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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Author notes:
Es tut mir Leid, dass es im Augenblick etwas schleppend voran geht mit den Updates. Im Moment klappt es auch mit dem Schreiben nicht so richtig, zumindest nicht an dieser Geschichte, und nächste Woche gönne ich mir einen kurzen Urlaub in Schottland. Danach, so hoffe ich, wird es mit alter Frische weitergehen... auch an den Schicksalsjahren... ehe das neue Semester beginnt.


~*~*~



Kapitel 69: Neue Karten



Frodo ließ sich von Silberschweifs Rücken gleiten und klopfte dem Tier den Hals. Etwas verunsichert schaute er nach Norden, in die Richtung, aus der er soeben gekommen war. Ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn. War es richtig gewesen, her zu kommen?
Eine Biene summte an ihm vorüber, landete im roten Kelch einer Mohnblume, nachdem sie einmal um Frodos Kopf geschwirrt war. Die Blumen, zwischen denen er vor einem Monat mit Nelke gesessen war, waren beinahe verblüht. Anders als zu Beginn des Wedmath, war er heute jedoch auf dem Pfad unweit des Flusses geblieben und nicht über die hügelige Landschaft nach Westen gewandert, um sich am Ufer des Brandyweins niederzulassen. Eben jener Fluss war nun durch die Hügel verdeckt und Frodo hatte statt des gemächlich plätschernden Wassers das sanfte Rauschen des Waldes, der am östlichen Wegrand seinen Anfang fand, im Ohr. Er seufzte leise und strich Silberschweif über die Nüstern.

Merimas war nach dem Mittagessen zu ihm gekommen, ein strahlendes Lächeln im pausbäckigen Gesicht. Nur knapp war er seiner Mutter entkommen, die bereits nach ihm gerufen hatte, weil sie ihn für seinen Mittagsschlaf zu Bett bringen wollte. Frodo hatte den Jungen lächelnd in die Arme geschlossen, seltsam beruhigt, dass der kleine Hobbit ihn trotz der Ereignisse des letzten Tages so bereitwillig umarmte. Natürlich wusste Merimas nichts von den Geschehnissen und selbst wenn, hätte er nichts von alledem verstanden.
"Ich habe eine Nachricht", hatte der inzwischen sechsjährige Hobbit stolz verkündet und die Arme ausgestreckt, um hochgehoben zu werden. Kaum auf Frodos Schoß sitzend, hatte er sich verschwörerisch umgeblickt und ihm schließlich ins Ohr geflüstert: "Nelke sagt, du sollst zu den Mohnblumen am Wald kommen, mit deinem Pony, zum Teetrinken!"
Er kicherte, ohne zu ahnen, dass er Frodo dadurch noch mehr kitzelte als mit seinem warmen Atem.
"Sie ist lieb", fügte er hinzu und fragt dann, mit plötzlicher Verwirrung im Gesicht: "Gibt es auch bei den Mohnblumen Kuchen? Und wozu brauchst du ein Pony?"
Frodo zuckte nur mit den Schultern und rieb sich das kribbelnde Ohr, denn er wusste mit Merimas' Nachricht nichts anzufangen.
"Du Lausebengel!" tadelte eine strenge Stimme, woraufhin Merimas kichernd die Augen niederschlug.
Überrascht wandte Frodo sich um. Hanna stand hinter ihm und forderte ihren Sohn stumm auf, mit ihr zu kommen. Frodo lächelte unschuldig, obschon er bei ihrem Anblick am liebsten geweint hätte.
Seine Bindung zu Merimas hatte nicht unter seinem Umzug gelitten, doch jene zu Hanna sehr. Seit er nicht mehr im östlichen Gang lebte, hatte er sie nur noch abends in den Wohnzimmern getroffen und dabei nie mehr als wenige Worte mit ihr gewechselt. Er vermisste sie, vermisste ihre allabendlichen Besuche, denn bei ihr hatte er gewusst, dass sie seinetwegen gekommen war und nicht wegen Merry. Zwar hatte er den Gedanken, dass sie ihn liebte, wie Bilbo es einst getan hatte, verdrängt, doch in Momenten wie diesem, da er mit Merry im Streit stand und sich undenkbar einsam und verlassen fühlte, wünschte er sich nichts mehr, als ihre tröstliche Nähe wieder zu spüren.
"Du weißt, dass du jederzeit zu mir kommen kannst, auch wenn ich nicht mehr nebenan wohne. Meine Tür wird dir immer offen stehen, ganz gleich, zu welcher Zeit."
Ihre Tür mochte offen stehen, doch sein Mut war zu gering. Er wollte sie nicht mit seinen Sorgen belasten und sie ebenso enttäuschen, wie er Saradoc enttäuscht hatte.
"Und du bist kein geringerer, Frodo Beutlin", lachte Hanna und zerzauste ihm das Haar, ehe sie Merimas mit einem Kopfnicken andeutete, mit ihr zu kommen.
Der junge Hobbit umarmte ihn noch einmal und ging dann mit seiner Mutter und seinen Schwestern. Frodo beobachtete sie, bis er plötzlich die Augen eines anderen auf sich spürte und Nelkes Blick auffing.
Mohnblumen am Wald.
Plötzlich hatte er gewusst, welchen Ort sie ausgesucht hatte und doch verwunderte es ihn, dass sie Merimas mit einer Nachricht schickte, anstatt selbst zu ihm zu kommen. Kaum merklich nickte er ihr zu, ehe sie den Blickkontakt wieder abbrachen.

Und nun stand er hier, zwischen Mohnblumen und Wald und streichelte Silberschweifs Blesse, doch von Nelke fehlte jede Spur. Ohne es zu wollen, begann er zu zweifeln. War es richtig gewesen, hierher zu kommen? Weshalb machte das Mädchen ein solches Geheimnis um das Treffen?
Frodo beobachtete, wie die Biene den letzten offenen Blütenkelch hinter sich ließ und über die Wiese summte. Es war ihm schwer gefallen, Nelkes Einladung anzunehmen. Merrys Worte wollten ihn nicht loslassen und immer, wenn er die Augen schloss, sah er, wie sein Vetter blind vor Empörung gegen die Wand schlug. War wirklich er Grund für Merrys Wutausbruch? Er und seine Freundschaft zu Nelke? Frodo hatte den ganzen Vormittag damit verbracht darüber nachzudenken. Ganz allein war er in der friedlichen Stille der Bibliothek gesessen, hatte einzelne Sätze in sein Tagebuch geschrieben, doch zu einem Ergebnis war er nicht gekommen. Er mochte beide, Nelke und Merry, und keiner konnte von ihm verlangen, die Freundschaft des einen aufzugeben, um die des anderen halten zu können.

Silberschweif schnaubte, stupste seinen kleinen Freund mit der Nase und erweckte ihn so aus seiner Tagträumerei. Wiehernd begrüßte er dann das Pony, das sich ihnen trabend näherte.
Erst jetzt bemerkte auch Frodo den anderen Reiter und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er Nelke erkannte. Rasch schwang er sich auf Silberschweifs Rücken und winkte ihr zu.
"Danke, dass du gekommen bist", sagte Nelke und schenkte Frodo ein Lächeln, das ihn all seine Zweifel vergessen ließ.
"Ich muss gestehen, dass ich dein Rätsel nicht sofort gelöst habe", gestand er, während sie im Schritt nebeneinander her ritten
"Es musste leider sein", entgegnete das Mädchen mit verlegenem Ausdruck, ließ ihre Stimme jedoch ernst und entschlossen klingen. "Ich wollte nicht, dass außer dir jemand davon erfährt."

