Entspann dich, es wird sich gleich wieder beruhigen."
Frodo erstarrte förmlich, doch die Unsicherheit wich nicht aus seinem Blick, als seine Augen von einer Seite zur anderen wanderten. Seine Fingerknöchel waren weiß geworden und Merry konnte sehen, dass er gegen ein Zittern ankämpfte.
Das Boot hörte schließlich auf zu schwanken, was auch dazu führte, dass sich Frodo sichtlich beruhigte.
"Kann es weiter gehen?", wollte Merry wissen.
Frodo schluckte, blickte sehnsüchtig zum Ufer hinüber, doch er nickte, was ein Lächeln auf Merrys Züge zauberte. Er konnte die Angst seines Vetters deutlich spüren, doch gleichzeitig bewunderte er seinen Mut und es rührte ihn, dass Frodo ihm so sehr vertraute und, trotz seiner Furcht, bei ihm sitzen blieb.

Schwungvoll tauchte Merry das Ruder ins Wasser und trieb das Boot flussabwärts. Frodo schwieg. Seine Hände klammerten sich weiterhin krampfhaft am Rand des Bootes fest, doch ansonsten machte er einen ruhigen Eindruck. Mit der Zeit begann Merry sich jedoch zu fragen, ob er diesem Eindruck auch trauen konnte.
"Frodo?", fragte er zögernd.
Der Angesprochene wandte sich langsam und vollkommen verkrampft zu ihm um. Der Eindruck hatte eindeutig getäuscht, denn Merry entging der sehnsüchtige Blick, den Frodo dabei dem Ufer zuwarf, nicht.
Er unterdrückte ein Seufzen. "Wovor hast du Angst? Das Boot ist ruhig, der Fluss auch. Wenn wir die Fähre benutzen, fürchtest du dich auch nicht."
Frodo hob verwundert den Kopf. Merry hatte Recht. Im Grunde war das hier nichts anderes, als mit der Fähre den Fluss zu überqueren, nur, dass sie ihn dieses Mal nicht überquerten, sondern mit der Strömung trieben.
"Du hast Recht", sagte er schließlich zögernd und ein gequältes Lächeln huschte über seine Züge.
Zaghaft ließ er seine Hände auf seinen Schoß sinken und als er nach einiger Zeit bemerkte, dass wirklich kein Unterschied zwischen der Bootsfahrt und der Fähre bestand, entspannte er sich zusehends.
Merry atmete erleichtert auf und lachte. "Siehst du, es ist halb so schlimm."
Frodo grinste verlegen und nickte schwach. Er kam sich ein wenig dumm vor, für sein Verhalten und doch konnte er die Angst, die ihm noch immer im Nacken saß, nicht leugnen. Merry warf jubelnd die Hände in die Luft, brachte das Boot dadurch zum schwanken. Blitzschnell hatte Frodo sich wieder festgeklammert.
"Merry!" fuhr er ihn erschrocken an.
Sein Vetter lächelte verlegen und griff wieder nach dem Ruder. "Entschuldige."



