Stories of Arda Home Page
About Us News Resources Login Become a member Help Search

Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 67: Unentdeckt, doch aufgeflogen




"Achtung!"
Merrys Ausruf hallte zwischen den Bäumen wider, doch kaum jemand schenkte ihm Beachtung. Nichtsdestotrotz setzte sich der junge Hobbit in Bewegung, spurtete über den Steg, wobei er beinahe über Marmadoc gestolpert wäre, der dösend auf den warmen Holzleisten lag, und landete mit einem lauten Platschen im Fluss. Wasserspritzer, die im Licht der Sonne in allen Farben funkelten, flogen durch die Luft, ehe Merry prustend zwischen Minto und Madoc auftauchte und die Haare, die im Sommer einen fast goldenen Glanz annahmen, zurückwarf.
"Merry!" schimpfte Rubinie, die ebenfalls auf dem Steg geruht hatte, und schenkte ihm einen nicht allzu freundlichen Blick. Sie war durch seinen wenig eleganten Sprung nass und in ihrem Sonnenbad gestört geworden. Merry kümmerte das jedoch wenig und er sandte frech eine handvoll Wasser in ihre Richtung, wofür er Jubel und fleißige Unterstützung von Madoc und Minto erntete. Überrascht schrie Rubinie auf, ebenso wie Viola, die dank der vereinten Kräfte der Jungen ebenfalls mit dem kühlen Nass bespritzt wurde.

Kreischend und schimpfend entfernte sich die Ältere der beiden Schwestern schließlich vom Steg, strich sich über ihr nun wieder feuchtes Unterkleid und ließ sich neben Nelke ins Gras fallen. Diese lag unweit des Ufers auf dem Bauch, den Kopf auf ihren Armen ruhend. Auch sie war nur in ein Unterkleid gehüllt, hatte Bluse und Rock neben sich im Gras liegen. Die Haare trug sie offen. Braune Locken, durchzogen von einigen feuchten Strähnen, bedeckten ihren Rücken bis zu den Schulterblättern.
Rubinie sah wütend zurück und schüttelte den Kopf. "Dieser Merry!"
Ihr Blick fiel auf ihre Freundin, doch diese hatte nur Augen für Frodo Beutlin, der nur wenige Schritte von ihr entfernt im Gras saß und sich, auf seine Ellbogen zurückgelehnt, von der Sonne bräunen ließ. Ab und an wanderte sein Blick herüber und wann immer er das tat, erschien ein Lächeln auf seinen Lippen, das Nelke alsbald erwiderte. Rubinie beobachtete dies einige Zeit, bis Frodo der zusätzlichen Aufmerksamkeit gewahr wurde. Wie zufällig ließ er seinen Blick zurück zum Fluss gleiten, auch wenn sie die Überraschung deutlich in seinen Augen erkennen konnte. Bildete sie sich das nur ein oder hatte sich die sonnengebräunte Haut seiner Wangen tatsächlich gerötet? Ein wissendes Grinsen stahl sich über ihr Gesicht, und, welcher Zauber auch immer Frodo und ihre Freundin verbunden hatte, war gebrochen, denn Nelke wandte sich ihr plötzlich zu, Verwunderung in den Augen.
"Rubinie", bemerkte sie überrascht, "seit wann bist du schon hier?"
"Lange genug", entgegnete das Mädchen verschmitzt und stützte sich auf ihre Ellbogen, um Nelke besser ansehen zu können. "Und du willst mir wirklich noch immer weiß machen, dass das zwischen dir und Frodo keine ausgesprochen enge Freundschaft ist?"
Nelkes Gesicht wurde erst rot, dann blass, nur um sich kurz darauf erneut für die gesündere Farbe zu entscheiden. Verlegen schlug sie die Augen nieder.
"Ausgerechnet Frodo?!" rief Rubinie so laut aus, dass Frodo überrascht in ihre Richtung sah und Nelke zusammenzuckte. Ein sowohl frecher, als auch neugieriger Glanz der Erheiterung trat in ihre Augen, als sie Nelkes abgewandtes Gesicht betrachtete. Beinahe verschwörerisch beugte sie sich zu ihrer Freundin, flüsterte mit gesenkter Stimme: "Hast du ihn etwa auch schon geküsst?"