Frodo erstarrte. Er war froh, dass das andere Pony die Führung übernommen hatte und Nelke den Schmerz, der für einen Augenblick in seinem Gesicht sichtbar wurde, nicht erkennen konnte. Sie wusste von Reginard. Der Herr hatte ihm seinen Wunsch nicht gewährt. Die Boffins hatten erfahren, was vorgefallen war und Nelke hatte ihn nur treffen wollen, um ihm zu sagen, dass sie ihm von nun an aus dem Weg gehen würde. Reginard hatte gesiegt und er war wieder alleine.
Betrübt blickte er auf ihr schimmerndes Haar, das sie im Nacken mit einer Spange zusammengenommen hatte. "Sprichst du von deinem Bruder?"
Nelke wandte sich verwundert um, die Stirn in Falten gelegt. Ihre Augen blickten tief in die seinen, als prüfe sie, was er mit seiner Frage bezweckte. Ein unangenehmes Kribbeln ging durch seinen Körper und nach einigem Zögern senkte Frodo den Kopf und räusperte sich, um der Stille, die sie für einen flüchtigen Augenblick umgeben hatte, zu entrinnen. Sein Mund war trocken. Furcht ergriff ihn und er wünschte sich plötzlich, er wäre nicht hergekommen oder hätte wenigstens geschwiegen. Ihr Blick hatte gezeigt, dass sie nicht wusste, wovon er sprach. Er hatte sich durch dieselbe Dummheit verraten, mit der er sich am Abend zuvor dessen beraubt hatte, was er liebte. War er selbst zu seinem größten Feind geworden?
Seine Finger schlossen sich krampfhaft um die Zügel. Was tat er hier nur?
"Ich spreche von Rubinie", drang Nelkes Stimme an sein Ohr. Verwundert hob er den Kopf.
"Sie weiß jetzt schon zuviel", fuhr das Mädchen mit einem bitteren Lächeln fort.
Nun war es an Frodo, die Stirn zu runzeln und sie eingehend zu betrachten, doch Nelke erlaubte ihm gar nicht erst, in ihr Gesicht zu blicken, sondern trieb ihr Pony zu einem wilden Galopp, ehe er mehr als einen sorgenvollen Ausdruck in ihren grünen Augen erkennen konnte.

Nelke zügelte ihr Pony erst, als sie eine Stelle erreichte, an der die Bäume weniger dicht standen. Sie erinnerte sich, wie sie zu Beginn des Jahres hier gewesen war und Frodo sie auf die kleine Bank, die zwischen den Bäumen verborgen lag, hingewiesen hatte. Frodos verwirrte Fragen, was sie hier wollten und was denn überhaupt geschehen sei, beachtete sie nicht, als sie sich aus dem Sattel gleiten ließ und ihr Reittier in den Wald führte, wo unter einer Trauerweide eben jene Bank zum Vorschein kam. Mit einem Seufzen ließ sie sich darauf nieder und richtete den Blick auf die schimmernden Baumkronen. Obschon kein Luftzug zu spüren war, ging ein leises Flüstern durch die Blätter der Weide. Einer der langen, dünnen Äste verfing sich in ihrem Haar.
"Was ist denn los?"
Frodos völlig verdutzte Stimme drang an ihr Ohr. Sie spürte seinen Blick auf sich, wusste um die in Falten gelegte Stirn, doch verdrängte sie das Bild, indem sie reglos sitzen blieb und der Trauerweide und den Vögeln lauschte, die das kleine Waldstück nicht mehr lange besiedeln würden. Das morsche Holz der Bank knarrte leise. Frodo hatte sich neben sie gesetzt.
"Wir waren unvorsichtig", sagte sie dann. Ihre Worte fielen ihr nicht leicht. "Rubinie weiß davon und wenn sie es weiß, werden bald alle erfahren, dass wir zusammen sind und ich will nicht, dass es dazu kommt."
Nelke hatte lange darüber nachgedacht, wie sie ihre Worte kleiden sollte, hatte es jedoch aufgegeben. Worte, die traurig stimmen und verletzen würden, blieben traurig, auch wenn sie mit Bedacht gesprochen wurden.
Frodos Ausdruck war von Empörung gezeichnet und Nelke wandte den Blick ab, um seinen Schmerz nicht zu sehen. Er ahnte bereits, worauf sie hinaus wollte.

"Weshalb?"
Frodos Stimme klang überraschter, als er gewollt hatte. Natürlich hatten sie ihre Freundschaft geheim gehalten, weil sie um das Getuschel wussten, das unweigerlich folgen würde, sobald jemand davon wusste, doch etwas in ihren Worten ließ ihn unsicher werden. Es schien mehr als nur das Gerede der anderen dahinter zu stecken. Seine Furcht, für einen Augenblick durch Sorge um Nelke abgelöst, kehrte zurück, umklammerte ihn mit eisernen Fäusten. Bedeuteten ihre Worte, dass sie nicht länger seine Freundin sein wollte? Verzweifelt versuchte er, den Gedanken abzuschütteln. Nelke wusste nicht, dass er geschlagen worden war und Reginard hatte selbst gesagt, dass sie nicht einsehen wollte, dass sie etwas Besseres verdient hatte.
Hilflos sah er sie an, doch ihr Gesicht verriet nicht, was in ihr vorging. Als er ihrem Blick, der starr auf ihre im Schoß gefalteten Hände gerichtet war, jedoch folgte, erkannte er, dass ihre Finger zitterten. Zögernd legte er eine Hand auf die ihren, spürte, wie sie unter der Berührung zusammenzuckte. Etwas stimmte nicht, denn so angespannt und bekümmert war sie nicht einmal gewesen, als sie vor acht Monaten das erste Mal hier gesessen waren und sie sich seinetwegen gesorgt hatte.
"Was bedrückt dich?", fragte Frodo zögernd und die Fürsorge, die die verzweifelte Überraschung seiner Stimme überdeckte, erstaunte selbst ihn.

Nelke sah ihn verwundert an, doch die Besorgnis in seinem Blick trieb ihr die Tränen in die Augen und sie wandte den Blick rasch wieder ab, damit er ihre Traurigkeit nicht sah. Sie hatte einen schrecklichen Fehler begangen. Ihre Gedanken wanderten um ein Jahr zurück, als Reginard ihre Schlammschlacht auf solch gemeine Weise beendet hatte. Die Behandlung, die ihr Bruder Frodo hatte zuteil werden lassen, war alles andere als gerecht gewesen und Nelke, die den nur wenige Monate jüngeren Hobbit schon damals mehr gemocht hatte, als ihr lieb gewesen war, hatte sich verpflichtet gefühlt, ihn zu verteidigen. Reginard hatte sie des Abends zurechtgewiesen, hatte ihr des Langen und Breiten erklärt, was er von Frodo Beutlin hielt. Schon damals hatte sie geahnt, dass es ein schlimmes Ende nehmen würde, sollte sie sich mit ihm treffen. So hatte sie sich zurückgehalten, ihn heimlich beobachtet, bis das einst so helle Leuchten ganz aus seinen Augen erloschen war. Etwas hatte sein grüblerisches Gemüt noch verschlossener werden lassen und Nelke hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ein wenig Freude in die blauen Augen zurückzubringen. Ohne jenes besondere Licht schienen sie stumpf und leblos und es schmerzte sie, ihn so traurig zu sehen. Merrys Krankheit hatte ihr dann erlaubt, ihn noch besser kennen zu lernen und auch wenn sie viele Dinge nicht verstanden hatte, hatte sie sich nicht wieder von ihm trennen können, nachdem sie das schwache Licht in seinen Augen wieder entdeckt hatte. Sie hatte die Ängste, die sie zurückgehalten hatte, beiseite geschoben, immerhin war sie bald ein Tween und sollte für sich selbst entscheiden. Außerdem hatte sie gehofft, ihre Freundschaft zu Frodo geheim halten zu können. Frodo hatte sie erzählt, sie sorge sich um das Gerede, doch was sie ängstigte, war ihre Familie, die nie sonderlich gut auf den einzigen Sohn der Beutlins zu sprechen gewesen war. Pansy Boffin sagte, er wäre zwar nett, aber auch etwas seltsam, da er nicht immer die Nähe der anderen Kinder gesucht hatte. Nelke erinnerte sich daran, wie sie das einst ebenfalls verwundert hatte. Manchmal war sie ihm sogar nachgelaufen und hatte ihn gedrängt, wieder zu den anderen Kindern zurückzukommen, anstatt alleine unter der großen Eiche zu sitzen und die Wolken zu beobachten. Doch Frodo hatte sich von seinen Träumereien nur selten abhalten lassen.
Olo Boffin hatte ähnliche Ansichten wie seine Gattin, glaubte, etwas Unnatürliches an Frodo erkennen zu können. Selbst heute behauptete er noch, der junge Hobbit habe sie alle verzaubert, doch Nelke hatte nie einen Zauber erkennen können. Alles, was sie bisweilen gesehen hatte, war jenes Leuchten gewesen, doch selbst das war nach dem Tod seiner Eltern trübe geworden.
Nelke ballte die Hände zu Fäusten, obwohl seine Hände noch immer auf den ihren lagen. Würde sie jenes Leuchten, das zu Beginn des Jahres langsam in seine Augen zurückgekehrt war, nun wieder rauben? Der Gedanke schmerzte sie, doch sie wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, wenn sie nicht wollte, dass es für sie beide noch schlimmer wurde.

