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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Anmerkung:
Erst mal ein großes Dankeschön an alle, die trotz der langen Wartezeit immernoch lesen ... und eine Entschuldigung, dass es so lange gedauert hat, bis es weiter ging. Nach langem hin und her, habe ich beschlossen Shizuka von nun an Korrekturlesen zu lassen, da Ivy leider die Zeit dazu fehlte. Und wo wir bei Zeit sind... mir selber wird auch immer mehr Schreibzeit geraubt und in den letzten Jahren ist so viel in meinem Leben passiert, dass es mir schwer fällt, noch in den Stil und die Charakterisierung dieser Geschichte hineinzufallen. Eines Tages werde ich vielleicht daran weiter schreiben, aber vorerst wohl nicht. Ich habe allerdings geplant, den kompletten (bereits fertiggestellten) Bockland Teil in den nächsten Wochen und Monaten hochzuladen, damit immerhin dieser Teil der Geschichte beendet wird - noch 10 Kapitel ... und theoretisch 19 fertige Kapitel des zweiten Teils, die vermutlich bleiben wo sie sind, weil ich sonst wieder jeden Mitten im Geschehen hängen ließe. Viel Spaß beim Weiterlesen und noch einmal Danke fürs Treubleiben. Das bedeutet mir sehr viel.



Kapitel 75: Verantwortung


Ich war noch nie so erschöpft. In der vergangenen Woche hasste ich Saradoc für die mir anvertraute Verantwortung und ich war mir sicher, dass er all dies geplant hat, um mich zu erniedrigen. Am ersten Tag bin ich viel später als gewöhnlich zu Bett gegangen. Ich habe fast nur alleine geputzt, während Tante Berylla und die Küchen-Mimi zugesehen und die Mädchen dumm gekichert haben. Eines von ihnen –Petty Grabenbuddler, die auf dem besten Weg ist, eines Tages in Mimis Fußstapfen zu treten – hat mich so lange geärgert, bis ich sie angemault habe. Sie hat mich geohrfeigt! Ein Küchenmädchen! Sie meinte, wenn ich ihr und den anderen keinen Respekt entgegenbrächte, hätte ich in der Küche nichts verloren. Ausgerechnet sie maßt sich an, mich zurechtzuweisen! Ich hatte gehofft, Tante Berylla würde sie bestrafen, schließlich wusste sie, weshalb ich hier war, doch sie hat nur genickt und gemeint, dass ich eine solche Verantwortung, wie ich sie mir gewünscht hatte, nur übernehmen konnte, wenn ich meine Mitarbeiter schätzte. Dabei habe ich eine solche Verantwortung überhaupt nicht gewollt! Saradoc hat mich ausgetrickst! Und Mitarbeiter waren die Mädchen keine, das waren Tratschweiber!
Meine Finger waren am nächsten Tag noch ganz aufgeweicht und meine Aufgabe entwickelte sich keineswegs besser. Ich ging noch später zu Bett und wurde am nächsten Morgen von Tante Berylla geweckt, weil ich verschlafen hatte. Inzwischen hatte ich Blasen an den Händen und meine Füße schmerzten, als wäre ich um das halbe Auenland gewandert. Ich glaube, an diesem Tag begann ich zu begreifen, was die Küchenmädchen leisten, denn keines schien so erschöpft wie ich. Während dem Mittagessen bin ich fast eingeschlafen und ich war kurz davor, meine Verantwortung abzugeben, doch Saradoc war in Neuburg und ich musste bis zum Abend warten – ein halber Tag, der mir zu dem Zeitpunkt, wie eine Ewigkeit vorkam.
Nachmittags half mir Petty beim Abwasch, weil sie, wie sie sagte, um das Geschirr fürchtete. Ausgerechnet sie behauptete, ich sähe aus wie ein Geist und das, wo sie mit ihrem zerzausten, roten Haar, den langen, schlaksigen Fingern, der zu schlanken Figur und den vielen Sommersprossen aussah, wie eine Vogelscheuche!
Dennoch reichte ihre Bemerkung aus, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ich erklärte ihr, weshalb ich alleine arbeitete: ich wagte nicht, den Mädchen etwas zu befehlen. So etwas hätte ich nie gesagt, wäre ich wach und den Tränen nicht so nahe gewesen. Dennoch schienen meine Worte die Richtigen zu sein, denn Petty meinte, ich könne auch einfach um ihre Hilfe bitten, anstatt Befehle zu erteilen. Das überraschte mich und obschon es mich einige Überwindung kostete, wagte ich einen Versuch – und die Mädchen halfen mir!
Jedes war plötzlich bereit, einen Waschlappen über die Oberflächen gleiten zu lassen, bis diese glänzten. Das Geschirr wurde ohne mein Zutun gewaschen und poliert und ich glaube, ich habe Tante Berylla anerkennend lächeln sehen. Ich konnte für Sauberkeit sorgen! Mit dieser neuen Gewissheit war ich fest entschlossen, meine Aufgabe zu Ende zu bringen. Ich bin schließlich kein Kind mehr und dies war meine Möglichkeit es Saradoc zu beweisen.
Das war der erste Abend, an dem ich die Küche pünktlich verließ – um, ohne Umwege, in mein Bett zu fallen. Aus meinen langen Abenden im Wohnzimmer wurde die ganze Woche nichts, doch was Saradoc mich lehren wollte, habe ich gelernt. Verantwortung zu übernehmen ist nicht leicht und erwachsen sein noch schwerer.
Er hat gesagt, ich hätte ihn überrascht. Er hätte es mir nicht zugetraut, sei aber erfreut, dass ich ihm das Gegenteil bewiesen habe. Er gewährt mir jetzt die zusätzliche Abendstunde, ermahnt mich nicht einmal, wenn ich meine Zeit etwas überschreite. Er weiß jetzt, dass ich eigene Verantwortung tragen kann, auch wenn es hoffentlich noch lange dauert, bis ich wieder eine solche übernehmen muss. Wirklich glücklich macht mich das jedoch nicht. Mein Durchhalten hat ihn erfreut, aber hat es ihn auch stolz gemacht? Er hat mich angesehen, als wäre er es gewesen, doch gesagt hat er nichts. Kann, oder will er nicht stolz auf mich sein? Kann, oder will er mich nicht wie Merry lieben?
Ich glaube, die Aufgabe war nicht nur eine Prüfung, wie er es nannte, sondern auch eine Strafe dafür, dass ich nicht auf ihn gehört habe. Ich soll auf ihn hören, weil er mir Erfahrungen voraus hat, doch was kann er mir voraus haben? Ich kenne das Leid. Ich kenne den Schmerz. Ich weiß was es heißt, allein zu sein. Ich kannte sogar das Glück, doch ich glaube, ich habe vergessen, wie es sich anfühlt. Ist es gleich der Freude? Denn Freude kenne ich… oder nicht? Saradoc wüsste das vielleicht, aber selbst wenn ich ihn danach frage, hilft es mir nicht. Was nutzt mir das Wissen um Glück, wenn ich es nicht empfinden kann? Ich glaube, ich war schon lange nicht mehr glücklich, denn wenn dem so wäre, würde das Glück überschätzt.



