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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 32: Schnee



"Schnee!"
Frodo sprang auf Pippins Bett und rüttelte seinen Vetter wach. Als dieser sich endlich rührte, kletterte er über ihn hinweg, stellte sich auf den Stuhl, der am Kopfende des Bettes stand und wischte mit dem Ärmel die Eisblumen vom Fenster, ehe er sich daran die Nase platt drückte.
"Schnee!" rief er noch einmal aufgeregt und sprang auf dem Stuhl auf und ab, unfähig auch nur einen Augenblick länger stillzustehen.
Pippin sah ihn verschlafen an, hatte noch nicht begriffen, was seinen Vetter in solche Verzückung versetzte. Er gähnte herzhaft, als sich Frodo mit einem breiten Grinsen wieder neben ihn ins Bett fallen ließ.
"Lass uns gleich nach dem Frühstück nach draußen gehen!" schlug er vor.
Pippin sah zum Fenster und ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er den Grund für Frodos Übermut entdeckte. Die Hügel, Häuser und Höhlen um die Großen Smials waren mit einer weißen Schneedecke überzogen und Kristalle aus Eis zierten nun sein Fenster. Langsam verfolg seine Müdigkeit und er wischte auch die letzten Erinnerungen an die vergangene Nacht aus seinen Augen, als er schließlich eifrig nickte und seinem Vetter ein noch breiteres Lächeln schenkte.



~*~*~



Voller Freude lauschte Frodo dem leisen Knarren, als er durch den Schnee stapfte. Wie lange war es her, dass er das zum letzten Mal gemacht hatte? Er erinnerte sich, dass es im letzten Winter keinen Schnee gegeben hatte, oder war das im Winter davor gewesen? Er war sich nicht mehr sicher. Das war ihm auch vollkommen gleich, denn jetzt genoss er das kühle und doch angenehme Gefühl an seinen Füßen, wenn er in den knietiefen Schnee trat. Nur wenige Fußspuren störten die weiße Pracht und hätte Frodo selbst nicht soviel Gefallen daran gefunden, seine Spuren im Schnee zu hinterlassen, hätte er sich gewünscht, dass niemand das Idyll störte.
Überrascht zuckte er zusammen, als ein Schneeball ihn am Nacken traf.
"Treffer!" jubelte Pippin, der nur wenige Schritte von ihm entfernt im Schnee versank und formte einen weiteren Ball, um ihn nach seinem Vetter zu werfen.
Dieses Mal wich Frodo aus und begann seinerseits damit, Schneebälle zu formen, um sie Pippin um die Ohren zu werfen, während immer wieder welche auf ihn zugeflogen kamen. Er lachte vergnügt, ganz gleich, ob er nun Pippin traf, oder selbst getroffen wurde und als sie ihre ausgelassene Schlacht schließlich beendeten, waren sie beiden von oben bis unten voller Schnee. Frodo keuchte, beobachtete lächelnd die weiße Wolke, die sein Atem in der Luft formte und blickte dann nach oben. Dichte Wolken bedeckten den Himmel und gaben der Sonne keine Möglichkeit, sich der weißen Pracht zu erfreuen und sie in allen Farben erstrahlen zu lassen.
Ohne Vorwarnung kam Pippin plötzlich auf ihn zugerannt, warf ihn zu Boden. Er wollte seinen Vetter mit noch mehr Schnee einreiben, doch Frodo war schneller und eh sich der junge Tuk versah, war er derjenige, dem eine handvoll der weißen Pracht in den Kragen gesteckt wurde.
Die dicken, roten Wollmützen, die Heiderose ihnen aufgesetzt hatte, waren bald mit Schneeklumpen überzogen und auch die eine oder andere hervorstehende Locke blieb davon nicht verschont. Frodo und Pippin machte das jedoch nichts aus und sie beendeten ihr Gerangel erst, al Pippin seinen Vater entdeckte, der, nicht weit von ihnen entfernt, im Stall beschäftig war. Der junge Tuk eilte zu ihm, ließ es sich dabei nicht nehmen, auch den Thain mit einem Schneeball zu bewerfen, woraufhin dieser ihn packte, ihn hochhob und ihm drohte, ihn mit dem Kopf voraus in den Schnee zu stecken. Frodo beobachte vergnügt, wie Pippin versuchte, sich aus den Armen seines Vaters zu winden und schließlich, auch ohne neuerliches Eintauchen im Schnee, wieder auf den Boden gesetzt wurde. Er konnte nicht hören, worüber sich die beiden unterhielten und verlor sie schließlich aus den Augen, als Vater und Sohn im Stall verschwanden, doch als Pippin kurze Zeit später zurückkehrte, hatte er einen Schlitten in der Hand.
Frodo lächelte von einem Ohr zum anderen. Zwar war er sich nicht mehr sicher, wann es das letzte Mal Schnee gegeben hatte, doch an seine letzte Schlittenfahrt erinnerte er sich noch genau.



