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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 30: Tage, wie dieser




Inzwischen war es Wedmath geworden. Der Sommer war außergewöhnlich heiß und die Sonne brannte erbarmungslos auf die Bewohner Bocklands herab. Saradoc, der jeden Tag bedrückt zum Himmel blickte, machte sich große Sorgen um die Ernte, denn er fürchtete, dass diese verdorren konnte, sollte es nicht bald zu regnen beginnen. Solch heiße Monate waren im Auenland recht ungewöhnlich und nicht einmal die ältesten Großväterchen von Bockland bis zu den Fernen Höhen im Westen erinnerten sich an einen ähnlich heißen Sommer.
Die Kinder hatten unter der Hitze am Wenigsten zu leiden und verbrachten ihre Nachmittage am Fluss, wo sie an den Ufern des Brandyweins spielten oder sich im seichten Wasser abkühlten.
Auch Frodo war unter ihnen. Er mied es allerdings, weiter, als bis zu den Knien ins Wasser zu gehen, obschon er schwimmen konnte. Die anderen Kinder wussten zwar, dass seine Eltern ertrunken waren, verstanden aber seine Scheu vor dem Wasser nicht. Dennoch ließen sie ihn gewähren.

Am Nachmittag des 24. Wedmath war Frodo damit beschäftig, die Stallungen der Ponys auszumisten. Es gehörte eigentlich nicht zu seinen Aufgaben, sich um die Tiere zu kümmern, doch er tat es gern, vor allem gemeinsam mit Merry, allerdings war dieser noch immer bei Pippin.
Erschöpft lehnte Frodo die Heugabel an die Wand und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
"Lass es gut sein, Frodo", meinte Marmadas. "Du hast mir genug geholfen. Geh ruhig zu den anderen und kühl dich ab."
Frodo nickte und rannte aus dem Stall. Draußen hoffte er, frische Luft schnappen zu können, doch er wurde enttäuscht. Die Luft war schwül und stickig und noch immer waren keine Regenwolken in Sicht.

Seufzend leckte er sich die trockenen Lippen und schlug den Weg zum Pumpbrunnen ein.
"Frodo, warte!"
Überrascht sah er sich um. Fredegar Bolger kam auf ihn zugerannt und machte keuchend vor ihm Halt. Das Hemd war dem jüngeren Hobbit aus der Hose gerutscht und dicke Schweißtropfen liefen über seine Wangen.
"Kommst du mit zum Fluss?", fragte er.
Frodo brauchte nicht lange zu überlegen. Bei dieser Hitze war selbst er gerne am Brandywein. Er nickte, ließ sich aber nicht davon abbringen, trotzdem zum Brunnen zu gehen und zog Fredegar mit sich.

Dort angekommen bat er Dick am Hebel zu ziehen, während er gierig vom kalten Wasser trank und sich immer wieder eine handvoll davon ins Gesicht spritzte. Als das kühle Nass dann über seinen Hals und seinen Nacken nach unten lief, atmete er erleichtert auf.
Fredegar, der ihn grinsend beobachtete, entschied schließlich, dass Frodo nun erfrischt genug war und hörte auf zu pumpen.
"Komm schon!" forderte er Frodo auf, packte ihn am Handgelenk und riss ihn blitzschnell vom Brunnen weg. Frodo wäre beinahe gestolpert, schaffte es aber gerade noch, das Gleichgewicht zu halten.

Am Fluss waren schon viele junge Hobbits versammelt. Frodo entdeckte seinen Vetter Marmadoc, die Geschwister Minto und Madoc, Viola und Rubinie Pausbacken und Estella Bolger. Unter ihnen konnte er jedoch auch Marroc erkennen, der den Steg für sich und seine Freunde gewonnen hatte und nun jeden böse anfunkelte, der es wagte, diesen zu betreten oder ihn gar dazu verwendete, ins Wasser zu springen. Zwar wollte Frodo sich nicht von ihm einschüchtern lassen, doch machte er trotzdem einen Bogen um ihn, um sich mit Fredegar unter einem der Bäume niederzulassen. Dick hielt von dieser Idee jedoch wenig, zog sofort sein Hemd aus und sprang in den Fluss.
Frodo zog erheitert eine Augenbraue hoch und beobachtete mit einem schiefen Grinsen, wie der jüngere Hobbit kurz untertauchte.
"Komm schon, Frodo!" rief Dick ihm zu. "Das Wasser ist herrlich!"

