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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 3: Besuch bei Bilbo



„Wie ich sehe, seid ihr zu fünft“, stellte Bilbo fest, als er seine Gäste herein bat.
Mit Freuden traten die erschöpften Reisenden in die warme Hobbithöhle und entledigten sich ihrer Taschen, während vor allem Pippin und Merry mit großen Augen um sich blickten.
In weiser Voraussicht hatte Bilbo neue Kerzen in die Halterungen an den Wänden gesteckt und sowohl jene in der Eingangshalle, als auch die im langen Gang dahinter, der zu den einzelnen Räumen führte, entzündet. Primula seufzte, froh darüber endlich wieder die behagliche Wärme und das Licht einer Hobbithöhle um sich zu haben.
„Paladin und Familie kamen nach Bockland, als wir aufbrechen wollten“, erklärte Drogo unterdessen und hängte seinen Mantel an einen Kleiderhaken. „Pippin wollte Frodo und Merry besuchen und wir dachen, wir bringen ihn mit. Ich hoffe, das stört dich nicht. Er braucht auch kein eigenes Zimmer, sondern kann bei Frodo oder Merry schlafen.“
„Nein, das macht nichts“, sagte Bilbo rasch, „und der junge Herr Tuk bekommt natürlich auch sein eigenes Zimmer.“
Ein Lächeln umspielte Bilbos Lippen und er zwinkerte Pippin aufmunternd zu.
Trotz seiner Müdigkeit, durch die er kaum noch in der Lage war, seine Augen offen zu halten, grinste Pippin von einem Ohr zum anderen. Die Bezeichnung ‚Herr Tuk' gefiel ihm außerordentlich.

Die drei jungen Hobbits reichten ihre Umhänge und Mäntel an Primula weiter, die sie an einen der Haken hängte. Frodo schien jegliche Müdigkeit hinter sich gelassen zu haben und machte sich sofort auf, Beutelsend zu begutachten. Wann war er das letzte Mal hier gewesen? Er wollte sich genau umsehen. Ob sich wohl etwas verändert hatte, seit seinem letzten Besuch? Mit vor Begeisterung leuchtenden Augen ging er durch den hell erleuchteten Hauptgang und schielte in jeden Raum, dessen Tür geöffnet war. Doch kein Zimmer zog seine Aufmerksamkeit so auf sich, wie jenes, das am hintersten Ende der großen Höhle lag.
Das Zimmer, in dem er immer schlief, wenn er zu Besuch war.
Die Tür war bereits geöffnet und Frodo lugte vorsichtig hinein. Hier brannten keine Kerzen, doch das Licht eines kleinen Feuers, das im Kamin flackerte, reichte aus, um alles erkennen zu können. Das Bett, das sich gleich links neben der Tür befand, war bereits für ihn hergerichtet worden. Die Decke lag ordentlich gefaltet am Fußende und das Kissen war frisch aufgeschüttelt. Dunkle Vorhänge wehten über einen kleinen Schreibtisch in der linken Ecke gegenüber dem Bett, als ein leichter Wind herein blies. Kein anderes Geräusch war zu vernehmen und Frodo blieb ehrfürchtig in der Tür stehen. Er liebte dieses Zimmer, hatte das schon immer getan. Etwas Besonderes schien von ihm auszugehen.

„Frodo?“, erschrocken fuhr er herum, als ein dunkler Schatten sich über ihn senkte und seine Mutter ihm die Hand auf die Schulter legte. „Ist alles in Ordnung?“
Sie beugte sich zu ihm hinab, forschte in seinem Ausdruck nach Unbehagen, fand jedoch keines.
Frodo nickte. Für einen kurzen Augenblick sah er seine Mutter an, blickte dann aber wieder in das Zimmer, wobei ein sonderbarer Glanz in seine Augen trat.
Das Zimmer...“, er stockte, schien einen Moment nach dem richtigen Ausdruck zu suchen, „Es ist wie für mich gemacht.“
Als er sich wieder zu ihr umwandte, waren seine Augen dunkel und er wirkte verwirrt. Vermutend, das Erschöpfung den Grund für Frodos Verwirrung darstellte, schmunzelte Primula. „Vermutlich hat Bilbo es deshalb für dich ausgewählt.“
Ein Lächeln umspielte Frodos Lippen und er nickte schwach. Primula wuschelte ihm durch die braunen Locken und küsste seine Stirn, als ein kühler Windhauch über ihre Wangen strich. Überrascht hob sie den Kopf, bemerkte das offene Fenster und machte sich auf, es zu schließen, um die Wärme des Kaminfeuers im Zimmer zu halten.

Gemeinsam gingen sie in das Esszimmer, wo Drogo bereits mit Merry und Pippin an einem großen Tisch saß und Holundersaft in ihre Gläser goss. Auf dem Tisch stand zudem eine Flasche Alter Wingert, die den Erwachsenen den Abend versüßen sollte.
Frodo blickte sich staunend um. Ihm war, als hätte sich alles verändert, seit seinem letzten Besuch. Auch im Esszimmer hatte Bilbo alle Lampen und Kerzen angezündet und der Raum war förmlich von Licht durchflutet. Im Kamin prasselte ein Feuer und der Duft von Pinienholz lag in der Luft und mischte sich mit dem von Kartoffeln und frisch gebratenem Fisch, den Bilbo in eben jenem Moment herein trug. Frodo eilte zum Tisch, wo er ungeduldig darauf wartete, dass das Essen geschöpft wurde.
Die Hobbitkinder schlugen zu, als hätten sie die vergangenen drei Tage nichts mehr zu essen bekommen, doch je länger sie aßen, desto müder wurden sie und am Ende war Pippin nicht einmal mehr dazu in der Lage, seine Kartoffeln aufzuessen sondern wäre beinahe über seinem Teller eingeschlafen. Merry und Frodo hatten sich bis dahin lautstark an den Gesprächen der Erwachsenen beteiligt, doch als Primula schließlich entschied, Pippin zu Bett zu bringen, tat auch Merry mit einem geräuschvollen Gähnen kund, dass er zu solch später Stunde für gewöhnlich lange im Bett war.

Während Bilbo Pippins Bett vorbereitete, ging Primula dem jungen Hobbit beim Umziehen zur Hand. Es dauerte einige Zeit, bis sie den erschöpften Tuk in sein Nachtgewand gesteckt hatte, doch kaum war ihr dies gelungen, genügten eine warme Decke und ein weiches Kissen, um den jungen Hobbit tief und fest schlafen zu lassen.
Primula ließ die Türe zu seinem Zimmer offen, ging dann kurz zu Merry, um auch ihm eine gute Nacht zu wünschen und trat zu guter Letzt auch in Frodos Zimmer. Ihr Sohn war schon beinahe eingeschlafen, als sie an sein Bett trat, doch ihr Anblick entlockte ihm ein Lächeln. So erschöpft er von der Reise auch sein mochte, Primula konnte sehen, dass er glücklich war und nichts hätte ihr Herz mehr erfreuen können.
„Gute Nacht“, wisperte sie und hauchte einen Kuss auf seine Stirn

Beruhigt, dass alle ihre Schützlinge wohlauf waren und in ihren Betten lagen, kehrte Primula schließlich ins Esszimmer zurück, wo Bilbo und Drogo bereits bei einem Glas Wein und einer Pfeife Altem Tobi vor dem Feuer saßen und sich miteinander unterhielten. Primula setzte sich zu ihnen. Es sollte spät werden, bis die Hobbits in dieser Nacht zu Bett gingen.



