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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 65: Neues Glück und alte Sorgen



Anfang Wedmath 1387 AZ



Ein freundlicher Sommer zog ins Land. Regen und Sonne wechselten sich ab, sodass es nicht zu unangenehmer Hitze kam und eine reiche Ernte gesichert war. Für Frodo war es ein anstrengender Sommer, denn er musste fleißig bei der Feldarbeit mithelfen oder bei der Heuernte zur Hand gehen, doch das machte ihm nichts aus. Sein Herz war so leicht wie schon lange nicht mehr und ganz gleich, ob er seine Zeit nun mit Merry oder Nelke verbrachte, er war glücklich. Mit Nelke traf er sich jedoch nur selten allein, denn weder er, noch sie wollten, dass eines der anderen Kinder von ihrer engen Freundschaft erfuhr, denn beide wussten um das Gerede, das dann zweifelsohne aufkommen würde. Einzig Merry war darin eingeweiht und der behielt es für sich, auch wenn er es sich nicht nehmen ließ, Frodo manchmal am Abend damit aufzuziehen.

Silberschweif versuchte, nach Frodos Hand zu schnappen, als dieser ihm über die Nüstern strich. Es war ein sonniger, warmer Tag und der Duft von frisch abgemähtem Gras und Mohnblumen hing in der Luft. Frodo lächelte. Er war den ganzen Morgen bei der Heuernte behilflich gewesen und hatte sich nach dem Mittagessen einen Apfel gegönnt. Vermutlich lag der Geruch des Obstes noch auf seiner Hand und Silberschweif hoffte, einen Bissen davon zu ergattern.
"Hier gibt es nichts für dich zu finden, mein Freund", meinte er, strich noch einmal über die Blesse, klopfte dem Tier dann den Hals und beobachtete, wie der Hengst über die Koppel galoppierte. Die Sonne brachte das silberschwarze Fell zum Schimmern und Frodo blickte dem Tier wie gebannt hinterher, legte schließlich die Arme auf den unteren der beiden Balken und ließ seinen Kopf darauf ruhen. Das Pony verkörperte für ihn die Freiheit, nach der er sich sehnte. Seit er sich dessen gewahr war, ritt er noch häufiger aus und bisher war es ihm fast immer gelungen, seine Sorgen und Gedanken hinter sich zu lassen. Silberschweif und seine schnellen Hufe hatten ihm dies ermöglicht und es gab kein Tier in den Ställen des Herrn, das Frodo mehr liebte, als den schwarzen Hengst, dessen Fell von silbernen Haaren durchzogen war.
Ein leichter Wind kam auf, strich ihm sanft über den Nacken und Frodo schloss für einen kurzen Moment die Augen. Merry war bereits in den frühen Morgenstunden mit seinem Vater zum Brückengauer Markt geritten. Brückengau war eine Gegend nördlich der Großen Oststraße, dort, wo die Wässer in den Brandywein mündete. Der dortige Markt war einer der größten im ganzen Auenland, denn das Volk von Balgfurt und Weißfurchen tat sich zusammen, um mit einigen Händlern aus Stock und Froschmoorstetten ihre Waren anzupreisen. Merry war aufgeregt gewesen, seit Saradoc ihm mitteilte, dass er ihn begleiten durfte. Der Herr hoffte dort, wie jedes Jahr, zu erfahren, wie es in anderen Bereichen des Auenlandes, vor allem im Ostviertel, mit der Ernte voran ging und ob mit vollen Vorratskammern gerechnet werden konnte. Auch Frodo hätte mitkommen können, doch zog es ihn nicht auf einen Markt und selbst die Aussicht, dass er dort möglicherweise Fredegar Bolger treffen würde, änderte daran nichts. Er sah lieber einem Tag ohne seinen Vetter entgegen, an dem er ungestört ein wenig Zeit mit Nelke verbringen konnte, die er in der letzten Woche ausgesprochen selten gesehen hatte. Merry hatte dies enttäuscht und Frodo ahnte, dass sein Vetter genau wusste, dass Nelke der Grund für sein Daheimbleiben war. Zwar hatte Merry nichts gesagt, doch hatte er ihm jenen Blick geschenkt, den Frodo nicht recht zu deuten wusste, der jedoch immer häufiger in den Augen seines Vetters lag, wenn von Nelke die Rede war. Er dachte sich jedoch nichts weiter dabei, denn am Morgen schien er seine Entscheidung akzeptiert zu haben, da er ihn ohne ein weiteres Wort der Überredung verlassen hatte.

