Stories of Arda Home Page
About Us News Resources Login Become a member Help Search
swiss replica watches replica watches uk Replica Rolex DateJust Watches

Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 76: Pfeifenkraut und Pflaumenkerne





Der Sommer verwöhnte mit angenehmen Temperaturen. Einzelne Gewitter ließen sich zwar nicht vermeiden, doch zeigte sich die Sonne täglich und war bisweilen fast unerträglich heiß. Paladin entschloss sich, nach nur zehn Tagen Aufenthalt nach Tukland zurückzukehren, denn das warme Wetter erlaubte ihm keine Ruhezeit. Über die Sommermonate gab es auf den Feldern und Höfen des Thains ebensoviel zu tun, wie auf jenen, die der Herr bewirtschaftete und als Oberhaupt der Tuk-Familie hatte Paladin die Geschehnisse gern selbst im Auge. Pippin durfte jedoch bis zum Halimath im Brandyschloss bleiben, vielleicht sogar etwas länger. Paladin machte dies von der Arbeit abhängig, denn nicht immer ließ sich die Zeit für eine mehrtägige Reise nach Bockland, einschließlich eines kurzen Aufenthalts als seiner Schwester Gast, einrichten.

Seinen Sohn kümmerte das wenig, auch wenn er bald lernen musste, dass auch das Leben im Brandyschloss nicht nur aus Spiel und Vergnügen bestand. Merry und Frodo wurden in die Arbeit zu Felde ebenso miteinbezogen, wie jeder andere auch. Pippin war dies zwar von Zuhause gewohnt, hatte jedoch gehofft, seinen Pflichten, wie sein Vater sie nannte, zu entgehen. Erbe des Thains hin oder her, für ihn zählte nur das Vergnügen und von dem hatte er eine Menge, auch wenn es bisweilen in noch mehr Arbeit resultierte, da Saradoc es nicht gerne sah, wenn er und seine Vettern sich nachts aus der Höhle schlichen um am Ufer des Flusses Glühwürmchen zu fangen, sie tagsüber die Mädchen so lange ärgerten, bis eines sie verpetzte, oder sie gar nicht erst zum Abendessen kamen, weil sie in ihrer Höhle im Wald die Zeit vergessen hatten und sich oft erst nach Einbruch der Dunkelheit auf den Heimweg begaben. Seiner Meinung nach nahm sein Onkel diese Dinge viel zu ernst. Frodo war schließlich bei ihnen und passte auf sie auf und sollte er, wie es häufig der Fall war, ebenso mit Streichen und Abenteuern beschäftigt sein, wie er und Merry, konnten sie alle drei aufeinander aufpassen.

Was sein Onkel mit dem Gerede über Vertrauen und Verantwortung bezwecken wollte, das Frodo sich einmal hatte anhören müssen, nachdem er und Merry bereits weggeschickt worden waren, wusste Pippin nicht. Nachdem er das Gespräch belauscht hatte, hatte Merry jedoch besorgt gewirkt und Pippin hatte ihm versprechen müssen, Frodo nicht zu sagen, dass sie die Unterhaltung mit angehört hatten. Er meinte, es würde ihren älteren Vetter verstimmen. Wenn er verärgert gewesen war, hatte sich Frodo das nicht anmerken lassen und auch nach dieser Unterhaltung – und den folgenden – änderten die Vettern ihr Verhalten nicht. Es war Sommer, noch dazu einer der wenigen, den sie zusammen verbringen konnten und nichts konnte sie von ihren Plänen abbringen, selbst wenn diese noch so abenteuerlich waren.


„Pip?“

Frodo wedelte zum wiederholten Mal mit der Hand vor dem Gesicht seines Vetters, doch dessen Augen klebten weiterhin an Marmadoc, wie die Tatze eines Bären am Honig.

„Pergrin Tuk?“, wiederholte er noch einmal fordernder, in der Hoffnung mit dem vollen Namen des jungen Hobbits mehr Erfolg zu haben. „Pippin!“

Verwirrt blinzelnd sah Pippin ihn an.

„Wenn du Marmadoc noch lange anstarrst, fallen dir die Augen aus den Höhlen“, bemerkte Frodo spitz und krempelte sich den heruntergerutschten, linken Ärmel wieder hoch. Merry gluckste in sich hinein und konnte den Grashalm, an dem er schon seit Minuten so genüsslich kaute, als wäre er eine Gebäckstange, gerade noch mit der Zunge am Herausrutschen hindern.

Pippin schnitt beiden eine Grimasse, ehe er seine Aufmerksamkeit von neuem auf Marmadoc richtete, der mit einigen anderen Tweens am gegenüberliegenden Ende der Koppel stand und eine Pfeife herumreichte.

„Vergiss es, Pip!“ Mit einem Schmunzeln war Frodo Pippins Blick gefolgt. Er wusste genau, worauf es sein Vetter abgesehen hatte, konnte die Gedanken förmlich lesen, die im Kopf des Jüngeren umherwanderten. „Sie werden dich nie an der Pfeife ziehen lassen. Sie erlauben es nicht einmal mir.“

Pippin warf ihm einen Seitenblick zu.

„Du hast sie gefragt?!“ platzte es aus Merry heraus, wobei er sich fast an seinem Grashalm verschluckte. „Wann?“

„Vorgestern“, bemerkte Frodo beiläufig und unterdrückte das Lächeln, das seine Mundwinkel zum Zucken brachte. Die Tatsache, dass er Dinge tun konnte, ohne, dass Merry davon erfuhr, entrüstete seinen Vetter immer wieder aufs Neue.

Merry bedachte die Aussage, nickte schließlich und lehnte sich auf dem Holzzaun soweit zurück, wie er es wagte, ohne einen Sturz fürchten zu müssen. Unterdessen stellte sich Frodo vorsichtig auf den Balken. Seit dem letzten Sommer hatten er und sein Vetter ihr Können perfektioniert und Frodo war überzeugt, dass keiner mit solch sicheren und raschen Schritten über den Zaun der Koppel laufen konnte wie er.

Die Sonne schien auf seinen Rücken und er nahm einen tiefen Atemzug der frischen Luft, ehe er sich in Bewegung setzte. Die Koppel war leer. Alle Ponys wurden entweder für die Arbeit gebraucht oder grasten auf einer Wiese weiter südlich, und so hatte er freien Blick auf Marmadoc und seine Freunde. Entspannt lehnten sie an den Holzlatten und lachten, während die Pfeife von einem zum anderen wanderte. Wie gebannt blickte Frodo auf die Rauchschwaden, die vom Wind davongetragen wurden und wusste nur zu genau, wie Pippin sich fühlte. Schon lange hatte er sich gefragt, wie eine Pfeife schmeckte. Er liebte den Geruch des Krautes, der schon sein ganzes Leben ein Gefühl der Behaglichkeit in ihm ausgelöst hatte. Marroc hatte ihm einen Teil jener Empfindung genommen und sie mit Abscheu und Scham ersetzt, doch die Neugier auf den Geschmack des Krautes war geblieben. Bisweilen hatte er schon überlegt, Saradoc nach einem Zug zu fragen, doch sein Mut hatte nicht ausgereicht. Der Herr hätte zweifellos noch barscher reagiert, als es die Tweens getan hatten.

