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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 31: Beobachtung mit Hindernissen



Mit großen Augen sah Frodo auf die Hobbithöhle vor sich, dann zu Esmeralda. Einerseits freute er sich, anderseits überkam ihn ein mulmiges Gefühl. Er ging von einer überfüllten Hobbithöhle in die nächste. Die Großen Smials, eine der größten Höhlen im ganzen Auenland, wenn nicht sogar die Größte. Sie war seit jeher Sitz des Thains gewesen und nicht selten waren in ihren geräumigen Hallen wichtige Entscheidungen getroffen worden - das hatte er zumindest gelesen. Das letzte Mal war er vor sechs Jahren hier gewesen, vor einer Ewigkeit, wie ihm schien. Er seufzte bei der Erinnerung daran.
Ein Wind kam auf, als ein Hobbit aus den Smials nach den Zügeln des Ponywagens, mit dem sie gekommen waren, griff und das Tier sich wiehernd in Bewegung setzte. Frodo fröstelte und wickelte seinen Umhang enger um sich. Der Winter kam, langsam und heimlich. Frodo spürte es. Der Wind wehte selbst am späten Nachmittag so frisch, wie er es an einem tauigen Morgen tat.

Pippin hatte ihn gebeten, ihn besuchen zu kommen. In den letzten Tagen des Halimath war er wieder nach Bockland gekommen und hatte ihn zu sich nach Hause eingeladen, wie er es mit Merry ein halbes Jahr zuvor getan hatte. Frodo hatte erfreut zugesagt. Die Großen Smials, Ferien bei Pippin. Das konnte nur eine viel versprechende Zeit werden.
Dennoch schien seine Freude in diesem Moment verflogen. Früh schon war er mit Esmeralda aufgebrochen. Vielleicht war es zu früh gewesen und es war nur die Müdigkeit, die ihn sich unwohl fühlen ließ. Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.
Er fröstelte erneut.

"Kommst du, Frodo, oder begnügst du dich damit, die Höhle anzusehen?"
Frodo sah erschrocken auf. Esmeralda war bereits einige Schritte voraus gelaufen. Er rannte ihr nach, ging schließlich neben ihr her.
"Du siehst betrübt aus", stellte sie fest, die Augen fragend auf ihm ruhend.
Frodo sah zu ihr auf. "Ich bin müde, das ist alles."
Sie nickte mitfühlend und legte ihre Hand auf seinen Rücken.
Gerade als Esmeralda an die große, runde Türe klopfen wollte, öffnete sich diese und Paladin begrüßte sie voller Freude. Ein warmer Lichtschein drang nach draußen und Frodo wurde vom Duft von Holz und frisch gebackenem Kuchen willkommen geheißen. Er sehnte sich danach, endlich ins Warme zu kommen und hoffte, Paladin würde sich bei seiner Begrüßung kurz fassen, als er erkannte, wie Pippin sich grummelnd zwischen den Beinen seines Vaters hindurchzwängte.
"Frodo!" rief er erfreut, als er endlich ins Freie stolperte und fiel ihm um den Hals. "Wie schön, dich zu sehen!"
Frodo drückte ihn an sich und lächelte. "Es ist auch schön dich wieder zu sehen, Pip, auch wenn unser letztes Treffen erst einen Monat zurückliegt."
Pippin nickte. "Ich kann mich allerdings nur an einen Besuch von dir in Buckelstadt erinnern, und der muss schon so lange zurückliegen, dass ich ihn schon fast vergessen habe. Komm mit, ich zeige dir alles."
Mit diesen Worten ergriff Pippin seine Hand und zog ihn, an seinem Vater vorbei, ins Innere der Höhle. Sofort durchströmte ihn die Wärme unzähliger Kerzen, Lampen und Kaminfeuer. Frodo ließ seinen Blick neugierig durch die hell erleuchteten Gänge wandern. Die Großen Smials waren ganz anders aufgebaut, als das Brandyschloss. Von der großen Eingangshalle gingen drei Hauptgänge weg, einer nach Osten, einer nach Westen und einer nach Süden. Von ihnen zweigten weitere, kleinere Gänge ab.
Ein Lächeln glitt über Frodos Lippen, als er sich seines Umhangs und des Mantels entledigte. Er wollte gerade nach einem freien Haken sehen, als Pippin ihm die Sachen abnahm, sie seinem Vater in die Hände drückte und ihn dann mit sich in den westlichen Gang zog, sodass Frodo nur noch einen kurzen vergnügten Blick zurückwerfen konnte. Es war bestimmt nur die Müdigkeit. Er würde hier zweifelsohne eine schöne Zeit verbringen.