"Reginard hat dich verprügelt."
Frodo zuckte unmerklich zusammen. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er hatte sich selbst verraten und seine Worte konnte er nicht zurücknehmen. Mit einem leisen Seufzen wandte er den Blick von ihr ab und ließ ihre Hände los. Er hatte geahnt, dass dieses Gespräch kommen würde, hatte gelogen und sowohl Saradoc, als auch Merry verletzt, um ihm zu entgehen. Und nun saß er doch hier, das Herz voller Schmerz und Sorge um ein Mädchen, das nicht länger seine Freundin sein würde. Er nickte zaghaft.
"Ich hätte es wissen müssen."
Ihre Worte waren kaum mehr als ein Wispern und sie schüttelte verzagt den Kopf. "Es tut mir Leid, Frodo. Es tut mir Leid, dass ich Reginard Grund gegeben habe, dich zu schlagen."
Schon vor einigen Tagen hatte sich ihre Lage zugespitzt, als Reginard sie wegen Frodo zur Rede gestellt hatte. Sie war sich nicht sicher gewesen, woher er um ihre Freundschaft wusste, dennoch hatte sie geahnt, dass es schlimme Folgen nach sich ziehen würde und doch nicht hören wollen.
"Du hast…", begann Frodo, doch Nelke schnitt ihm das Wort ab, sah ihm ernst in die Augen.
"Ich will nicht, dass so etwas wieder geschieht", sagte sie entschlossen. "Es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen. Das erspart uns beiden eine Menge Ärger."

Nelkes Worte trafen ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte sie geahnt, sie gefürchtet, doch nicht damit gerechnet, dass sie ihn dennoch so sehr schmerzen würden. Seine Hoffnungen, einen weiteren Freund im Brandyschloss gefunden zu haben, zersplitterten und hinterließen tiefe Wunden. Seine Augen suchten die ihren, als hoffe er, in ihnen ein Anzeichen zu finden, dass sie scherzte, doch was er stattdessen in den grünen Augen mit dem braunen Schimmer sah, ließ alle Farbe aus seinem Gesicht weichen. Er sah Schmerz und denselben Kummer, unter dem auch er litt, und der Anblick ließ ihn beinahe verzagen.
"Schlägt er dich etwa auch?!"
Die Worte hatten seinen Mund verlassen, ehe er sicher gewesen war, dass er sie aussprechen wollte. Nelkes bekümmerter Ausdruck mischte sich mit Entsetzen.
"Er ist mein Bruder!" rief sie erschüttert aus und schüttelte den Kopf. "Er will nur das Beste für mich und…", sie stockte, schloss die Augen und wandte das Gesicht ab, ehe sie ihre Aussage mit einem zögernden Flüstern beendete. "Wie es scheint, entsprichst du nicht seinen Vorstellungen."
Frodo starrte sie für einen Augenblick sprachlos an, doch Nelke fuhr fort, ehe er etwas erwidern konnte.
"Ich denke nicht wie Reginard", erklärte sie, "doch ist es besser, wenn wir uns nicht mehr sehen."
Sie sah ihn beinahe flehend an, bat ihn stillschweigend, ihre Worte nicht länger in Frage zu stellen. Zärtlich berührte sie seine Wange, wie sie es schon einmal getan hatte und wieder fühlte sich Frodo unfähig, sich der Berührung zu entziehen. Stattdessen legte er eine Hand auf die ihre. "Ich will nicht, dass er dich verletzt."
"Seine Taten verletzen mich nicht mehr, als es deine Worte tun, solltest du diese wirklich ernst meinen", sagte er bekümmert.
Ihre Augen schimmerten mit ungeweinten Tränen und obwohl Frodo um ihre Freundschaft fürchtete, wusste er doch, dass nicht sie es war, die sie beenden wollte. Hatte sie ihn nicht erst gestern noch umarmt? Sie durfte ihn nicht wieder alleine lassen, nur weil Reginard ihn schlug. Sollte er ihn verprügeln, wenn es ihm Freude bereitete, doch er durfte ihm nicht Nelkes Freundschaft nehmen.
Wortlos stolperte Nelke in einer überstürzten Bewegung zu den Ponys, wo sie ihrer Fuchsstute zärtlich über die Nüstern strich.
Frodo blieb hilflos auf der Bank sitzen. Lief er Gefahr Merry und Nelke zu verlieren, wenn er nicht handelte? Doch was sollte er tun, was sollte er sagen, ohne noch mehr falsch zu machen, als er es bereits getan hatte?
"Wenn wir uns heimlicher treffen als zuvor?", schlug er schließlich zaghaft und ohne sie anzusehen vor. Er hatte nicht viel Hoffnung, dass sie diesen Vorschlag annahm, doch etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
"Seit du mit ihr befreundet bist, habe ich das Gefühl, dass du nicht länger mein Freund sein willst."
Ein leises Rauschen ging durch die Blätter der Trauerweide. Betrübt dachte er an die Worte, die Merry voller Zorn und Verzweiflung gesprochen hatte und ihm war klar, dass er auch seinen Vetter bei seiner Überlegung nicht außer Acht lassen durfte. Um auch ihm gerecht zu werden, fügte er noch leiser hinzu. "Und uns seltener sehen?"

Nelke hob verwundert den Kopf und bemerkte, dass seine flehenden Augen auf sie gerichtet waren. Nur schwer gelang es ihr, diesem Blick standzuhalten. Beinahe hätte sie gelächelt. Er hielt an seiner Freundschaft fest, ganz gleich, welchen Preis er dafür bezahlen musste. Sie bewunderte das, doch war sie nicht sicher, ob sie seinen Vorschlag annehmen konnte. Wie gerne hätte sie es getan! Es wäre ein Wagnis. Sie würde noch vorsichtiger sein müssen und ihre Ausreden noch besser. Ein Kribbeln durchlief ihren Körper, während er ihren Blick in einer stummen Bitte festhielt. Sie mochte ihn mit jedem Tag mehr, ganz gleich, was andere über Frodo Beutlin sagen mochten. Konnte sie ihre Freundschaft verraten, nur weil sie nicht denselben Mut aufbringen konnte, den er besaß? War es denn Mut und nicht vielmehr Dummheit? Sie schüttelte den Kopf. Sie wusste, was sie wollte und Frodos Augen ließen ihr das wieder bewusst werden, ganz gleich, was sie zuvor getan oder für richtig befunden hatte. Sie wollte seine Freundschaft nicht mehr missen und doch…
"Ich weiß nicht, ob das möglich sein wird."
Die Hoffnung, die in Frodos Herzen aufkeimte, wischte alle Anzeichen von Traurigkeit und Grübelei aus seinem Gesicht und brachte einen kindlichen Glanz in seine Augen. "Wir können es versuchen."