"Ruby!"
Entrüstet richtete Nelke sich auf, starrte ihre Freundin voll Unglauben, Überraschung und Verlegenheit an. Ihr Blick wanderte heimlich zu Frodo, der ihren hilflosen Ausdruck mit einem Augenzwinkern erwiderte und sich schließlich räuspernd erhob. Rubinie warf er dabei einen scharfen Blick zu, den diese jedoch mit einem zuckersüßen Lächeln konterte, wohl wissend, dass sie bereits mehr wusste, als ihm lieb war, und noch mehr erfahren würde.
Scheinbar gleichgültig schlenderte er an die Mädchen heran, ein hinterhältiges Funkeln in seinen Augen. Er hatte genug gehört und Rubinie ging eindeutig zu weit. Frodo hatte nicht verstanden, was sie von Nelke gewollt hatte, doch offensichtlich waren ihre Worte seiner Freundin unangenehm, denn sie blickte zu Boden und kaute auf ihrer Unterlippe, als suche sie nach den richtigen Worten. Außerdem hatten schon ihre ersten Worte ausgereicht, um ihn wütend zu machen, denn schließlich war es allein Nelkes Entscheidung, mit wem sie zusammen sein wollte und mit wem nicht. Andererseits konnte er ihr nicht wirklich böse sein, hatte Merry schließlich dieselbe Einstellung, wie die junge Pausbacken und Frodo spielte bereits mit dem Gedanken, ihr ebendies zu sagen, entschied sich dann aber dagegen. Das wollte er Merry nicht antun.
"Ich habe gehört, freche Mädchen, die ihre neugierigen Knollennasen zu tief in Angelegenheiten stecken, die sie nichts angehen, leben gefährlich", bemerkte er stattdessen beiläufig, während er Rubinie umkreiste, als plane er, sie zum Abendessen zu verspeisen.
"Und ich habe gehört", entgegnete die ältere der Pausbackenschwestern spitz, kam jedoch nicht dazu, ihren Gedanken zu Ende zu führen, denn Frodo packte sie plötzlich von hinten und zog sie auf die Beine.
Überrascht schrie sie auf, wollte sich befreien, doch Frodo hatte ihre Handgelenke bereits zu fassen bekommen und so konnte sie sich seiner nicht erwehren, als er sie neben sich her zum Flussufer zog. Sie begnügte sich damit, ihm ins Schienbein zu treten und ihn wüst zu beschimpfen, während sie um die Hilfe ihrer Schwester und Nelke bat, doch Viola war bereits wieder in den Fluss gesprungen und Nelke hatte sich zwar erhoben und tapste hinter Frodo her, musste sich jedoch auf die Lippen beißen, um sich ein verschmitztes Lächeln zu verkneifen. Frodo war sich seiner Sache sicher, stolzierte förmlich zum Ufer, während ein breites Grinsen seine Züge erhellte. Dieses Mal würde es ihm noch mehr Vergnügen bereiten, das Mädchen in den Fluss zu schmeißen, geschah es schließlich nicht nur aus Eigeninteresse.
Das aufgeweichte Gras am Ufer gab sumpfige Geräusche von sich und die schmutzigen, von der Sonne erwärmten Pfützen umschlossen seine Zehen, als er Rubinie ins Wasser stieß, wo diese prompt nach vor stolperte, um der Länge nach im Fluss zu landen.

Frodo klopfte siegreich die Hände aneinander, schenkte dem Mädchen dasselbe zuckersüße Lächeln, das sie ihm zuvor zugeworfen hatte, ehe auch er plötzlich überrascht nach vor stolperte, um im knietiefen Wasser zu stehen zu kommen. Verwundert wandte er sich um, um den Übeltäter zurechtzuweisen. Zu seiner Verwunderung fand er jedoch nur Nelke, deren Lächeln sein Herz Sprünge vollführen ließ. Entschuldigend sah sie ihn an, als er fragend die Stirn in Falten legte.
"Sie ist meine Freundin", erklärte das Mädchen knapp. "Ich muss zu ihr halten."
Beinahe hätte er erwidert, dass er auch ihr Freund war und sie demnach auch ihm beistehen müsse, als er plötzlich der Länge nach im Wasser landete. Rubinie hatte sich unbemerkt wieder aufgerappelt und sich auf ihn geworfen.
Er wusste, dass der Boden nur wenige Schritte vom Ufer entfernt rapide abfiel, und als er sich nun mit den Händen abfing und sein Kopf für einen kurzen Augenblick mit dem Wasser in Berührung kam, ergriff plötzliche Panik Besitz von ihm. Seine Augen weiteten sich und er wollte sich aufrichten, doch Rubinie hinderte ihn daran, während Nelke bereits heraneilte, zweifelsohne, um ihre Freundin zu unterstützen.
"Dafür kommst du nicht ungestraft davon", hörte er Rubinie sagen und noch ehe sie ihn nass gespritzt hatte, schmeckte Frodo den sandigen Schleim in seinem Mund, spürte das Brennen in seinem Hals, als sich seine Kehle plötzlich zuschnürte und er nicht mehr atmen konnte. Kalte Angst hielt seine Eingeweide umklammert, erschwerte das Denken, ließ jedoch zugleich ungeahnte Kräfte zum Leben erwachen. Als der erste Wasserspritzer sein Gesicht berührte, stieß er mit der einen Hand Rubinie von sich, während die andere Nelkes Handgelenk grob umklammerte. Mit blinden Augen sah er zu ihr auf, ehe er auch sie zur Seite stieß, sich schwankend aufrappelte und aus dem Fluss stürmte. Keuchend und zitternd sank er schließlich wenige Schritte vom Ufer entfernt auf die Knie.