~*~*~



"Sobald es aufwärts geht, wird einer von euch beiden absteigen müssen", sagte Drogo, der einen Schlitten, beladen mit Frau und Kind zum höchsten Hügel in der Nähe des Brandyschlosses zog. Jener befand sich südöstlich ihres Zuhauses und ein Pfad, der in Serpentinen verlief, sollte ihnen den Aufstieg erleichtern.
"Mama", bestimmte Frodo und lehnte sich grinsend in ihre Arme zurück.
"Bist du dir da sicher?", fragte sie.
Frodo nickte. Seine Mutter hatte ihn nicht nur in einen Schal und seinen dicksten Mantel eingepackt, sondern ihm auch noch eine blaue Mütze aufgesetzt, die jedoch unter der Kapuze seines Umhanges verschwand.
"Ich könnte dich auch ganz einfach vom Schlitten stoßen", ließ Primula ihn wissen.
Frodo nickte erneut, und sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass er sich sicher war, dass sie so etwas niemals tun würde. Umso überraschter war er, als er plötzlich der Länge nach im Schnee landete.
Drogo stoppte und betrachtete die beiden lachend. Frodo klopfte sich den Schnee von seinem Umhang und sah beleidigt zu seiner Mutter, die mit einem Grinsen auf ihn zukam, ihn auf die Nasenspitze küsste und dann zu seinem Vater ging, um sich bei ihm einzuhaken.
Frodo blieb noch einen Augenblick stehen, als seine Eltern bereits weiter gegangen waren. Ein eisiger Wind wehte und seine Atemzüge traten als weiße Rauchwölkchen aus seinen Lippen. Frodo formte einen Schneeball, wobei ein schelmisches Grinsen auf sein Gesicht trat.
Schließlich rannte er seinen Eltern hinterher, zielte, warf sein Geschoss nach seiner Mutter und traf sie an der rechten Schulter.
Primula fuhr erschrocken herum. Frodo sah mit einem unschuldigen Lächeln zu ihr auf, versteckte die Hände hinter dem Rücken. Einen langen Augenblick, sah seine Mutter ihn schweigend an, ehe sie plötzlich auf ihn zugerannt kam. Frodo schrie überrascht auf und ergriff lachend die Flucht, doch Primula holte auf, und als sie ihn erwischte, warf sie ihn in den Schnee und rieb ihn ordentlich damit ein.
Drogo beobachtete das Schauspiel lachend, schüttelte schließlich den Kopf, als die beiden keuchend, aber mit zufriedenen Lächeln in den vor Kälte geröteten Gesichtern an seine Seite zurückkehrten.

Endlich erreichten sie den schmalen Pfad, der sie zwischen den Bäumen hindurch führen sollte. Anfangs sprang Frodo aufgeregt voraus, doch je weiter sie gingen, umso mehr verging ihm die Lust zu laufen und schließlich setzte er sich auf den Schlitten, um sich von seinem Vater ziehen zu lassen.
Anders als Frodo erwartet hatte, führte seine Mutter sie schon in den Wald, als sie erst die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatten. Sie erklärte ihm, dass die Bäume weiter oben zu dicht standen und es zu gefährlich war, hinunterzurodeln. Hier kannte sie jedoch eine Stelle, die sich perfekt dafür eignete.