~*~*~



Ein erleichtertes Lächeln lag auf Frodos Gesicht, als er Sattel und Zaumzeug in die dafür vorgesehene Kammer trug. Nelke hatte ihre Zweifel, doch sie hatte heimlicheren Treffen zugestimmt. Wie sie das tun wollten, wussten sie noch nicht, doch Frodo war zuversichtlich, dass ihnen etwas einfallen würde. Die eine Freundschaft hatte er mit Müh und Not gerettet und nun galt es, widergut zu machen, was er am vergangenen Abend verbrochen hatte.
Als er zufrieden an Silberschweifs Box trat, kitzelte der Duft von frisch eingetragenem Heu seine Nase. Im trüben Licht, das durch die feinen Risse und Spalten im Holz hereindrang, tanzten kleine Staubkörnchen. Nelke, die dem Pony den Hals klopfte, wandte sich ihm zu. Ihre Blicke trafen sich und Frodo erkannte das Lächeln, das in ihren Augen schimmerte und war glücklich.
"Wir werden uns trennen müssen", stellte Frodo fest.
Nelke nickte, wobei sie über seine Schulter hinweg zum Stalltor sah, das den Blick zum Bockberg freigab. "Einer von uns wird zu spät zum Abendessen kommen."
"Nicht du."
Frodo wusste nicht, wie ihm geschah, als sie plötzlich die Arme um seinen Hals schlang und ihn festhielt. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er hielt gespannt den Atem an. Der Geruch von Heu und Ponys mischte sich mit dem ihrer Haare. Hatte er auf dem Rückweg zum Brandyschloss wieder ein angenehmes Kribbeln verspürt, entfachte ihre Berührung ein kleines Feuer, das sein wärmendes Knistern in seinem Körper ausbreitete. Zaghaft legte er seine Arme um sie, um ihre unausgesprochene Dankbarkeit auf dieselbe Weise zu erwidern. Dass sie ihn daraufhin schüchtern auf die Wange küsste, tat nichts dazu, seine Aufregung zu mindern. Wie zart sich ihre Lippen anfühlten! Für den Bruchteil eines Wimpernschlages glaubte er sogar, sich an dieses Gefühl gewöhnen zu können, ganz gleich, was er über das Küssen dachte.

"Nelke Boffin!"
Die Röte, die ihm gerade in die Wangen steigen wollte, verblasste auf halber Strecke. Nelke stieß ihn förmlich von sich weg und der Schrecken in ihren Augen ließ jegliches Kribbeln sofort ersterben. Frodo erkannte die Stimme nicht, doch die Strenge und Empörung, die darin lagen, ließen selbst ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Erschrocken wandte er sich um, um die stämmige Gestalt von Nelkes Vater in der Tür zu erkennen. Die Sonne schien ihm in den Rücken, sodass sein Schatten lang und bedrohlich in den Stall geworfen wurde, während der entschlossene Vater seiner Tochter, die angstvoll einige Schritte zurückwich, raschen Schrittes entgegen stampfte.
Frodo stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben, denn Olos wutentbrannter Blick galt nicht nur Nelke. Silberschweif schnaubte unruhig und Frodo klammerte sich unwillkürlich an die Box, als ein erstes Gefühl der Angst auch die letzten knisternden Flämmchen erstickte, auf dass nicht einmal die Erinnerung daran zurück blieb.
"Wie kannst du es wagen, sie so zu berühren, du Lüstling!" donnerte Olo mit tiefer Stimme, während er Frodos Ohrläppchen packte und es grob verdrehte. Ein leiser Schmerzenslaut entwich Frodos Lippen, als der Hobbit an seinem Ohr zog und ihn schließlich unsanft am Kiefer ergriff, um ihn so dazu zu zwingen, in dunkle Augen zu blicken, die ihn mit Dolchen zu durchbohren schienen. Frodo hielt mit der einen Hand Olos Handgelenk umklammert, war jedoch vor Überraschung wie gelähmt. Mit weit aufgerissenen Augen sah er in das pausbäckige Gesicht, das seinem immer näher kam. Der scharfe Geruch von Branntwein drang in seine Nase, die er angeekelt rümpfte. Er versuchte sich abzuwenden, doch die Hand an seinem Unterkiefer erlaubte ihm die Bewegung nicht. Auch die Finger, die noch immer sein Ohrläppchen gefangen hielten, zerrten mahnend, ließen ihn sich verkrampfen, um dem Schmerz nicht noch einmal nachzugeben.
"Solltest du noch einmal wagen, Hand an sie zu legen, werde ich dich lehren, was der Herr offensichtlich versäumt hat."

"Vater!"
Nelke war die ganze Zeit über schweigend in der Ecke gestanden, hatte wie erstarrt beobachtet, was geschah. Schließlich löste sie sich aus ihrer Versteinerung, um Frodo zu Hilfe zu eilen, doch ihre Stimme klang verzagt und zitterte. Nichtsdestotrotz legte sie eine schlichtende Hand auf den Arm ihres Vaters, der sie unsanft zur Seite stieß.
"Wir sprechen uns noch, junges Fräulein!" fauchte er, warf Frodo einen letzten giftigen Blick zu ehe er von ihm abließ, um Nelke mit dem Handrücken zu ohrfeigen.
Sie starrte ihren Vater an, erschüttert und entsetzt. Bevor sie mit einer Hand die Wange berühren konnte, kam bereits der nächste, klatschende Schlag. Frodo zuckte zusammen, als wäre er es, der getroffen worden war, die Lippen zu einem stummen Aufschrei geöffnet.
Olo packte Nelkes Oberarm, zog seine Tochter, die den Kopf gesenkt hielt und nicht einmal zurückblickte, mit sich fort, während seine wütende, zurechtweisende Stimme die abendliche Ruhe durchschnitt.

Frodo blieb fassungslos zurück, starrte seiner Freundin mit blinden Augen hinterher. Er war überrascht gewesen, dass Nelkes Vater so grob mit ihm umgegangen war, doch als dieser Nelke geschlagen hatte, hatte für einen Augenblick alles in ihm verzagt. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass Eltern ihre Kinder mit der Hand züchtigten, erst recht nicht wegen einer nett gemeinten Umarmung. Der Schrecken darüber ließ seinen Körper erzittern. Der Gedanke, dass Nelke von ihrem eigenen Vater und nicht etwa von ihrem Bruder, wie Frodo es vermutet hatte, geschlagen wurde, wollte ihm nicht in den Kopf. Es war zu absurd, zu fürchterlich. Seine Knie wurden weich und er ließ sich langsam an der Ponybox zu Boden gleiten, während er endlich den Blick von der Türe abwandte. Deshalb hatte sie sich nicht mehr mit ihm treffen wollen. Aus Angst, ihr Vater könne sie zusammen sehen und sie verprügeln. Frodo schluckte den Kloß, der sich in seinem Hals bildete. Hatte er heute Nachmittag wirklich eine Freundschaft gerettet oder nur die Lage seiner Freundin verschlimmert?

Völlig mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, bemerkte Frodo nicht, wie sich auf dem Heuboden etwas regte. Ein groß gewachsener, kräftig gebauter Hobbit steckte die Gabel ins Heu, ein hinterhältiges Funkeln in den dunklen Augen. Das Licht, das durch ein kleines Loch in der Wand herein drang, zeigte sein nussbraunes Haar und das zufriedene Lächeln, das sein Gesicht zierte.
‚Reginard hatte also doch Recht', dachte der Tween und verschwand im Schatten.



~*~*~



"Wir haben uns getrennt."
Die ausdruckslose Stimme drang durch die stille Dunkelheit des Zimmers an sein Ohr. Trotz ihrer geringen Lautstärke klangen die Worte schwer und Merry konnte sie nicht sofort begreifen. Einen langen Augenblick blieb er reglos liegen, bis deren Bedeutung ihm plötzlich gewiss wurde und er verdutzt die Stirn in Falten legte. Er hatte heute wenig mit Frodo gesprochen, hatte seine Zeit damit verbracht, seine Gedanken zu ordnen. Sein Zorn auf Frodo war zu einer bloßen Erinnerung geworden, auch wenn er dessen Absichten noch immer nicht begreifen konnte. Als er abends die Nähe seines Vetters gesucht hatte, war dieser jedoch sehr schweigsam gewesen und ein Ausdruck von Schwermut, den Merry ebenso wenig begreifen konnte, wie die eben gesprochenen, leisen Worte, war in seinen Augen gelegen.
"Weshalb?", fragte er verblüfft und richtete sich auf.
"Hast du nicht das gewollt?", fragte dieselbe ausdruckslose Stimme.
Merry runzelte die Stirn. "Schon, aber…"
"Dann solltest du es hinnehmen, ohne zu fragen."
Verwundert blickte Merry dorthin, wo er Frodo vermutete, doch konnte er ihn weder erkennen, noch hören, wie er sich rührte. Er wusste, dass er an dieser Trennung nicht unschuldig war und die Traurigkeit, die nun in Frodos Stimme lag, sorgte dafür, dass er sich schlecht fühlte.
"Es tut mir Leid", wisperte er schließlich und überlegte, ob er noch hinzufügen sollte, dass er Nelke nicht ganz so schlimm fand, wie er behauptet hatte, doch behielt er seine Worte für sich. Schwer ließ er den Kopf in sein Kissen sinken.