Zögernd öffnete Frodo die Knöpfe seines Hemdes, das er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte. Er war in den letzten Wochen oft ins Wasser gegangen, allerdings nie tiefer, als bis zu den Knien. Dennoch war es jedes Mal eine Überwindung gewesen und wenn ihn nicht die Hitze dazu getrieben hätte, hätte er wohl nur selten den nötigen Mut dazu aufgebracht.
"Wenn ich nahe am Ufer bleibe, kann nichts geschehen", versicherte er sich selbst.

"Lass ihn doch, Dick! Du weißt, dass er Angst vor dem Wasser hat!" meinte Marroc mit einem bösen Grinsen und warf Frodo einen nicht allzu freundlichen Blick zu.
Einige der Hobbits lachten, andere warfen Frodo verstohlene Blicke zu und flüsterten miteinander, während wieder andere nicht einmal Notiz davon nahmen.
Frodo verharrte einen Augenblick regungslos, die Finger krampfhaft um einen der Knöpfe geschlossen. Schließlich seufzte er. Er hätte wissen müssen, dass Marroc sich eine solche Gelegenheit nicht nehmen ließ. Die Tatsache, dass die anderen das auch noch lustig fanden, schmerzte ihn, doch er war es inzwischen gewohnt, dass ihm die meisten aus dem Weg gingen, oder hinter seinem Rücken tuschelten. Es störte ihn, manchmal mehr, manchmal weniger, doch er versuchte, sie nicht zu beachten.
Er warf Marroc einen wütenden Blick zu, während er auch die letzten Knöpfe öffnete. Fest entschlossen, zu zeigen, dass er nicht halb so ängstlich war, wie Marroc vielleicht glauben mochte, stürmte Frodo in den Brandywein, blieb aber dennoch stehen, sobald das Wasser seine Kniekehlen umspielte und tauchte nur die Hände in den Fluss, um so auch seine Arme mit dem kühlen Nass benetzen zu können.
Fredegar wusste, dass Frodo nicht ins tiefere Wasser kam, doch sollte das noch lange nicht heißen, dass dieser nicht ebenso viel Spaß haben konnte, wie er. Ohne Vorwarnung klatschte er die Hände in den Fluss und spritzte Frodo nass.
Dessen unsicherer Gesichtsausdruck wich sofort einem breiten Grinsen, als er zum Gegenschlag ausholte, nicht ohne das Gesicht von Dick abzuwenden, um kein Wasser in die Augen zu bekommen. Rasch ließ er seine Hände über die nun aufgeschreckte Oberfläche des Flusses sausen, in der Hoffnung, die größeren Tropfen zu erzeugen, als Fredegar. Frodo war so vergnügt und damit beschäftigt, Dick nass zu spritzen, dass er nicht mehr hörte, wie Marroc etwas von "kindischen Spielereien" murmelte.

Es war ein schöner Sommer und Frodo war so ausgelassen, wie schon lange nicht mehr. Alleine die Tatsache, dass er wieder in den Fluss ging, während noch andere dabei waren, war etwas Besonderes. Zwar war Merry noch immer nicht zurückgekehrt, doch Dick Bolger gab ihm genau die Aufmunterung, die er brauchte und Frodo glaubte, in ihm einen beinahe ebenso guten Freund gefunden zu haben, wie in seinem jüngeren Vetter.

Tropfnass, wie sie waren, ließen sich die jungen Hobbits schließlich, unter dem Schatten der Bäume, ins Gras fallen. Frodo legte die Hände hinter den Kopf und sah zum Himmel. Kein Wölkchen trübte das tiefe Blau und selbst die Luft schien stillzustehen. Seit Tagen hatte es nicht einmal gewittert.
"Ich wünschte, es würde regnen", sagte er nach einiger Zeit. "Diese Hitze ist kaum auszuhalten."
Fredegar grinste, betrachtete ihn verschmitzt aus den Augenwinkeln. "Mir scheint, du brauchst eine weiter Abkühlung."
Frodo schüttelte lachend den Kopf und strich sich eine nasse Strähne aus der Stirn.
"Ich denke, ich bin noch nass genug."