~*~*~



"Und das ist das Zimmer von Pimpernel und Petunia", verkündete Pippin und öffnete eine weitere Türe. Sie hatten gerade erst begonnen, die westlichen Gänge auszukundschaften, doch Pippin war bereits völlig in seinem Element. Mit einem Grinsen, das von einem Ohr zum anderen reichte, öffnete er jede Tür und gewährte Frodo Einblick in so gut wie alle Zimmer. Auf nichts ahnende Bewohner waren sie bisher nicht getroffen, doch als sich die Türe in das Zimmer von Pippins jüngsten Schwestern öffnete, durften sie belauschen, wie Pimpernel der Jüngeren das Geheimnis ihres ersten Kusses anvertraute. Als diese jedoch das Scharnier krächzend protestierten hörte, sprang der frischgebackene Tween entrüstet auf, während Petunia, ein aufgeregtes Glitzern in den Augen, sich verwundert zu ihnen umwandte.
"Pippin! Raus hier!" schimpfte sie wutentbrannt und eine Sekunde später war die Tür krachend zurück ins Schloss gefallen.
"Sie ist sehr launisch", meinte Pippin knapp und sachlich, ehe er sich von der Türe abwandte.
Frodo warf seinem Vetter einen vielsagenden Blick zu, kicherte und folgte dann kopfschüttelnd dem jüngeren Hobbit, der inzwischen zur gegenüberliegenden Tür gegangen war.
"Und hier drüben", fuhr Pippin mit völlig ernstem Gesichtsausdruck fort, doch weiter kam er nicht, denn Heiderose, seine Mutter, kam den Gang entlang und unterbrach ihn.
"Was machst du da, Peregrin?"
"Ich führe Frodo herum", erklärte dieser stolz. "Schließlich muss er sich hier auskennen."
"Ich denke nicht, dass die Zimmer deiner Schwestern zu den Bereichen gehören, in denen er sich zurechtfinden muss", entgegnete Heiderose und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, zu den Wohnräumen zu gehen.
"Natürlich muss er das", protestierte Pippin. "Er muss wissen, wohin er nicht gehen darf." Er wandte sich ernst an seinen Vetter: "Frodo, die Räume, die ich dir bis jetzt gezeigt habe, darfst du niemals betreten. Es sei denn, du willst Ärger."
Frodo versuchte ebenfalls eine ernsthafte Miene zu bewahren, als er zustimmend nickte, hatte aber große Schwierigkeiten damit. Heiderose schüttelte den Kopf und schickte die beiden weg, die, kaum hatten sie ihr den Rücken zugedreht, laut losprusteten.

Bald darauf saßen sie im Esszimmer. An einer langen Tafel versammelten sich die Bewohner der Smials, während fünf Küchenmädchen etliche leckere Speisen auftischten, angefangen von Kartoffeln, bis hin zu Schweinsbraten. Obwohl Frodo von den neuen Eindrücken noch ein wenig überwältigt war, war es doch schon lange her, dass er das letzte Mal hier gewesen war, langte er kräftig zu. Ihm war der Platz neben seinem Vetter zugewiesen worden und von dort aus ließ er seine Augen selbst während des Essens immer wieder über die edlen Wandlampen und Gemälde gleiten. Links und rechts der Tafel waren mit Kohle gemalte Bilder der vergangenen Familienoberhäupter der Tuks angebracht worden. Hier war ein Bild von Ferumbras Tuk, dort eines von seinem Vater Fortinbras und sogar eines von seiner Mutter Lalia Tuk, die die Familie für einige Jahre unter ihrem Regiment geführt hatte. Frodo gegenüber, über dem Kamin, der dem Raum die nötige Wärme schenkte, hing das Bild von Gerontius, dem Alten Tuk. Die dunklen Augen des alten Mannes schienen ihn zu beobachten und Frodo wandte rasch den Blick ab und spießte eine weitere Kartoffel auf.