~*~*~



Als Frodo am nächsten Morgen aufwachte, war er sich nicht sofort klar, wo er sich befand. Während er verwirrt die letzten Bilder eines Traumes abschüttelte, kehrte die Erinnerung jedoch zurück und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Zufrieden bettete er seinen Kopf bequemer auf das Kissen und blieb verträumt in seinem Bett liegen. Er schnüffelte. Das Feuer im Kamin war schon lange herunter gebrannt, doch der mürbe Duft des Pinienholzes war noch nicht völlig verflogen. Da war jedoch noch ein anderer Geruch, ein besonderer Duft, ohne den das Zimmer nicht die gleiche Geborgenheit ausgestrahlt hätte, die Frodo nun fühlte. Der Duft war dem im Zimmer seiner Eltern im Brandyschloss ähnlich, und doch war er ganz anders. Einige Zeit versuchte Frodo, den Geruch zuzuordnen, gab es aber bald auf und entschied, dass es sich dabei lediglich um den besonderen Geruch seines Lieblingszimmers in Beutelsend handelte.

Die Ruhe genießend, drehte Frodo sich noch einmal zur Seite und schlummerte. So bemerkte er nicht, wie sich die Zimmertüre öffnete und Pippin auf Zehenspitzen herein tapste, um sich neben ihn zu legen.
„Frodo?“, flüsterte der junge Hobbit, als dieser sich im Halbschlaf rührte. „Bist du wach?“
Pippin stützte sich auf seinen Ellbogen, um einen Blick auf Frodos geschlossene Augen zu erhaschen, woraufhin sein Gesicht einen sorgenvollen Ausdruck annahm. Einen Augenblick war er versucht, seinen Vetter wachzurütteln, als dieser plötzlich blinzelte.

Der warme Hauch eines Atemzuges kitzelte Frodo am Nacken und rief ihn zurück aus der Welt der Träumenden. Verwundert wandte er sich um, als er das Gesicht seines Vetters erkannte. „Pippin, was machst du denn hier?“
Der junge Hobbit blickte verlegen zur Seite und im schwachen Tageslicht, das durch die geschlossenen Vorhänge hereindrang, glaubte Frodo zu erkennen, dass sich dessen Wangen erröteten.
„Ich…“, stotterte der junge Tuk und spielte verlegen mit einem Zipfel der Bettdecke, „… es war so still in meinem Zimmer und …“
Frodo brach in schallendes Gelächter aus, was ihm sofort wieder Leid tat, als er Pippins beschämten Gesichtsausdruck sah. Sein Vetter war immerhin fast fünf Jahre jünger als er, und bestimmt noch nicht oft ohne seine Eltern verreist, wenn das überhaupt jemals der Fall gewesen war. Außerdem war Pippin die Ruhe in Beutelsend ebenso wenig gewohnt, wie Frodo selbst, denn die Großen Smials waren nicht weniger überfüllt als das Brandyschloss in Bockland. Es war nur verständlich, dass der junge Hobbit, der den Lärm vieler hundert Verwandten gewohnt war, Angst bekam, wenn er morgens aufwachte und keine Geräusche vernahm.
Frodo legte einen Arm um seinen Vetter und warf seine Decke zurück, sodass Pippin ebenfalls die wohlige Wärme, die ihn umgab, genießen konnte.
„Wann immer du dich einsam fühlst, kannst du zu mir kommen“, versicherte er lächelnd, erfreut darüber, dass Pippin ausgerechnet seine Nähe gesucht hatte.
Pippin lächelte verlegen, kroch dann unter die Bettdecke und kuschelte sich an seinen Vetter.

Lange verweilten die jungen Hobbits jedoch nicht im Bett. Der Gang war nur mehr spärlich beleuchtet, da Bilbo die meisten Kerzen gelöscht hatte. Den Weg in die Küche fanden die jungen Hobbits dennoch ohne Schwierigkeiten, denn sie wurden vom wohlriechenden Duft gebratenen Specks angezogen, der ihre Mägen zum Knurren brachte.
Frodo und Pippin gingen allerdings nicht sofort in die Küche, sondern blieben in der Tür stehen und beobachteten amüsiert, wie Bilbo alles für das Frühstück vorbereitete. Der kräftig gebaute Hobbit mit dem leicht ergrauten Haar hatte sich eine Schürze umgebunden und stand am Herd, wo er geschäftig mal in der einen, mal in der anderen Pfanne rührte.
Abgesehen vom flackernden Schein der Feuerstelle, erhellte kein anderes Licht den Raum. Über den züngelnden Flammen, die sich in den Töpfen und Pfannen spiegelten, hing eine Teekanne, aus deren Nase bereits kleine Dampfwölkchen aufstiegen.

„Guten Morgen, ihr zwei! Habt ihr gut geschlafen?“
Die Hobbits tauschten einen verwunderten Blick, überrascht, dass Bilbo sie entdeckt hatte, obschon er ihnen den Rücken zugewandt hatte. Schulter zuckend traten sie an seine Seite.
„Besser kann man in diesem Zimmer gar nicht schlafen, Bilbo!“ antwortete Frodo glücklich und schielte neugierig in eine der Pfannen, in der dünn geschnittene Speckscheiben brutzelten.
Bilbo lächelte und schob seinen Neffen ein wenig zur Seite, um sicher zu gehen, dass er sich nicht verbrennen konnte. „Das freut mich zu hören, mein Kleiner!“

Pippin, der neben seinem Vetter stand, schielte gierig auf ein Marmeladenglas, das auf der Arbeitsfläche stand. Er konnte es jedoch nicht erreichen, nicht einmal, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Frodo mochte vielleicht gerade groß genug dafür sein, doch sein Vetter schien sich nicht für die Marmelade zu interessieren, sondern tapste hinter Bilbo her, als dieser die Teekanne vom Feuer nahm, da sie zu pfeifen begonnen hatte.
„Können wir dir helfen?“, wollte Frodo wissen, erpicht, seinem Onkel zur Hand zu gehen.
„Ich bin gerade fertig, aber ihr könntet den Tisch decken, wenn ihr wollt.“
Bilbo zeigte ihnen, wo das Besteck und die Teller zu finden waren, woraufhin Frodo Pippin sogleich am Arm packte, und sich an die Arbeit machte. Sie hatten gerade den ersten Stapel Teller und Untertassen in das Esszimmer getragen, als Merry gähnend in die Küche trat und sich den Schlaf aus den Augen rieb.
„Wie ich sehe, steht das Frühstück schon bereit“, stellte der junge Hobbit fest.
„Das tut es“, meinte Frodo spitz, „und ich bin froh, dass du nun auch endlich in die Küche gefunden hast. Ich hatte schon geglaubt, du würdest gar nicht aus dem Bett kommen.“
Ein schelmisches Grinsen trat auf Frodos Gesicht, doch Merry war noch zu müde für eine freche Antwort. Außerdem hatte Bilbo inzwischen alle fehlenden Tassen und Besteckstücke auf ein Tablett geladen, wodurch die jungen Hobbits nicht mehr länger in der Küche gebraucht und stattdessen ins Badezimmer gescheucht wurden.