Frodo wollte gerade müde die Augen schließen, als lautes Gekreische ihn hochfahren ließ. Auch Fredegar setzte sich überrascht auf, sah sich verwundert um. Reginard rannte mit einem Eimer voller Wasser hinter seiner Schwester her, die schreiend vor ihm flüchtete, während Rubinie, Estella und Viola versuchten, ihn davon abzuhalten.
"Mädchen!" seufzten Frodo und Fredegar gleichzeitig. Sie tauschten einen kurzen, wissenden Blick, ehe sie schallend zu lachen begannen und sich wieder zurück ins Gras legten.
Die Sonne hatte seine Haut inzwischen getrocknet und Frodo überlegte sich, ob er Fredegars Vorschlag nicht doch folgen und erneut ins Wasser springen sollte. Er entschied sich dagegen, denn im Augenblick schien es ihm selbst zu heiß, um bis zum Fluss zu gehen und er blies sich stattdessen, mit geringem Erfolg, Luft ins Gesicht.
Als sich ihnen rasche Schritte näherten, öffnete Frodo seine Augen, schirmte sie gegen die Sonne ab und erkannte Estella, die sich wutentbrannt über sie gebeugt hatte. Ihr Schatten verdeckte auch die letzten Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch das dichte Blätterdach des Baumes gebahnt hatten, und Frodo hätte das Mädchen gerne einen Schritt weiter nach rechts gestellt, sodass ihr Schatten sein Gesicht bedeckt hätte. Estella machte jedoch nicht den Eindruck, als würde sie tun, was er vorschlug und so schwieg Frodo, während das Mädchen des Langen und Breiten berichtete, wie sie von Reginard ins Wasser gestoßen worden war. Natürlich war sie alles andere, als glücklich darüber.
"Fredegar Bolger, was glaubst du eigentlich, was du da tust?", schimpfte sie aufgebracht, stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn ernst an.
Dick blinzelte, sah sie mit hochgezogenen Brauen von oben bis unten an, rührte sich jedoch nicht.
"Wenn ich bedenke, dass Mama genau gleich aussieht, wenn sie wütend ist, ist es wohl unmöglich zu leugnen, dass du meine Schwester bist", sagte er trocken.
Frodo kicherte in sich hinein und erntete einen wütenden Blick von Estella, der ihn jedoch nicht daran hinderte, weiterzulachen.
"Ich beneide dich, Frodo", fuhr Dick fort. "Du hast keine Geschwister, mit denen du dich herumärgern musst."

Frodos Lachen erstarb. Er dachte genau das Gegenteil. Manchmal wäre er froh, wenn er Geschwister hätte. Mit ihnen hätte er seine Gedanken, seine Sorgen teilen können. Doch hätte er sie wirklich daran teilhaben lassen, wo er nicht einmal Merry damit belasten wollte? Er konnte es nicht sagen.
"Also sollte ich mir auch nicht unnötig den Kopf darüber zerbrechen", sagte er sich selbst.

"Komm jetzt! Ich verlange, dass du mir hilfst!" forderte Estella und zog ihren Bruder auf die Beine.
"Wenn ich jemandem helfe, dann Reginard", meinte Fredegar und hielt die Hände seiner Schwester vor ihrer Brust fest umklammert, während er zu den andern ging. Frodo folgte den beiden mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht.
Estella regte sich furchtbar auf und beklagte sich immer wieder, wie ungerecht es wäre, ihr nicht zu helfen. Fredegar hingegen meinte, es wäre seine Aufgabe zu den Jungs zu halten, während Frodo sich damit entschuldigte, er müsse seinem Freund beistehen.