Seine anfängliche Müdigkeit war verflogen und kehrte erst zurück, als er Stunden später in Pippins Zimmer auf dessen Bett saß. Inzwischen war es Nacht geworden und nur eine Kerze bewahrte ihn und seinen Vetter vor vollkommener Dunkelheit. Erschöpft ließ Frodo den Kopf in Pippins Kissen fallen. Peregrin saß neben ihm auf dem Bett, betrachtete ihn mit einem Lächeln. Nur ein Teil seines Gesichtes wurde von der Flamme erhellt, doch Frodo konnte sehen, dass sein Vetter glücklich war und das erfreute ihn, war er doch nun, da die anfänglichen Zweifel vergessen waren, ebenso froh, hier zu sein.
"Du siehst müde aus", ließ ihn der junge Tuk wissen. "Du kannst mein Bett haben und ich warte auf die Matratze, die Papa eigentlich schon vor langer Zeit hier herein hätte bringen sollen."
Frodo schüttelte den Kopf. "Nein, Pip. Solange kann ich noch warten."
Ein Gähnen, das er verzweifelt zu unterdrücken suchte, nahm seinen Worten die nötige Glaubhaftigkeit.
"O nein, du wartest nicht mehr!" meinte Pippin entschlossen und hatte schon die Decke griffbereit, um Frodo damit zuzudecken.
"Pippin!" beschwerte sich dieser, doch er war zu müde, um noch länger zu protestieren und erlaubte seinem Vetter schließlich, ihn warm einzupacken, ehe dieser selbst in das Bett kletterte und sich mit einem breiten Grinsen im Gesicht, hinter ihm hinlegte.
"Du schläfst und ich warte", wiederholte er noch einmal und legte eine Hand auf Frodos Augen, die bemüht waren, nicht zuzufallen. Frodo nickte schwach, konnte sich dann, warm eingepackt und mit halbgeschlossenen Lidern, des Schlafes nicht länger erwehren und gab sich ihm hin.

Frodo bemerkte kaum, wie die Tage vergingen, bis Esmeralda schließlich kundtat, dass sie sich am folgenden Morgen verabschieden wollte. Sie war gekommen, um ihren Bruder zu besuchen, doch obwohl sie sich in den Smials Zuhause fühlte, sehnte sie sich doch nach ihrem Gatten und ihrem Sohn. Esmeralda mochte zwar im Herzen eine Tuk bleiben, doch seit sie Saradocs Frau geworden war, hatte sie sich dem Bockland geöffnet und sowohl dessen Bewohner, als auch das Land lieben gelernt und sie war glücklich dort.
Frodo machte ihre Abreise wenig aus, denn er sollte noch bis Jul, oder gar länger, in Tukland bleiben. In den zwei Wochen, die er inzwischen hier verbracht hatte, hatte er sich eingelebt. Das Zimmer, das er sich mit Pippin teilte, hatte etwa die Größe seines eigenen und mit der zusätzlichen Matratze konnte es beizeiten recht eng werden. Es war gleich neben jenem von Petunia und Pimpernel gelegen und auch wenn die beiden Mädchen kein Wort darüber verloren hatten, glaube Frodo, dass sie Pippin das nicht ganz ungewollte Eindringen bei seiner Ankunft verziehen hatten. Ebenso, wie sein eigenes Zimmer, verfügte auch das von Pippin über ein kleines, kreisrundes Fenster, das den Raum hell und freundlich wirken ließ.
Frodo genoss es, bei seinem Vetter zu sein, hatte sich inzwischen sogar schon an die Streitereien, die beizeiten zwischen den Schwestern und ihrem jüngeren Bruder tobten, gewohnt. Manchmal konnte er die älteren Mädchen nicht verstehen und es schien ihm, als würde einzig Petunia, die so alt war, wie er, Pippins Späße auch als solche begreifen. Pimpernel und Perle waren wohl zu alt dafür, auch wenn letztere häufiger dafür Verständnis aufbrachte, als Nel, die wohl wirklich so launisch war, wie Pippin sie ihm geschildert hatte.