Kurze Zeit später waren auch Drogo und Primula aufgewacht und fanden sich am reich gedeckten Frühstückstisch im Esszimmer ein. Es gab Eier, Speck, Schinken, Käse, und Marmelade und Honig für den süßen Gaumen, was vor allem Pippin sehr erfreute.
Trotz ihrer großen Aufregung aßen die Kinder schweigend und kommentierten nur ab und an die Gespräche zwischen Drogo, Primula und Bilbo. Letzterer erklärte, dass er noch auf den Markt müsse und bot an, die jungen Hobbits mit sich zu nehmen. Frodo, Merry und Pippin waren von dem Vorschlag begeistert. Für die Vettern war jeder Markt ein Abenteuer und die Vorstellung, mit Bilbo auf einen für sie völlig neuen Markt zu gehen, nämlich dem von Hobbingen, ließ sie vor Aufregung ganz unruhig werden. Drogo und Primula hatten dagegen nichts einzuwenden, wollten Bilbo und die Kinder allerdings nicht begleiten und so sollte Bilbo sich kurze Zeit später in der ungewöhnlichen Situation wieder finden, mit drei übermütigen Hobbitkindern den Bühl hinunter zu laufen.
Primula hatte versprochen, den Abwasch zu erledigen, denn Frodo, Pippin und Merry waren kaum mehr zu bremsen gewesen, nachdem sie ihr Frühstück beendet hatten und hatten Bilbo keine Ruhe gelassen, bis dieser schließlich früher als geplant aufgebrochen war.

Auch an diesem Tag war es sonnig und ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Bilbo hatte sich auf einen gemütlichen Besuch auf dem Markt gefreut, wollte in aller Ruhe mit den Kindern an den Ständen entlang schlendern und Primula und Drogo so einen freien Tag bescheren. Er hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass es so anstrengend sein konnte, auf die drei Hobbitjungen Acht zu geben. Die drei rannten ungestüm den Bühl hinunter, nahmen dabei keine Rücksicht auf ältere Damen, die mit vollen Körben die Bühlstraße herauf kamen, oder auf Männer, die mit Schubkarren und Vieh ebenfalls auf dem Weg zum Marktplatz waren. Bilbo hatte nicht einmal Zeit für einen kurzen Plausch mit dem alten Ohm, denn seine drei Schützlinge drängten zur Eile, konnten es kaum erwarten, den Markt endlich zu erreichen.

Die Augen der jungen Hobbits waren vor Staunen weit geöffnet, als sie den Marktplatz Hobbingens endlich erreichten. Stände waren aufgebaut worden, an denen Bauern die Qualität ihrer Ziegenmilch anpriesen, Frauen ihre selbst geflochtenen Körbe anboten und Handwerker ihre Arbeit präsentierten. Eine Schneiderin nahm auf offener Straße die Maße ihres Kunden, während sich auf der gegenüberliegenden Seite eine Mutter mit vier Kindern am Rockzipfel über einen überteuerten Schinken beklagte. In der Ferne konnte Frodo einen Schmied erkennen, der ein Pony neu beschlug, als plötzlich ein Junge in einem grünen Hemd, der nicht viel älter war, als er selbst, über die Straße stürmte, tobend einer flüchtigen Henne hinterher eilte und versuchte, sie wieder einzufangen. Frodo sah ihm einen Augenblick mit großen Augen und offenem Mund hinterher, als er von Merry plötzlich auf einen Hobbit in seinen Tweens aufmerksam gemacht wurde. Der Junge, lehnte an einem Holzbalken, kaute an einem Grashalm und hatte einen alten Hut tief ins Gesicht gezogen. Die Ärmel seines blauen Hemdes waren zurückgekrempelt. Das Marktgetümmel schien ihm nichts auszumachen, ebenso wenig die vier Schweine, die neugierig an seinen Zehen schnüffelten. Frodo kicherte in sich hinein und ließ seinen Blick von neuem über die einzelnen Stände und Hobbits wandern, die sich auf dem Marktplatz eingefunden hatten.
Der Duft von Schinken hing in der Luft, mischte sich mit dem von Bier, Met, gebratenen Würstchen, Schweinemist und Vieh. Dies war eindeutig ein Ort, an dem große Abenteuer erlebt werden konnten.

Bilbo ging zielstrebig auf einen Stand mit Eiern und Milch zu, an dem den jungen Hobbits herzlich wenig lag. Sie waren viel mehr an den Ständen mit Schnitzereien interessiert und an jenen mit ausgestopften Tieren, Büchern und edlen Glasfiguren, in denen sich das Licht in allen Farben brach.
So dauerte es nicht lange, bis die Vettern einen völlig überforderten Bilbo hinter sich ließen und sich alleine in das Marktgetümmel stürzten. Bilbos verzweifelter Ruf, sie mögen nicht zu weit weggehen, beantworteten sie mit einem einstimmigen „Machen wir!“, doch nahm keiner der drei Jungen Bilbos Worte sonderlich ernst.

Seufzend und mit einem etwas verzweifelten Gesichtsausdruck blickte Bilbo seinen drei Schützlingen hinterher, als diese hinter einem Marktstand verschwanden und kurz darauf unter den vielen anwesenden Hobbits untergingen.
„Guten Morgen, Herr Bilbo!“
Lily, Tom Hüttingers Gattin, trat auf Bilbo zu. Ihre im Nacken zusammengebundenen braunen Haare schimmerten im Licht der Sonne und ein Lächeln zierte ihr schmales Gesicht. Sie hatte das Schauspiel beobachtet und war Bilbos Blick zu dem Marktstand hinter dem seine Schützlinge verloren gegangen waren, gefolgt. „Da hast du aber eine sehr lebendige Bande!“
Bilbo sah sie ein wenig hilflos an und lächelte gequält: „Wenn ich sie hinterher nur wieder finde und ihnen nichts passiert ist.“
„Mach dir da keine Sorgen. Hier kann ihnen nicht viel passieren“, versicherte sie.
„Das will ich hoffen“, murmelte Bilbo mehr zu sich selbst, wobei er einen weiteren Blick in die Richtung warf, in die die drei jungen Hobbits zuvor geeilt waren.
„Wenn ich sie hinterher nur wieder finde“, flüsterte er noch einmal und sah sich Hilfe suchend um.