Am äußersten Pfahl angekommen, drehte Frodo sich um und ging zu seinen Vettern zurück. Merry nahm ihn kaum wahr, schien tief in Gedanken und Pippins Blick auf die Pfeife war noch sehnsüchtiger als zuvor. Gelangweilt setzte sich Frodo wieder hin und schloss die Augen. Ein sanfter Luftzug kitzelte seinen Nacken. Der Gesang der Vögel klang in seinen Ohren, mischte sich mit dem gelegentlichen Lachen der Tweens und dem leisen Seufzen seines jüngsten Vetters.


„Ich wüsste, wo wir eine Pfeife finden“, ließ Merry unvermittelt verlauten und Pippins Miene hellte sich sofort auf. Schien er zuvor völlig vertieft in das Objekt seiner Begierde, hing der junge Tuk nun so gebannt an Merrys Lippen, dass er nicht einmal wagte, selbst den Mund aufzumachen und nachzufragen.

Frodo zog eine Augenbraue hoch und blickte seinen Vetter fragend an, doch die Antwort kam ihm von alleine. „Saradocs Arbeitszimmer.“

Merry nickte. „Eine seiner Pfeifen bewahrt er in der obersten Kommodenschublade auf, und da er jetzt auf den Feldern ist, wird er sie nicht brauchen.“

„Das ist ja wunderbar!“ rief Pippin begeistert und sprang vom Zaun. „Worauf warten wir noch?“

Frodo erblasste. Während Merry sich ebenfalls vom Zaun gleiten ließ, klammerte er sich am Balken fest, wurde von Erinnerungen und Befürchtungen gleichermaßen heimgesucht. Bereits jetzt konnte er die Enttäuschung in Saradocs Augen sehen, wusste er doch wie sehr es den Herrn verletzt hatte, als dieser von seinen Diebereien erfahren hatte. Keine von ihnen war ihm leicht gefallen und einzig Verzweiflung hatte dazu geführt, dass er den bestohlen hatte, den er liebte. Er konnte diese Tat weder vergessen, noch wiederholen, denn dann würde er sich jene Schuld von neuem auflasten. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, als er den Kopf hob um den fragenden Blicken seiner Vettern zu begegnen.

„Ich kann ihn nicht bestehlen.“

Pippin verdrehte die Augen und warf die Hände in die Luft, doch was immer er sagen wollte, Merry kam ihm zuvor.

„Wir bestehlen ihn nicht“, erklärte er sachlich. „Wir leihen uns die Pfeife nur aus. Ehe er merkt, dass sie weg ist, wird sie wieder an ihrem Platz sein.“

Pippin nickte bestätigend, doch Frodo wandte den Blick ab. Gerade von Merry hatte er Verständnis erwartet, schließlich wusste sein Vetter, was vorgefallen war.

„Wenn wir erwischt werden“, wagte er einen weiteren Versuch, in der Hoffnung auch in seinen Vettern jene Sorge zu erwecken, die in ihm tobte.

„… werde ich die Verantwortung auf mich nehmen“, schloss Merry ruhig. „Schließlich war es meine Idee.“

Spannung jagte durch seine Muskeln, ließ ihn ruckartig den Kopf heben. Argwöhnisch und mit beinahe durchdringendem Blick suchte er in den Augen seines Vetters nach einer Erklärung für seine Wortwahl. Wusste Merry am Ende von der Unterhaltung mit Saradoc? Hatte er gehört, wie der Herr ihm vorgeworfen hatte, dass er zwar Verantwortung bei der Arbeit bewiesen hatte, im Alltag jedoch darum vergaß?


 

~*~*~


„Ich weiß, ich habe dir mehr Verantwortung geschenkt, indem ich dir erlaubte, eine Stunde länger auf zu bleiben. Doch ich habe diese Verantwortung dir geschenkt und nicht deinen Vettern.“

Der Herr sah ihn nicht an, stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor dem großen Fenster seines Arbeitszimmers und blickte in die sternenklare Nacht hinaus. Endlich wandte er sich um, das Licht der Kerzen flackernd auf seinem Gesicht.

„Ich kann sie dir jederzeit wieder nehmen, wenn ich sehe, dass du ihr nicht gerecht wirst. Verantwortung tritt in vielen Bereichen des Lebens auf, Frodo, nicht nur bei der Arbeit, wo sie klar geregelt ist. Ihr habt vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein und die Höhle danach nicht mehr zu verlassen. Sich an diese Regel zu halten, erfordert ebenfalls Verantwortung.“

„Warum richtest du diese Worte nur an mich? Merry und Pippin waren schließlich auch dabei.“

Ein Lächeln folgte der zaghaften Bemerkung, mitfühlend, fast gütig. „Merkst du denn nicht, dass ich das bereits tat? Im Grunde habe ich dir jetzt nichts anderes gesagt, als zuvor zu euch dreien, nur wählte ich dieses Mal andere Worte. Du bist ein Kind wie sie, Frodo, und doch bist du ihnen an Reife und Alter einen Schritt voraus. Du wusstest es besser, nicht wahr? Allerdings hast du geglaubt, ihr würdet aufeinander aufpassen können und ich bezweifle nicht, dass ihr das auch getan habt. Du weißt jedoch genauso gut wie ich, dass Vergnügen nur allzu leicht über eure Vernunft gewinnt, vor allem, wenn anstelle der zwei dummen Ideen, drei zur Auswahl stehen. Ich vertraue euch, Frodo, dir ebenso wie Merry. Ich vertraue auch Pippin, allerdings ist er von euch dreien derjenige, der sich am schnellsten für unkluge Dinge begeistern kann. Du und Merry tragt beide Verantwortung und ich bin bereit, euch diese zu überlassen, so lange ihr euch an meine Bestimmungen haltet. Tut ihr das nicht, muss ich Verantwortung nehmen und zusätzliche Regeln aufstellen und ich glaube, danach steht keinem von uns der Sinn.“


~*~*~


Pippin ließ seinen Blick unauffällig von einem zum anderen wandern. An Merrys Stelle hätte er den Kopf schon lange abgewandt und alles zugegeben, was er wusste. Er hatte nicht gewusst, dass Frodo so streng schauen konnte, doch nun verwunderte es ihn nicht mehr, dass Reginard damals am Fluss einfach gegangen war. Frodo wollte er auf keinem Fall zum Feind haben. Insgeheim war er stolz auf seinen Vetter und schätzte sich glücklich, ihn auf seiner Seite zu wissen. Mit Merry wollte er im Augenblick jedenfalls nicht tauschen, aber dieser kümmerte Frodos Blick wenig. Er hielt ihm stand, als wäre er es gewohnt, Dinge vor seinem Vetter zu verbergen und so bereitete es Pippin auch keine Probleme, so zu tun, als wisse er nicht, dass Merry sich verraten hatte.