Mit einem leisen Seufzen schloss Frodo das Buch, strich sanft über den ledernen Einband. Er steckte die Feder in die Halterung und streckte sich. In der behaglichen Stille der Bibliothek und dem schwachen Licht einer einzelnen Kerze wurde er oft schon am helllichten Tag von unsagbarer Müdigkeit ergriffen. Gedankenverloren tauchte er seinen Zeigefinger in das heiße Wachs seiner Kerze, bis die Flamme zischend und flackernd protestierte.
Es war besser, nicht länger nachzudenken, denn es würde ihn betrübt stimmen. Er war in diesem Sommer schon viel zu häufig seinen Gedanken nachgehangen, denn ohne Merry wusste er nichts mit sich anzufangen. Manchmal verbrachte er seine Zeit mit Madoc und Minto, doch ohne seinen Vetter bereitete ihm das Zusammensein mit den Brüdern nur halb so viel Freude. Sein Vetter Marmadoc hatte sich von der Gruppe getrennt, meinte, er wäre zu alt für ihre Spielereien. Frodo hatte gehofft, Fredegar würde ihn besuchen, doch wie es schien hatten die Bolgers andere Pläne. Seit Merry vor über drei Wochen nach Tukland gegangen war, arbeitete er meist und unternahm lange Ausritte, um sich die Zeit zu vertreiben. Ab und an durfte er sogar Saradoc begleiten, wenn dieser die Arbeiten auf den Feldern überwachte und Höfe fern des Brandyschlosses besuchte. Solche Tage stimmten Frodo besonders froh, denn dann belehrte ihn der Herr, wie er seinen Nachfolger in seine Aufgaben einweisen würde und jegliche Differenzen, die sonst zwischen ihnen lagen, schienen vergessen.
Verträumt strich er sich mit dem wachsbedeckten Finger über die Unterlippe, sinnierte über das glatte, warme Gefühl, das er dabei empfand, bis das leise Klicken der Tür seine Ruhe störte. Frodo erstarrte.