Frodo, Merry und Pippin machten sich keine weiteren Gedanken um Bilbo. Sie kamen auch alleine zurecht und würden zur Not auch alleine zurück nach Beutelsend finden. Gemeinsam rannten sie über den Marktplatz, blieben hier und da kurz stehen, um einige Dinge genauer zu betrachten und lauschten den neusten Gerüchten Hobbingens. Etliche Hobbits hatten sich auf dem Marktplatz eingefunden und jeder konnte hier finden, was sein Herz begehrte, ganz gleich ob sich dabei um Pflanzen, Nahrungsmittel, Tiere, Nutzgegenstände oder Spielzeug und sonstige Kleinigkeiten handelte.
Lachend trotteten die drei Hobbits an einer Reihe großer Spiegel vorüber, schnitten Grimassen und alberten herum, um zu sehen, wer seine Vettern am meisten zum Lachen bringen konnte.
Schließlich entdeckten sie ein Kälbchen, das an einen Balken angebunden war und traurig nach seiner Mutter rief. Frodo hatte Mitleid mit dem Tier und so verbrachten die drei Hobbits lange Zeit bei dem Kalb, streichelten es, ließen es an ihren Fingern saugen und freuten sich, wenn es ihnen die Hände ableckte. Der Bauer, dem das Tier gehörte, schickte sie jedoch weg, nachdem er von seinem eigenen Rundgang durch den Markt zurückgekehrt war und die Hobbits bei seinem Kalb entdeckte. So suchten Frodo und seine Vettern nach einer neuen Beschäftigung.
Als sie über den Marktplatz streiften, entdeckten sie eine Gruppe von Kindern, die bei einer angebundenen Ziege inmitten des Dorfplatzes standen. Unter ihnen war auch Samweis Gamdschie, Hamfasts Sohn. Frodo erkannte den pausbäckigen Jungen mit den goldenen Locken und den braunen Augen sofort und begrüßte ihn freudig. Kurzerhand wurde beschlossen, dass die drei Vettern den Rest des Tages mit Sam und seinen Freunden verbringen würden.



~*~*~



Stunden, nachdem er sie verloren hatte, eilte Bilbo noch immer verzweifelt über den Marktplatz und suchte unter den vielen Gesichtern nach denen seiner drei Schützlinge. Er hatte versprochen zum Vier-Uhr-Tee zurück zu sein, doch der war nun schon längst vorüber. Von Herrn Gamdschies Frau, Bell, hatte er schließlich erfahren, wo die Bande Lausebengel zu finden war und eilte rasch in die ihm angewiesene Richtung.
In einer ruhigen Ecke des Marktgetümmels fand er sie dann, lachend und tratschend und einen Imbiss zu sich nehmend. Sam war bei ihnen, ebenso wie zwei von Tom Hüttingers Kindern, die Zwillinge Rosie und Wilkomm, der von allen nur Jupp genannt wurde.
„Habe ich euch endlich gefunden!“ rief Bilbo erleichtert.
Die Hobbits blickten überrascht auf und Frodo winkte seinem Onkel erfreut zu, doch Bilbo stand der Sinn nicht nach einem Gruß. Die Angst, die er verspürt hatte, als er sie nicht mehr hatte finden können, lag noch deutlich in seiner Stimme, als er sie zurechtwies.
„Ich hatte euch doch angewiesen, nicht zu weit wegzugehen. Wisst ihr überhaupt, wie besorgt ich war?“
Die Freude wich mit einem Mal aus den Gesichtern der Kinder und während Sam, Rosie und Jupp verwirrt zwischen Bilbo und den Vettern hin und her blickten, senkten Frodo und seine Freunde betreten die Köpfe.
„Wir wollten doch nur unseren Spaß“, verteidigte sich Frodo, warf seinem Onkel einen zaghaften Blick zu.
„Ich hatte mich auch auf einen vergnüglichen Nachmittag gefreut“, schimpfte Bilbo, doch seine Erleichterung, die Jungen wieder gefunden zu haben, nahm seiner Stimme die nötige Schärfe, „allerdings wollte ich Teil eures Vergnügens sein und nicht verzweifelt durch die Massen irren, in der Hoffnung euch irgendwo entdecken zu können.“

Frodo verharrte regungslos und ballte unsicher seine Hände zu Fäusten. Obwohl Bilbo nicht mit ihm schimpfte, wie es sein Vater an dessen Stelle tun würde, erkannte er seinen Fehler und hörte die Sorge, die unverhüllt in der Stimme des alten Hobbits mitklang. Er schämte sich für sein Verhalten und machte sich große Vorwürfe, dem alten Hobbit einen solchen Schrecken eingejagt zu haben. Als Bilbo ihn schließlich bei der Hand nahm, murmelte er eine leise Entschuldigung. Den Kopf hielt er schuldbewusst gesenkt, während Bilbo ihn schweigend und raschen Schrittes zurück nach Beutelsend führte. Merry und Pippin trotteten mit betretenen Gesichtern hinter ihnen her, ohne sich von Sam und den anderen zu verabschieden.

Zu Hause angekommen berichtete Bilbo den besorgten Eltern, was vorgefallen war, während die jungen Hobbits ins Wohnzimmer geschickt wurden, wo sie mit langen Gesichtern auf dem Fußboden saßen und ihre Strafe erwarteten. Sie unterhielten sich flüsternd und lauschten den leisen Stimmen der Erwachsenen in der Küche, hoffend, sie würden nur milde bestraft werden. Frodo war schweigsamer als seine Vettern und als sein Vater schließlich zu ihnen kam, wagte er nicht, ihn anzusehen. Mit strengem Ausdruck ging Drogo vor den Kindern auf und ab und machte ihnen in einer langen Strafpredigt klar, wie unvernünftig und dumm sie gehandelt hatten. Seine Stimme war nicht von Erleichterung überschattet, sondern besaß sowohl die Schärfe als auch den bitteren Nachgeschmack, den Tadel mit sich brachte. Frodo biss sich auf die Lippen und stierte in die züngelnden Flammen im Kamin, während die Sonne langsam unterging und sein Vater sie zurechtwies, wobei er einen Großteil seiner Worte jedoch an ihn richtete. In Zukunft würde Frodo nur mehr an der Hand eines Erwachsenen auf den Markt gehen dürfen und für den heutigen Tag sollte jegliches Vergnügen ein Ende finden. Pippin, Frodo und Merry hatten an diesem Abend eine von Bilbos Geschichten hören wollen, für die der alte Hobbit im ganzen Auenland bekannt war, hatte er schließlich selbst das größte aller Abenteuer erlebt, und geholfen, einen Drachen zu besiegen, doch Drogo schickte sie, als Strafe für ihren kleinen Ausflug auf dem Marktplatz, früh zu Bett.