Frodo rang mit sich selbst, während er in Merrys Augen blickte. Sein Vetter hatte Recht. Der Herr war auf den Feldern und würde nicht vor dem Abendessen zurück sein. Bis dahin wäre die Pfeife längst wieder da, wo sie hingehörte. Dennoch hallten die gefallenen Worte einem bösen Omen gleich, in seinen Ohren wider. Mehr Regeln und weniger Verantwortung. Verantwortung, die er nicht wieder verlieren wollte, wo er sie sich so hart erarbeitet hatte.

Sein Blick wanderte zu den Tweens. Es ging nur um einen einzigen Zug. Konnte es dann wirklich so schlimm sein, sich die Pfeife des Herrn auszuleihen? Immerhin war Rauchen nichts Schlechtes, gab es doch so gut wie keinen Hobbit, der sich nicht gerne eine Pfeife ansteckte. Und wenn sie die Pfeife nahmen, mit der Absicht, sie zurückzugeben, brachen sie dann eine Regel?

Frodo spürte die erwartungsvollen Blicke seiner Vettern auf sich. Merry stand reglos, doch Pippin hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das Andere, konnte schließlich nicht länger an sich halten.

„Komm schon, Frodo. Sei kein Spielverderber!“

Gequält hob er den Kopf. Merry forderte ihn mit seinen Augen förmlich dazu auf, von diesem Zaun zu springen und zu tun, was seine Neugier ihm gebot, denn Frodo war klar, dass seinem Vetter durchaus bewusst war, wie gerne er einen Zug des Krautes nehmen würde.

„Also gut!“ gab er schließlich nach und glitt vom Zaun. Merry ließ er dabei jedoch nicht aus den Augen. „Auf deine Verantwortung!“

Ein Grinsen stahl sich über Merrys Lippen. „Mit dem größten Vergnügen.“

Pippins Jubelschrei ließ selbst die Tweens ihre Unterhaltung unterbrechen und verwundert die Köpfe heben.


~*~*~


„Pippin, was machst du denn da? Du musst paffen, nicht saugen.“

„Ich paffe“, stellte Pippin fest, ohne von der Pfeife in seinem Mund abzulassen und warf Frodo einen nicht allzu freundlichen Blick zu.

Merry unterdrückte ein Kichern. „Du saugst.“

Mit der Hand vor dem Mund, um sein Lachen zu verbergen, tauschte Frodo einen kurzen Blick mit seinem Vetter, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Jüngsten schenkte. Ihr Vorhaben war ein voller Erfolg gewesen. Keiner hatte sie gesehen und in der obersten Kommodenschublade hatten sie nicht nur die Pfeife, sondern auch das nötige Kraut gefunden. Nun saßen sie im Schatten der großen Eiche und reichten ihre Errungenschaft herum, wie es zuvor die Tweens getan hatten. Zu ihrem Glück hatten sie auch eine volle Streichholzschachtel mitgehen lassen, denn, war das Stopfen der Pfeife noch einfach gewesen, gestaltete sich das Brennen des Krautes als schwierig. Obwohl sie soviel Pfeifenkraut in den Kopf gestopft hatten, wie sie nur konnten, erlosch es nach nur wenigen Zügen und meist war es an Frodo, die getrockneten Blätter wieder zu entzünden.

Den Geschmack hatte sich Frodo schon genüsslich auf der Zunge zergehen lassen. Es war aromatisch, würzig, herb und hinterließ doch einen süßlichen Nachgeschmack. Er konnte es kaum erwarten, einen weiteren Zug zu nehmen und wartete sehnsüchtig darauf, dass Pippin mit was immer er auch tat, fertig war.

„Ich bin jetzt an der Reihe“, bestimmte er schließlich, als Pippin keine Andeutungen machte, die Pfeife jemals wieder aus dem Mund zu nehmen, und nahm sie kurzerhand an sich.

„Hoi…“ wollte Pippin protestieren, doch der Rest ging in einem Hustenanfall unter.

„Siehst du“, meinte Frodo altklug, „das kommt davon, wenn man saugt.“

Merry nickte, als wisse er genau um die Wahrheit in Frodos Worten, während Pippin unter etlichem Husten zu erklären versuchte, dass er nicht gesaugt hatte, und dass Frodo der Grund für seinen Hustenanfall war, da er ihm die Pfeife so plötzlich entrissen habe.

Frodo machte sich unterdessen daran, das ausgegangene Kraut wieder zu entzünden – langsam bekam er Übung darin – und paffte genüsslich. Die Vielfalt an Geschmack überwältigte ihn schier und er schloss die Augen, um keinen auszulassen. Herb und mild, rau und sanft zur Zunge im selben Augenblick. Ein Genuss!

„Warum geht sie bei dir nicht aus?“, beschwerte sich Pippin, der inzwischen wieder atmen konnte und beinahe gierig in den glühenden Pfeifenkopf blickte.

„Ich kann das“, erklärte Frodo, ohne sich anmerken zu lassen, dass ihn das selbst überraschte. „Ich bin dazu geboren, Pfeife zu rauchen.“

Merry prustete los. „Du wurdest höchstens geboren, mir die Pfeife am Brennen zu halten und jetzt gib her.“

Der Sohn des Herrn hatte noch kaum zwei Züge genommen, als Pippin seinen Anspruch geltend machte, doch Frodo kam ihm zuvor. Mit einem frechen „Du kannst das nicht“, nahm er die Pfeife an sich, um von neuem Gebrauch davon zu machen.