Als die drei entdeckt wurden, hallte ein lautes "Helft Estella!" durch die Gruppe von Mädchen und bevor Frodo wusste, wie ihm geschah, wurde er von Nelke und Rubinie zu Boden geworfen, während sich Viola auf Dick stürzte, der durch einen Tritt seiner Schwester, ebenfalls im Gras landete.
Frodo versuchte verzweifelt, sich von den beiden zu befreien. Zwei Mädchen waren eindeutig zwei zuviel. Er stieß Rubinie von sich, doch Nelke ließ nicht locker. Sie warf sich mit all ihrem Gewicht auf ihn, hielt ihn so am Boden.
"Gibst du auf?", wollte sie wissen, auch wenn sie Mühe hatte, Frodo in ihren Fängen zu behalten.
"Was glaubst du denn?", fragte Frodo frech, befreite sich blitzschnell aus ihrem Griff und rollte sie von sich.
Erschrocken schnappte er nach Luft, als plötzlich Wasser über seinen Kopf gegossen wurde. Das kalte Nass lief über seinen Nacken und auch Nelke, die durch seinen Körper geschützt worden war, blieb nicht davon verschont.
"Mir scheint, es ist höchste Zeit, dass euch jemand eine Abkühlung verpasst", meinte eine wohlbekannte Stimme.
Frodos Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, als er mit einem Satz aufsprang und sich mit einem lauten "Merry!" auf selbigen stürzte.
Mit einem überraschten Ausruf stolperte Merry rückwärts und fiel zu Boden. Der Eimer, den er für die unerwartete Erfrischung seines Vetters verwendet hatte, flog ihm in hohem Bogen aus den Händen und landete direkt vor Marrocs Füßen.
"Ich hatte dich frühestens morgen zurück erwartet!" rief Frodo erfreut.
"Ich mich auch", meinte Merry grinsend. "Doch dann dachte ich, dass man dich nicht allzu lange alleine lassen kann und wie sich zeigt, kam ich genau im richtigen Augenblick."
"Das kriegst du noch zurück!" meinte Frodo lachend, und bemerkte nicht, wie Nelke, die hinter ihm stand, leicht rot anlief.
"Das werden wir noch sehen!" antwortet Merry, sprang auf und stolperte dabei direkt in Marrocs Arme.
"Ja, das werden wir noch sehen", meinte dieser und stieß den Jungen grob beiseite.
"Warst du es, der mir den Eimer an den Kopf warf?", fragte er barsch, wobei er Frodo den Eimer vors Gesicht hielt.

Frodo erzitterte, die Freude über Merrys Rückkehr mit einem Mal vergessen. Wieder spürte er die Angst, die wie eine Hand nach ihm griff.
Nicht heute. Nicht hier. Hier sind zu viele, zu viele Zeugen. Das wird er nicht wagen und selbst wenn, habe ich mich einmal gegen ihn verteidigen können und werde dies auch ein zweites Mal schaffen - hoffe ich.
Noch bevor Frodo es gewagt hatte, etwas zu sagen, griff Merry ein.
"Ich habe den Eimer fallen lassen, es war keine Absicht."
"Das will ich für dich hoffen", entgegnete Marroc knapp und warf den Eimer zu Boden, "für dich und deinen Freund."
Er warf Frodo einen abschätzigen Blick zu, dann ging er davon.

Frodo atmete erleichtert auf. Er ignorierte seine Angst und lächelte.
Merry sah ihn besorgt an, doch Frodo war fest entschlossen, seinen Vetter nicht gleich am ersten Tag zu beunruhigen. Rasch packte er dessen Handgelenk und zog ihn mit sich zum Fluss.
"Für das Auenland!" brüllte er vergnügt und Wasserspritzer, die im Sonnenlicht in allen Farben funkelten, flogen durch die Luft.
Merry wusste nicht recht, wie ihm geschah, bis Frodo plötzlich stehen blieb, um ihn nass zu spritzen. Marroc war mit einem Schlag vergessen und die beiden feierten ihr Wiedersehen mit einer ausgelassenen Wasserschlacht, in die Fredegar bald mit einstimmte.