Ein kalter Schauer war Nelke über den Rücken gelaufen, ehe Frodo sie weggestoßen hatte. Nachdem sie ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatte, eilte sie dem Jungen sofort hinterher und ließ sich neben ihm ins Gras sinken, wobei sie eine Hand auf seine Schulter legte. Frodo war kreidebleich und schnaufte, als hätte er einen langen, anstrengenden Lauf hinter sich. Die Muskeln unter ihrer Hand waren angespannt und zitterten. Sie hatte dies für ein Spiel gehalten, einen Spaß, doch als er plötzlich ihr Handgelenk so fest umklammert hatte, wie nie zuvor, hatte sie etwas in seinen Augen gesehen. Nackte Angst war darin gelegen, so kalt und rein, dass ihr der Atem stockte. Seinen Augen hatte plötzlich eine andere Farbe innegewohnt. Es war nicht länger ein tiefes, dunkles Blau gewesen, sondern eine blasse, flüchtige Zeichnung dessen, was sie sonst darin zu sehen glaubte. Beinahe so, als wäre ein Schleier vorgezogen worden. Mit einem Mal hatte sie gewusst, dass dies bitterer Ernst war.
"Frodo?", fragte sie besorgt, die Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Ist alles in Ordnung?"
Frodo antwortete nicht, bedachte sie jedoch mit einem Ausdruck, der ihr Herz bluten machte.
"Bist du verrückt geworden, du Dummkopf?", schimpfte Rubinie wutentbrannt, als sie an die beiden herantrat.
Ihr Kleid klebte an ihrem Körper und selbst ein Teil ihrer Haare war vom Wasser nicht verschont geblieben. Ihre Augen funkelten, als sie zornig auf Frodo hinabblickte und die Hände in die Hüften stemmte. Sie sah aus, als wolle sie ihre Beschimpfungen weiter ausführen, doch als Frodo nichts weiter tat, als sie entschuldigend anzusehen, winkte sie ab, schüttelte den Kopf und ging schließlich zurück zum Steg.
Frodos Augen folgten ihr, während seine Atmung sich langsam wieder beruhigte. Nelke zog ihn in eine zögerliche Umarmung, die er wortlos geschehen ließ.
"Was ist geschehen?", fragte sie sanft.

Frodo konnte fühlen, wie die Angst, nun, da er wieder Gras unter den Füßen hatte und nur vereinzelte Wassertropfen über seine Wangen liefen, von ihm abließ. Das wilde Pochen seines Herzens wurde langsamer und der Geschmack des Wassers, eben noch klar auf seiner Zunge, verblasste. Er war nicht sicher, was geschehen war, doch noch während das Zittern seines Körpers abklang, traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag. Seine Angst vor dem Fluss, die er beinahe überwunden hatte, war zurückgekehrt. Die Furcht, ertrinken zu müssen, wenn der Wasserpegel einen bestimmten Punkt überschritt, hielt ihn wieder umklammert. Und das war alles Marrocs Schuld.
Betrübt schloss er die Augen, schüttelte unmerklich den Kopf und seufzte tief. Ein zarter, lieblicher Duft, ein Hauch von Bienenwachs, umschmeichelte seine Nase, vertrieb schließlich die schrecklichen Gedanken an Fluss und Tod. Weiche Hände lagen auf der nassen Haut zwischen seinen Schulterblättern und erst, als er die Augen langsam öffnete, wurde ihm klar, dass sein Kopf an Nelkes Schulter ruhte. Erschrocken wich er zurück, stieß sie beinahe von sich. War er von allen guten Geistern verlassen, sie zu umarmen? Hier, wo jeder sie sehen konnte? Blut schoss in seine Wangen, färbte diese von den Lachgrübchen bis zu den Ohren rot, noch ehe er verlegen den Blick von ihr hatte abwenden können. Nie zuvor hatten sie sich auf diese Weise umarmt, eine Tatsache, die seiner Gesichtsfarbe nicht eben zugute kam.