„Ich wusste, dass ich dich hier finde.“
Ein Lächeln war nicht, was er erwartet hatte. Frodo schluckte, als sie die Kerzen in den Wandhalterungen neben der Tür entzündete. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, während sie im zarten Licht zu ihm trat und sich, nach kurzem Zögern, neben ihn setzte. Frodo spürte ein Prickeln im Nacken, wandte demütig den Blick von ihr ab. Seit jenem Nachmittag vor zwei Wochen hatte er nicht mehr mit Nelke gesprochen. Er fürchtete sich davor, den Schmerz in ihren Augen zu sehen, Schmerz, den er ihr zugefügt hatte. Seine Worte beschämten ihn, doch sie hatte sein Vertrauen verletzt, Vertrauen, das ihm jetzt fehlte, um das Gespräch mit ihr zu suchen.
Verstohlen spähte er in ihre Richtung. Auch sie hatte den Kopf abgewandt, die Hände auf ihrem Schoß gefaltet. Ihr zum Zopf geflochtenes Haar schimmerte im Licht der Kerzen.
„Warum bist du hier?“
Frodo kannte die Antwort bereits, doch die Stille, die zwischen ihnen lag, war ihm unangenehm. Nelke richtete sich beim Klang seiner Stimme auf, wirkte ebenso angespannt, wie er. Wieder entstand eine Stille, wie Frodo sie hatte brechen wollen. Schwer lastete sie auf ihren Schultern, schien in der Dunkelheit des Raumes noch undurchdringbarer.
Plötzlich drehte sie sich zu ihm um, und Frodo war beinahe versucht, vor ihr zurückzuweichen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Unruhe ließ seine Hände feucht werden. Ohne ihn anzusehen, langte Nelke nach seinem Tagebuch. „Was ist das?“
Ehe sie es auch nur anfassen konnte, riss Frodo das Buch an sich, drückte es besitzergreifend an seine Brust.
„Das geht dich nichts an!“ sagte er schnell, wobei er kühl in ihre Richtung blickte ehe er sich erneut abwandte und den ledernen Einband liebkoste, als wolle er dem Buch versichern, dass er es nicht weggeben würde.

Nelke hatte ihre Hand erschrocken zurückgezogen, betrachtete Frodo beinahe furchtsam. Da war sie wieder, diese Kälte, obschon sie dieses Mal mehr von Besorgnis sprach, als von Zorn. Unsicher legte sie ihre Hand auf den langen, kalten Holztisch, blickte in die tanzenden Flammen der beiden Kerzen. Sie hatte lange auf ihn gewartet und wusste, dass sie den ersten Schritt machen musste. Frodos Blick war in den letzten Tagen zwar gelegentlich zu ihr gewandert, doch wich er ihr aus. Er wollte nicht darüber sprechen, das hatte er ihr deutlich gezeigt.
„Ich vertraue dir! Ich erzähle dir mehr, als gut für mich ist!“
Er hatte Recht. Frodo hatte ihr in den letzten Monaten mehr erzählt, als sie es für möglich gehalten hatte. Sie hatte keinen Grund gehabt, an seinen Worten zu zweifeln und doch hatte sie es getan. Er mochte sie zuerst verletzt haben, doch sie hatte zurück gebissen und dadurch das Vertrauen gestört, das zwischen ihnen bestanden hatte.
„Ich habe einen Fehler gemacht“, gestand sie schüchtern, als sich die Stille auszubreiten drohte, „und ich möchte mich entschuldigen. Es war nicht richtig von mir, dich zu drängen.“