~*~*~




Die Sonne war schon fast untergegangen und nur die tanzende Flamme einer Kerze auf dem Nachttisch spendete das nötige Licht, während Frodo und Merry unter vielen Unterbrechungen, lauten Lachanfällen und wilden Gestikulationen alle Geschehnisse der vergangenen Monate austauschten. Frodos Bett war zum Ort der Erzählung auserkoren worden und, nachdem sie sowohl die Decke, als auch das Kissen auf den Boden geschmissen hatten, hatte es sich jeder der beiden in einer Ecke gemütlich gemacht und seine Erlebnisse geschildert.
Sie waren mit ihren Berichten schon längst am Ende angekommen, erzählten aber immer wieder wichtige Dinge, die zuvor vergessen worden waren, als plötzlich etwas gegen das Fenster klopfte. Frodo wandte sich erschrocken um und seine Augen weiteten sich voller Freude.
"Es regnet!" rief er ungläubig.
Merry starrte nicht weniger überrascht zum Fenster.
"Lass uns nach draußen gehen!" schlug er, mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht, vor.
Frodo stimmte erfreut zu und folgte ihm leise aus dem Zimmer. Auf Zehenspitzen schlichen sie durch die Gänge, bevor sie schließlich durch den Hintereingang nach draußen gelangten.

"Für das Auenland!" rief Merry entzückt und griff nach Frodos Hand.
Gemeinsam rannten sie über das nasse Gras, während große Regentropfen auf sie nieder prasselten. Jubelnd und lachend sprangen sie über die Wiesen, während über ihnen ein wahrer Wolkenbruch tobte. In der Ferne zuckten Blitze, doch bargen diese für die Hobbits keine Gefahr, denn der darauf folgende Donner war nicht mehr, als ein leises, entferntes Grollen.
Plötzlich streckte Frodo die Hände aus, wandte das Gesicht nach oben und wirbelte so schnell im Kreis herum, als hoffe er, jeden Moment abzuheben.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich mich jemals so sehr über Regen freue!" verkündete er lachend.
Merry grinste und ließ sich zu Boden fallen. Sein verschwitztes Hemd sog sogleich die Feuchtigkeit des Grases auf, kühlte so die erhitzte Haut an seinem Rücken.
Frodo blieb abrupt stehen, schwankte einen Augenblick und plumpste schließlich auch ins Gras.
"Alles dreht sich", meinte er benommen, während er sich auf den Rücken fallen ließ, wobei es ihm nicht anders erging, als seinem Vetter.
Merry kicherte. "Das kann ich mir vorstellen."

Die Zeit verging und die beiden kümmerten sich nicht darum, dass sie vollkommen durchnässt und schmutzig waren, sondern genossen das beständige Prasseln der Regentropfen auf ihren Gesichtern, bis sie sich schließlich unter die große Eiche setzten. Ein beständiger Nordwind war aufgekommen, der die Blätter des Baumes zum Säuseln brachte.
Frodo war glücklich. In Momenten wie diesen, konnte er alles vergessen, genau wie er es im Alten Wald getan hatte, mit dem Unterschied, dass es hier mehr Vergnügen bereitete.
"Ich könnte tanzen!" verkündete er plötzlich freudestrahlend.
Merry unterdrückte ein Kichern, schaffte es aber nicht und brach schließlich in lautes Gelächter aus. Die Ideen seines Vetters mochten beizeiten verrückt sein, doch schlecht waren sie keinesfalls.
"Dann lass uns tanzen!" meinte er schließlich und kam wieder auf die Beine.
Frodo kicherte, als er sich aufrichte.
"Wir haben keine Musik", gab er zu bedenken.
"Wir brauchen keine", versicherte Merry.
Frodo grinste, sprang auf die Beine und hakte sich bei Merry ein. Übermütig wirbelten sie dann herum, hüpften unter der großen Eiche auf und ab, wobei sie mehrere Male beinahe ins Stolpern geraten wären. Mit geschlossenen Augen drehten sie sich im Kreis, tanzten zu einer Melodie, die nur sie hören konnten.

Als das Gewitter schließlich näher kam, brachen die Hobbits ihren ausgelassenen Tanz ab und gingen zurück zum Brandyschloss. Keiner der beiden verschwendete auch nur einen Gedanken daran, dass sie pitschnass und schmutzig waren und überall, wo sie hingingen, Pfützen hinterließen.
Lachend liefen sie durch die Gänge, zurück zu Frodos Zimmer, als ihnen Hanna entgegen kam, die sie mit großen Augen anstarrte. Die jungen Hobbits sahen verwundert zu ihr auf.
"Du meine Güte", war alles, was Hanna herausbrachte, ehe sie beide am Arm packte und ins östliche Badezimmer führte.