"Wie immer treffe ich dich nichts tuend an."
Frodo verkniff sich ein Lächeln, als er die Stimme vernahm, die er zu hören gehofft hatte. Ohne sich umzuwenden bemerkte er spitz: "Wie immer erkennst du erst die Faulheit anderer, ehe du den Blick auf deine eigene richtest."
Nelke lehnte sich mit einem verträumten Lächeln neben ihn an den Zaun, um ihre Augen auf den Ponys ruhen zu lassen. Eines wälzte sich im Gras, während zwei andere über die Koppel preschten, als veranstalteten sie ein Wettrennen.
Frodo schielte zu ihr hinüber. Sie trug ein braunes Kleid über einer dünnen Bluse, deren Ärmel sie zurückgeschoben hatte. Das Haar hatte sie sich mit einer Spange hochgesteckt und nur eine einzelne Strähne hing ihr über die Ohren und umspielte ihr Kinn. Vor einem Jahr noch war er um einiges frecher gewesen und Nelke ebenso. Er fragte sich insgeheim, wie es dazu gekommen war, dass aus den Neckereien von damals eine Freundschaft wie die ihre geworden war. Nicht, dass er sie nicht noch immer manchmal ärgerte, doch das Gefühl, dass er nun empfand, war ein anderes. Früher hatte er seine Worte beizeiten durchaus ernst gemeint und der bloße Gedanke, mit Nelke zusammen sein zu müssen, hatte ihn mit Grauen und Abneigung erfüllt. Heute waren seine Worte jedoch nichts weiter als Mittel, sie zum Lachen zu bringen und ihr zu zeigen, dass er ihr in Sachen Frechheit noch immer in nichts nachstand. Manchmal, so wie jetzt, legte er es sogar darauf an, mit ihr alleine sein zu können, denn dann war das Kribbeln am stärksten und er konnte sich offen mit ihr unterhalten.
"Ich habe gehört, du hast Merry und den Herrn nicht begleiten wollen."
Frodo wandte sich ihr zu, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. "Märkte sind langweilig."
Nelke nickte zustimmend, doch ihr Gesichtsausdruck gab klar zu verstehen, dass sie ihm kein Wort glaubte. Sie wusste, weshalb er hier geblieben war und auch wenn es sie mit einer überschwänglichen Freude erfüllte, hütete sie sich davor, den Grund auszusprechen.
Frodo richtete sich auf, ließ seinen Blick zum Brandyschloss wandern, das am nördlichen Horizont aufragte. In der Ferne konnten sie einige Hobbits sehen, die noch immer mit dem Einsammeln der Heumahden beschäftigt waren. Manche schienen sich jedoch auf sie zu zu bewegen und Frodo entschied, dass es besser war, nicht länger hier zu bleiben. Das Gerede der Kinder würde schon schlimm genug sein, doch nichts im Vergleich zu dem der Erwachsenen.
"Komm", sagte er schließlich und ergriff ihre Hand.
Frodos Herz schlug schneller, als sich ein Lächeln über Nelkes Lippen legte und ihre Augen funkelten. Ihre Finger schlossen sich sanft um die seinen. Es kam selten vor, dass Frodo es war, der ihre Hand zuerst ergriff und es erfüllte ihn mit einer ungemeinen Freude, gemischt mit einem Hauch von Verlegenheit, dieses Mal vor ihr gehandelt zu haben.