Überrascht wandte sich Frodo ihr zu. Sie senkte beschämt den Kopf, wagte nicht, seinem Blick zu begegnen.
„Es gibt Dinge, die niemand je über mich erfahren wird“, sagte er ernst.
Weil ich sie selbst nicht weiß.
Nelke nickte. „Du sollst deine Geheimnisse wahren. Ich werde dich deshalb nicht verurteilen, wenn du mich nicht für meine fehlenden Erfahrungen bestrafst.“
Frodo stockte. Tauschte er nicht schon wieder Erfahrungen mit ihr aus? Erzählte er ihr nicht bereits erneut Dinge, die er für sich hatte behalten wollen? Was waren Erfahrungen, dass sie plötzlich jedem so wichtig schienen?
Nelke hob den Kopf, um ihn fragend anzusehen. Frodo blickte tief in ihre Augen, legte den Kopf schief. Ihr Ausdruck sprach von einer Freundschaft, die der zu Merry nicht unähnlich und doch völlig fremd war. Zögernd legte er eine Hand auf die ihre.
„Verzeih“, brachte er zaghaft hervor und hatte kaum den Mut, ihren Blick festzuhalten, „ich hätte so etwas nicht sagen dürfen. Ich war wütend, ich…“
…hatte Angst, beendete er in Gedanken.
„Ich wollte dir nicht wehtun.“
Nelke legte ihre Hand auf seine Wange und lachte so strahlend, dass Frodo völlig um seine Unruhe vergaß. Eine Berührung wie diese hatte die Angewohnheit ihn seltsam aufgeregt werden zu lassen. Die Haut unter der ihren kribbelte und eine wohlige Wärme breitete sich in ihm aus, während sich ein entschuldigendes Lächeln auf seinen Zügen zeigte.
„Gut, dann wäre alles wieder in Ordnung“, meinte Nelke fröhlich und schielte auf sein Tagebuch, das er noch immer mit einer Hand an seine Brust hielt. „Was liest du?“
Sie langte nach dem Buch, das Frodo kichernd ihrem Griff entzog. Der Vorfall im Wald stand nicht länger zwischen ihnen und er wusste, sie würde das Buch nicht nehmen, wenn er es ihr nicht erlaubte. Spitzbübisch sah er sie an, zwickte sie in die Seite. „Das geht dich immer noch nichts an.“
Nelke schrie erschrocken auf, stieß seine Hand weg und beschimpfte ihn als Dummkopf. Zur Strafe zwickte Frodo sie noch einige Male, bis sie schließlich vom Stuhl springen und vor ihm flüchten musste. Frodo hatte jedoch nicht vor, von seinem Opfer abzulassen und sprang ihr arglistig grinsend hinterher.
„Freche…“, schimpfte er und kniff sie in den Bauch, „…neugierige…“
Er stieß ihre Hand weg und zwickte ihre rechte Seite. „…hinterhältige, kleine…“
Nelke kreischte, als er ihre Hände packte, um sie ungehindert kitzeln zu können. „…Kröte!“
Kröte?!“ rief Nelke entrüstet, starrte ihn für einen entsetzten Augenblick an, ehe sie ihrerseits zum Angriff überging und gemeinsam mit Frodo lachend um den großen Tisch rannte.

 


~*~*~



Wo steckte der Junge nur schon wieder? Jeden Augenblick konnten Esmeralda, Paladin und die Kinder ankommen, doch von Frodo, der noch am Mittag entschlossen gewesen war, seine Vettern zu begrüßen, und dessen Hilfe Saradoc jetzt sehr gelegen kommen würde, fehlte jede Spur. Saradoc hatte Anweisungen gegeben, eines der größten Gästezimmer für den Thain vorzubereiten. Bis zum Mittag hätte sich Paladin dieses Zimmer mit seinem Sohn teilen müssen, doch inzwischen hatte Saradoc Frodo nachgegeben, der ihm bereits seit über einer Woche mit der Bitte in den Ohren lag, Pippin möge bei ihm und Merry nächtigen. Saradoc selbst wollte sich um die zusätzliche Matratze kümmern, die dafür in das Zimmer seiner Sprösslinge gebracht werden musste, doch hätte er es gerne gesehen, wenn Frodo ihm dabei zur Hand gegangen wäre und wenigsten saubere Bezüge aus der Wäschekammer gebracht hätte.
Schwungvoll öffnete er die Tür zum Matratzenkeller, dem tiefstgelegenen und größten Raum des Brandyschlosses, wo alte Matratzen und ein Großteil der ungenutzten Möbel gelagert wurden. Ein leichter Modergeruch wehte ihm entgegen und feiner Staub kitzelte seine Nase. Der Herr tastete nach dem Regal, um eine dort befindliche Kerze zu entzünden, als ihm auffiel, dass hinter einigen Matratzen bereits ein schwacher Schimmer verborgen lag. Verdutzt legte er die Stirn in Falten, ließ die Hand wieder sinken und bewegte sich stattdessen auf das schwache Licht zu.