„Frodo!“ entrüstete sich Pippin und lehnte sich nach vor, doch sein Vetter drehte sich kichernd zur Seite, die Pfeife im Mundwinkel. „Du kannst nicht erst dagegen sein und mir dann meinen Anteil rauben! Schließlich war es meine Idee.“

„Ich war nie dagegen!“ verteidigte sich Frodo nuschelnd. „Ich habe nur…“

„… auf die Gefahr hingewiesen“, äffte Pippin. „Bla, bla… ich weiß. Aber“, gab er zu bedenken, „sind wir Gefahren begegnet? Nein! Haben wir deine Hinweise gebraucht?“ Er blickte um sich, als warte er auf eine Antwort. Als keine kam, bemerkte er das Offensichtliche. „Nein! Also, meine Idee, meine Pfeife!“

Er musste förmlich über Frodo hinweg klettern, um an das Objekt seiner Begierde zu gelangen, doch schließlich ergatterte er den Kopf der Pfeife und zog sie seinem Vetter unvorsichtig aus dem Mund. Dieses Mal war es Frodo, der von einem keuchenden Hustenanfall heimgesucht wurde.

„Siehst du“, bemerkte Pippin und grinste schadenfroh, „das passiert, wenn man mir meinen Anteil raubt.“

„Eigentlich“, stellte Merry fest, der das Geschehen lächelnd beobachtete, „ist es die Pfeife meines Vaters. Somit hätte ich am meisten Anspruch darauf.“ Er kicherte als Antwort auf Pippins herausfordernden Blick. „Einen Zug werde ich dir wohl erlauben können, ob du es nun richtig machst, oder nicht.“

Pippin schnitt ihm eine Grimasse und nahm den wohlverdienten tiefen Zug. Er schmeckte, wie sich der Rauch in seinem Mund sammelte und grinste zufrieden in sich hinein. Und er wusste doch, wie eine Pfeife zu rauchen war.


„Sagt mir, dass ich das nicht sehe.“

Anstatt ihn wieder auspusten, schluckte Pippin den Rauch erschrocken hinunter und begann sogleich zu husten.

Frodo und Merry sprangen auf die Beine, während Pippin mühevoll versuchte, die kaum mehr glühende Pfeife hinter seinem Rücken zu verstecken. Saradoc stand nur wenige Schritte von ihnen entfernt auf dem Hügel, den Blick eine Mischung aus Unglauben und Zorn. Wutentbrannt stapfte er auf sie zu, entriss Pippin die Pfeife, noch ehe dessen Hustenanfall nachgelassen hatte.

„Ihr raucht?!“ brüllte er entrüstet und sein zorniger Blick traf jedes betroffen geneigte Haupt. Kurz sah er auf die Pfeife und seine Augen weiteten sich. „Ihr raucht meine Pfeife?!“

Frodo zuckte unter der lauten Stimme zusammen und biss sich auf die Lippen. Pippin hatte ihr Glück zu früh gerühmt. Mit einem Mal kehrte das ungute Gefühl zu ihm zurück und sein Magen verkrampfte sich ob der Vorahnung der Enttäuschung und der Strafe, die ihn und seine Vettern erwartete.

Ohne eine Antwort abzuwarten, packte Saradoc ihn und Merry grob am Ohrläppchen und schob Pippin, dessen Atmung sich wieder beruhigte, vor sich den Hügel hinab. Als sie durch den größten der westlichen Eingänge in das Brandyschloss stolperten, ließ der Herr schließlich von ihren Ohren ab und trieb sie alle drei vor sich her in sein Arbeitszimmer.


Pippin wurde mit jedem Schritt blasser um die Nase. Er fühlte sich auf einmal gar nicht mehr so gut und der Geschmack des Krautes, den er zuvor so gepriesen hatte, lag bitter auf seiner Zunge. Doch nicht nur dort schmeckte er Pfeifenkraut, auch in seinem Magen glaubte er, den Geschmack des Krautes zu spüren. Süß, würzig, bitter, herb. Das Aroma, das so mild auf seiner Zunge gelegen war, ließ ihn plötzlich würgen. Er biss sich auf die Lippen, um der Übelkeit Herr zu werden, doch es war bereits zu spät. Noch während er vor seinen Vettern her stolperte, entledigte sich sein Magen des Mittagessens. Nur gedämpft hörte er die angeekelten Laute von Merry und Frodo und das verzweifelte „Oh, Pippin!“ seines Onkels, eh er sich von neuem erbrach. Ihm schwindelte, seine Knie wurden weich und gaben nach, ließen ihn hilflos zu Boden sinken, während sein Magen sich immer wieder krampfhaft zusammenzog.


Er wusste nicht, wie lange es dauerte, bis das Würgen nachließ, doch am Ende blieben nur der säuerliche Geschmack und der Gestank halbverdauter Mahlzeiten. Sein Onkel war an seiner Seite, stützte ihn und strich ihm über den Rücken, bis er sich geschwächt in seine Umarmung lehnte. Wann sich seine Vettern von ihm getrennt hatten, konnte er nicht sagen.

„Ist es vorbei?“ Die Stimme war wieder die tröstliche seines Onkels, nicht die verärgerte und gestrenge des Herrn von Bockland. Pippin nickte, wobei er die Luft in einem langen, keuchenden Atemzug ausstieß. Ein Zittern durchlief ihn und er spürte den Schweiß an seinem Nacken. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so schlecht gefühlt zu haben.

„Nie mehr rauchen“, jammerte er, als Saradoc ihm vorsichtig hoch half und ihn schließlich in sein Zimmer trug, weil seine Knie sein Gewicht nicht tragen wollten. Aus den Augenwinkeln sah er zwei Mädchen mit Eimern heraneilen. Beide trugen Kopftücher, doch unter dem Tuch der Einen schimmerte dunkles Haar wie das seiner Mutter. Leise wimmernd lehnte er den Kopf an Saradocs Schulter, schloss die Augen und wünschte sich in Heiderose Tuks Arme.


 

~*~*~


„Ihr lasst Pippin eine Pfeife rauchen?!“ zürnte der Herr von Bockland, während er vor seinen Schützlingen auf und ab stapfte. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt, doch die Finger zuckten, als könne er den Anschein von Ruhe nicht mehr lange wahren. „Was ist nur in euch gefahren?“

Ruckartig blieb er stehen, blickte voller Erwartung auf die gesenkten Köpfe. Wie er es erwartet hatte, hatte keiner der beiden den Mut, ihn anzusehen. Goldbraunes Haar schimmerte im Licht der untergehenden Sonne neben dunkelbraunem. Unter seinem strengen Blick schienen die Kinder noch kleiner zu werden, doch das war Saradoc nur recht. Klein sollten sie werden und sich dessen bewusst. Die Vettern hatten in diesem Sommer schon viele Dummheiten begangen, doch diese übertraf sie alle. Saradoc wusste nicht, was ihn zorniger stimmte: die Tatsache, dass sie überhaupt geraucht hatten, oder dass sie die Dreistigkeit besessen hatte, seine Pfeife zu verwenden.