Unweit der Koppel, verborgen im Schatten eines einzelnen Apfelbaumes, stand Reginard. Die dichten Locken seines kastanienbraunen Haares verbargen die dunklen Augen, die voller Missgunst auf Frodo ruhten. Wie konnte er es wagen, seiner Schwester so nahe zu kommen? Glaubte der Junge tatsächlich, er würde tatenlos zusehen und erlauben, dass er sich mit seiner Schwester traf? Reginard und sein Vetter waren sich in vielen Dingen uneins, doch ihre Meinung über Frodo war dieselbe, nur dass Marroc sich dieser Tatsache schneller gewahr geworden war als er. Nelke war zu gut für ein wimmerndes Muttersöhnchen wie ihn. Sobald sich ihm die Möglichkeit dazu bot, würde er sich selbst darum kümmern, dass Frodo ihr nicht noch einmal zu nahe kam, doch bis dahin hatte er andere Pläne für den Jammerlappen. Seine Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen, folgten den beiden, bis er sie in der Ferne kaum noch erkennen konnte, ehe er sich schließlich umwandte und zum Brandyschloss zurückging.

"Viola und Rubinie sind mit einigen anderen am Fluss", erklärte Nelke, als Frodo plötzlich stehen blieb und sich zufrieden umsah. "Ich werde später noch zu ihnen müssen."
Er wusste, dass sie nicht den ganzen Nachmittag miteinander verbringen konnten, doch zumindest für eine Weile würde sie ihm das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein. Ihm war klar, dass sie sich dessen nicht bewusst war, doch alleine dass sie seine Freundin war, ließ ihn so empfinden. Von allen Jungen in Bockland hatte sie sich für ihn entschieden, ohne dass er dafür etwas hätte tun oder sein müssen. Bilbos Liebe mochte er nicht verdienen und vielleicht verdiente er ihre ebenso wenig, doch Nelke ließ sie ihm dennoch zuteil werden und dafür war Frodo dankbar.
"Es ist schön hier", sagte sie nach einer Weile und er lächelte zufrieden, während sie mit leuchtenden Augen um sich blickte.
Sie hatten den Platz erreicht, an dem Drogo seinem Sohn einst versprochen hatte, mit ihm Pfeife zu rauchen, wenn dieser alt genug war. Die Erinnerung daran erfüllte Frodo mit Trübsinn, doch ließ er sich das Herz nicht schwer machen.
Der Brandywein, auf dessen braunem Wasser sich das Licht der Sonne spiegelte, plätscherte nicht weit entfernt gemächlich dahin. Ein sanfter Wind wehte über die Hügel, brachte nicht nur das Gras, sondern auch Nelkes Haar und den Rock ihres braunen Kleides zum Tanzen. Kaum ein Geräusch war zu hören und nur gelegentlich drang das Zwitschern eines Vogels oder das Summen einer Biene an ihre Ohren. Um sie herum wölbten sich kleinere und größere Hügel empor, manche von ihnen mit roten Mohnblumen bedeckt. Sie waren auf einem schmalen Weg hierher gelangt, dessen östlicher Rand von einem Waldstück gesäumt war, doch hatten sie diesen inzwischen verlassen.
"Ich komme gern hierher", ließ Frodo sie wissen und verzichtete darauf hinzuzufügen, dass er seit dem Tod seiner Eltern nur ein einziges Mal hier gewesen war, ganz gleich, wie häufig und gern er diese Gegend früher besucht hatte. Hierher war er mit seinem Vater gekommen, wenn er dessen Rat gebraucht oder dessen Nähe gesucht hatte. Seine Mutter hatte oft gelächelt und gescherzt, die beiden Beutlins wären zu sehr an Ruhe und Gemächlichkeit gewöhnt, die ihnen bei den aufgeweckten und fleißigen Brandybocks verwehrt blieben. Häufig hatte sie lachend kundgetan, Drogo hätte in die falsche Familie geheiratet, doch Frodo fand, dass sein Vater sich genau richtig entschieden hatte.