"Aufstehen!"
Die Aufforderung drang kaum zu ihm durch und erst als ihn ein Kissen am Kopf traf, wurde ihm klar, dass die Worte nicht nur einem Traum entsprungen waren. Seine Finger tasteten nach der Decke und er stöhnte missmutig, als er sich darin noch einmal zusammenrollte, in der Hoffnung, die fordernde Stimme möge verschwinden.
"Komm schon, du Schlafmütze von einem Hobbit!"
Blitzschnell wurde er seiner Decke beraubt und die frische Morgenluft, die stattdessen über seinen Körper kroch, machte ihn frösteln und er versuchte, sich noch kleiner zusammenzurollen. Um seinem Missfallen Ausdruck zu verleihen, stöhnte er erneut, doch schien das dem Störenfried nichts auszumachen. Hände legten sich auf seinen Rücken und erst jetzt konnte Frodo sich dazu durchringen, müde zu blinzeln. In eben jenem Moment setzte Pippin all seine Kraft ein, um ihn von der Matratze zu rollen und Frodo war zu langsam, dies zu verhindern.
"Muss das am frühen Morgen sein?!" grummelte er verschlafen und rieb sich die Augen, nachdem er sich gemächlich aufgerichtet hatte.
Pippin grinste unschuldig, wirkte jedoch ausgesprochen zufrieden mit sich selbst. "Es mag vielleicht Morgen sein, aber früh ist es keineswegs, Vetter."
Frodo warf dem jüngeren Hobbit einen vielsagenden Blick zu, kroch zurück auf die Matratze und entriss Pippin seine Decke, um sich wieder in deren wohliger Wärme einzukuscheln.
Der junge Tuk sah ihn einen Augenblick betrübt an, legte sich dann jedoch neben die Matratze, sodass er auf Augenhöhe mit Frodo war und grinste zufrieden in sich hinein, als dieser ein Auge öffnete, um ihn zu beobachten.
"Hilfst du mir, etwas herauszufinden?", fragte er hoffnungsvoll.
"Herausfinden? Was?" Frodo wirkte skeptisch und nicht sonderlich interessiert.
Genau auf diese Frage hatte Pippin gewartet und sein Grinsen wurde noch breiter, als er tief Luft holte und dann in einem Atemzug zu sprechen begann.
"Ich habe gehört, dass Hildibrand meine Schwester Perle geküsst haben soll. Allerdings heißt es, dass Hildibrand bereits mit Asphodel verlobt ist und ich muss jetzt herausbekommen, welche dieser beiden Aussagen richtig ist. Wären nämlich beide wahr, wäre das ein Skandal, sollte aber..."
"Schon gut, schon gut!" bremste Frodo Pippins Redeschwall und richtete sich schließlich auf, noch immer bis über beide Ohren zugedeckt. "Du wirst ohnehin keine Ruhe geben, bevor ich nicht einwillige dir zu helfen, also bleibt mir gar nichts anderes übrig."
Er streckte sich, um seine müden Glieder aufzuwecken, als ihm Pippin stürmisch um den Hals fiel. Beinahe wäre er erneut von der Matratze gefallen, doch war er inzwischen wach genug, um dies zu verhindern und schob stattdessen Pippin von sich weg, um an seine Sachen zu kommen und sich anzuziehen.
"Beeil dich", hetzte Pippin. "Wir müssen uns sofort auf die Suche nach der Wahrheit begeben."
"Und was ist mit dem Frühstück?", begehrte Frodo zu wissen.
"Das hatte ich bereits", entgegnete Pippin frech.
Frodo sah seinen Vetter entgeistert an. Sein Blick sprach Bände. Für einen Augenblick huschte ein Grinsen über Pippins Gesicht, doch verschwand dieses ebenso schnell, wie es gekommen war, als er schließlich mit ernstem Ton verkündete: "Ich werde eine Ausnahme machen. Ich bin hungrig genug für ein zweites Frühstück, also denke ich, dass ich dir ein erstes erlauben kann."
Frodo stimmte dem stirnrunzelnd zu. Sein Vetter konnte nicht erwarten, ihn seines Schlafes und seines Frühstückes berauben zu können. Schweigend knöpfte er sich sein Hemd zu, schlüpfte schließlich in seine Hose, ehe er, für Pippin völlig unerwartet, die Decke nahm, sie um seinen Vetter wickelte und den jüngeren Hobbit, der inzwischen ebenfalls wieder auf die Beine gekommen war, auf die Matratze warf.
Pippin kicherte vergnügt, sah ihn aber dann vollkommen entrüstet an und schimpfte: "Was machst du da? Wir haben keine Zeit für Blödeleien! Geh frühstücken!"
Frodo schüttelte kichernd den Kopf, ließ sich das aber nicht zwei Mal sagen und, nach einem letzten Blick auf seinen Vetter, der verzweifelt versuchte, wieder unter der Decke hervor zu kriechen, stürmte er aus dem Zimmer.