Nelke wurde sich ihrer Tat ebenso plötzlich bewusst, wie er es getan hatte und schlug die Augen nieder, ein verlegenes Lächeln im Gesicht.
"Es… es tut mir Leid."
Sie war es, die ihre Stimme zuerst wieder fand. Frodo, eifrig damit beschäftig, das Gras neben seinen Beinen abzuzupfen, hob überrascht den Kopf. Ein Funkeln lag in seinen Augen, die, sehr zu Nelkes Freude, wieder von einem dunklen Blau waren.
"Das muss es nicht", gestand er mit einem schüchternen Lächeln, erhob sich dann aber mit einer raschen Bewegung und wandte sich von ihr ab.
Nelke stockte der Atem. Sie hatte bereits bemerkt, dass mehr in Frodo steckte, als das Auge sah, doch dass er so kühn war, hatte sie nicht gedacht. Beinahe hätte sie ihn mit offenem Mund angestiert, doch schaffte sie es mühevoll, ihr Kinn an Ort und Stelle zu behalten und beschränkte sich darauf, zu starren.
"Keine Sorge, mir geht es gut", versicherte er ihr dann und eilte davon, um sich sein Hemd zu holen. Lächelnd sah er noch einmal zu ihr zurück, ehe er sich gemächlichen Schrittes vom Ufer entfernte. Nelke schien wie versteinert. Für einen langen Augenblick konnte sie nichts weiter tun, als still zu sitzen und dem aufgeregten Pochen ihres Herzens zu lauschen, ihre Wangen noch immer rot und erhitzt.

Merry war gerade aus dem Wasser geklettert, als er sah, wie Frodo in Nelkes Armen lag. In ihren Armen! Erst hielt er es für eine Täuschung, doch ganz gleich, wie oft er blinzelte, das Bild wollte sich nicht ändern. Vollkommen aus der Fassung gebracht, starrte er zu den beiden hinüber. Etwas in ihm begann zu brodeln. Eine gefährliche Hitze, die sich auf Frodo, doch noch mehr auf Nelke richtete. Wie konnte sie es wagen? Auf solch schäbige Art und Weise wollte sie sich seines besten Freundes bemächtigen. Was konnte sie Frodo schon geben? Nelke war nichts im Vergleich zu ihm. Sie kannte Frodo nicht halb so gut wie er es tat. Er allein war es, der schon seit eh und je Frodos Geheimnisse wusste und so sollte es auch bleiben. Er durfte Frodo nicht verlieren, nicht an sie! Nelke durfte ihm seinen Vetter nicht wegnehmen!
"Hinein mit dir!"
Mit einem überraschten Ausruf taumelte Merry rückwärts, verlor schließlich das Gleichgewicht und landete im Fluss. Minto und Madoc sprangen neben ihm hinein, tauchten ihn kurz unter, als er ihnen entfliehen wollte und zogen ihn dann unter den Steg. Merry hatte beinahe vergessen, wie angenehm kühl und schattig es unter den Holzleisten war, seit Marroc und seine Freunde den Steg in den letzten Jahren ständig für sich beansprucht hatten. Dieses Jahr waren jedoch alle, außer Reginard, in Lehrberufe eingetreten und Marrocs Freunde waren nur mehr selten im Brandyschloss gesehen, denn Ilberic arbeitete in Weißfurchen als Hufschmied, während Sadoc in Tiefenhain einem Bauer zur Hand ging, dessen Sohn sich im vergangenen Jahr das Bein gebrochen hatte und seither schlecht zu Fuß war.
Einen letzten Blick auf seinen Vetter werfend, ließ Merry sich schließlich von Madoc und Minto zu abenteuerlichen Tauchgängen auf den Grund des Flusses hinreißen. Mit Nelke würde er später sprechen, ebenso mit Frodo. Sein Vetter musste dringend einsehen, dass es nicht gut war, sich mit Mädchen einzulassen, da dadurch nur allzu leicht in Vergessenheit geriet, was wirklich von Bedeutung war. Und eine Umarmung wie jene, die er eben noch zu Gesicht bekommen hatte, gehörte ganz gewiss nicht dazu!
Merry konnte nicht ahnen, dass er nicht der Einzige gewesen war, der die flüchtige Zärtlichkeit der jungen Hobbits beobachtet hatte und dass es jemanden gab, den diese Freundschaft noch zorniger stimmte, als ihn.