Das Schweigen, das die Kinder so erfolgreich aufrechterhielten, verärgerte ihn zusätzlich. Wortlos ging er zu seinem Schreibtisch, griff nach der Pfeife, die er dort abgelegt hatte und drehte sie in seinen Händen, ohne sich um das herausfallende, halb verkohlte Kraut zu kümmern. Sie hatten zuviel davon verwendet und es verwunderte ihn, dass sie überhaupt daran hatten ziehen können, ohne blau anzulaufen. Pippin hatte dafür gebüßt und Saradoc ertappte sich dabei, wie er sich wünschte, die anderen beiden würden sich ebenso elend fühlen, denn das, so fand er, war die beste Strafe für unerlaubtes Rauchen.

Beinahe krampfhaft umfasste er den Pfeifenkopf, als die Stille fast unerträglich wurde. Selbst jetzt, da er ihnen den Rücken zugewandt hatte, konnte er die Blicke der Jungen nicht auf sich spüren. Sie wussten genau um ihren Fehltritt, hatten von Anfang an darum gewusst und erwarteten nun ihre Strafe.

„Ist euch übel?“, fragte der Herr unvermittelt und wandte sich um.

Das war eine Strategie mit der sie nicht gerechnet hatten. Zwei Paar blaue Augen begegneten seinem Blick, fragend und unsicher. Ein zaghaftes Kopfschütteln folgt dem anderen, doch beider Ausdruck sprach von Schuld. Schuld an Pippins bedauernswertem Zustand. Saradoc nickte. So gefielen ihm seine Söhne besser. Anstatt eine Strafe über sich ergehen zu lassen, taten sie wohl daran, über ihr Handeln und dessen Folgen nachzudenken.

„Meriadoc!“ Der nachdrückliche Tonfall und der volle Name seines Sohnes verfehlten ihre Wirkung nicht. Merry nahm Haltung an, doch wich er seinem Blick aus. „Hast du die Pfeife genommen?“

Saradoc kannte die Antwort bereits. Es musste Merry gewesen sein, denn Frodo hätte nach den Ereignissen im Frühjahr nicht gewagt, sein Eigentum an sich zu nehmen und Peregrin wusste nicht um die Pfeife. Dennoch wollte er das Geständnis aus dem Mund seines Sohnes hören, wollte vielleicht auch seine Ehrlichkeit auf die Probe stellen.

Merry ließ sich mit der Antwort Zeit und hatte er zuvor gewagt, seinem Blick direkt zu begegnen, hielt er seinen Kopf nun gesenkt. Unter Saradocs Augen wurde er immer kleiner, doch schließlich hatte er den Mut und Anstand gesammelt, den der Herr ihn gelehrt hatte und mit dem letzten Bisschen Haltung, das ihm geblieben war, antwortete er: „Ja.“

Die Stimme war kaum mehr, als ein Wispern, doch Saradoc nickte. „Ich nehme nicht an, dass mir einer von euch erklären will, wie ihr dazu kommt, meine Pfeife zu stehlen?“

Der Herr konnte sehen, wie sich Frodo unter seinen Worten verkrampfte. Wie es schien war er nicht der Einzige, der gehofft hatte, der Junge würde nicht wieder mit schlimmeren Diebstählen, als einem verschwundenen Kuchenstück in Verbindung gebracht werden. Saradoc schüttelte kaum merklich den Kopf, die Enttäuschung, die er empfand, deutlich in seinen Augen. Er hatte gewusst, dass die Frage nach Pfeifenkraut früher oder später aufkommen würde, doch nicht in ihrem Alter, nicht mit Pippin an ihrer Seite und nicht auf diese Art und Weise.

Er erlaubte den beiden einen weiteren Augenblick, über eine Antwort nachzudenken, doch als keine kam, griff er sich mit den Fingern zwischen die Augen und seufzte. „Ihr könnt gehen.“

Noch länger zu warten, hätte keinen Sinn. Die Kinder wussten um ihre Missetat und hielten es nicht für notwendig, weiter darauf einzugehen. Einerseits teilte Saradoc ihr Empfinden, andererseits hätte er zumindest gerne eine Entschuldigung gehört.

Mit gesenkten Häuptern schlurften die Kinder zur Tür und erst als Merry nach dem Knauf griff, wurde Saradoc klar, dass es noch etwas zu besprechen gab, ein Thema, das er in den letzten Wochen und Monaten immer häufiger zu diskutieren hatte.

„Frodo“, der Angesprochene verkrampfte sich, „bleib bitte noch einen Augenblick hier.“

Merry warf seinem Vetter einen sorgenvollen Blick zu, der Saradoc nicht entging. Sein Sohn zögerte einen Augenblick, ehe er langsam aus dem Zimmer ging.


Das Geräusch mit dem die Tür ins Schloss fiel, hatte für Frodo etwas Schicksalhaftes. Reglos blieb er stehen, blickte wie mit blinden Augen auf das feinfaserige Holz der Tür. Im Stillen rief er seinen Vetter zurück, wusste er doch, dass nun folgen würde, was er bereits am frühen Nachmittag gefürchtet hatte: Zurechtweisung, Enttäuschung, der Verlust von Verantwortung. Er wollte nicht mit dem Herrn allein sein, nicht um das zu erblicken, was er so ungern in seinen Augen sah. Sein Herzschlag war ein schmerzhaftes Pochen in seiner Brust, seine Atmung ein schleichender Begleiter seiner Aufregung. Unbewusst ließ er seine Hände in den Hosentaschen verschwinden, auf dass sie seine Ruhelosigkeit nicht verrieten.

Er hörte das leise Zischen eines Zündholzes, als der Herr die Kerzen auf seinem Schreibtisch entzündete und seine Finger umschlossen die kleine Streichholzschachtel, die er seit dem Nachmittag mit sich trug. In gleichmäßigen Bewegungen ließ er sie über und zwischen seinen Fingern hindurch wandern. Er hörte Schritte, spannte seinen Körper an, bis ihm klar wurde, dass sie sich entfernten. Die Stille legte sich schwer auf seine Schultern und Frodo erlaubte sich, von ihr ergriffen zu werden, schloss die Augen.

Plötzlich sah er das Arbeitszimmer vor sich, sah sich selbst an der Tür stehen. Der ordentlich aufgeräumte Kamin lag zu seiner Rechten, daneben war das Gestell für die Zangen, darauf ein Bild von Esmeralda und Merry. Auf der dunklen Kommode lag ein gehäkeltes, weißes Deckchen. Eine blaue Tonvase mit roten Geranien stand darauf. Der Herr stand am Fenster, die Hände hinter dem Rücken, wo er sie in solchen Momenten immer verborgen hielt. Sein Blick war auf ihn gerichtet. Frodo konnte das Kribbeln an seinem Rücken spüren. Nur der bequeme, braune Ledersessel und der große Schreibtisch standen zwischen ihnen. Drei Kerzen flackerten auf dem Halter auf dem Tisch und auch wenn ihr Licht neben dem der roten Sonne kaum auffiel, würden sie bald allein die Dunkelheit vertreiben.