Frodo wirkte noch immer sehr traurig, als Primula ihn nach dem Abendessen in sein Zimmer begleitete. Die Erleichterung in Bilbos Stimme, als er ihn und seine Vettern gefunden hatte, und die Sorge, die ihr vorangegangen sein musste, wollten ihm keine Ruhe lassen. Primula küsste ihn zärtlich, lächelte ob der mitfühlenden Seele ihres Sohnes und war bereit, ihn an einem Teil der Sorge teilhaben zu lassen, die man als Elternteil empfand, wenn man sein Kind an einem so überfüllten Ort, wie einem Marktplatz verlor. Zu ihrem Bedauern wirkte Frodo hinterher noch betrübter als zuvor. Sie kannte ihren Sohn, wusste, dass er sich schreckliche Vorwürfe machte. Zärtlich und mit liebevollem Blick strich sie über seine Wange, schlug vor, Bilbo noch einmal zu ihm zu schicken, auf dass Frodo selbst mit dem alten Hobbit sprechen konnte. Nur Bilbo würde ihren Jungen noch davon überzeugen können, dass mit der Strafe ihrer Missetat genüge getan war und Frodo sich nicht länger Gewissensbisse zu machen brauchte.

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Frodos Magen aus, während er in die Glut im Kamin starrte und nervös auf seinen Onkel wartete. Er war sich nicht sicher, ob ihm die Idee seiner Mutter gefiel und hatte nur zögernd zugestimmt. Bilbo war bestimmt wütend auf ihn und Frodo konnte es ihm nicht einmal Übel nehmen. Seine Finger spielten unruhig mit der Bettdecke, als sich die Türe plötzlich knarrend öffnete und Bilbo mit einem Kerzenhalter in der Hand eintrat.
„Was ist los, mein Junge?“ begehrte er zu wissen und im Licht der Kerze konnte Frodo die Sorge im Gesicht seines Onkels erkennen, als er sich auf die Bettkante setzte.
Frodo kämpfte mit den Tränen. Bilbo war ihm nicht böse, sondern noch immer voller Kummer. Hatte denn eine einzige Übeltat solch langwierige Folgen? Voller Traurigkeit blickte er in die Augen seines Onkels, woraufhin Bilbo besorgt die Kerze auf den Nachttisch stellte, ihm zärtlich durch die Haare strich und in den tiefblauen Augen nach einer Antwort für Frodos Traurigkeit suchte.
„Es tut mir Leid!“ brach es plötzlich aus dem jungen Hobbit hervor. Er schluchzte, konnte nur stotternd weiter sprechen. „Ich, … wir wussten nicht, dass wir dir dadurch so viele Sorgen bereiten. Ich wollte das wirklich nicht.“

Überrascht über den plötzlichen Gefühlsausbruch legte Bilbo einen Arm um den jungen Hobbit und drückte ihn fest an sich. Tiefes Mitgefühl erfüllte sein Herz und er bereute beinahe, dass er Drogo hatte so streng mit ihnen sein lassen. Frodo hatte seine Lektion gelernt und die Art, wie er in seinen jungen Jahren damit umging, ließ ihn zu etwas Besonderem werden, davon war Bilbo überzeugt, auch wenn er selbst nie Kinder gehabt hatte. Zu sehen, wie sehr Frodo sich quälte, rührte ihn beinahe selbst zu Tränen und er schloss seine Arme noch fester um den Jungen.
„Mach dir keine Sorgen“, versuchte er das Kind dann mit einem Lächeln aufzumuntern. Sanft strich er eine Träne von den leicht geröteten Wangen. „Es ist alles gut gegangen und ihr wisst nun, dass ihr so etwas nicht tun solltet. Das nächste Mal werdet ihr gewiss auf mich hören.“
Frodo schluchzte und nickte heftig, lehnte sich dann aber noch einmal in die Arme seines Onkels. Nur in den zärtlichen Armen seines Onkels konnte er sich versichern, dass es keinen Grund gab, zu weinen.
„Schlaf jetzt, mein Junge. Mach dir keine Vorwürfe mehr“, flüsterte Bilbo, als sich sein Neffe schließlich beruhigt hatte, und deckte ihn ordentlich zu.
Als Frodo ihm eine gute Nacht wünschte, lächelte der Junge bereits wieder und Bilbo kam nicht umhin, zurückzulächeln. Leise schloss er dann die Tür hinter sich, auf dass nichts den Schlaf des jungen Hobbits stören konnte.



 

~*~*~



Am nächsten Tag stellte Merry entsetzt fest, dass es regnete, doch dies sollte kein Grund sein, um trübselig zu werden. Da sie nicht nach draußen gehen konnten, machten die Kinder es sich im Wohnzimmer auf dem Fußboden vor dem Kamin gemütlich und spielten mit kleinen, geschnitzten Holzfiguren, die Pippin von den Großen Smials mitgebracht hatte. Jede Figur hatte von Pippin einen eigenen Namen und besondere Züge erhalten und Frodo und Merry hatten alle Mühe die Eigenart des jeweiligen Tieres zu Pippins Zufriedenheit zu mimen.
Nach dem Mittagessen fragte Frodo nach, ob Sam sie besuchen dürfe und strahlte über das ganze Gesicht, als Bilbo und auch seine Eltern nichts dagegen einzuwenden hatten. Rasch hatte sich der junge Hobbit seinen Umhang um die Schultern geworfen und war in den Regen hinaus geeilt, versprechend, er würde bald zurück sein. Bis zur Höhle der Gamdschies im Beutelhaldenweg war es nur ein Spaziergang von wenigen Minuten. Frodo beeilte sich sehr, legte einen Großteil des Weges rennend zurück. Der Regen prasselte ihm ins Gesicht und er musste die Augen zu kleinen Schlitzen verengen und eine Hand davor halten, um sie vor den Tropfen zu schützen.