Voller Staunen blickte Frodo den schneebedeckten Hügel hinab, als sie den Ausgangspunkt ihrer Schlittenfahrt erreichten. Schlittenspuren deuteten an, dass schon einige Hobbits vor ihnen hinuntergerodelt waren und Frodo konnte es kaum erwarten, es ihnen nachzumachen. Aufgeregt nahm er schließlich ganz vorne auf dem Schlitten Platz. Primula setzte sich in die Mitte, während sein Vater ganz hinten saß.
Dieser stellte sicher, dass alle für die Fahrt bereit waren, ehe auch er seine Füße auf dem Schlitten platzierte, sodass dieser zügig den Hügel hinunterbrauste. Frodo konnte den Wind in seinen Ohren rauschen hören und jubelte vergnügt, während sie immer schneller wurden und an Fichten, Tannen und kahlen Laubbäumen vorbeisausten.
Plötzlich legten sich die warmen Hände seiner Mutter auf seine eigenen, die sich fest an den Holzgriff klammerten. Lachend und mit leuchtenden Augen drehte er sich kurz zu ihr um und blickte in ihre glücklichen blaugrünen Augen.



~*~*~



"Frodo? Hörst du mir überhaupt zu?"
Überrascht blickte Frodo in die fragenden grünen Augen seines Vetters, als ihm klar wurde, dass dieser aufgeregt vor seinem Gesicht herumfuchtelte.
"Ich? Ja...", etwas verwirrt suchte er nach einer Antwort. "Was hast du gesagt?"
Pippin seufzte, schüttelte den Kopf. "Geh einfach zu meinem Papa und hol dir den anderen Schlitten."

Frodo eilte zum Stall, ließ sich von Paladin einen zweiten Schlitten geben und trottete dann grinsend zurück zu Pippin, der inzwischen auf den höchsten der vielen Hügel hinter den Smials geklettert war.
"Was hältst du von einem Rennen?", wollte Pippin wissen, als er sich auf seinen Schlitten setzte und Frodo, der gerade zu ihm herauf gerannt kam, herausfordernd ansah.
Frodo schob sich die Mütze, die ihm etwas zu groß war, aus der Stirn, den zweifelnden Blick auf seinem Vetter ruhend. "Glaubst du wirklich, ein Tuk könne es mit einem Beutlin aufnehmen?"
"Das glaube ich nicht nur", erklärte Pippin sehr von seiner Meinung überzeugt, "das weiß ich."
Frodo nickte, mit einem Gesichtsausdruck, der seinen Vetter deutlich wissen lassen sollte, dass er ihm kein Wort glaubte. Davon ließ sich Pippin jedoch nicht beirren und, um seiner Sache sicher zu gehen, stieß er sich sofort vom Boden ab, als Frodo endlich auf seinem Schlitten Platz genommen hatte, und sauste den Hang hinunter. Frodo zögerte nicht länger und tat es ihm gleich. Er spürte die kalte Luft, die beißend über seine Wange strich und trotz seiner Mütze, konnte er den Wind in seinen Ohren pfeifen hören, als er Pippins Verfolgung aufnahm.
Als sie schließlich wieder zum Stehen kamen, waren sie fast auf gleicher Höhe, doch Pippin stand eine Nasenlänge weiter vorne.
"Sieg!" triumphierte der junge Tuk grinsend, ehe er sich wieder an den Aufstieg machte.
Frodo murrte, nicht gewillt, die Ehre der Beutlins so leicht an einen Tuk zu verlieren und eilte seinem Vetter hinterher, um Ausgleich zu fordern.