„Willst du nicht zu mir kommen?“

Frodo schreckte aus seiner Starre und riss die Augen auf. Er schluckte, schlurfte mit gesenktem Kopf und zaghaften Schritten auf den Schreibtisch zu. Der Herr sah ihn lange an, als hoffe er, er würde sprechen, und wieder breitete sich Schweigen aus. Mit einer Unruhe, die an Verzweiflung grenzte, bat Frodo, die Stille möge vorüber gehen, denn in ihr, so schien es ihm, fühlte er Saradocs Enttäuschung noch deutlicher.


Mit einem schweren Seufzten entfernte sich der Herr einige Schritte vom Fenster, blieb hinter seinem Schreibtisch stehen.

„Ich möchte ehrlich mit dir sein, Frodo“, sagte er schließlich. „Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. In den vergangenen Monaten warst du häufiger bei mir als jemals zuvor und vor allem in den letzten Wochen scheinen wir ein und dasselbe Gespräch immer wieder zu führen. Was ist nur los mit dir?“

Erwartungsvoll sah er auf den Jungen hinab, doch dieser begegnete seinem Blick nicht. Wie schon zuvor hüllte sich Frodo in Schweigen, bis er schließlich mit einem fast gleichgültigen Schulterzucken antwortete. Saradoc stutzte. Mit einer solch teilnahmslosen Antwort hatte er nicht gerechnet und es verärgerte ihn, dass der Junge seiner Bemerkung keinen Wert zumaß. Wütend schlug er mit den Händen auf den Tisch.

„Keine vier Wochen ist es her, dass wir über genau diese Art von Verantwortung gesprochen haben, wie du sie heute eben nicht bewiesen hast. Hörst du mir denn nicht zu, wenn ich mit dir spreche?!“


Frodo erschrak ob der plötzlichen Lautstärke, doch zuckte er weder zusammen, noch wich er zurück, als sich der Herr nach vor beugte. Er sah keinen Sinn darin. Ganz gleich, was er sagte, ganz gleich, was er tat, er würde Saradoc enttäuschen oder verärgern. Wozu sollte er erklären, dass er nicht wusste, weshalb er in letzter Zeit immer häufiger in diesem Arbeitszimmer stand, wo er am Ende doch nie Saradocs Stolz ernten konnte. Der Herr war niemals stolz auf ihn gewesen. Zorn und Ernüchterung waren alles, was er bei Merrys Vater hervorrief.

„Ich höre zu“, antwortete er leise und fand endlich den Mut, den Kopf zu heben und dem gespannten Blick des Schlossherrn zu begegnen.


Die ausdruckslosen Augen und die Abgestumpftheit in Frodos Stimme, ließen Saradoc an einen anderen Moment denken, da ihn der Junge, ebenso wie jetzt, überrascht und zugleich schockiert hatte. Es war zu Beginn des Monats gewesen, zwei Tage ehe Paladin abgereist war, dass ihm zu Ohren kam, wie Frodo Reginard mit seinem Verhalten zu einer Prügelei herausgefordert haben soll. Es erschien ihm unwahrscheinlich, dass ausgerechnet Frodo, der wusste, dass er dem Älteren unterlegen war, Reginard provozieren sollte, gehörte Reginard schließlich auch nicht zu den Schlägern. Andererseits war es im vergangenen Sommer schon einmal zu einer Auseinandersetzung gekommen und da Saradoc von mehreren Seiten das Gerücht um die stumme Kampfansage hörte, fing er Frodo eines Abends vor dem Essen ab und gab ihm den gut gemeinten Ratschlag, Jungen von Reginards Art nicht übermäßig zu reizen. Frodo hatte ihn daraufhin lange angesehen, ein Funken Trotz in den Augen, hatte schließlich gleichgültig mit den Schultern gezuckt und gemeint: „Das nächste Mal gewinne ich vielleicht.“

Es war weniger die Tatsache gewesen, dass Frodo so etwas glaubte, als die Art, wie er es gesagt hatte, die ihn schockierte. Es hatte beinahe so geklungen, als hätte es ihm nichts ausgemacht, verprügelt zu werden, und sei es nur, um sich selbst zu beweisen, dass er früher oder später vielleicht einmal die Kraft besaß, ebenso stark zurückzuschlagen, wenn er nicht vorher schon am Boden lag.


Saradoc verdrängte die Erinnerung, widmete sich stattdessen dem Jungen, der nun vor ihm stand. Tief Luft holend, schloss er für einen Moment die Augen. Unterhaltungen dieser Art ermüdeten ihn, vor allem, wenn das Gespräch so einseitig verlief. Mit neu gewonnener Ruhe richtete er sich wieder auf, sah fast betrübt auf seinen Schützling. „Was habe ich dir damals gesagt, Frodo?“


„Mehr Regeln, weniger Verantwortung“, wiederholte Frodo, was er bereits gefürchtet hatte und neigte den Kopf. Tränen traten ihm in die Augen bei dem Gedanken, das zu verlieren, wofür er eine Woche lang alles gegeben hatte, doch er blinzelte sie weg, ehe Saradoc sie hätte bemerken können. Er hatte gewusst, dass es falsch war, die Pfeife zu nehmen und hatte sich doch dazu verleiten lassen. Wie hatte er so dumm sein können? Frodo schalt sich selbst, während Saradoc ihm mit ruhigen Worten klar machte, dass er ihm mit seinem Verhalten keine andere Möglichkeit ließe, außer jener, die Drohung in die Tat umzusetzen. In seinen Hosentaschen ballten sich seine Hände zu zitternden Fäusten und Frodo begrüßte den Schmerz, den er empfand, als sich seine Nägel in sein Fleisch gruben. Es wäre soviel einfacher, wenn er seinen Zorn auf den Herrn hätte richten können, doch ihm konnte Frodo nicht böse sein, war es doch seine eigene Schuld, dass er verlor, was er lieb gewonnen hatte. Womöglich verdiente er eigene Verantwortung ebenso wenig wie Bilbos Liebe.

Der Gedanke versetzte ihm einen schmerzhaften Stich und er biss sich auf die Lippen, um seinen Kummer zu verbergen.