~*~*~



Der Tag verging schnell, als die Hobbits endlich einen geeigneten Anglerplatz gefunden hatten. Der Wind strich sacht über das Wasser, die Vögel zwitscherten in den Bäumen am Ufer. Es war ein warmer Nachmittag und beide Hobbits hatten ihre Ärmel zurückgekrempelt und die obersten Knöpfe ihrer Hemden geöffnet.
Frodo hatte mehr Glück, als Merry. Er hatte bereits drei Frische gefangen, als Merry seinen ersten, einen noch recht jungen und dementsprechend kleinen Barsch, aus dem Wasser zog. Vorsichtig löste Merry den Angelhaken, denn er wollte sich nicht am Dorn, der sich am Ende der Kiemendeckel des Tieres befand, stechen. Der Barsch wand sich und zappelte, doch schließlich gelang es Merry, den Haken zu lösen und er warf den Fisch in den Eimer, in dem auch Frodos Fische lagen. Rasch griff er nach einer Made, spießte sie auf den Haken und ließ die Schnur dann schwungvoll wieder ins Wasser fallen.
"Ich werde dich einholen", versicherte Merry. "Einen habe ich schon."
Frodo nickte nur, verharrte dann bewegungslos, ehe er langsam die Schnur um den Ast wickelte und ebenfalls einen grün glänzenden Barsch aus dem Wasser zog, der deutlich größer war, als jener, den Merry gefangen hatte.
Er grinste. "Ich bin bei vier. Wenn du mich einholen willst, musst du dich anstrengen, werter Vetter."
"Das ist ungerecht!" grummelte Merry und wandte sich zu ihm um. "Ich hatte immer geglaubt, du könntest nicht fischen."
Frodo zog verwundert eine Augenbraue hoch. "Weshalb?"
"Erinnerst du dich noch daran, wie ich dir einmal die Brandybock-Sonder-Fischfang-Position beibringen wollte?", fragte Merry.
Frodo brach in schallendes Gelächter aus, als er sich daran erinnerte, wie Merry versucht hatte, mit bloßer Hand Fische zu fangen und dabei ständig der Länge nach, im Wasser gelandet war.
"Wie könnte ich das vergessen?"
"Du hast damals gesagt, dass du deine eigene Methode hast, Fische zu fangen, nämlich, sie dir auf dem Markt frisch verkaufen zu lassen", murmelte Merry.
"Und du hast daraus geschlossen, dass ich in meinem Leben noch nie einen Fisch gefangen habe?", beendete Frodo Merrys Gedankengang.
Der Hobbit nickte.
Frodo grinste. "Dann muss ich dich enttäuschen, mein lieber Vetter."
"Das sehe ich", meinte Merry trocken.
"Ich habe es vor langer Zeit von meinem Vater gelernt", erklärte Frodo. "Er war es, der mich die nötige Geduld und Ruhe lehrte. ‚Können oder eine ordentliche Angelrute sind halb so wichtig', hat er immer gesagt, ‚Mit Geduld, Ruhe und dem richtigen Köder, hast du die Fische schon so gut wie gefangen.'"
Frodo hatte den Blick auf das Wasser gerichtet und seufzte leise. "Das letzte Mal war ich mit ihm angeln. Mama hat uns damals begleitet, das heißt, ohne sie wären wir vermutlich nie zum Fischen gekommen, denn weder Papa, noch ich, konnten mit einem Boot umgehen."
Merry kicherte, als auch über Frodos Gesicht ein Lächeln huschte.
"Es ist so lange her", murmelte er kaum hörbar.
"Dann wurde es höchste Zeit!" meinte Merry und lächelte ihm zu.
Frodo nickte und sah Merry aus traurigen und doch strahlenden Augen an. Der Wind blies ihnen sanft in die Haare und spielte mit den zerzausten Locken.



~*~*~



Die Sonne ging bereits unter, als die Hobbits die Anlegestelle erreichten und das Boot aus dem Wasser zogen. In der Ferne grollte Donner. Frodo und Merry hoben überrascht die Köpfe und blickten nach Osten, von wo das Gewitter zu kommen schien. Merimacs dunkle Gestalt hob sich am Horizont ab, als sie den Hang hinauf blickten. Er rief nach ihnen, verlangte, dass einer von ihnen mit ihm kam und dabei half, das restliche Heu einzuholen, ehe es zu regnen begann.
Frodo und Merry sahen einander fragend an, bis Frodo schließlich das Wort ergriff. "Geh du. Ich werde das Boot vertäuen und anschließend treffen wir uns bei den Ställen."
Merry nickte, meinte noch, dass es bestimmt nicht lange dauern werde und rannte dann den Hang hinauf.
"Ich werde dennoch schneller sein!" rief ihm Frodo lachend hinterher.
Sein Vetter stolperte rückwärts, als er sich noch einmal zu ihm umwandte. "Das werden wir noch sehen!"

Frodo schüttelte den Kopf, als er sich daran machte, das Boot zu vertäuen. Der Wind blies nun kräftiger, doch war die Luft noch immer warm und Frodo schwitzte, obschon er die Ärmel seines Hemdes zurückgekrempelt hatte. Als er seine Arbeit beendet hatte, warf er noch einen letzten Blick in den Eimer mit den Ködern. Sie hatten noch mehr Erde hineingeworfen, um sicher zu gehen, dass die Tiere auch am nächsten Tag noch lebten, denn sie hatten sich fest vorgenommen, erneut fischen zu gehen. Acht Fische hatten sie gefangen und in einen Eimer gelegt. Diesen hob Frodo nun auf und stapfte den Hang hinauf, während das Gras seine Füße kitzelte und der Wind ihm ins Gesicht blies. Oben angekommen stellte er den schweren Eimer kurz ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

"Auf diesen Augenblick habe ich schon lange gewartet."
Überrascht hob Frodo den Kopf, einen Ausdruck von Wut und Angst auf seinem Gesicht.





<< Back

Next >>

Leave Review
Home     Search     Chapter List