~*~*~




Das Herz schlug ihm vor Aufregung bis zum Hals. Ein Lächeln, gleichermaßen aus Freude und Verlegenheit geboren, erhellte seine Züge, während er sich das Hemd überstreifte. Er hatte laut gedacht und damit nicht nur Nelke überrascht. Frodo hätte sich seine Worte niemals zugetraut, nicht in einer solch prekären Lage, wie jener, in der er sich eben erst befunden hatte. Alleine der Gedanke daran trieb ihm die Schamesröte ins Gesicht. Sie hatte ihre Arme um ihn gelegt und er hatte es zugelassen. Sie hatte ihn umarmt, wie ihn nie zuvor ein Mädchen umarmt hatte, nicht zuletzt deshalb, weil er niemals auch nur daran gedacht hatte, sich von einem Mädchen umarmen zu lassen, und das Gefühl, das dabei in ihm aufgekommen war, war ihm völlig neu. Es war Wärme, ebenso angenehm wie jene, die er vor vielen Jahren in den Armen seiner Eltern empfunden hatte, jene, von der er einst geglaubt hatte, sie in Bilbos Umarmungen wieder finden zu können. Und doch war sie anders, fremd. Sie hatte das Kribbeln zu neuem Leben erweckt und Frodo legte nun eine Hand auf seinen Bauch, während er das Hemd in den Hosenbund stopfte, doch einfangen konnte er das Gefühl nicht.

Frodo blickte zurück. Inzwischen hatte er den flachen Hang erklommen, konnte in der Ferne nur mehr das schwache Schimmern der westlichen Hälfte des Flusses erkennen, das trotz des dunklen Wassers das Blau des Himmels und das Grün des Schilfs und Gebüschs widerspiegelte. Nelke und die anderen Kinder waren aus seinem Blickfeld gewichen und auch deren Gelächter und ihre gelegentlichen Ausrufe drangen nicht länger an sein Ohr. Tief durchatmend versuchte Frodo, seiner Gefühle wieder Herr zu werden. Er hatte laut gedacht und die Worte waren über seine Lippen gekommen, noch ehe er gewusst hatte, was er ihr entgegnen würde. Er war verrückt, sich von ihr umarmen zu lassen, doch noch verrückter war, dass er scheinbar Gefallen daran fand.
Frodo schüttelte den Gedanken ab. Bestimmt genoss er ihre Umarmung nicht, sondern hatte sich in einem Augenblick der Verwirrung dazu hinreißen lassen. Es war die Schuld des Flusses - Marrocs Schuld - und Nelke hatte seine vorübergehende Schwäche schamlos ausgenutzt. In diesem Falle war sie jedoch sehr geschickt vorgegangen und Frodo konnte sich ein anerkennendes Lächeln nicht verkneifen, schüttelte jedoch sogleich den Kopf, als er sich dessen bewusst wurde. Entschlossen setzte er seinen Weg zum Brandyschloss fort. Für heute hatte er genug von Nelke und der Macht, die sie über ihn besaß.

Seine Gedanken wanderten dennoch zurück, kreisten jedoch nicht länger um das Mädchen, sondern um den Fluss. Seit dem Vorfall mit Marroc waren beinahe drei Wochen vergangen und Frodo hatte geglaubt, den Schrecken jenes Abends hinter sich gelassen zu haben. Er war eines Besseren belehrt worden und alleine der Gedanke an das Gefühl, im Wasser unterzutauchen, ließ ihn erschaudern. Die kalte Angst, die sich seiner bemächtigt hatte, war schlimmer gewesen als alles, das ihn nach dem Tod seiner Eltern nicht hatte in den Fluss gehen lassen. Es war mehr als nur Furcht gewesen, er hatte um sein Leben gebangt.