Dieser wurde Frodo gewährt und noch viele weitere danach, bis schließlich beide Hobbits vergaßen, wer nun in Führung lag. Unzählige Male sausten sie den Hügel hinunter, nur um danach wieder hinaufzueilen. Auch der eine oder andere Sturz ließ sich dabei nicht vermeiden, doch wurden diese meist dazu genutzt, um die Schlittenfahrt für eine erneute Schneeballschlacht zu unterbrechen. Bald waren sie auch nicht mehr alleine, denn viele andere Kinder aus den Smials und Buckelstadt versammelten sich mit Schlitten um die Hügeln und tollten im Schnee.
Frodo und Pippin verbrachten den ganzen Tag im Freien, kamen nur einmal zurück in die Höhle um zu Mittag zu essen und als sie bei Sonnenuntergang schließlich heimkehrten, waren sie nass bis auf die Knochen und völlig durchgefroren. Heiderose stellte sofort Wasser auf und bald darauf planschten die zwei jungen Hobbits vergnügt in einem Zuber. Anstelle der kleinen Wölkchen, die ihr Atem zuvor gebildet hatte, hingen nun dichte Dampfwolken in der Luft und wo einst Schneeklumpen das krause Kopf- und Fußhaar geziert hatten, war nun nichts als Schaum und warmes Wasser.
Doch der anstrengende Tag, so aufregend er auch gewesen sein mochte, forderte seinen Tribut. Beim Abendessen langten die Vettern zwar kräftig zu, doch hatten beide Mühe ihre Augen offen zu halten, und stocherten bald nur mehr in ihren Tellern herum. Gerne wären sie noch an den Kamin gesessen, wo Sigismund eine Geschichte erzählte, doch Heiderose riet ihnen, zu Bett zu gehen. Missmutig befolgten sie ihren Ratschlag und tapsten in ihr Zimmer, um sich umzuziehen, wie sie sagten, doch als Heiderose wenig später zu ihnen kam, schliefen beide bereits tief und fest. Sie lächelte, während sie die jungen Hobbits enger in ihre Decken einwickelte und sie schließlich alleine ließ.



~*~*~



Als Frodo am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte er mit Grauen, dass er Kopfschmerzen hatte. Auch seine Nase lief und er spürte ein leichtes Kratzen im Hals. Missmutig zog er sich die Decke über den Kopf, verärgert, dass er sich ausgerechnet während seines Besuchs in den Großen Smials krank werden musste. Er durfte sich nicht erkälten, denn schließlich wollten Pippin und er den Schnee genießen und einen weiteren Tag mit Schlittenfahrten und Schneeballschlachten verbringen.
Seufzend richtete Frodo sich auf. Das Licht, das durch das Fenster hereindrang, sprach von einem neuerlichen Wintermorgen. Am vergangenen Abend hätte Frodo sich noch darüber gefreut, doch nun brachte das Licht seinen Kopf zum Pochen und der Gedanke an Schnee ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen, der seinen Körper zum Zittern brachte.
Ein Blick auf Pippins Bett, zeigte ihm, dass sein Vetter noch schlief. Er fragte sich, ob Pippin sich ebenfalls erkältet hatte und ob er ihn aufwecken sollte, doch entschied er sich dagegen. Pippin war am vergangenen Abend sehr viel erschöpfter gewesen, als er selbst und er vermutete, dass es besser war, ihn ausschlafen zu lassen.

So schlich er sich schließlich zur Tür, holte die Wasserschüssel herein, die morgens von den Zimmermädchen dort platziert wurde, sodass jeder Bewohner sich in seinen eigenen Räumlichkeiten waschen konnte. Anders als das Brandyschloss, waren in den Großen Smials alle Badezimmer im tiefer gelegenen südlichen Gang untergebracht. Natürlich wurden im Brandyschloss des Morgens auch Wasserschüsseln mit sauberen Tüchern verteilt, doch nur an jene Bewohner, die fernab der Waschräume wohnten. Hobbits bei denen sich im selben Gang wie das Schlafgemach auch ein Badezimmer befand, nutzten dieses, was wesentlich bequemer war, als sich eine Schüssel bringen zu lassen. Dies war vermutlich auch der Grund, weshalb im Brandyschloss die meisten auf diesen Dienst verzichteten.