Eine Träne stahl sich aus Frodos Augenwinkel, lief über seine Nase und tropfte schließlich auf das Kissen. Merrys Freundschaft war ein Preis gewesen, den er nicht hatte bezahlen wollen und nur deshalb hatte er seinen Vorschlag so formuliert, wie er es getan hatte. Nelkes Wohlbefinden war wiederum ein Preis, den er nicht bezahlen durfte und nur deshalb würde er sich von ihr fernhalten und so die unfreiwilligen Absichten verfolgen, zu denen ihm das Mädchen zuerst geraten hatte.



~*~*~



Mit leisem Klicken fiel die Tür ins Schloss. Frodo nahm den Stuhl, der an der Wand lehnte und trug ihn zögernd zum Schreibtisch.
"Einen Augenblick", bat der Herr, ohne von der Tabelle, über der er brütete, aufzublicken.
Frodo setzte sich wortlos und ließ den Blick durch das Arbeitszimmer wandern. Ein Strauß weißer und lilafarbener Astern stand auf der Kommode und wurde vom einfallenden Licht der Sonne umschmeichelt. Der Schreibtisch sah weniger einladend aus. Papiere türmten sich darauf und auf den meisten konnte Frodo ähnliche Tabellen erkennen wie jene, die Saradoc studierte. Daneben lagen mehrere Briefe, manche ungeöffnet, die anderen mit erbrochenen Siegeln. Ein kleiner Messingbrieföffner schimmerte im Sonnenlicht.
Ein wenig beunruhigt beobachtete Frodo, wie der Herr die Stirn in Falten legte, sich nachdenklich mit der Feder über die Lippen strich. Er wusste nicht, weshalb er hier war. Nach dem Frühstück hatte er mit Merry zum Bruch gehen wollen, doch der Herr hatte es ihm verboten und verlangt, dass er in sein Arbeitszimmer käme, sobald er beim Waschen des Frühstücksgeschirrs behilflich gewesen war. Von zunehmender Unruhe ergriffen, begann Frodo ungeduldig mit den Fingern auf die Schenkel zu klopfen. Die Stille behagte ihm nicht.

Seufzend steckte Saradoc die Feder schließlich zurück in die Halterung, streckte sich kurz und blickte dann auf den jungen Hobbit vor sich, der ihn mit einer stummen Frage im Gesicht ansah. "Weißt du, weshalb du hier bist?"
Wie er es erwartet hatte, schüttelte Frodo den Kopf. Geduldig faltete Saradoc die Hände, legte sie auf den Schreibtisch, nachdem er die Tabelle zur Seite gelegt hatte.
"Olo Boffin war gestern Abend bei mir und wir haben uns lange unterhalten", erzählte er dem Jungen beiläufig und konnte beobachten, wie sich erst Überraschung, dann Entsetzen und schließlich Sorge in seinen Zügen widerspiegelte.
"Er hat mir manches anvertraut und sich über vieles aufgeregt. Er meinte, du hättest keinen Funken Anstand und stiegest den Mädchen nach." Frodos Gesicht wurde erst rot, dann blass. "Zu guter Letzt hat er meine Erziehungsmethoden in Frage gestellt und mir des Langen und Breiten erklärt, was ich bei dir alles falsch gemacht habe."

Frodo senkte den Kopf. Seine Finger hatten aufgehört zu klopfen, suchten nun aber nach einer anderen, unauffälligen Beschäftigung. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Er hatte geahnt, dass Nelkes Vater der Grund für seine Bestrafung war und Saradocs Worte ließen ihn bange werden.
"Olo Boffin und ich haben sehr unterschiedliche Ansichten", erklärte der Herr und Frodo war überrascht ob des aufmunternden Tonfalles in dessen Stimme. Zaghaft hob er den Kopf, um Saradoc freundlich lächeln zu sehen. "Ich halte dich nicht für einen Lüstling, ebenso wie ich nichts davon halte, Kinder für eine Umarmung zu bestrafen."
Erleichterung brachte Frodos Mundwinkel zum Zucken, auch wenn die nervöse Anspannung nicht aus seinem Körper weichen wollte. Würde er das Arbeitszimmer entgegen seiner Erwartungen ohne eine Bestrafung verlassen? Von Saradocs Nachsicht ermutigt, stellte er schließlich die Frage, die ihn beschäftigte. "Weshalb bin ich hier, wenn du mich nicht bestrafen willst?"
Saradoc erhob sich und Frodos Hoffnung sank, denn die Gesichtszüge des Herrn wurden ernst.
"Olo hat mir ungewollt die Antworten auf jene Fragen gegeben, die du mir auferlegt hattest. Du hast mich belogen, Frodo, und nun weiß ich auch weshalb."
Der Herr verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wandte sich dem Fenster zu, blieb einen nicht enden wollenden Augenblick wortlos stehen und betrachtete den lauen Morgen. Frodo presste die Lippen aufeinander und starrte zu Boden. Saradocs enttäuschter Tonfall hatte ihm einen schmerzhaften Stich versetzt. Würden ihn die Fehler jenes Abends nicht wieder loslassen? Traurige Verzweiflung schlich in sein Herz und nur seine verkrampft ineinander gefalteten Finger hielten sie davon ab, aus ihm hervor zu brechen.

Ein Zittern ging durch den jungen Körper, als Saradoc sich schließlich umwandte, ein Zeichen, dass Frodo bereits um seinen Fehler wusste. Zufrieden nickte der Herr mit dem Kopf, beinahe so, als bestätige er dadurch die Richtigkeit seines Vorgehens. Frodo sah ihn nicht an.
"Du und Nelke, so scheint mir, seid euch näher gekommen und Reginard war nicht sehr glücklich darüber. Hat er dich deshalb geschlagen?"
Frodo nickte zaghaft, was Saradoc erleichtert aufatmen ließ. Zumindest war der Junge jetzt ehrlich.

Es hatte keinen Sinn zu leugnen, denn was er zu schützen gehofft hatte, gab es nicht länger. Er hätte niemals lügen dürfen, das war ihm jetzt klar. Wenn er Saradoc den Grund für die Prügelei genannt hätte, hätte das seine Lage nicht schlimmer machen können, als sie es nun war.
"Muss ich dich auf Schritt und Tritt beobachten, um sicher zu sein, dass ich dir glauben kann?"
"Verzeih mir!" wisperte Frodo und seine Stimme brach, als die Erinnerung an Saradocs Worte andere Bilder zurückrief. Vor sechs Jahren hatten Marrocs Lügen dazu geführt, dass keiner ihm geglaubt hatte und Frodo würde die hilflose Leere, die er damals gefühlt hatte, niemals vergessen können. Seine eigene Lüge sollte nicht dazu führen, dass Saradoc erneut das Vertrauen in ihn verlor.
"Verzeih mir", wiederholte er noch einmal und verzweifelte Tränen, die er nicht hatte weinen wollen, traten in seine Augen. "Ich wollte dich nicht belügen. Ich…" Er schnappte zitternd nach Luft. "Bitte, glaube mir, bitte."