Erst vor kurzem hatte er einen Brief von seinem Onkel erhalten, der ihn wissen ließ, dass Bilbo an ihrem Geburtstag wieder keine Zeit fand, nach Bockland zu reisen. Einerseits bekümmerte ihn das, doch andererseits war Frodo erleichtert. So brauchte er keine Fröhlichkeit vorzutäuschen, und musste nicht verzweifelt um eine Liebe kämpfen, von der er nicht wusste, wie er sie zu seiner machen konnte. Konnte ihn denn niemand um seinetwillen lieben? Vermochte es keiner, stolz auf ihn zu sein?


„Frodo? Hörst du mir zu?“

Ein überraschtes Anspannen von Muskeln, ein Nicken, waren alles, was er als Antwort erhielt. Saradoc runzelte die Stirn, musterte den Jungen eingehend. Der Kummer des Kindes war deutlich spürbar und der Herr bereute fast, dass er so hart durchgriff. Er wusste um den Fleiß, die Anstrengung und die Überwindung, die es Frodo gekostet hatte, an sein Ziel zu gelangen und er hätte ihm gerne gelassen, was er sich redlich verdient hatte, doch so wie die Dinge im Augenblick liefen, konnte es nicht weitergehen. Trat eine Besserung ein, würde er Frodo seine Verantwortung sofort zurückgeben, doch vorübergehend mussten sie beide auf alte Gewohnheiten zurückgreifen.

Während er Frodo so betrachtete, verflog seine Verärgerung. Ein blassroter Schimmer lag auf den wohlgeformten Wangen. Lange, dunkle Wimpern an niedergeschlagenen Lidern verliehen ihm eine fast zerbrechliche Schönheit, doch da war noch etwas Anderes. Seine Züge sprachen von Leid, ein Schmerz, der ein solch junges Gesicht nicht zeichnen sollte.

Wieder stutzte Saradoc und runzelte die Stirn. Ihm war, als läge ein Schatten über Frodos Miene, einer, wie er ihn längere Zeit nicht mehr gesehen hatte. Einer, der nichts mit seiner Strafe zu tun hatte. Besorgt ging er in die Knie, legte seine Hände auf die Schultern des Jungen. Als hätte ein Pfeil ihn getroffen, spannten sich Frodos Muskeln an, doch er wich nicht zurück, sah ihn nicht an.

„Ist alles in Ordnung?“

Frodo nickte, ohne die Spannung seines Körpers zu lösen. „Kann ich jetzt gehen?“

Die Stimme gebrochen, kaum ein Wispern. Saradoc zögerte, doch als Frodo schließlich den Kopf hob und ihm in die Augen sah, war es an ihm, zu nicken. Der Junge würde seine Frage ebenso wenig beantworten, wie all die anderen, die an diesem Abend gestellt worden waren. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte sich das Kind um und verließ den Raum.

Von seltsamer Sorge ergriffen, blickte Saradoc lange auf die geschlossene Tür, ehe er sich schließlich erhob. Was immer Frodos Verhalten auslöste, hatte nichts mit seiner Strafe zu tun, die er so gleichgültig angenommen hatte. Der Herr von Bockland schluckte und spürte, wie sein Herz schneller schlug. Diese Teilnahmslosigkeit passte nicht zu Frodo. Nachdem er so inbrünstig für sein neues Recht gekämpft hatte, wären Zorn, Widerworte und Schlimmeres zu erwarten gewesen und Saradoc behagte nicht, dass er nicht einmal einen funkelnden Blick von seinem Schützling geerntet hatte. Seine Sorge mochte unbegründet sein, doch er hatte Angst um Frodo. Er würde den Jungen im Auge behalten, vor allem jetzt, da der Halimath bald Einzug hielt.


~*~*~


 

Soll ich euch ein Liedchen singen,
Von der Liebe, von dem Wein?
Soll es froh zum Herzen dringen
Lasst mich singen vom Brandywein.
Zwischen seinen gold'nen Reben,
Auf des Bocklands sanften Höh'n,
Da erwacht ein neues Leben,
Am Brandywein, da singt sich's schön!


Während Frodo immer leiser wurde, betonte Merry die letzte Zeile des Liedes besonders stark, ehe sie sich ins Gras zurücklehnten und nach dem Korb mit den Pflaumen tasteten. Pippin kicherte und stopfte sich ebenfalls eine Pflaume in den Mund. Er kannte den Text nicht, doch die Melodie des Liedes war ihm nicht fremd. Sie wurde für viele Gesänge verwendet, nicht nur für das Loblied auf den Brandywein, das zweifelsohne von einem Brandybock geschrieben worden war. Keinem anderen Hobbit würde es einfallen, einen Fluss zu rühmen.

Ein sanfter Wind strich über den Hang, während einige Wolken ihre flüchtigen Schatten über das dunkle Wasser des Brandyweins und die Gestalten der Hobbits wandern ließen. Die Hobbits hatten sich an diesem warmen Nachmittag nördlich des Steges eingefunden, seit langem wieder einmal unbeobachtet. Nur ein Korb voller Pflaumen leistete ihnen Gesellschaft, doch auch dieser leerte sich rasch, während die Kerne des Obstes zu Wettbewerbszwecken überall auf dem Hügel verteilt lagen.

„Fertig?“, wollte Merry wissen und richtete sich auf. Pippin nickte und wartete, bis auch Frodo sich wieder aufsetzte. Einer nach dem anderen spuckte seinen Pflaumenkern in hohem Bogen den Hügel hinab, doch nur der des Ältesten landete mit einem leisen Platschen im Fluss. Frodo nickte zufrieden, während Merry staunend zum Fluss sah und Pippin ihm herausfordernde Blicke zuwarf. Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen legte sich Frodo zurück ins Gras und schloss die Augen um nicht geblendet zu werden. Sanft strichen die Finger des Windes über sein Gesicht und er ließ sich von ihnen davon tragen. Enten, die sich im Gebüsch verborgen hielten, quakten und das gemächliche Gurgeln des Flusses klang in seinem Ohr als Merry die nächste Strophe des Liedes anstimmte.

 

 

Soll ich stark und feurig trinken,
Muss ein Alter Wingert Wein
Hell in den Pokalen blinken,
Trinken will ich am Brandywein.
Schon die Altbocks tanzten, tranken
Auf des Bocklands sanften Höh’n,
Bis sie still zu Boden sanken,
Am Brandywein da trinkt sich's schön.


Merry kannte auch noch eine dritte Strophe, doch diese ersparte er seinem Vetter. Sie handelte von dem Wunsch, am Brandywein begraben zu werden, und würde unnötige Erinnerungen heraufbeschwören. Obwohl er bereits satt war, griff er nach der nächsten Pflaume, um damit eine weitere Runde ihres Kernweitspuckwettbewerbes einzuläuten.