Als er schließlich gewaschen und angezogen war, schlurfte er in die Küche, in der Pippins Familie morgens anzutreffen war. Sein Kopf fühlte sich schwerer an, als gewöhnlich und ihm schwindelte ein wenig, doch Frodo dachte sich nichts dabei. Nach dem Frühstück würde es ihm bestimmt besser gehen.
"Guten Morgen."
Überrascht über seine eigene, krächzende Stimme blieb Frodo in der Türe stehen. Heiderose, die gerade den Teekessel vom Feuer genommen hatte, sah ihn nicht weniger verwundert an. Sofort stellte sie den Kessel ab, wischte sich die Hände an der Schürze sauber und kam zu ihm herüber, um eine prüfende Hand auf seine Stirn zu legen. Genau das war es, was Frodo gefürchtete hatte. Sorgenvoll betrachtete er Pippins Mutter, die Stirn kritisch in Falten gelegt, doch Heiderose lächelte.
"Kein Fieber", verkündete sie. "Wie fühlst du dich sonst?"
Frodo atmete erleichtert auf, wollte zu einer Antwort ansetzen, doch er wurde von einem Niesen unterbrochen. Stöhnend griff er nach seinem Kopf, der durch beständiges Pochen gegen die ruckartige Bewegung protestierte.
Heiderose war dies Antwort genug und sie wollte sofort nach Pippin sehen, um sicher zu gehen, dass es ihm gut ging. Bevor sie jedoch die Küche verließ, wies sie Perle an, Frodo einen heißen Tee zu geben und sich um ihn zu kümmern, bis sie zurück war.
Frodo wollte dagegen protestieren, wurde jedoch durch ein erneutes Niesen davon abgehalten. So schlurfte er ohne ein weiteres Wort an den Tisch, wo neben Pippins Schwestern auch noch dessen drei Tanten saßen. Von Paladin fehlte jede Spur, doch an seiner statt saß Adelard Tuk am Tisch, ein dunkelhaariger Hobbit mit wachsamen Augen, der nur wenige Jahre älter war, als der Thain.
Frodo bedankte sich, als Perle ihm den Tee brachte, bediente sich dann an den Broten, auch wenn sein Appetit nicht halb so groß war, wie er erwartet hatte.

Als Heiderose nach dem Frühstück noch immer nicht zurückgekehrt war, und auch von Pippin jede Spur fehlte, begann Frodo, sich Sorgen zu machen. Etwas matt schlurfte er zurück in das Zimmer seines Vetters, wo er sie beide vorfand. Pippin lag zitternd unter mehreren Decken, die Stirn schweißnass. Heiderose saß auf dem Stuhl, den sie vor das Bett gestellt hatte und betupfte dessen Wangen mit einem feuchten Tuch. Jemand hatte ihr Tee und ein Stück Brot gebracht, doch Pippin schien von beidem noch nicht gekostet zu haben, denn das Tablett stand unangetastet auf dem Nachttisch. Die Erkältung des jungen Tuks war um einiges schlimmer, als seine eigene, doch Heiderose versicherte ihm, dass es seinem Vetter bald besser gehen würde.