Von Mitleid und Schmerz ergriffen, eilte Saradoc um den Schreibtisch. Er hatte den Jungen nur sehr selten weinen gesehen und bisher hatte es ihm jedes Mal das Herz gebrochen. Dieser Morgen sollte keine Ausnahme bilden. Wortlos kniete er sich vor dem Kind nieder, legte tröstend die Arme um die zitternden Schultern und zog den Jungen in eine liebevolle Umarmung. Frodos Finger ergriffen seine Ärmel, hielten sich krampfhaft daran fest. War er womöglich zu streng gewesen?
"Sieh mich an, Frodo", bat er und legte die Hand auf dessen Wange, als der Junge ihn aus tränennassen Augen anblickte. "Ich habe dich heute Früh für deine Lüge bestraft und ich sehe, dass du deine Lektion gelernt hast. Ich vertraue dir."
Frodo schwieg, seine Unterlippe zitterte. Saradoc schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, während er mit dem Daumen eine Träne wegwischte. Frodo ließ von seinem Hemd ab und nur Augenblicke später hatte er sich ganz aus der Umarmung gelöst. Während Saradoc die nun geröteten Wangen seines angenommenen Sohnes betrachtete, wischte sich dieser mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen. Er hatte die Fassung rasch wiedererlangt. Ganz gleich, wie verzweifelt er sich an ihm festgehalten hatte, schien er nicht gewillt, in der Trost spendenden Umarmung zu verweilen. Saradoc hatte das wilde Pochen von Frodos Herzen an seiner Brust spüren können, hätte ihn gerne länger beruhigt, doch wie sollte er das tun, wenn der Junge es nicht zuließ?
Er schüttelte den Gedanken ab, als ihm klar wurde, dass Frodo ihn fragend ansah, und erhob sich, um dem Jungen durch das Haar zu streichen.
"Olo war, ebenso wie Reginard, nicht erfreut, dich mit Nelke zu sehen", stellte er fest.

Schweigend blickte Frodo auf die Papierstapel auf dem Schreibtisch, die Hände angespannt im Schoß gefaltet. Seine Verzweiflung hatte ihn so plötzlich übermannt, dass ihm erst klar wurde, was geschehen war, als der Herr über seine tränenfeuchte Wange gestrichen hatte. Das Mitgefühl in den grünen Augen hatte neue Tränen in ihm empor getrieben, doch Frodo hatte verzweifelt dagegen angekämpft. Auch jetzt mied er das Gefühl der Sehnsucht, das die Finger, die so tröstlich durch seine Locken strichen, hervorriefen, denn er wusste nicht, wann seine Tränen wieder versiegen würden, wenn er sich ihnen überließ. Zu vieles machte ihm in diesem Sommer das Herz schwer und er vermisste die stille Einsamkeit seines Zimmers in dem jene Tränen, deren Spuren noch in seinen Augen lagen, für gewöhnlich des Nachts sein Kissen getränkt und ihm so das Weitergehen leichter gemacht hatten.
Tief Luft holend, antwortete er schließlich auf Saradocs Bemerkung.
"Er muss sich nicht sorgen. Wir werden uns nicht mehr treffen."
Saradoc sah ihn verwundert an, nickte jedoch. Mit in Falten gelegter Stirn, als würde er seine nächsten Worte bedenken, setzte er sich zurück an den Schreibtisch. Frodo war froh, dass er ihn nicht länger zu beruhigen versuchte, denn es fiel ihm immer schwerer, nicht auf die flehende Stimme seines Herzens zu hören.
Er nahm einen weiteren zitternden Atemzug.
"Er hat Nelke geohrfeigt. Zweimal", die Stimme leise, zögernd, "und das, obwohl sie nichts getan hat."
Frodo hatte nicht vorgehabt, Saradoc davon zu erzählen, doch der Ausdruck stummen Schreckens, der in Nelkes Gesicht gestanden hatte, als Olo aufgetaucht war, ihre zitternde Stimme, als sie ihn zu beschwichtigen suchte und der Ausdruck von Überraschung und Vorahnung, als der erste Schlag unerwartet auf sie niedergegangen war, wollten ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen. Er musste handeln, und wenn Saradoc ihm nicht helfen konnte, wer dann?
"Du darfst das nicht zulassen!"
Endlich glaubte er, sich so weit unter Kontrolle zu haben, um den Herrn wieder ansehen zu können, doch gefiel ihm nicht, was er erkannte. Saradoc wirkte zwar erschrocken, doch als er ihm in die Augen sah, legte sich Bekümmerung über dessen Gesicht.
"Es tut mir Leid, Frodo, doch ich fürchte, hier sind mir die Hände gebunden, selbst wenn ich sein Handeln nicht gutheiße."
Frodos Hoffnungsschimmer verdunkelte sich und zugleich hallte der flache Schlag von Olos Hand in seinen Ohren wider.
"Aber du bist Herr von Bockland!" versuchte er ihn zu erinnern, den Blick nun hilflos und ohne Verständnis.
"Ich habe dir bereits gesagt, dass Olo und ich sehr unterschiedliche Ansichten haben", begann der Herr ruhig zu erklären, "und das nicht nur, wenn es um die Erziehung geht. Wir gehen unterschiedliche Wege. Ich mag Herr von Bockland sein, doch habe ich nicht das Recht, seine Erziehungsmethoden zu hinterfragen."
Frodo konnte es kaum fassen. Seiner anfänglichen Verzweiflung mischten sich Empörung und die Wut der Hilflosen bei. Saradoc konnte dies doch nicht einfach geschehen lassen!
"Aber er schlägt sie!" beharrte Frodo mit erhobener Stimme, den Körper gerade, die Muskeln angespannt. Er war ein Bild der Entschlossenheit, doch Saradoc schüttelte den Kopf.
"Viele Eltern bevorzugen es, ihre Kinder mit der Hand zu züchtigen, Frodo. So lange er sie nicht grundlos verprügelt, handelt er nicht unrecht. Ich bin davon ebenso wenig erfreut wie du, doch ich fürchte, ich kann hier nicht eingreifen."
Frodo erhob sich, die Hände zu zitternden Fäusten geballt, die Augen verständnislos auf den Herrn gerichtet, der ihn entschuldigend ansah.
"Warum?", hätte er beinahe gefragt, denn so dankbar er war, dass Saradoc ihm seine Lüge verziehen hatte, so verletzt war er, dass der Herr nicht einmal in Erwägung zog, Nelkes Vater zur Rede zu stellen. Sein aufkeimender Zorn ließ ihn jedoch anders handeln, denn Frodo wusste, dass er seine Worte bereuen würde, sollte er dieses Gespräch fortführen.
"Kann ich gehen?", fragte er stattdessen gereizt. Saradocs Ausdruck war unverändert und auf sein Nicken hin, packte Frodo den Stuhl, stellte ihn an seinen Platz an der Wand und stakste schwer atmend aus dem Zimmer.



~*~*~



Als Frodo nachmittags am Zaun der Ponykoppel stand, hatte sich sein Gemüt wieder beruhigt. Er sorgte sich um Nelke, doch Merimas, der an seiner Seite stand und mit einem kleinen Holzpferd spielte, das Marmadas für ihn geschnitzt hatte, lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Der junge Hobbit plapperte vergnügt vor sich hin, während er sein Pony über den unteren Balken des Zaunes wandern ließ. Lächelnd blickte Frodo auf ihn hinab, strich ihm durch die hellen Locken. Als Merimas gesehen hatte, dass er ganz alleine unterwegs war, hatte er ihn unbedingt begleiten wollen und nicht nachgegeben, bis Frodo und Adamanta, die auf ihn und ihren eigenen Sohn Berilac Acht gegeben hatte, es ihm erlaubten. Erst hatte Frodo mit ihm Fangen gespielt, dann hatte Merimas nach einer Geschichte über Ponys verlangt und da es sich an der Koppel am besten darüber erzählen ließ, hatte Frodo das Kind hierher geführt. An der Geschichte hatte Merimas jedoch bald das Interesse verloren und war schließlich dazu übergangen, sich mit seinem neuen Spielzeug zu beschäftigen.
Frodo spürte ein Kribbeln im Nacken und wandte sich verwundert um, als seine linke Hand, die eben noch durch Merimas' Locken gestrichen hatte, grob am Gelenk gepackt und verdreht wurde. Zischend schnappte er nach Luft, packte den Arm seines Angreifers, nur um von lähmender Angst überwältigt zu werden, als ihn dessen dunkle Augen mit scharfem Blick durchbohrten. Sein Rücken prallte gegen den Zaun, ließ ihn schmerzvoll das Gesicht verziehen, denn seine blauen Flecken waren noch nicht verheilt. Merimas rief ängstlich seinen Namen.