„Frodo!“ rief er verblüfft, als er dessen Ursprung erkannte.
„Saradoc!“ Die Stimme war nicht minder überrascht, als seine eigene. Frodo saß auf dem steinernen Boden, lehnte gemütlich an einer Matratze. Die Beine hatte er ausgestreckt, die Hände zufrieden über dem Bauch gefaltet und sein Ausdruck sprach von vollkommener Glückseeligkeit. Ein Grinsen lag auf seinen Zügen, das seine Augen ungetrübt funkeln ließ.
„Was machst du hier?“, fragte Saradoc noch immer völlig verdutzt.
Frodo wirkte verwirrt, als hätte er diese Frage noch gar nicht bedacht, doch es dauerte nicht lange, da hellten sich seine Züge auf und ein überbreites Grinsen spaltet sein Gesicht entzwei. Mit einer Bewegung, die zweifelsohne nicht halb so unauffällig war, wie er es gerne gehabt hätte, ließ er etwas hinter seinem Rücken verschwinden und schüttelte unschuldig den Kopf.
„Was war das?“
„Nichts“, war die rasche Antwort. Die Miene blieb unschuldig, das Grinsen ungetrübt.
Einer Ahnung folgend beugte sich Saradoc zu dem Jungen hinab und roch an seinem Atem. Frodo, augenscheinlich von seinem Handeln erheitert, gluckste verstohlen in sich hinein. Saradoc äugte ihn kritisch und rümpfte die Nase. „Hast du getrunken?“
Frodos Grinsen wurde zu einem ausgeweiteten Lächeln und die unterdrückte Erheiterung zu einem unkontrollierten Kichern. Übereifrig schüttelte er den Kopf.
Mit einer Bewegung die zu Ende war, ehe Frodo überhaupt begriff, dass sie begonnen hatte, langte der Herr hinter den Rücken des Jungen und brachte eine eiserne Schale zutage. Zwei dunkelrote Himbeeren, die nicht mehr sonderlich frisch aussahen, rollten über eine kleine, dunkle Pfütze.
„Die gehören mir!“ rief Frodo aufgebracht, als Saradoc sich bereits wieder aufgerichtet hatte und seinen Fund prüfend begutachtete. Entschlossen rappelte er sich auf, warf dabei um ein Haar die Kerze zu Boden. Ein mahnender Blick des Herrn genügte jedoch, um Frodos Vorhaben Einhalt zu gebieten. Mit einem einzelnen Wort forderte Saradoc den Jungen dazu auf, ihm mit der Kerze zu leuchten und war selbst überrascht, als dieser seiner Bitte klaglos nachkam. Als er Frodos Gesicht betrachtete, erkannte er den Grund dafür. Die kurze Entschlossenheit war wieder dem seligen Grinsen und dem fernen Blick gewichen. Es stand außer Zweifel, dass er angetrunken war. Saradoc hoffte inständig, Frodo würde die Kerze in seinem Zustand nicht fallen lassen. Vorsichtig sog er den scharfen Geruch ein, der von den Beeren ausging. Weinbrand. Er tauchte den Finger in die Flüssigkeit und probierte. Zweifellos Weinbrand. Fast anklagend blickte er auf den Jungen, den das wenig kümmerte. War denn gar nichts mehr vor Frodos Naschereien sicher? Heiße, eingelegte Himbeeren mit Schlagsahne würden in den nächsten Tagen wohl nicht als spätes Nachtmahl gereicht werden. Kopfschüttelnd verspeiste Saradoc die übrig gebliebenen Beeren und erntete dafür einen entgeisterten Blick von Frodo, der jedoch nur Momente später von amüsiertem Gekicher abgelöst wurde. Verstohlen lächelnd legte der Herr eine Hand auf die Schulter seines Schützlings. „Da du schon einmal hier bist, kannst du mir auch beim Tragen der Matratze helfen.“
Frodo nickte eifrig und lachte dümmlich, als bei der heftigen Bewegung etwas Wachs von der Kerze tropfte und die Flamme wütend zischte und flackerte.

Später am Nachmittag schloss Saradoc seinen überschwänglichen Sohn freudig in die Arme. Die Sonne lachte vom Himmel und die bunten Sommerblumen zu beiden Seiten des schmalen Pfades vor dem Schloss streckten ihr die leuchtenden Köpfe entgegen.
„Wo ist Frodo?“, begehrte Merry sogleich zu wissen, hatte er doch erwartet nicht nur von seinem Vater sondern auch von seinem Vetter begrüßt zu werden, nachdem sie sich so lange nicht gesehen hatten.
„Er ist in seinem Zimmer und ruht sich aus“, erklärte der Herr.
Merry sah ihn besorgt an, wollte etwas erwidern, doch Gorbadoc erschien in der Tür und rief ihn zu sich. Der alte Hobbit freute sich stets, die ganze Familie unter einem Dach zu sehen und obschon er sich schwer auf seinen Gehstock stützen musste, zu stolz um Saradocs Hilfe anzunehmen, ließ er sich nicht davon abhalten, seinen Urenkel persönlich zu begrüßen. Mit einem lauten Aufschrei eilte ihm der junge Hobbit entgegen, schloss ihn vorsichtig in seine Arme. Pippin folgte ihm. Er wollte eigentlich nur zu Frodo, wusste jedoch, dass er nur über den Umweg einer Umarmung zu seinem Vetter kam, denn Gorbadoc war nicht minder erfreut, entfernte Mitglieder der Familie in seiner Höhle begrüßen zu dürfen.
„Geht es ihm nicht gut?“, fragte Esmeralda, während Paladin die Taschen aus dem Wagen nahm und Saradoc ihr vom Kutschbock half.
„Er schläft seinen Rausch aus“, berichtete der Herr beiläufig und schickte sich an, seinem Schwager zur Hand zu gehen.
„Er macht was?!“ entrüstete sich Esmeralda und Paladin blickte besorgt in das Gesicht seines Schwagers, doch dieser lächelte nur.
„Frag lieber nicht“, meinte er mit einem Kopfschütteln. „Frag nicht.“