Ohne Pippin verbrachte Frodo die meiste Zeit alleine. Er hätte auch mit anderen Kindern seines Alters spielen können, doch waren viele von ihnen draußen und Frodo fühlte sich nicht dazu in der Lage, im Schnee herumzutollen. Stattdessen hatte er sich ein Buch aus der Bibliothek geholt und es sich, in eine Decke eingewickelt, auf dem Kaminsims bequem gemacht. Dort war es angenehm warm und das leise Knistern des Feuers beruhigte ihn.
Perle achtete darauf, dass er genug Tee trank und war auch immer zur Stelle, wenn er ein frisches Taschentuch benötigte. Auch wenn Frodo ihre Führsorge anfangs gar nicht recht war, war er doch davon überzeugt, dies auch alleine tun zu können, war er ihr dankbar dafür, denn es hätte ihm sehr widerstrebt, unter der Decke hervor zu kriechen und sein warmes Plätzchen am Kamin zu verlassen, nur um eine Tasse Tee oder neue Taschentücher zu holen, von denen er mehr benötigte, als ihm lieb war.
Seinen Plan zu lesen, musste er jedoch bald aufgeben, denn schon nach den ersten beiden Seiten übermannte ihn die Müdigkeit, die sich seiner schweren Glieder bemächtigt hatte und er schlief für mehrere Stunden. Als er aufwachte, wollte er zwar weiter lesen, doch er merkte bald, dass ihm sowohl die Kraft, als auch die nötige Konzentration dazu fehlte.
Im Laufe des Nachmittages ging er zurück in das Zimmer seines Vetters. Heiderose hatte das Fenster geöffnet, um etwas frische Luft hereinzulassen und Frodo fröstelte, als er eintrat. Pippin lag warm eingepackt unter seinen Decken. Sein Fieber war gesunken. Er lächelte zwar, als er Frodo erkannte, doch dieser konnte sehen, dass dem jungen Tuk nicht wirklich danach zumute war.
"Wie geht es dir?", fragte Frodo. Seine Stimme war nicht mehr ganz so kratzig, wie am Morgen, doch reichte sie noch immer kaum über ein Flüstern hinaus. Er ging zum Fenster, um die Kälte auszusperren, jedoch nicht ohne einen beinahe sehnsüchtigen Blick auf die weiße Landschaft zu werfen, die ihm von draußen entgegenlachte. An diesem Tag hatte die Sonne ihren Weg durch die Wolken gefunden und der Schnee schimmerte in allen Farben.
Er seufzte leise, was ein unangenehmes Kribbeln in seinem Hals hervorrief und er räusperte sich, um sich dessen zu entledigen, doch das gelang ihm nicht und er wurde stattdessen von einem schmerzhaften Hustenreiz heimgesucht, der seinen Kopf erneut zum Pochen brachte. Erschöpft ließ er sich auf seine Matratze sinken, die Heiderose zu seiner Erleichterung nicht weggeräumt hatte.
Pippin lächelte mitfühlend, als er sich zu seinem Vetter umwandte und ihn mit feuchten Augen ansah.
"Es geht", wisperte er, mit einer piepsigen Stimme, die so rau und leise klang, dass Frodo sie kaum als die seines Vetters erkannte.
"Mein armer Pippin", murmelte Frodo, kroch an dessen Seite und strich seinem Vetter zärtlich über die Wange. Sie war noch immer sehr warm, doch Frodo sorgte sich nicht, machte Pippin schließlich einen wesentlich gesünderen Eindruck, als noch in den frühen Morgenstunden. Pippin schloss die Augen, lehnte den Kopf an seine kühlen Finger, ehe er sich plötzlich abwandte und von einem Hustenanfall geschüttelt wurde.