Perle trat überrascht einen Schritt zur Seite, als der junge Hobbit aus dem Zimmer ihres Bruders gerannt kam. Dieser schien nicht weniger erschrocken, über ihre Anwesenheit, doch begrüßte er sie übermütig, als er sie erkannte und deutete eine kleine Verbeugung an.
"Wie geht es Hildibrand?", fragte er mit einem frechen Grinsen.
Perle runzelte die Stirn und betrachtete ihn kritisch. "Hildibrand?"
Doch Frodo konnte ihr nicht mehr antworten, denn Pippin erschien plötzlich hinter dem Jungen und zerrte ihn mit einem Ruck von ihr weg. Kichernd und stolpernd eilten sie den Gang entlang, wobei beide immer wieder wissende Blicke zurückwarfen. Perle runzelte verwunderte die Stirn und schüttelte den Kopf.

"Du gehst das vollkommen falsch an!" erklärte Pippin, als sie schließlich beim Frühstück saßen. "Du darfst nicht fragen, du musst beobachten. Fragen schöpfen Verdacht, wogegen Beobachtung nicht auffällt, wenn du es geschickt anstellst."
Frodo nickte. Er hegte keinen Zweifel daran, dass Pippin sich äußerst geschickt anstellte, wenn es um Beobachtungen ging. All die Gerüchte, die sein Vetter immer bestätigen oder widerlegen konnte, ließen auf nichts anderes schließen. Außerdem hatte er ihn in den vergangenen Wochen oft genug selbst beobachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass Pippin in Sachen Heimlichkeiten ein Meister war.

Bald darauf schlich Frodo hinter Pippin auf den Heuboden. Von dort, so meinte zumindest Pippin, hätten sie die perfekte Aussicht. Sie hatten sich ihre Umhänge umgebunden und waren heimlich zu den Ställen geschlichen, wo Hildibrand den ganzen Tag mit der Versorgung der Tiere beschäftigt sein würde. Zumindest Pippin war davon überzeugt und er war der Ansicht, dass sie ihn hier ungestört beobachten und jedes Mädchen sofort erkennen konnten, das in seine Nähe kam. Frodo war Pippins Vorgehensweise ein wenig fragwürdig und er fühlte sich nicht wirklich wohl dabei, einen fremden Hobbit, der noch dazu doppelt so alt war, wie er selbst, zu beobachten, doch Pippin war davon nicht abzubringen und so sagte Frodo nichts, um zu vermeiden, dass sein Vetter ihm den ganzen Tag damit auf die Nerven ging.