 


~*~*~



Ein gellender Schrei ließ Nelke erschrocken herumfahren. Rubinie hielt in ihrer Schwärmerei für Marmadocs strahlende, grüne Augen inne. Ihre geröteten Wangen erblassten.
„Viola“, bemerkte sie, sprang auf die Beine und eilte davon.
Nelke zögerte, ehe auch sie sich aufrichtete. Ihr Blick ruhte auf dem Steg, wo sie einige andere Kinder herumalbern sah. Madoc ärgerte eines der jüngeren Mädchen worauf prompt beide von den Holzleisten stolperten und im Fluss landeten. Ein Lächeln stahl sich über ihre Lippen. Sie hatte sich mit Rubinie etwas vom Tumult am Ufer zurückgezogen, denn ihre Freundin wollte vor neugierigen Ohren sicher sein, wenn sie sich zu ihrer Schwärmerei für Frodos älteren Vetter bekannte. Im Gegensatz zu Marmadoc, konnte sie Frodo nicht unter den anderen Kindern ausmachen. Zweifellos waren er und seine jüngeren Vettern der Grund für Violas entsetzte Schreie. Seit Pippin Tuk hier angekommen war, taten die drei nichts anderes, als sie zu ärgern. Anfangs war sie gerne Ziel der Neckereien gewesen, doch inzwischen fand sie sie lästig. Frodos gelegentliche Sticheleien gefielen ihr. Tat er sich mit Merry zusammen, waren ihre Streiche zu verschmerzen, doch mit Pippin als Dritten im Bunde, stellten die Vettern eine Übermacht dar, gegen die nicht anzukommen war.
Ihr dünnes Kleid wehte ihr um die Beine, als ein Windstoß über den Hang strich. Nelke wusste, wenn sie ihren Freundinnen zu den Büschen im Süden folgte, würde sie dem Ärger zielsicher in die Arme laufen. Allerdings nicht nur dem, sondern auch Frodo.
Mit einem verzückten Lächeln setzte sie sich in Bewegung und rannte den Hang entlang nach Süden. Je weiter sie lief, umso lauter hörte sie die Schreie und Beschimpfungen ihrer Freundinnen. Die Vettern mussten sich etwas besonders Gemeines ausgedacht haben.

Nelke hatte sich vom Steg entfernt, war nun in der Nähe der Bockenburger Fähre. Der Hang war hier abgeflacht, ragte erst ein Stück weit zu ihrer Linken in die Höhe. Zwischen den Büschen hatte sich eine kleine Insel gebildet, ein ruhiger, wadentiefer See im sonst gemächlich fließenden Brandywein.
Viola stürmte kreischend hinter den Sträuchern hervor, dicht gefolgt von Pippin. Schelmisch grinsend und mit verschwörerisch vor der Brust verschlossenen Händen stolperte der jüngste der Vettern über die Wiese. Er machte nicht den Eindruck, als interessiere er sich für mehr, als nur Viola einzuholen, doch Nelke musste rasch feststellen, dass sie sich irrte. Pippin konnte sie nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen haben, doch er hielt sofort inne und wandte sich ihr zu. Sein Ausdruck hatte etwas Boshaftes. Er war der Fuchs, der den Zaun überwunden hatte und sie wollte nicht die Rolle des dummen, ahnungslosen Huhns übernehmen. Angespannt wich sie einen Schritt zurück.
Kalte, nasse Hände legten sich auf ihren Oberkörper und etwas Feuchtes, Glattes, Zappelndes glitt unter ihrem Kleid über ihre Haut. Ein Anflug von Panik jagte durch ihre Glieder, ließ sie entsetzt aufschreien. Im Versuch sich zu befreien, stieß sie mit dem Ellbogen unsanft in den Bauch ihres Angreifers, woraufhin Merry der Atem stockte und er von ihren Armen abließ, anstatt die freche Bemerkung, die auf seiner Zunge lag, kundzutun.