Frodo und Merry verstanden die Welt nicht mehr. Weshalb war sie so aufgeregt? Doch als sie sich umwandten, sahen sie es selbst. Ihre nasse Kleidung hatte eine Spur hinterlassen. So viel Wasser, das es schon beinahe für ein kleines Rinnsal hätte ausreichen können.
"Oh", war alles, was sie dazu zu sagen hatten.

Als Hanna sie schließlich losließ und sich zu ihnen umwandte, blickten die Kinder schuldbewusst zu ihr auf, doch die junge Mutter lächelte kopfschüttelnd. Es war dunkel im Badezimmer, denn das große Feuer, das für gewöhnlich in der Mitte des Raumes brannte, war nur noch eine rote Glut, da offensichtlich nicht damit gerechnet wurde, dass jemand die großen Badesäle in den tiefer gelegenen, mittleren Gängen, gegen jenes kleine Badezimmer weit im Osten eintauschen wollte.
"Keine Sorge, ich werde euch nicht verraten. Das Wetter war einfach zu einladend, für einen späten Spaziergang im Regen", meinte Hanna und zwinkerte den beiden zu.
Merry und Frodo atmeten erleichtert auf.
"Ich werde euch frische Kleider holen, während ihr euch hier wascht. Anschließend werdet ihr das Wasser aufwischen, das ihr hinterlassen habt und es wieder dahin zurückbringen, wo es hingehört", verlangte sie und wandte sich um, blieb jedoch in der Tür noch einmal stehen. "Ich hoffe, dass ihr in dieser Zeit nicht erwischt werdet."

"Da hatten wir noch einmal Glück!" seufzte Merry, als er sich seines Hemdes entledigte.
"Freu dich nicht zu früh", Frodo sah ihn nervös an. "Wir sprechen hier vom Brandyschloss. Wenn wir nicht entdeckt werden wollen, müssen wir uns beeilen, unseren Dreck wegzumachen."
Merry nickte und griff sogleich nach einer der Wasserschüsseln.
"Ich hole das Wasser, dafür wirst du den größeren Teil wegputzen."
Frodo warf ihm einen missfallenden Blick zu, gab sich jedoch geschlagen. Jede weitere Diskussion würde die Reinigung nur verzögern und die Möglichkeit, entdeckt zu werden, würde steigen.

Frodo suchte einige Tücher aus dem Schrank, während Merry im hinteren Teil des Badezimmers verschwand, wo sich ein Pumpbrunnen befand. Als er schließlich zu Frodo zurückkehrte, wuschen sich die beiden blitzschnell mit dem kalten Wasser.
Schritte kamen näher. Die Kinder sahen erschrocken auf, blickten wie gebannt auf den Türknauf, der sich langsam drehte, bis Hanna schließlich eintrat, beladen mit ihren Nachthemden.
Frodo und Merry atmeten erleichtert auf und zogen sich um, ehe sich beide eines der Tücher schnappten und aus dem Badezimmer stürmten - direkt in Saradocs Arme.
Mit einer schnellen Bewegung ließen sie die Tücher hinter ihren Rücken verschwinden und grinsten unschuldig.
"Und was glauben die Herren, was sie zu so später Stunde noch machen?", fragte Saradoc sachlich.
"Gar nichts!" versicherte Frodo schnell.
"Ja, wir waren gerade auf dem Weg... ins Bett!" stimmte Merry zu. "Gute Nacht, Papa!"
"Gute Nacht!" rief Frodo noch, als er schon an Saradoc vorbei gerannt war, dicht gefolgt von Merry.