"Frodo, wie fühlst du dich?"
Frodo blickte überrascht auf, als er Heideroses Stimme vernahm. Pippins Mutter hatte eine Teekanne bei sich, aus deren Nase kleine Dampfwölkchen emporstiegen, als sie ins Zimmer trat.
Er zuckte mit den Schultern. Einerseits fühlte er sich vollkommen matt und erschlagen und sein Kopf schmerzte, doch ansonsten ging es ihm gut. Prüfend fühlte sie seine Stirn und wieder trat der sorgenvolle Ausdruck auf sein Gesicht, mit dem er sie auch schon am Morgen bedacht hatte, doch auch dieses Mal schüttelte Heiderose den Kopf. Stattdessen fragte sie ihn, ob er Halsschmerzen habe und setzte sich derweil an Pippins Bett.
Frodo, der zu ihren Füßen saß, strich sich mit den Fingern über den Hals, als könne er es so herausfinden. Er schüttelte den Kopf.
"Es kratzt nur manchmal ein wenig."
Sie nickte, legte ihre Hand nun auf Pippins Stirn und tauchte dann ein Tuch in die Wasserschüssel, die noch immer auf dem Nachttisch stand, um damit zärtlich über dessen Stirn und Wange zu streichen. Anschließend schenkte sie ihrem Sohn eine Tasse Tee ein und reichte Frodo eine zweite. Dieser nahm sie dankend an und setzte sich mit verschränkten Beinen auf die Matratze. Er nieste und zur selben Zeit lief ihm ein kühler Schauer über den Rücken. Schnell langte er nach seiner Decke, wickelte sich eng in diese ein.
"Frodo?" Pippins leise Stimme drang an sein Ohr und er richtete sich auf, um seinen Vetter anzusehen. "Glaubst du, du könntest mir eine Geschichte erzählen?"
Frodo lächelte. Selbst wenn er krank war, war Pippin nicht unterzukriegen. Er war zwar nicht in der Stimmung, etwas zu erzählen, doch er wollte es versuchen, Pippin zuliebe. Um sich selbst etwas auszudenken, fühlte er sich zu müde und so begann er ganz einfach, Bilbos Geschichte zu erzählen. Anders als sonst, schmückte er sie nicht sonderlich aus, denn durch das Reden wurde seine Stimme immer rauer und er war beinahe erleichtert, als er erkannte, dass Pippin eingeschlafen war, gerade, als er von den Trollen hatte berichten wollen.

Frodo und Heiderose verließen das Zimmer um zu Abend zu essen. Bei ihrer Rückkehr war Pippin bereits wieder aufgewacht und Heiderose überprüfte erneut seine Temperatur, ehe sie in die Küche ging, um ihm etwas Suppe zu bringen.
Derweil kuschelte Frodo sich in seine Decke, zog genervt die Nase hoch, als er erneut nieste. Die Kopfschmerzen, die zuvor nachgelassen hatten, waren mit einem beständigen Pochen zurückgekehrt. Zwar war er froh, dass er nicht so krank war wie Pippin, doch nagte die Erkältung bereits an seinem Gemüt und er hoffte inständig, dass er sich am nächsten Morgen besser fühlen würde.
"Du solltest zu Bett gehen. Schlaf ist der beste Weg, gesund zu werden."
Frodo blickte überrascht auf. Wie schon am Nachmittag hatte er nicht bemerkt, wie Heiderose zurückgekehrt war und das beunruhigte ihn ein wenig. War sie so leise oder er so unaufmerksam?



~*~*~



So sehr er es auch versuchte, es klappte nicht. Er drehte sich von einer Seite auf die andere, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Pippin hatte nicht viel von der Suppe gegessen und nun lag er jammernd in seinem Bett, was es Frodo noch schwerer machte einzuschlafen. Pippin tat ihm Leid, aber Frodo war müde, so müde...
"Wie geht es ihm?"
Frodo schlug die Augen auf, war jedoch zu erschöpft, den Kopf zu heben, doch er wusste, dass die Stimme zu seinem Onkel Paladin gehörte, der in das Zimmer gekommen sein musste.
"Das Fieber ist wieder gestiegen", ließ Heiderose ihren Gatten besorgt wissen. Frodo konnte hören, wie sie das Tuch auswrang.
"Und Frodo?"
Er drehte sich auf den Rücken, als er die tiefe Stimme seines Onkels erneut vernahm und konnte den Thain nun sehen. Paladin stand hinter seiner Frau, eine Hand auf ihren Schultern ruhend. Eine Kerze auf dem Nachttisch erleuchtete seine ernsten Züge, als er sich zu ihm herabbeugte und ihm lächelnd durch die Haare strich. Frodo erwiderte das Lächeln, schloss der bei der sanften Berührung der rauen Finger zufrieden die Augen. Ohne seine Lider noch einmal zu öffnen, rollte er sich schließlich zusammen, als Paladin ihm eine gute Nacht wünschte.
Doch anstatt zu schlafen, erwischte er sich dabei, wie er der leisen Unterhaltung zwischen dem Thain und seiner Frau lauschte, die immer wieder von einem Jammern Pippins unterbrochen wurde.