Ein gemeines Glitzern war in Marrocs dunkle Augen getreten, als sie Frodo alleine mit dem Jungen fanden und ein grausamer Plan sich zu entwickeln begann. Welch ein glücklicher Zufall, dass Frodo ausgerechnet auf Marmadas' einzigen Sohn aufpasste. Marmadas Brandybock, einer von zweien, die ihn beim Ausmisten immer zur Ordnung mahnten, ihn bei der Heu- und Strohernte zur Eile trieben und ihm zusätzliche Arbeit aufbürdeten, wenn er nicht fleißig war. Marroc würde sich an ihm rächen und zugleich bekommen, was ihm vor einem Monat verwehrt worden war. Sein eigenes Leben mochte Frodo nichts mehr wert sein, doch das des Jungen war es bestimmt. Leise, wie es nur Hobbits waren, hatte sich Marroc an den Zaun geschlichen, wo er sein Opfer schneller überwältigte, als er erwartet hatte.
Rasch hatte er auch Frodos anderes Handgelenk ergriffen und auch wenn dieser sich wehrte, gelang es ihm, ihn festzuhalten.
"Bevor du daran denkst, dich mit Gewalt befreien zu wollen", erklärte er mit einem triumphierenden Lächeln im Gesicht, "solltest du die Folgen einer solchen Tat bedenken."
Damit ließ er von Frodo ab, packte stattdessen Merimas an der Schulter und zog ihn zu sich heran, sodass das Kind zwischen ihm und seinem eigentlichen Ziel stand. Merimas schrie überrascht auf und Frodo stürzte erschrocken nach vor, um den Jungen zu befreien, doch Marroc drehte sich erst von ihm weg, packte Frodo dann am Schopf und riss ihm den Kopf zurück, gerade als dieser die Hand des Kindes ergriffen hatte.

"Frodo!"
Der Angesprochene verbiss sich den Schmerzenlaut, als er die Furcht und den Schrecken in Merimas' Augen sah. Er hatte ebensolche Angst. Kalt und unberechenbar war sie über ihn hereingebrochen, als er in die funkelnden Augen seines Peinigers geblickt hatte, hatte ihm die Luft abgeschnürt und ihn vor Schrecken wie erstarrt sein lassen. Hätte der Ältere nicht plötzlich nach Merimas gegriffen, wäre er nicht in der Lage gewesen, sich zu rühren, doch so hatte er handeln müssen. Was hatte Marroc mit Merimas vor? Er durfte ihm nicht wehtun!
"Hör mir gut zu, Beutlin", zischte Marroc in sein Ohr und stieß ihn von sich weg. "Dem Jungen wird nichts geschehen, solange du tust, was ich dir sage und du weißt, was ich von dir will."
Frodo stolperte zum Zaun, wo er sich sofort wieder umdrehte, um Marroc stechend anzusehen, doch veränderte sich sein Ausdruck, als er seinen Worten lauschte. Er erinnerte sich noch sehr gut, was Marroc wollte, doch ebenso, wie vor einem Monat, war er nicht gewillt, für den älteren Hobbit zu stehlen. Sein Ausdruck verfinsterte sich.
"Und wenn ich das nicht tue?"
"Dann werde ich zu härteren Methoden greifen müssen", fuhr Marroc trocken fort und um seinen Worten Ausdruck zu verleihen und den nörgelnden Fratz, der ihm als Druckmittel diente zur Ruhe zu bringen, drückte er die Schulter des Kindes so fest zusammen, bis dieses einen Schmerzenslaut von sich gab.
Voller Entsetzen hob Frodo die Hand, gebot Marroc mit einem angstvollen Ausruf zur Einhalt.
Merimas sah furchtsam zu ihm auf, wand sich aus Marrocs Umklammerung und versuchte, nach ihm zu treten, doch der Ältere ließ ihn nicht gehen, sondern grinste zufrieden. Die Sonne spielte mit dem nussbraunen Haar Marrocs, während Frodo fieberhaft darüber nachdachte, wie er Merimas aus seiner misslichen Lage befreien konnte. Die Furcht saß ihm kalt im Nacken, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Frodo wollte nicht glauben, dass Marroc dem Kleinen etwas antun würde, nur weil er wollte, dass er für ihn arbeitete, doch dann erinnerte er sich an das verzweifelte Gefühl, nicht mehr atmen zu können, roch den Fluss und schmeckte den schleimigen Geschmack des Wassers. Furchtsam schloss er die Augen. Der Ältere hätte ihn beinahe ertränkt, um seinen Willen zu bekommen, wie sollte er sicher sein, dass Marroc nicht auch dazu fähig war, ein Kind zu verletzen?
"Ich will zu meiner Mama!" jammerte Merimas plötzlich. Er blickte Hilfe suchend zu ihm auf, die dunklen Augen mit ungeweinten Tränen angefüllt und Frodo spürte, wie er zu zittern begann. Er wusste, dass es nicht möglich war, jetzt einzuwilligen um Merimas zu schützen und später nicht zu tun, was Marroc verlangte. Sein Wort war bindend und an die Folgen eines Bruchs wagte Frodo nicht einmal zu denken. Merimas durfte nichts geschehen! Nach allem was Marmadas und Hanna für ihn getan hatten, durfte er ihren Sohn nicht unnötig in Gefahr bringen. Das konnte er weder ihnen, noch Merimas antun.
Seine Augen fanden die des Kindes und versprachen wortlos, ihn wohlbehalten zu seiner Mutter zurückzubringen und auch später für seine Sicherheit zu sorgen.
"Wirst du für mich arbeiten?", forderte Marroc, sein Ton strenger als zuvor. Die Bindung, die für einen Augenblick zwischen Frodo und Merimas bestanden hatte, brach und Frodo hob den Kopf, um seinem Peiniger entschlossen in die Augen zu sehen. Das Blut rauschte in seinen Ohren und das Herz pochte ihm bis in den Hals, denn er wusste, dass er nicht den Mut besaß, den er zu haben vorgab. Plötzlich weiteten sich seine Augen.
"Bei allen Auen - ja!" schrie er aufgebracht. "Ja!"

Marroc grinste zufrieden in sich hinein. Er hatte gewusst, dass der Junge seinem Opfer teuer war. Von Merimas unbemerkt, ließ er sein Schnitzmesser, das hinter dessen Krauskopf aufgetaucht war und Frodo so sehr erschreckt hatte, wieder verschwinden. Er hatte nicht wirklich vor, das Kind zu verletzen, doch es gefiel ihm, dass Frodo ihm dies offensichtlich zutraute. Was Marmadas wohl dazu sagen würde, wenn sein kleiner Sohn mit der einen oder anderen Schnittwunde wieder nach Hause käme? Ob er sich diese Tat eher für den kleinen Berilac aufheben sollte, um so auch an Merimac Rache zu nehmen? Er verwarf den Gedanken vorerst, widmete seine Aufmerksamkeit stattdessen Frodo, dessen Augen noch immer vor Angst und Schrecken geweitet waren. Wie er die Furcht in seinem Blick doch liebte!
"Eine weise Entscheidung", höhnte er ungetrübt - grinsend. Mit einer Bewegung, so unerwartet, dass Merimas ihr erst gewahr wurde, als es schon zu spät war, entriss er seinem Druckmittel das Holzpferd, das dieser umklammert hielt. Der Kleine schrie entsetzt auf, wand sich, trat und beschimpfte ihn und Marroc konnte ihn kaum wieder zur Ruhe bringen.
"Es gehört mir!" rief er immer wieder, sah mit flehendem Blick zu ihm auf und versuchte immer wieder, nach der Figur zu langen. "Gib es zurück!"
Doch Marroc dachte nicht daran, warf das Pony stattdessen Frodo zu, der es geschickt auffing. Flinke Hände würde der Junge auch haben müssen, wenn er für ihn arbeitete, dafür würde er sorgen.
"Zerstöre es!" verlangte er streng, als er den verstörten Ausdruck im eingeschüchterten Blick seines Opfers erkannte.