Saradoc betrachtete Hanna und räusperte sich. Hanna hatte ein nicht weniger unschuldiges Gesicht aufgesetzt, wie Merry und Frodo zuvor. Unverhofft begann er zu lachen.
"Du hilfst diesen beiden Halunken?"
Hanna zuckte mit den Schultern und lächelte nun ebenfalls. "Sie hatten solchen Spaß."
Saradoc nickte. "Solange sie den Schmutz selbst wieder weg machen. Auf dem Weg hierher sind mir ganze drei entsetzte Damen entgegengekommen, die behaupteten, die Höhle wäre undicht."
Hanna lachte. "Keine Sorge, sie sind bereits an der Arbeit. Bald wird es keine undichten Stellen mehr geben."

Es dauerte nicht lange, das Wasser wegzuwischen und zu ihrer eigenen Überraschung, wurden Frodo und Merry tatsächlich von niemandem entdeckt, was nicht zuletzt daran lag, dass sie jedes Mal in einem der Gästezimmer, den Abstellkammern oder Speisekammern verschwanden, wann immer sie jemanden kommen hörten.
Zögernd schlichen sie schließlich wieder zurück zum Badezimmer, um die Tücher auszuwaschen und zum Trocknen aufzuhängen.
"Er ist dein Vater, also gehst du voraus!" bestimmte Frodo, als sie unsicher um eine Biegung schielten. Die Lampen tauchten die Gänge in ein blasses, rotgelbes Licht, das immer schwächer wurde, je weiter sie nach Osten gingen.
Merry murrte, konnte ihm allerdings nicht widersprechen. Langsam ging er an Frodo vorüber, lehnte sich nach vor und spähte vorsichtig um die Biegung
"Er ist hier!" rief er in einem entsetzten Flüstern und machte einen Satz zurück. Frodo stolperte ebenfalls rückwärts und fiel erschrocken zu Boden. Er wollte gerade die Flucht ergreifen, als Merry losprustete.
"Er ist hier im Brandyschloss", verkündete der Jüngere lachend, "doch nicht in der Nähe des Badezimmers. Komm schon!"
Frodo warf ihm einen wütenden Blick zu, als sein Vetter ihm wieder auf die Beine half und sich das Kichern nicht verkneifen konnte.
"Du lässt dich viel zu leicht für dumm verkaufen", ließ Merry ihn grinsend wissen.

Nachdem sie die Tücher gereinigt hatten, trennten sich die beiden schließlich, doch bevor Frodo zu Bett ging, klopfte er noch einmal an Hannas Tür. Marmadas öffnete ihm, hieß ihn im warmen Schein vieler Kerzen und Lampen willkommen.
Frodo schielte hinein, erblickte Hanna und ging zu ihr. Sie saß in einem Sessel mit Merimas in ihren Armen. Das Kind schlief tief und fest und hatte sich zufrieden in den Armen seiner Mutter eingekuschelt.
Sie lächelte, als Frodo auf sie zukam.
"Ist alles in Ordnung?", wollte sie wissen, als der Junge lange Zeit nur lächelnd auf Merimas blickte. Frodo nickte und löste den Blick von dem schlafenden Kind.
"Ich wollte mich nur bedanken", sagte er leise. "Wir hatten ganz schönes Glück."
"Weniger, als du glaubst", meinte Hanna und lächelte, als sie den überraschten Ausdruck in seinem Gesicht bemerkte. "Saradocs Augen und Ohren sind überall."
Frodo seufzte. "Ich bezweifle, dass es seine Augen und Ohren waren."
Hannas Lächeln wurde noch breiter. "Damit hast du nicht Unrecht. Es waren die dreier Damen, die entsetzt über den Bau des Brandyschlosses waren. Nicht einmal einem Gewitter halten die Wände stand."
Sie setzte eine empörte Miene auf, die Frodo zum Kichern brachte. Er lachte noch mehr, als er sich ausmalte, wie die drei Frauen mit entrüsteten Gesichtern Saradoc über das Wasser berichteten, doch verstummte er, als sein Blick erneut auf Merimas fiel, der die Stirn gerunzelt hatte und nicht mehr ganz so zufrieden aussah, wie zuvor. Er wollte den Jungen nicht aufwecken.
"Ich denke, ich werde jetzt auch schlafen gehen", meinte er schließlich, wünschte Marmadas und Hanna eine gute Nacht und ging dann in sein Zimmer.





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