Als er schließlich durch die kleine Gartentür ging, durch die er zur Höhle gelangen sollte, warf er seine Kapuze zurück und schüttelte sich vergebens einige Wassertropfen aus den Haaren, ehe er an die gelb gestrichene, runde Türe klopfte.
Bell Gamdschie empfing ihn mit einem verdutzten: „Hallo, Herr Frodo!“
Sie hatte ihren Besucher sofort wieder erkannt, doch die Verwunderung ihn vor ihrer Türe anzutreffen, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Guten Tag, Frau Gamdschie“, grüßte Frodo und nickte höflich mit dem Kopf. Ein wenig aufgeregt verlagerte er das Gewicht von einem Bein auf das andere, als er auf der Schwelle stand und mit einem unsicheren Lächeln zu ihr aufblickte.
„Ich wollte fragen, ob Sam uns oben in Beutelsend besuchen möchte“, fragte er schüchtern.
Eben in jenem Augenblick stürmte Sam hinter seiner Mutter an der Tür vorüber und brüllte seiner Schwester zornig hinterher, doch das Mädchen lachte nur und maulte nicht weniger verärgert zurück. Frodo konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Frau Gamdschie einen Seufzer ausstieß und sich entnervt umdrehte.
„Samweis Gamdschie! Du sollst dich nicht mit deiner Schwester streiten!“ machte sie ihrem Sohn verständlich.
Frodo schielte an Bell vorbei in die spärlich beleuchtete Hobbithöhle und konnte erkennen, wie Sam aus einem Zimmer trat und sich offensichtlich verteidigen wollte, doch Frau Gamdschie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Außerdem hast du Besuch. Der junge Herr Frodo möchte dich einladen.“
Von einem Ohr zum anderen grinsend, winkte Frodo seinem Freund zu, als dieser ihn erkannte. Sams Mund klappte vor Überraschung auf und für einen langen Moment schien der junge Hobbit nicht in der Lage, ihn wieder zu schließen. Schüchtern trat er dann an die Seite seiner Mutter, doch sein Gesicht strahlte, als hätte Frodo ihm soeben das größte Geschenk gemacht, das er jemals erhalten hatte.
„Willst du mitkommen nach Beutelsend?“, fragte Frodo mit einem Lächeln, völlig unbeeindruckt von Sams Verhalten. Seine eigene Unsicherheit hatte er bereits hinter sich gelassen, als er die Stimme seines Freundes vernommen hatte.
„Wenn ich darf“, antwortete der junge Hobbit schüchtern und sah von Frodo zu seiner Mutter und wieder zu Frodo.
Bell hatte nichts gegen einen Besuch einzuwenden, auch wenn es ihr seltsam erschien, dass ihr Sohn mit dem Neffen des Herrn von Beutelsend spielen sollte, doch schließlich waren sie jung und warum sollte sie dagegen sein, wenn es scheinbar beiden Hobbits Freude bereitete, miteinander Zeit zu verbringen. Sie reichte ihrem Sohn einen Umhang, wies ihn an, nicht zu spät nach Hause zu kommen und sich zu benehmen und schob ihm die Kapuze auf den Kopf, während er noch mit dem Knoten am Hals beschäftigt war. Frodo hatte Mühe sich das Lachen zu verkneifen und Sams gerötete Wangen zeigten ihm deutlich, dass auch der junge Hobbit mit der Behandlung seiner Mutter nicht einverstanden war.

Geschwind eilten sie dann den Bühl hinauf. Auch Frodo hatte seine Kapuze wieder hochgeschoben und warf sie erst zurück, als er durch das große Gartentor von Beutelsend ging. Zu seiner Überraschung blieb Sam zögernd davor stehen. Er wollte schon fragen, was nicht in Ordnung war, doch dann fand er die Antwort in Sams verlegenen Gesichtsausdruck. „Glaubst du wirklich, ich würde dich einladen, wenn du uns nicht besuchen dürftest?“, fragte er und war fast ein wenig beleidigt, dass Sam ihm nicht traute. „Meine Eltern waren einverstanden, und wie ich Bilbo kenne, bist du bestimmt nicht das erste Mal zu Besuch“, schmunzelte er.
Sam sah beschämt zu Boden und seine Wangen wurden noch roter, als zuvor: „Nun ja, du könntest mir einen bösen Streich spielen und...“
Er stockte, verstummte dann ganz. Frodo legte den Kopf schief, sah ihn beinahe beschuldigend an, doch dann lachte er, legte einen Arm um die Schulter seines Freundes und zog ihn ganz einfach mit sich.

An der Tür wurden sie von Merry und Pippin erwartet, die sie aus lauter Übermut beinahe umrannten. Die beiden waren begeistert, einen vierten Spielkameraden gefunden zu haben und machten sich das zu Nutze. Pippin machte sich sofort daran Sam über die Namen und Eigenarten seiner Tiere aufzuklären, während sich Frodo und Merry nach anderen Spielmöglichkeiten umsahen. Es sollte sich allerdings herausstellen, dass Pippins Figuren alles waren, was ihnen zur Verfügung stand und so ließen sie ihre Phantasie wallten, bauten aus Kissen, Büchern und Decken Ställe und Weiden, gaben den Tieren ein Zuhause und ließen sie große Dinge erleben.

Viele Stunden verbrachten sie so in den Zimmern von Beutelsend, bis es schließlich Abend wurde. Sam wollte sofort nach Sonnenuntergang nach Hause gehen, doch Bilbo bat ihn, noch zum Abendessen zu bleiben. Außerdem versprach er, nach dem Essen eine Geschichte zu erzählen, da Frodo schon am Abend zuvor nach einer verlangt hatte. Dem konnte Sam nicht widerstehen, doch sagte ihm sein Pflichtgefühl, dass er erst zu Hause Bescheid geben musste. Als Drogo diese Worte vernahm, warf er seinem Sohn einen vielsagenden Blick zu, den Frodo sofort verstand. Der gestrige Tag war noch klar in seiner Erinnerung und er blickte beschämt zu Boden. Diese Lektion hatte er gelernt. Nie wieder würde er sich aufmachen, einen überfüllten und größtenteils unbekannten Ort alleine auszukundschaften, ohne einem Erwachsenen mitzuteilen, wo er zu finden war.

Sam war bald zurück und nach einem genüsslichen Abendessen versammelte sich die gemütliche Runde vor dem Kamin im Wohnzimmer. Knisternd schlossen sich die Flammen um die frisch eingelegten Holzscheite und der warme Schein des Feuers wärmte nicht nur die Rücken der Kinder, die ihm zugewandt waren, sondern auch die Gemüter der Erwachsenen, die in komfortablen Sesseln Platz genommen hatten. Drogo paffte an einer Pfeife während Bilbo die Hände vor dem Bauch verschränkt hatte und mit einem zufriedenen Lächeln auf die erwartungsvollen Gesichter der Kinder blickte, die vor ihm auf dem Boden saßen. Unheimliche Schatten tanzten an den Wänden und keiner der jungen Hobbits wagte, die aufgekommene Stille zu unterbrechen, bis sich der alte Hobbit schließlich räusperte und zu erzählen begann. Die Hobbits lauschten gebannt den Worten. In ihren Köpfen sahen sie Bilder von Zwergen, mit blauen, gelben und roten Mänteln, riesige Trolle, Drachen auf einem Berg voller Gold, Elben, Adler und allerlei seltsame Gestalten. Ihre Augen funkelten, während Bilbo voller Inbrunst sein eigenes Abenteuer zum Besten gab. Seine Augen strahlten nicht weniger, als die der Kinder, während er in Erinnerungen schwelgte und alte Freunde wieder zum Leben erweckte. Und jedes Mal, wenn Bilbo die Elben erwähnte, hörte er ein leises, sehnsüchtiges Seufzen von zwei seiner Zuhörer, denn Sams Gesichtsausdruck war dann nicht weniger verträumt als Frodos.
Doch wie jede Geschichte hatte auch diese ihr Ende und so kam der Moment, an dem Sam Abschied nehmen musste und Pippin, Frodo und Merry in ihre Betten sollten. Die jungen Hobbits waren enttäuscht, doch protestierten sie nicht, als Primula sie schließlich in ihre Zimmer begleitete und Drogo Samweis verabschiedete. Er blieb so lange in der Türe stehen, sah in die dunkle Nacht hinaus, bis Sam aus seinem Blickfeld verschwunden war und er sicher gehen konnte, dass der junge Hobbit wohlbehalten zu Hause ankommen würde.