Während Nelke noch kreischend versuchte, herauszufinden, was Merry in ihren Ausschnitt gesteckt hatte, benötigte Viola, nur wenige Schritte weiter, alle Willenskraft nicht in Tränen auszubrechen. Eigentlich hatte sie den Vettern hinterher spionieren und ihre Pläne vereiteln wollen, doch stattdessen war sie in eine bereits gestellte Falle gelaufen. Ihr Kopf glühte von der Hitze ihres Zornes, während sie Frodo, dem allein geglückt war, was die drei Vettern gemeinsam nicht vollbracht hatten, anbrüllte und aufs wüsteste beschimpfte. Ihr Unterkleid tropfte und allein der Gedanke an die Kaulquappen, die sich darin verfangen haben konnten, ließ sie vor Ekel erschaudern. Immerhin zeigte ihre Zurechtweisung Wirkung, denn das dämliche Grinsen und der Blick des Unschuldslammes waren aus Frodos Gesicht gewichen. Viola hatte jedoch nicht vor, ihm jemals zu vergeben, selbst, wenn er sie noch so betroffen ansah.
„Ich wünschte, der Blitz würde dich treffen!“ fluchte sie abschließend und stelzte davon.

„Viola, warte!“
Frodo eilte zwischen den Sträuchern hindurch um sie aufzuhalten. Der Glanz ungeweinter Tränen war in ihren Augen gelegen, ein Anblick, der sein schlechtes Gewissen weckte. Es sollte nur ein Streich wie unzählige davor sein, doch womöglich hätte er das Mädchen nicht auch noch in den Teich mit dem Froschlaich schmeißen sollen, nachdem er ihr die Kaulquappen in den Halsausschnitt gesteckt hatte.
„Vi--“
Der Rest blieb ihm im Halse stecken. Inzwischen war nicht nur Rubinie zu ihnen gestoßen, auch Nelke stand nahe den Sträuchern und strich sich wiederholt über ihr Kleid. Merry war an ihrer Seite, sein Triumpf offensichtlich, doch wirkte er alles andere als erheitert. Seine Aufmerksamkeit, ebenso wie Frodos, galt Pippin. Sein jüngster Vetter protestierte lautstark gegen das grobe Vorgehen Reginards, der ihn am Ohrläppchen mit sich zerrte.
Frodo schluckte. Was machte Nelkes Bruder hier? Hatte er nicht zu arbeiten?
„Lass ihn gehen!“ verlangte er mutig, wissend, dass es als Ältester seine Aufgabe war, auf Pippin aufzupassen.
Frodo war überrascht, als der Tween tatsächlich tat, was er forderte, auch wenn es ihm nicht zusagte, wie unsanft Pippin zur Seite gestoßen wurde. Mit einem raschen Blick versicherte er sich, dass es dem jungen Tuk gut ging, ehe er sich für das Gefecht mit Reginard rüstete, denn dieser stapfte entschlossen auf ihn zu. Mit angespannten Muskeln und geschärften Sinnen blickte er in die dunklen Augen des Größeren. Reginard trug kein Hemd und der Gestank, der an seiner schweißnassen Brust klebte, umwehte Frodos Nase. Die sonnengebräunte Haut des Älteren glänzte, als er sich vor ihm aufbaute. Frodo wich nicht zurück, ballte stattdessen die Hände zu Fäusten und schob sein Kinn vor. Er wusste, dass die anderen ihn beobachteten und war nicht gewillt, Schwäche zu zeigen. Zu sehr erinnerte ihn dieses Ereignis an ein ähnliches Vorkommen im Sommer vor zwei Jahren, nur dass Frodo damals erlaubt hatte, erniedrigt zu werden. Heute würde er kämpfend zugrunde gehen.
„Machst du wieder Ärger, Beutlin?“ dröhnte die tiefe Stimme des Älteren über ihn hinweg, eine Stimme, die der von Olo Boffin nicht unähnlich war.