Tief in Gedanken achtete Frodo nicht länger auf den Weg, ging mit gesenktem Kopf über die Wiesen. Ein sanfter Nordwind strich über seine linke Wange und spielte mit seinen Locken. Vogelgezwitscher erfüllte den wolkenlosen Nachmittag, war selbst in Frodos Grübeleien noch gegenwärtig. Die Blätter eines Apfelbaumes raschelten, als Frodo daran vorüber ging. Auf beinahe allen Wiesen unweit des Brandyschlosses standen Apfel- und Birnenbäume, manche von ihnen eingezäunt, damit sich das Vieh nicht an den Stämmen kratzen konnte und dadurch die Ernte verdarb.
Frodo hätte auch diesem Baum keine große Beachtung geschenkt, hätte er nicht aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrgenommen. Überrascht hob er den Kopf, doch wurde er grob an den Haaren gepackt, noch ehe er sich dem Baum vollends hatte zuwenden können. Er wusste nicht, wie ihm geschah, als sein Kopf plötzlich nach vorne gedrückt und sein linkes Knie hochgerissen wurde, fühlte nur den Schmerz, der durch seinen Kopf dröhnte, wie der Donner nach dem Blitzschlag den Himmel ergrollen ließ. Er schrie auf und Tränen schossen in seine Augen. Die Welt verschwamm in Dunkelheit und blinkende Sterne tanzten vor seinem Gesicht, als sein Kopf wieder zurückgerissen wurde. Sein Magen drehte sich ob der ruckartigen Bewegung, doch Frodo konnte sich nicht einmal dessen gewahr werden, bevor er erneut aufschrie, da sein Rücken schmerzhaft gegen den Baumstamm prallte. Hände legten sich grob auf seine Schultern, gruben sich in sein Fleisch, während die Daumen zu beiden Seiten gegen seinen Hals drückten und ihm das Atmen erschwerten.
"Wenn es nach mir ginge, würde ich dich jetzt grün und blau prügeln, wie ich es dir versprochen hatte", drohte eine Stimme, "doch ich denke, das werde ich mir auf ein anderes Mal aufsparen."
Frodo spürte das Blut aus seiner Nase laufen, schmeckte es auf seinen Lippen. Seine Ohren klingelten, sein Kopf pulsierte. Ihm schwindelte und während er benommen auf sein Gegenüber blickte, tauchte Reginards wutentbranntes Gesicht vor seinen tränenverschleierten Augen auf. Von Furcht ergriffen, wollte sich Frodo von ihm abwenden, doch die Bewegung sandte eine neue Welle des Schwindels durch seinen Körper und er musste bald einsehen, dass er ohne den Griff seines Angreifers, längst zu Boden gegangen wäre.

Reginard zitterte, so sehr musste er sich zusammenreißen, um sein Wort zu halten. Anstatt ihn zu schlagen, presste er seine Daumen noch fester gegen Frodos Hals, bis dessen flache Atmung zu einem Röcheln überging, das beizeiten von einem Gurgeln unterbrochen wurde, wenn der Jüngere mühevoll versuchte, sein eigenes Blut hinunterzuschlucken. Seit Reginard den Jungen heute mit seiner Schwester gesehen hatte, konnte er seine Wut kaum mehr kontrollieren. Es war schon zuviel gewesen, dass Frodo ihre Hand genommen hatte, doch sich auch noch in ihre Arme zu legen, war ungeheuerlich. Was glaubte er denn, wer er war?
"Nelke hat etwas Besseres verdient, als dich", zischte er giftig, während Frodo ihn aus geweiteten Augen anstarrte, jedoch keine Anstallten machte, sich zu verteidigen oder gar zu befreien. "Was soll sie mit einem Jammerlappen, einem Träumer, der seine Nase nur in Bücher steckt und über sein eigenes Leid klagt? Da sie das nicht einsehen will, werde ich dafür sorgen, dass du es verstehst."
Reginard drückte noch fester gegen Frodos Hals, bis das Röcheln erstarb und sein Opfer ihn in die Arme kniff. Der geringe Schmerz führte jedoch nicht dazu, dass er innehielt, was einen panischen Ausdruck auf dem Gesicht des Jüngeren erscheinen ließ. Beinahe hätte Reginard siegreich gegrinst, doch da trat Frodo ihn schmerzhaft gegen das Schienbein und er sog scharf die Luft ein. Seine Finger ließen vom Hals seines Opfers ab, drückten stattdessen gegen dessen Schlüsselbein, doch sollte Frodos Tat keineswegs ungestraft bleiben. Für einen kurzen Moment zog Reginard den Jungen vom Baum weg, was diesen beinahe stolpern ließ, um ihn dann noch einmal kräftig dagegen zu stoßen. Ein Wimmern entwich Frodos Lippen und auch wenn der Junge keinen weiteren Laut von sich gab, konnte Reginard in dessen schmerzverzerrtem Gesicht erkennen, dass seine Tat ihre Wirkung nicht verfehlt hatte.