Zur großen Enttäuschung der jungen Hobbits waren auch die nächsten Tage verregnet und das, wo sie doch noch so vieles hatten von Hobbingen sehen, so vieles noch erleben wollten. Ihnen blieb jedoch nichts weiter übrig, als in Beutelsend zu bleiben, aber auch das hatte seine Vorteile, denn Sam erhielt Erlaubnis sie jeden Tag besuchen zu kommen. Gemeinsam fand der Ideenreichtum der jungen Hobbits kein Ende und sie entdeckten jeden Tag ein neues Spiel, eine neue Art, Leben in Bilbos sonst so triste Hobbithöhle zu bringen. Bilbo war froh, dass seine Höhle so groß war. Er hatte nicht erwartet, dass schon vier junge Hobbits ausreichten, um sein Zuhause und sein sonst so ruhiges und gemütliches Leben so sehr auf den Kopf zu stellen. Es gab nur zwei Dinge, die die Hobbits zur Ruhe brachten: die Mahlzeiten und Bilbos Erzählungen. Geschichten kannte Bilbo viele und er gab sie gerne zum Besten. Jeden Abend, und manchmal auch schon am Nachmittag, saßen die Hobbitkinder am Kamin und lauschten wie gebannt Bilbos Worten, die sie an fremde Orte und zu großen Abenteuern führten und ihre Herzen zu träumen anregte.



~*~*~



Der Tag der Abreise war gekommen. Frodo erwachte beim ersten Licht der Sonne und blickte sich in dem spärlich beleuchteten Zimmer um. Im Kamin befand sich nur mehr rote Glut und der dicke Vorhang vor dem Fenster erlaubte nur wenigen Sonnenstrahlen in das Zimmer einzudringen. Es hatte aufgehört zu regnen, doch das kümmerte Frodo wenig. Eine Wolke von Traurigkeit umgab ihn, während er trübselig zur Decke blickte. Er wollte Bilbo nicht wieder verlassen, denn wer konnte schon sagen, wann er den alten Hobbit, den er so lieb gewonnen hatte, wieder sehen würde? Betrübt zog Frodo die Decke über den Kopf, hoffte so, seine Gedanken aussperren und den bevorstehenden Abschied vergessen zu können.
Er bemerkte nicht, wie Merry und Pippin sich leise in das Zimmer schlichen, beide mit einem ihrer Kissen bewaffnet. Frodo hatte sich gerade wieder in seine Decke gekuschelt, als ihm diese plötzlich mit einem Ruck weggerissen wurde und ein Kissen ihn am Kopf traf. Erschrocken schrie er auf und Merry und Pippin brachen in lautes Gelächter aus. Frodo zögerte nicht lange, als er seine Vettern erkannte, bewaffnete sich sofort mit seinem eigenen Kissen und schlug es Pippin, dessen Kissen er kurz zuvor ins Gesicht bekommen hatte, um die Ohren. Eine wilde Kissenschlacht begann, begleitet von schrillen Rufen und lautem Gelächter.
Als Primula wenig später in das Zimmer trat, fand sie drei Hobbits nach Luft ringend auf dem Fußboden vor.
„Ihr habt eine stürmische Art, den Tag zu beginnen!“ lachte sie. „Beeilt euch und packt eure Sachen. Wir werden gleich nach dem Frühstück aufbrechen.“

Traurig lud Frodo seinen Rucksack auf den Wagen. Während er und seine Vettern gefrühstückt hatten, war sein Vater zu den Hüttingers gegangen, um die Kutsche abzuholen. So mussten sie ihr Gepäck nicht wieder den ganzen Weg zurück tragen und ihre Abreise würde sich nicht unnötig verzögern, mussten sie schließlich den Umweg über Tukland und Buckelstadt nehmen, um nach Bockland zu kommen, da sie Paladin versprochen hatten, Pippin nach Hause zu bringen. Das Herz war ihm schwer und wurde mit jedem Augenblick schwerer. Er wollte Bilbo nicht verlassen. Die wenigen Tage, die er bei seinem Onkel hatte verbringen dürfen, waren viel zu rasch vorüber gewesen und er hätte mit Freuden zugestimmt, hätten seine Eltern beschlossen, den Besuch zu verlängern.

Gerade als Frodo hinter dem Wagen hervor trat, sprang Sam die Bühlstraße herauf. Die Sonne brachte seine blonden Locken zum Schimmern. Er war gekommen, um den Beutlins Lebewohl zu sagen.
Frodo umarmte den jungen Hobbit zum Abschied, wie das unter Freunden üblich war, ehe Sam auch nur ein Wort herausbrachte, weil er erst zu Atem kommen musste. Von der Überraschung, die bei dieser scheinbar harmlosen Geste für einen kurzen Augenblick in das Gesicht des jüngeren Hobbits geschrieben war, bemerkte Frodo nichts.
„Warum kommst du mich nicht einmal in Bockland besuchen?“, schlug Frodo vor und seine Stimme klang leise und traurig, ganz gleich, was das Lächeln in seinem Gesicht glauben machen wollte.
Sam sah einen langen Moment in Frodos Augen, wich seinem Blick dann aber aus und sah verlegen zu Boden. Zaghaft schüttelte er dann den Kopf. „Der Weg ist zu weit und mein Ohm muss den Garten hier versorgen. Aber du kommst sicher wieder, Frodo!“
Frodo nickte und sein Lächeln wurde breiter. „Das werde ich bestimmt.“

Die Eingangstür von Beutelsend wurde geöffnet und Merry und Pippin traten schwatzend in den sonnigen Morgen, Drogo mit einem Rücksack in jeder Hand, dicht hinter ihnen. Frodo wandte sich mit einem letzten betrübten Blick an Sam von seinem Freund ab und half seinem Vater mit dem Gepäck, während sich Primula bei Bilbo bedankte.
Nachdem er geholfen hatte, alle Gepäckstücke zu verstauen, ging Frodo zu seinem Onkel. Er sah ihn jedoch nicht an, sondern blickte am alten Hobbit vorüber zu Pippin und Merry, die sich von Sam verabschiedeten. Dies war der Augenblick, den er gefürchtet hatte. Dies war der Moment, an dem er Lebewohl sagen musste. Frodo spürte einen Kloß in seinem Hals, als Bilbo in die Knie ging und sanft einen Finger unter sein Kinn legte, sodass Frodo gezwungen war, den Kopf zu heben. Erst jetzt erkannte er, dass auch in den Augen seines Onkels ungeweinte Tränen schimmerten, woraufhin Frodo die seinen nicht länger zurückhalten konnte und Bilbo in eine feste Umarmung schloss
„Ich will nicht gehen!“ schluchzte er, klammerte sich verzweifelt an Bilbos Weste fest.
„Ich weiß“, versuchte Bilbo ihn zu trösten, strich ihm beruhigend über den Rücken. „Aber du wirst bald wieder kommen. Wir könnten unseren Geburtstag gemeinsam hier feiern, was hältst du davon?“
Bilbo versuchte zu lächeln und fröhlich zu erscheinen, als er sich aus der Umarmung löste, um dem Jungen in die Augen zu sehen. Frodos Unterlippe zitterte, Tränen hatten eine Spur über seine linke Wange gezogen, doch er brachte ein schwaches Nicken zustande und schaffte es am Ende sogar zu lächeln.