Es war der erste Nachmittag, den sie fernab jeglicher Aufsicht verbrachten. Eineinhalb Wochen lang hatten sie morgens auf den Feldern arbeiten und abends lange vor dem Essen zu Hause sein müssen, nur um anschließend sofort auf ihre Zimmer zu gehen. Der Herr war dieses Mal sehr streng gewesen, hatte nach dem Gespräch mit Frodo auch Merry noch einmal zu sich kommen lassen und ihn, zusätzlich zur Feldarbeit, zu zwei Tagen Küchenarbeit verurteilt. Den Hobbits war dies eine Lehre gewesen. Sie versuchten, sich Saradocs Wünschen entsprechend zu benehmen, und gelang ihnen das nicht, achteten sie genau darauf, dass der Herr sie nicht erwischen konnte.

Entschlossen seinen Vetter dieses Mal zu schlagen, richtete sich Merry wieder auf. Pippin nickte als Zeichen, dass er für einen weiteren Versuch bereit war, doch Frodo blieb liegen.

„Frodo?“, verwundert sah Merry seinen Vetter an, doch dieser hielt die Augen geschlossen, einen abwesenden, undeutbaren Ausdruck im Gesicht. „Geht es dir nicht gut?“

Als erwache er aus einem Traum, öffnete Frodo die Augen, sah erst Merry an, dann Pippin. Er richtete sich auf, den Blick fragend zum Himmel gerichtet, ehe seine Augen zum Fluss wanderten.

Merry legte die Stirn in Falten und neigte den Kopf zur Seite.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er noch einmal, denn sein Vetter schien ihm seltsam verwirrt. Es hatte beinahe den Anschein, als würde Frodo den Fluss zum ersten Mal erblicken und doch lag etwas in seinen Augen, dass…

„Manchmal will ich einfach nur hier weg“, unterbrach Frodo seinen Gedankengang und seine Stimme klang wie die eines Fremden. Ein kalter Schauer lief Merry über den Rücken, denn die Worte standen in keinem Zusammenhang zu seiner Frage und doch wohnte ihnen eine durchdringende Bedeutung inne. Das Gras unter seinen Fingern fühlte sich plötzlich kühl an und der sanfte Windhauch machte ihn frösteln.

Pippin kicherte und spuckte seinen Pflaumenkern aus. „Aber nicht jetzt, nicht wahr?“

Angespannt beobachtete Merry, wie sich Frodo mit einem trockenen Lächeln zu seinem Vetter umwandte. „Nein, jetzt nicht.“

Pippin lachte zufrieden, doch Merry sah sich außerstande es ihm gleich zu tun. Er glaubte Frodo nicht, denn das Lächeln hatte seine Augen nicht erreicht.

„Manchmal will ich einfach nur hier weg.“

Die Worte hallten in Merrys Ohren wider, ließen ihn erschaudern. Frodo wollte ihn verlassen? Er wollte fort? Merry war froh, dass sein Vetter ihn nicht ansah, denn dieser hätte seine Unruhe gewiss bemerkt. Fast angstvoll blickte er zum Älteren und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Frodo war heute noch stiller als gewöhnlich, ließ sich noch häufiger zu Tagträumen verleiten als sonst. Der Klang seiner Stimme war nicht der eines Fremden, ebenso wenig, wie der Ausdruck in seinen Augen undeutbar war. Es waren Zeichen des Kummers, Zeugen des Schmerzes, den Frodo noch immer in sich trug. Nur wenn er sich an zwei erinnerte, fanden sich ihre Spuren in seinem Gesicht wider und keiner sah sie so häufig, wie Merry. Der Sohn des Herrn schluckte. Heute war ihr Todestag. Heute vor genau acht Jahren waren Primula und Drogo Beutlin ertrunken. Das war der Grund für Frodos Abwesenheit.

„Willst du deinen Kern auch wieder ausspucken oder hast du vor zu warten, bis er auf deiner Zunge verrottet?“

Pippin war es, der Merry mit seiner frechen Bemerkung aus seinen Gedanken schreckte. Scheinbar ausgelassen schnitt er dem Jüngeren eine Grimasse, ehe er den Pflaumkern, sehr zu Pippins Verdruss, bis in den Fluss spuckte. Seine Aufmerksamkeit galt jedoch Frodo und er ertappte sich dabei, wie er sich immer wieder fragte, wie ernst sein Vetter seine Worte gemeint hatte. Wollte er wirklich fort von hier?

Der Nachmittag zog dahin und einzelne Wolken sammelten sich am Himmel. Frodo war es, der als Erstes zum Aufbruch riet. Zwar mussten sie nicht, wie in der letzten Woche, vor dem Abendessen zu Hause sein, doch er meinte, es wäre besser, zu früh zu erscheinen, um so gar nicht erst Gefahr zu laufen, den Herrn von Bockland zu verärgern. Merry gab seinem Vetter Recht, denn er hatte genug von Strafen und wollte seine neu gewonnene Freiheit nicht wieder verlieren. Pippin widersprach als Einziger. Der junge Tuk hatte die Wolken schon einige Zeit fasziniert beobachtet und jetzt, da sich die Sonnenstrahlen darin verfingen und sie sich rötlich färbten, wollte er sich nicht davon trennen.

„Schließlich kann ich die Sonne nicht jeden Abend hinter dem Fluss untergehen sehen“, meinte er. „Der einzige Bach, der sein Bett in der Nähe der Smials hat, liegt im Süden.“

Das stimmte die Vettern um und sie gewährten Pippin, wenn auch nur widerwillig, seinen Wunsch, den Sonnenuntergang zu beobachten.

Es war ein Spiel der Farben. Anfangs waren es nur dunkelblaue Wolken und weiße Sonnenstrahlen, doch diese färbten sich erst golden, dann orange und schließlich rot. Bald hatte es den Anschein, als würden die Bäume am anderen Ufer in Brand stehen und ihre Äste, von züngelnden Flammen umgeben, Hilfe suchend in den dunkler werdenden Himmel strecken. Der ganze Fluss schien zu brennen, denn was sich am Himmel abspielte, spiegelte sich im schimmernden Wasser. Staunend und mit leuchtenden Augen saßen die Hobbits im Gras und blickten nach Westen, zwei von ihnen verzaubert, der Dritte blind für die Schönheit des Abends.

Es war bereits dunkel, als die Vettern schließlich ihren Heimweg antraten. In der Ferne grollte Donner, kündigte ein unerwartetes Gewitter an, eines der letzten in diesem Sommer. Doch dies war nicht das einzige Unheil, das in dieser Nacht heraufziehen sollte.

 





<< Back

Next >>

Leave Review
Home     Search     Chapter List