Lange Zeit lagen sie schweigend im Heu, ließen ihre Blicke über die Ponyboxen wandern, in denen der ältere Hobbit sein Tagewerk verrichtete, doch nicht ein einziges Mal erhielt Hildibrand Damenbesuch oder verhielt sich auffällig. Staub wirbelte in der Luft herum und kitzelte Frodo in der Nase, bis er ein Niesen nur mehr mit Mühe hatte zurückhalten können. Das Heu stach ihn durch sein Hemd und nicht selten hatte er eine Spinne von seinen oder Pippins Armen wischen müssen. Dem jungen Tuk schien das nichts auszumachen, doch Frodo wurde es bald zu langweilig und ungemütlich.
"Pip, es passiert nichts", seufzte er und rollte sich auf den Rücken.
"Das wird es aber!" versicherte Pippin und rutschte ein Stückchen weiter nach vor, da Hildibrand in dem kleinen Raum unter ihnen verschwunden war.
"Was lässt dich da so sicher sein? Du hast sie ja nicht einmal zusammen gesehen. Vielleicht waren deine Informationen falsch. Früh am Morgen hört man die interessantesten Geschichten. Wer immer es dir gesagt hat, hat es vielleicht nur geträumt", erklärte Frodo genervt.
Pippin sah ihn beleidigt an. "Das glaube ich nicht."
"Glaub was du willst, aber ich gehe jetzt. Hier draußen ist es mir zu kalt."
Mit diesen Worten erhob er sich und ging zur Leiter. Er saß zwar gerne im Heu, doch auch hier oben blieb der nahende Winter nicht unbemerkt und obschon er nicht fror, konnte er sich vorstellen, dass es am Kamin im Gesellschaftszimmer sehr viel gemütlicher war.
"Warte!" Pippin sprang zu ihm, griff nach seinem Ärmel. "Nur noch ein Weilchen?"
Frodo ließ die Schultern hängen, sah seinen Vetter viel sagend an, fest entschlossen, nicht nachzugeben. Doch Pippins bittende Augen, die kleinen Grübchen an seinem Kinn und die, zu einem Schmollmund verzogenen Lippen, ließen sein Herz weich werden und, trotz geringer Begeisterung, ging er zum Rand des Heubodens zurück, um es sich dort wieder gemütlich zu machen. Pippin lächelte vergnügt und Frodo bereute seine Tat bereits, doch schließlich war es nur noch für ein Weilchen.

Pippin lehnte sich gefährlich weit über den Rand, weiterhin bemüht, einen Blick auf Hildibrand zu erhaschen, der noch nicht wieder aus dem kleinen Raum hervorgekommen war. War vielleicht schon jemand bei ihm, ohne, dass sie es bemerkt hatten?
"Willst du die Hälfte?"
Überrascht sah er auf. Frodo hatte seinen Umhang um sich geschlungen und einen Keks aus seiner Hosentasche gezaubert, den er zuvor aus der Küche hatte mitgehen lassen. Pippin nickte eifrig, setzte sich auf und nahm die Hälfte des Kekses dankend an.
"Was macht ihr beide denn hier oben?"
Die Hobbits fuhren erschrocken herum. Plötzlich ging alles ganz schnell. Pippin rutschte mit seiner Hand ab, verlor das Gleichgewicht. Mit einem Aufschrei griff er nach Frodos Umhang, als er zur Seite kippte und vom Heuboden rutschte. Frodo wurde mit ihm gerissen, war aber nicht so nahe an der Kante, als dass er auch hätte hinunterfallen können. Seine Hand schnellte durch die Luft und packte Pippin am Handgelenk. Er rutschte nach vorne, rief ängstlich Pippins Namen. Frodos Griff war kein sicherer und er spürte bereits, wie Pippins Hand abrutschte. Der junge Hobbit drohte zu fallen. Pippins Augen starrten ihn an, groß und furchtsam und für den Bruchteil einer Sekunde fragte Frodo sich, weshalb er nicht schrie, als ihn plötzlich jemand an der Schulter packte und ihn zurückzog, während eine andere starke Hand nach Pippins Arm griff. Frodo wollte seinen Vetter nicht loslassen, doch dann rutschten seine Finger ab, bis sie nur noch mit jenen seines Vetters verfangen waren.
"Geh!" donnerte eine tiefe Stimme, die Frodo schließlich davon überzeugte, dass Pippin in guten Händen war. Dennoch kroch er nur widerwillig zur Seite, ohne seine Augen von der kräftigen Gestalt zu nehmen, die Pippin nach oben zog.
Zitternd und mit Tränen der Angst in den Augen, kroch Pippin zu ihm und vergrub den Kopf in seinem Schoß. Tröstend strich Frodo durch die braunen Locken, versuchte dadurch nicht nur seinen Vetter, sondern auch sich selbst zu beruhigen. Sein Herz raste und der Schreck saß ihm tief in den Knochen.