Was mache ich hier eigentlich? Ich liege hier und lausche einem Gespräch, dass mich überhaupt nichts angeht. Schlafen, ich sollte einfach nur schlafen.

Frodo wartete ungeduldig auf die sanften Hände des Schlafes, doch Geräusche, vom Bett herkommend, ließen ihn blinzeln. Pippin ruhte nun in Heideroses Schoß und Paladin hatte sich auf der Bettkante niedergelassen. Seine Hände strichen zärtlich über Gesicht und Haare seines Sohnes. Frodo biss sich auf die Lippen.

Das ist ungerecht. Warum nur Pippin? Und was ist mit mir?
Aber nein, ihm geht es schlechter, als mir. Er hat es verdient.
Aber hätte ich das nicht auch? Warum können sie mich nicht auch in den Arm nehmen? Ich bin auch erkältet, wenn auch nicht so schlimm, wie Pippin. Warum nicht?
Mama. Papa.
Ich könnte mein Bild holen. Sicher verstaut in meinem Rucksack im Schrank. Wie gerne würde ich es jetzt bei mir haben. Aber nein. Was würden sie denken, wenn ich jetzt aufstehe, nur um mein Bild zu holen? Ob sie es verstehen würden?

"Mama." Pippins heisere Stimme drang an sein Ohr, ließ ihn beinahe schmerzhaft zusammenzucken. "Es tut weh."
Heiderose sprach mit beruhigenden Worten auf ihren Sohn ein, was Frodos Sehnsucht nach seinen Eltern noch mehr verstärkte. Möglichst unauffällig zog er sich die Decke über den Kopf, um ihre Stimme nicht länger hören zu müssen, stellte sich weiterhin schlafend.

Warum nur er? Warum werde ich ignoriert? Warum?

Pippin begann zu schluchzen und murmelte etwas Unverständliches in den Schoß seiner Mutter. Frodo konnte sie nicht sehen, doch er wusste, dass Paladin und Heiderose ihren Sohn fest in den Armen hielten, ihn durch zärtliche Berührungen und sanfte Worte zu trösten versuchten, wie es seine Eltern einst getan hatte, wenn er krank gewesen war.
Er spürte, wie er sich verkrampfte und schließlich übermannte ihn die Sehnsucht. Seine Finger umklammerten die Bettdecke beinahe krampfhaft. Nicht länger hörte er Heideroses beruhigende Worte, oder seine eigene ruhigen und doch raue Atmung. Er lauschte nur mehr dem stummen Flehen seiner Tränen, die er in aller Heimlichkeit vergoss.



~*~*~



Die Tage vergingen und bald waren die beiden Hobbits wieder kerngesund. Auf weitere Schlittenfahrten mussten sie dennoch verzichten, denn ein Großteil des Schnees war geschmolzen. Auch wenn er nur zu Besuch war, hatte Paladin beschlossen, dass Frodo sich von Zeit zu Zeit jener Gruppe junger Hobbits anzuschließen hatte, die im Winter unterrichtet wurde. Pippin war noch zu jung dazu, und so beschloss Petunia, ihm zur Seite zu stehen, auch wenn Frodo das nicht immer Recht war.
Die Jultage kamen und gingen und fünf Wochen darauf, war Esmeralda erneut zu Besuch in den Großen Smials. Sie blieb nur wenige Tage und auch für Frodo war die Zeit des Abschieds gekommen. Pippin wollte ihn gar nicht wieder gehen lassen und Frodo fiel es sehr schwer, seinen Vetter zurückzulassen. Wie sehr würde er ihn vermissen, wenn er erst wieder im Brandyschloss war. Doch alles Jammern half nichts und am Morgen des 5. Solmath machte er sich, gemeinsam mit Esmeralda, wieder auf den Weg nach Bockland.





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