Während Frodo verzweifelt versuchte, die Luft, die durch den schmerzlichen Aufprall aus seinen Lungen gewichen war, wieder einzuatmen, starrte Reginard ihn grimmig an, zeigte keine Regung.
"Wenn ich euch noch einmal zusammen sehe, wirst du deines Lebens nicht mehr froh", drohte der Ältere und Frodo wich zurück, als ein gefährliches Funkeln in die dunklen Augen trat, das dem in Marrocs Blick nicht unähnlich war.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals und sein Kopf schien auf jedes Pochen mit einem Hammerschlag zu antworten. Er war benebelt und sich seiner Angst kaum bewusst, während er starr in die Augen seines Gegners blickte, unfähig, etwas zu erwidern. Unaufhörlich lief ihm Blut aus der Nase. Frodo schmeckte es auf seiner Zunge, spürte, wie es über sein Kinn lief, um auf sein Hemd zu tropfen.
"Du wirst ihr klar machen, dass du nichts von ihr wissen willst", fuhr Reginard mit bedrohlicher Stimme fort, "und danach wirst du sie in Frieden lassen, oder eine blutende Nase wird das Kleinste deiner Probleme sein."

"Frodo!"
Besagter Hobbit wäre beinahe strauchelnd nach vor gefallen, als Reginard beim Klang der Stimme plötzlich von ihm abließ, um, mit einem letzten drohenden Blick, davonzueilen. Frodo schwindelte, lehnte sich Halt suchend an den Stamm, nur um schließlich doch zu Boden zu gleiten. Mit dem Handrücken wischte er sich das Blut von Kinn und Lippen, verschmierte dieses jedoch nur. Seine Augen füllten sich nicht länger mit Tränen, doch einzelne Tränenperlen, stumme Zeugen seines Schmerzes, suchten weiterhin ihren Weg über seine Wangen. Vorsichtig legte Frodo eine Hand auf seine Nase, um den Blutfluss zu bremsen, zuckte jedoch schmerzvoll zusammen, als er das Ziel von Reginards Überraschungsangriff berührte. Nur langsam wurde ihm klar, was geschehen war und ein eisiger Schauer der Furcht und des Schreckens brachte seinen Körper zum Erzittern.

Merry rannte an seines Vetters Seite, erlaubte ihm, sich an seine Brust zu lehnen.
"Was ist geschehen?", fragte er sorgenvoll und voller Entsetzen, doch im Grunde war keine Antwort mehr vonnöten. Sein Blick wanderte nach Nordosten, wo Reginards Gestalt in einiger Entfernung noch zu erkennen war. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Nelkes Bruder seinen Zorn an Frodo auslassen würde und wenn dieser ihn schon verprügelte, wollte Merry nicht wissen, was Marroc tun würde, sollte er von der Freundschaft zwischen Frodo und Nelke erfahren. Er erschauderte unweigerlich.
Frodo entgegnete nichts und so bettete Merry den Kopf seines Vetters schließlich auf seinen Schoß und strich ihm tröstend über die Stirn, wischte mit dem Handrücken eine Träne weg. Die Farbe war aus Frodos Gesicht gewichen und durch die Blutspuren wirkten dessen Wangen noch blasser. Er hielt die Augen geschlossen. Sein Ausdruck sprach von Schmerz und Schrecken.
Merry spürte, wie sich seine Brust zusammenzog. Frodos Anblick ließ ihn lodernden Zorn empfinden, den er auf Reginard und Nelke richtete. Hätte er gewusst, was Reginard mit seinem Vetter vorhatte, wäre er nicht wortlos an Nelke vorübergegangen, als er das Flussufer verlassen hatte. Wenn sie nicht wäre, wäre Frodo niemals von Reginard verprügelt worden, dessen war Merry sich sicher. Er hatte Frodo bereits zu warnen versucht, hatte ihn gebeten, auf der Hut zu sein, doch sein Vetter hatte nicht hören wollen. So sehr ihn das damals verärgert hatte, so Leid tat ihm Frodo nun. Vielleicht mochte er Nelke wirklich, doch weshalb sah er nicht ein, dass es ihm nur Ärger brachte, wenn er mit ihr zusammen war? Sie und ihre ganze Familie waren nicht gut für ihn.
"Ich weiß, was du denkst", hörte er Frodo sagen und blickte verwundert auf ihn hinab. "Sie hat damit nichts zu tun."
"Aber…", begann Merry, doch Frodo brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Schwankend richtete er sich auf, wäre erneut zu Boden gesunken, hätte Merry ihn nicht stützend am Arm ergriffen.
"Ich weiß, was du von Nelke denkst", fuhr Frodo fort, wobei er sich in Bewegung setzte und sich noch einmal über die Lippen wischte. Seine Nase hatte aufgehört zu bluten. "Ich will nicht, dass du sie in meinen Streit mit Reginard hineinziehst. Nelke kann nichts dafür."
Merry konnte kaum glauben, was sein Vetter von sich gab, starrte ihn entgeistert an. Wollte er denn noch immer nicht begreifen? War er denn schon so blind geworden? Beinahe wäre er stehen geblieben, hätte dadurch auch Frodo zum Halt gezwungen, doch er hielt sich zurück. Sollte sein Vetter glauben, was er wollte, spätestens wenn seine Eltern das Blut sahen, würde Frodo eine Erklärung bereithalten müssen.