"Ist alles in Ordnung?", fragte der Hobbit besorgt, den Frodo erst jetzt als Hildibrand erkannte. Mit großen, erschrockenen Augen sah er zu dem Tween auf, nickte, für den Augenblick unfähig, Worte zu formen.
Mit zitternden Fingern strich er über Pippins Hand, die sich an seinem Umhang festgeklammert hatte, während die Finger seiner anderen Hand noch immer durch die weichen Locken kämmten. Nur langsam wurde ihm klar, was soeben geschehen war. Pippin wäre beinahe gefallen und er selbst auch, wäre nicht Hildibrand...
Er zuckte zusammen, als Hildibrand ihm eine Hand auf die Schulter legte.
"Ihr hattet großes Glück", sagte er. "Was macht ihr überhaupt hier oben?"
"Nichts", murmelte Pippin rasch, der sich wieder etwas erholt hatte und zögernd aufblickte. Er schniefte, wischte sich die Tränen aus den Augen, war jedoch noch nicht gewillt, sich aus Frodos Umarmung zu lösen.

Schließlich half Hildibrand ihnen wieder auf die Beine, führte sie durch die Stalltür, die immer in ihrem Blickfeld gewesen war, zurück nach draußen. Kalt wehte ihnen der Wind ins Gesicht, als sie zum Tukhang gingen, in dessen Bauch die Großen Smials eingegraben waren.
Als hätte sie ihr Kommen erwartet, stand Heiderose in der Eingangshalle. Pippin fiel sofort in ihre Arme, der Schrecken, für einen Augenblick vergessen, beim Anblick seiner Mutter erneut erwacht.
Verwirrt sah Heiderose zu Hildibrand, der ihr in kurzen Worten erklärte, was geschehen war. Mit Entsetzen in den Augen schloss sie ihre Arme fester um ihren Sohn, zog auch Frodo zu sich, um ihn zu trösten.
"Was hattet ihr denn dort oben zu suchen?", fragte sie besorgt.
Die Kinder tauschten einen kurzen Blick, doch keiner der beiden antwortete. Auch als Paladin Stunden später noch einmal dieselbe Frage stellte, antworteten sie nicht. Beiden erschien ihr Grund viel zu peinlich und vor allem Pippin wollte ihn nicht nennen, nach allem, was Hildibrand für ihn getan hatte. Das Rätsel um ihn und Perle sollte noch länger ungelöst bleiben.

Die Tage vergingen und Pippin wachte jeden Morgen mit einer neuen verrückten Idee auf. Frodo hatte es bald aufgegeben, seinem Vetter diese wieder auszureden, denn auch wenn Pippin jünger war, als er, schaffte es dieser immer wieder, ihn zu überreden, denn schließlich war es um Frodos Sinn für dumme Ideen nicht weniger schlecht bestellt. Nicht selten mussten sie sich lange Vorträge von Paladin anhören, wenn sie erwischt worden waren, oder wurden auf ihr Zimmer geschickt, doch störte sie das wenig. So lange sie zusammen waren, hatten sie ihren Spaß.





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