Seine Finger gruben sich in seine Handflächen. Frodo benötigte allen Mut dem durchdringenden Blick nicht auszuweichen. Anders als Marroc war Reginard während der Zeit in der er gestohlen hatte nie handgreiflich geworden, doch Frodo wusste, dass ihm Nelkes Bruder ebenso überlegen war wie sein Peiniger, schließlich hatte er bereits am eigenen Leib erfahren, wie schmerzhaft und blutig eine Auseinandersetzung mit ihm enden konnte. Reginard mochte seinen Hass zwar besser verbergen als Marroc, doch im Grunde waren sie sich nicht ungleich. Beide wollten ihn schikanieren. Der eine, indem er ihm heimlich drohte und verprügelte, der andere, indem er ihn vor seinen Freunden als Schwächling darstellte, in Ausnahmesituationen jedoch auch bereit war, zuzuschlagen.
Das Herz pochte in seinen Ohren wie der Hammer eines Schmiedes, der auf den Amboss schlug. Alle anderen Geräusche verstummten, während Frodo sich fragte, wie weit Reginard jetzt zu gehen bereit war. Die Aufmerksamkeit seiner Freunde gab ihm jedoch die nötige Sicherheit, die Verantwortung des Ältesten anzunehmen und seinen Vetter zu verteidigen, wie es jeder andere in seiner Lage auch tun würde. Ungeachtet der Folgen wollte er zurückschlagen, sollte Reginard zuerst Gewalt anwenden. Mit etwas Geschick glückte ihm vielleicht sogar, was ihm mit Marroc bereits gelungen war.
Allen Mut zusammennehmend sagte er: „Du suchst in jeder Gelegenheit einen Grund mich anzugreifen. Du bist kein Deut besser als Marroc.“
Frodo gratulierte sich selbst, dass seine Stimme nicht zitterte. Mit einer Beherztheit, die ihn überraschte, blickte er in die Augen des Älteren, wich nicht einmal zurück, als dessen muskulösen Arme nach vor schossen und ihn grob am Kragen packten. Reginard zog ihn zu sich, bis Frodo nur noch mit den Zehen im Gras stand.
„Es ist dein Glück, dass du Unrecht hast, denn sonst hättest du jetzt einige Blutergüsse mehr“, ließ der Tischlerlehrling ihn durch zusammengebissene Zähne wissen.

Frodo war wie erstarrt. Sein Körper spannte sich in Erwartung eines Schlages an. Sein Herzschlag wurde zu einem schmerzhaften Dröhnen. Seine Finger zuckten, doch Frodo zwang sich dazu, nicht nach Reginards Arm zu greifen und so die Angst zu zeigen, die ihn wie ein Schleier umschloss.
Abscheu loderte in Reginards Augen, doch Frodo hielt dem Blick stand, auch wenn er sich mit Gewalt dazu zwingen musste, den Kopf erhoben zu lassen. Einen nicht enden wollenden Atemzug schien der Ältere ihn förmlich mit seinen Augen zu durchbohren, ehe er ihn kraftvoll wegstieß. Frodo stolperte rückwärts, ohne seine Aufmerksamkeit von seinem Gegner zu nehmen.
Reginard ballte seine Fäuste, lockerte sie wieder und ballte sie erneut, ehe er Frodo angeekelt vor die Füße spuckte.
„Du bist den Schmutz an meinen Händen - nicht wert, den es mich kosten würde, dich zu schlagen“, sagte er hasserfüllt und wandte ihm den Rücken zu.

Für einen Moment war Frodo versucht Reginard noch einmal herauszufordern, denn kein anderer würde diese Bemerkung auf sich beruhen lassen, doch Merry, dessen Nähertreten ihm entgangen war, legte ihm eine Hand auf die Schulter. Nelke warf ihm einen Blick zu, den er nicht zu deuten wusste, ehe sie ihrem Bruder folgte.
Erst als sich zu seinem besorgten Vetter umwandte, bemerkte Frodo, dass er am ganzen Leibe zitterte und die Schwäche, die er zuvor nicht hatte zeigen wollen, über ihn hereinzubrechen drohte.
Pippin trat mit strahlendem Ausdruck an ihn heran.
„Wenn du meine Schwestern auch mit nur einem Blick vertreiben kannst, musst du unbedingt bald wieder zu den Großen Smials kommen“, meinte er begeistert. „Das war große Klasse!“
Stolz und verlegen zugleich ließ sich Frodo von dem jungen Tuk auf die Schulter klopfen. Er hatte Mut bewiesen, hatte Verantwortung übernommen und sich seinen Schwierigkeiten gestellt, wie sein Vater es ihn einst gelehrt hatte. Wenn sogar Pippin ihn bewunderte, durfte er zu Recht stolz auf sich sein. Vom Hochgefühl des Triumphes beflügelt legte er einen Arm um jeden seiner Vettern und lächelte breit.
„Suchen wir uns einen ruhigeren Platz“, sagte er dann, führte die beiden vom Flussufer weg und vergaß bald um den Schrecken, der sein Herz so schnell hatte schlagen lassen.





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