Fassungslos sah Frodo von der Figur auf. Das konnte er nicht tun! Merimas hatte das Pferd erst vor kurzem von Marmadas erhalten. Er liebte dieses Spielzeug! Hilflos schüttelte er den Kopf, doch Marrocs Ausdruck blieb unerbittlich. Frodo spürte den hoffnungsvollen Blick des Kindes, der erst ihm galt und dann zu der Holzfigur in seinen Händen wanderte.
"Gib es mir!"
Die rechte Hand seines Schützlings war ausgestreckt, während die Finger der anderen sich um Marrocs braungebrannten Arm schlossen.
"Bitte", flehte der kleine Hobbit, als hinter seinem rechten Ohr plötzlich das Messer aufblitzte.
Frodo erstarrte und schnappte nach Luft. Alles in ihm verkrampfte sich, als Marroc die Klinge so drehte, dass sie im Sonnenlicht glitzerte. Ein kalter Schauer der Furcht lief ihm über den Rücken und sein Herz verzagte.
‚Vergib mir, Merimas', dachte er verzweifelt, wobei er traurig in die mit Tränen gefüllten Augen des Kindes blickte. ‚Vergib mir, doch ich muss es tun, um dich zu schützen.'
Frodos Herz brach, als sich ein Bein mit einem leisen Knacken vom Körper der Holzfigur trennte. Merimas schrie entsetzt auf und die ersten Tränen liefen über sein Gesicht.
Frodo grub sich die Nägel der freien, zur Faust geballten Hand ins Fleisch, blickte verbittert zu Marroc und seine Augen weiteten sich, als dessen Lippen die Worte "alle vier" formten.
"Nein", wisperte er tonlos, schüttelte den Kopf und die Messerklinge glitzerte.
Von Schmerz erfüllt und begleitet vom lauten Weinen des Kindes, drehte Frodo zaghaft die Figur in seinen Händen, hielt den Atem an, als er mit langsamen Bewegungen das zweite Bein vom Körper trennte. Das verzweifelte Rufen und Schreien des Kindes trieben ihm die Tränen in die Augen. Wie kalt und grausam Marroc doch war, dies von ihm zu verlangen! Verletzt und ohne Hoffnung kniff er die Augen zusammen.
Er drehte das Holzpferd weiter in seiner Hand, als Marroc das wild um sich schlagende Kind nicht länger festhalten konnte. Der Kleine stürmte sofort auf ihn zu, bat ihn verzweifelt, aufzuhören und ihm sein Spielzeug zurückzugeben, versuchte jedoch zugleich, es ihm zu entreißen.
Frodo hielt das Holzpferd in die Höhe, hörte das leise Knacken, als das dritte Bein brach. Mit der linken Hand, hielt er Merimas davon ab, an seinem Hemd zu reißen, doch wandte er den Blick ab, als er die verzweifelten Tränen sah, die über die Wangen des Kindes liefen. Merimas konnte nicht verstehen, weshalb er sein Spielzeug vernichtete und Marroc hätte sich keine grausamere Folter ausdenken können, um ihn seinen Dienst antreten zu lassen. Merimas trat ihn und zerrte an seinem Hemd, als auch das letzte Bein brach und Frodo kraftlos den Arm sinken ließ. Ohne den Jungen anzusehen, gab er ihm zurück, was sein war, doch sein Herz war gebrochen, ebenso, wie die Beine des Tieres. Voller Entsetzen blickte Merimas auf die Splitter, sah Frodo einen langen Augenblick verständnislos und mit zitternder Unterlippe an, entriss ihm schließlich die zerstörte Figur.
"Ich hasse dich!" schrie er empört, ehe er laut schluchzend davon stürmte.
Seine Worte trafen Frodo wie ein Dolchstoß. Sein Gesicht verzog sich zu einer Maske des Schmerzes und er richtete den Blick bekümmert auf das Gras zu seinen Füßen. Seine Augen drohten überzulaufen, doch hielt er seine Tränen verbissen zurück und ballte die Hände zu Fäusten. Was hatte er getan, dass die Welt ihm alles nahm, was er liebte?
"Warum tust du das?", fragte er mit erstickter Stimme, als Marroc an ihn herantrat.
"Das war gute Arbeit."
"Warum?!" schrie er und funkelte Marroc trotz seiner Hilflosigkeit zornig an.

Marroc packte ihn grob an der Schulter. Er hatte erreicht, was er wollte, doch konnte es nicht schaden, Frodo dennoch zu zeigen, wo sein Platz war. Ein siegreiches Grinsen erschien auf seinen Zügen. Er hatte nie zufriedener ausgesehen. "Weil ich sicher sein muss, dass der Junge sein kleines Geheimnis für sich behält und du nicht willst, dass ihm etwas geschieht, nicht wahr?"

Frodo zeigte keine Regung und auch, als Marroc seinen Griff noch verstärkte, veränderte sich sein Ausdruck nicht. Er spürte den Schmerz, hieß ihn sogar willkommen. Nach allem, was er Merimas angetan hatte, hatte er es verdient, verletzt zu werden. Fast wünschte er sich, Marroc würde ihn schlagen, doch er wusste, dass er Merimas seinen Schmerz nicht würde nehmen können, indem er selbst Schmerz empfand. Er hasste Marroc für das, was er ihm angetan hatte. Sein Peiniger wusste, dass Merimas kein Wort über ihn verlieren würde, sondern die Tatsache, dass sein Pony kaputt war, nun viel wichtiger für ihn war. Und er hasste Marroc dafür, ebenso, wie er sich selbst dafür hasste, dass er Merimas in seine Probleme mit dem Tween hineingezogen hatte.
"So lange du tust, was ich sage, wird dem Kleinen nichts geschehen", sagte Marroc und Frodo hätte das hämische Grinsen am liebsten aus dessen Gesicht geprügelt. "Ich werde Reginard informieren, auf dass auch er dich in Zukunft in Frieden lässt. Du kannst dich von nun an getrost mit Nelke treffen, schließlich bist du jetzt einer von uns."
Der Ältere lachte und ging davon.
Frodo blieb reglos stehen, ordnete Marrocs letzte Worte und sank schließlich weinend auf die Knie, das Herz blutend und die Gedanken voller Bitterkeit. Er war einer von ihnen.



~*~*~



Als Frodo abends im Wohnzimmer saß, kam Hanna zu ihm und befragte ihn wegen des Pferdes. Lange Zeit sah er sie schweigend an, wäre ihr beinahe weinend in die Arme gefallen. Er hatte gesehen, wohin ihn seine Lüge geführt hatte, doch nun würde er wieder lügen müssen, ganz gleich, wie viel Schmerz es ihm bereitete. Er spürte Marrocs Blick auf sich ruhen, als er zu einer zaghaften Antwort ansetzte.
"Es war ein Versehen. Ich habe mich darauf gesetzt. Es tut mir Leid."
Er konnte sie nicht ansehen und auch, als sie ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte und erklärte, dass dies halb so schlimm sei und Merimas es bald vergessen haben würde, hob er den Kopf nicht. Er war ein Verräter. Er betrog sie alle, denn auch wenn er nicht vorgehabt hatte, wieder zu lügen, tat er es, indem er schwieg. Er konnte es verantworten, wenn Marroc ihm etwas antat, doch nicht, wenn dieser seinen Zorn gegen Merimas richtete. Er musste schweigen, um den Kleinen nicht in noch größere Gefahr zu bringen.
Wortlos stand er auf, ehe Hanna seine Verzweiflung spüren hätte können und verließ das Zimmer. Nach allem, was er an diesem Tag getan hatte, konnte er es nicht ertragen, in ihrer Nähe zu sein. Er konnte ihren Trost nicht in Anspruch nehmen, wo er doch das Unglück ihres Sohnes war.





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