Primula brach es das Herz, ihren Jungen so traurig zu sehen, wusste sie schließlich, dass sie seinen Abschiedsschmerz nicht lindern konnte. Doch sie wusste auch, dass das Wiedersehen im Herbst, das sie bereits mit Bilbo beschlossen hatten, umso erfüllter werden sollte.
Das Pony schnaubte ungeduldig und, als wäre dies das Zeichen für ihren Aufbruch, legte sie ihrem Sohn eine Hand auf die Schulter: „Komm jetzt, mein Junge! Wir müssen gehen.“
Nur widerwillig ließ sich Frodo von seinem Onkel trennen und kletterte nach hinten in den Wagen, wo es sich Merry und Pippin bereits gemütlich gemacht hatten. Auch Drogo saß schon auf dem Kutschbock und hatte die Zügel in der Hand, während er sich noch einmal von Bilbo verabschiedete. Als schließlich auch Primula neben ihrem Gatten Platz genommen hatte, konnte die Reise beginnen und auf ein Schnalzen von Drogo setzte sich das stämmige Pony in Bewegung.
Bilbo stand am Gartentor mit Sam an seiner Seite, wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln und winkte den jungen Hobbits zu, bis sie hinter einer Biegung verschwanden.

Die Fahrt zurück war, trotz des schönen Wetters, ungemein ruhig. Alle waren betrübt über den Abschied und obschon die Vetter noch einen ganzen Tag zusammen hatten, waren sie nicht mehr ganz so übermütig, was nicht zuletzt daran lagt, dass sie die meiste Zeit im ratternden Ponywagen saßen. Spät am Nachmittag entschied sich Drogo dazu in einem Gasthaus in Wegscheide einzukehren, wo sie die Nacht verbrachten. Kaum in ihrem Zimmer kehrte neuer Tatendrang in die Kinder, die lange nach Einbruch der Dunkelheit noch immer wach lagen und plapperten. Drogo und Primula ließen ihnen die Freude, brachen aber am nächsten Morgen später auf, als sie es beabsichtigt hatten. Sie erreichten den Tukhang erst am frühen Nachmittag. Paladin erwartete sie bereits nahe der Großen Smials und hieß sie voller Freude willkommen.
Pippins Vater ließ ihnen ein anständiges Mittagessen mit Kartoffelbrei und eingelegten Pilzen auftischen. Die kleine Reisegruppe langte kräftig zu, doch obschon begeistert von dem Mahl, wurden die Kinder zunehmend stiller, wissend, dass sich der Abschied von Pippin nicht mehr lange hinauszögern ließ. Zu früh drängte Drogo zum Aufbruch. Im Laufe des Tages waren Wolken aufgezogen und er fürchtete erneuten Regen. Paladin und seine Gattin Heiderose begleiteten die Gruppe zurück zum Ponywagen. Mit Tränen in den Augen und langen, betrübten Gesichtern schlossen sich die drei Vettern schließlich im Vorgarten der Smials in die Arme, wollten einander gar nicht mehr gehen lassen, während die Eltern Worte des Dankes und des Abschieds tauschten. Als Frodo und Merry schließlich wieder im hinteren Teil der Kutsche saßen, blickten sie noch lange zurück zu der großen Höhle, vor dessen Eingang Pippin weinend mit seiner Mutter stand und Trost in ihren Armen suchte.

Wieder herrschte Schweigen bei den sonst so frohgemuten Hobbits, während der Nachmittag langsam dahin zog und die Wolken am Himmel immer größere, immer dunklere Schatten auf den Boden malten. Frodo und Merry sprachen wenig, ebenso wie Drogo und Primula. Erst als sie in die Straße nach Stock einbogen und somit das Waldstück, das sie seit ihrem Halt in Tukland durchquert hatten, hinter sich ließen, hob sich ihre Stimmung wieder.
Drogo stimmte ein altes Wanderlied an und es dauerte nicht lange, bis alle mit einstimmten


He! He! He! An die Buddel geh,
Heil dein Herz, ertränk dein Weh!
Falle Regen oder Schnee,
Meilen, Meilen, Meilen geh!
Doch unterm Baume, da werd ich ruhn,
Wolken zählen und nichts mehr tun.


Die Sonne war schon lange untergegangen, als die Reisenden die Brandyweinbrücke überquerten und das Bockland endlich erreichten. Bald lenkte Drogo den Wagen nach Süden und weniger als eine Stunde später tauchten die Lichter Bockenburgs am Horizont auf, ebenso wie der Bockberg, in dessen Bauch die vielen Höhlen und Gänge des Brandyschlosses eingegraben waren. Das Pony wusste, dass der heimische Stall nicht mehr fern war. Den Brandywein hinter sich lassend, machte sich die Müdigkeit der Kinder bemerkbar. Hatten sie bis nach Sonnenuntergang noch gesungen, hatten sie sich nun zwischen den Gepäcksstücken zusammengerollt und schlummerten tief und fest. Primula bat Drogo kurz anzuhalten, damit sie die die Vettern mit ihren Umhängen zudecken konnte und als sie sich wieder auf den Kutschbock setzte, musste auch sie zugeben, dass die lange Reise an ihren Kräften gezehrt hatte. Müde lehnte sie ihren Kopf an die Schulter ihres Gatten und hatte Mühe die Augen offen zu halten, während dieser das Pony durch die leeren Straßen Bockenburgs lenkte.
Sie erreichten das Brandyschloss, wo sie bereits erwartet wurden, kurz vor Mitternacht. Merimac, Saradocs Bruder, hieß die Familie mit einer Lampe in der Hand willkommen und kümmerte sich anschließend mit der Hilfe eines Stalljungens um Pony und Karren. Saradoc, Merrys Vater, kam ebenfalls aus der Haupeingangstür des Brandyschlosses geeilt, als er erfahren hatte, dass die Familie zurückgekehrt war. Er begrüßte Drogo und Primula freudig, ehe er Merry vorsichtig aus dem Wagen hob, um ihn in sein Bett zu bringen. Primula nahm sich des Gepäckes an, während Drogo seinen Sohn zärtlich in die Arme schloss und ihn in sein Zimmer trug, immer darauf bedacht, seinen Schlaf nicht zu stören.



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Gedicht: Die Gefährten - Geradewegs zu den Pilzen

 





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