Frodo mochte benommen gewesen sein, doch er hatte Reginards Worte verstanden, hatte sie sehr gut verstanden. Nelke hatte nichts vom Vorhaben ihres Bruders gewusst. Reginard war es, der gegen ihre Freundschaft war. Reginard hatte allein entschieden, ihn zu schlagen, um ihn dadurch von Nelke fernzuhalten, doch das würde ihm nicht gelingen. Frodo würde den Schmerz ertragen, selbst wenn Reginard ihn noch einmal verprügelte, wie er es gedroht hatte, denn er wollte ebenso mit Nelke zusammen sein, wie sie mit ihm und nur weil einem halbstarken Hobbit dies nicht passte, würde er sie und sich selbst nicht darunter leiden lassen. Sollte Reginard tun, was er nicht lassen konnte, aber Frodo würde sich weder von Nelke fern halten, noch jemandem den Grund für diese Auseinandersetzung verraten, auf dass die Erwachsenen dafür sorgten, dass er seine Freundin nicht mehr sah.

Die Vettern sprachen nicht miteinander, während sie ihren Heimweg fortsetzten. Frodo war es, der das Schweigen brach, während er sich am Pumpbrunnen vorsichtig das Gesicht wusch. Er wollte, dass sein Vetter für sich behielt, was er gesehen hatte, doch Merry war von dieser Idee wenig angetan.
"Er hat dich verprügelt!" versuchte er, seinem Vetter klar zu machen. Ungläubig schüttelte er den Kopf, bekam langsam den Eindruck, dass Frodos Verstand weitaus mehr an Reginards Schlägen gelitten hatte, als seine Nase. "Willst du ihn etwa ungestraft lassen?"
Frodo entgegnete nichts, warf ihm jedoch einen vielsagenden Blick zu, ehe er starrköpfig zur Hintertür der großen Höhle ging. Merry folgte ihm mit den Augen, unfähig, die Gründe seines Vetters zu verstehen. Welche Gründe hatte er denn? Frodo hatte keinen genannt, doch in dessen Augen konnte Merry lesen, dass er auf sein Stillschweigen hoffte und nicht vorhatte, Reginard zu verraten.
Aufgebracht schlug er mit der Faust auf das Brunnenrohr, nicht wissend, auf wen er zorniger war. Nelke war ihm schon lange ein Dorn im Auge und Reginard war zu einem geworden, seit er Frodo im letzten Sommer gedroht hatte. Dass Frodo nun weder den einen bestrafen, noch sich von der anderen fernhalten, sondern stattdessen seinen Sturkopf durchsetzen wollte, ließ Merry auch auf ihn wütend werden. Was musste denn noch geschehen, damit Frodo verstand, dass Nelke kein Umgang für jemanden wie ihn war? Genügte es denn nicht, dass sie ein Mädchen war und offensichtlich jeder in ihrer Familie ein Gräuel gegen ihn hegte?
"Frodo!"
Merry eilte seinem Vetter hinterher, während er sich darüber aufregte, dass er in solche Dinge hineingeraten musste. Natürlich war es gut gewesen, dass er Reginard hatte aufhalten können, ehe Schlimmeres geschehen war, doch wenn er nur etwas später gekommen wäre, wäre er nun nicht gezwungen, für Frodo zu lügen. Jetzt stand er vor der Wahl seine Eltern zu betrügen oder seinen Vetter zu verraten und beides behagte ihm nicht.
Er seufzte schwer, als er in Frodos bittende Augen blickte und schüttelte den Kopf.
"Tu, was du tun musst", sagte er dann traurig, "aber rechne nicht mit meiner Unterstützung. Ich werde deine Geschichte weder bejahen, noch verneinen."
Frodo nickte und für einen kurzen Augenblick stahl sich ein Lächeln über seine Züge. "Danke."
Wäre Frodo nicht sein bester Freund gewesen und hätte er nicht gewusst, dass dieser dasselbe für ihn täte, hätte Merry dieses Lächeln nicht erwidern können.
"Lass uns zu Mama gehen", seufzte er dann. "Sie soll sich deine Nase ansehen."





<< Back

Next >>

Leave Review
Home     Search     Chapter List