"Träumst du?"
Frodo schreckte aus seinen Gedanken, als Nelke vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Lächelnd schüttelte er den Kopf, doch Nelke winkte ab, seufzte und ließ sich ins Gras fallen. "Manchmal wünschte ich, ich könnte deine Gedanken lesen."
Lachend legte sich Frodo neben sie hin, stützte sich mit dem linken Ellbogen ab, um sie ansehen zu können. "Glaub mir, so interessant sind sie nicht."
"Ach nein? Und woran hast du gedacht?"
Frodo betrachtete ihr fragendes Gesicht für einen Augenblick, rollte sich dann auf den Rücken und blickte zum Himmel. Nur wenige flauschigweiße Wolken störten das tiefe Blau.
"Was glaubst du, liegt über den Wolken?"
"Frodo Beutlin!" schimpfte sie und kniff ihn in die Seite. "Du weichst vom Thema ab!"
"Ich weiß nicht, wovon du redest", lachte Frodo, zuckte zusammen und schob ihre Finger von sich weg, als sie ihn erneut kneifen wollte. Es dauerte einen Moment, bis er ihre Hände zu fassen bekam, doch wurde er sofort wieder ernst, als sie von einem weiteren Angriff absah. "Was meinst du, liegt darüber?"
Nelke folgte schließlich seinem Blick und legte die linke Hand hinter den Kopf, während die Rechte auf ihrem Bauch ruhte. Lange Zeit herrschte Schweigen und Frodo konnte das leise Säuseln des Windes hören, während einzelne Grashalme seine Ohren kitzelten, bis Nelke plötzlich voller Überzeugung kundtat, dass es die Sterne wären. Frodo brach in schallendes Gelächter aus.
"Natürlich!" rief er aus, als er glaubte, genug Luft zum Sprechen gefunden zu haben, wurde jedoch sofort von einem weiteren Lachanfall geschüttelt. "Und der Mond ist auf der anderen Seite der Sonne!"
"Natürlich nicht!" ließ Nelke ihn gekränkt wissen und stieß ihn in die Seite. Als dies nichts an Frodos Gelächter änderte, kniff sie ihn erneut, ließ ihn dadurch überrascht zusammenzucken, doch lachte er noch immer. Beleidigt richtete sie sich auf, ein verschmitztes Grinsen auf ihren Zügen. Was glaubte er denn? Er könne sie Dinge fragen, zu denen er selbst keine Lösung wusste und dann ihre Antwort belächeln?
Frodo wusste nicht, wie ihm geschah, als sie sich plötzlich auf ihn stürzte und ihn überall dort kitzelte, wo er sich gerade nicht zu schützen wusste. Er hatte alle Mühe, ihre Hände von ihrem kleinen Racheakt abzuhalten, doch nach einigem Gerangel bekam er schließlich ihre Handgelenke zu fassen. Nelke schmunzelte, während er sich die Lachtränen aus den Augen blinzelte und die letzten Gluckser zu verhindern suchte.
"Wenn du so viel klüger bist, dann sag mir doch, was über den Wolken ist?", forderte Nelke ihn heraus und bedachte ihn mit einem überlegenen Blick, den Frodo zu ihrer Überraschung erwiderte. Offensichtlich sehr mit sich selbst zufrieden, ließ er von ihren Handgelenken ab, wischte sich schmunzelnd die Spuren seines Lachanfalles aus dem Gesicht und legte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück ins Gras. Sein Blick ruhte auf einer Wolke, die über ihm dahin zog und einen blassen, kaum sichtbaren Schatten über die Hügel gleiten ließ.
"Ich weiß es nicht", gestand er dann mit einem Lächeln und nahm gerne in Kauf, dass er einem weiteren Kneifen von Nelke hilflos ausgeliefert war.



~*~*~



Die Sonne stand bereits im Westen, als Marroc vier Heugabeln in der Scheune verstaute und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Seit dem Frühling stand er unter der Aufsicht von Merimac, Marmadas und vielen Stallburschen, die alle einen höheren Rang zu haben schienen als er, denn scheinbar war es jedem vergönnt, ihn herumzuordern. Er hatte lange damit gewartet, sich eine Lehrstelle zu suchen, und dass auch seine Eltern dieser Sache nicht nachgegangen waren, war ihm nur Recht gewesen. Doch als der Winter in den Frühling übergegangen war, hatte Saradoc mit seinem Vater gesprochen und ihm eingeredet, er müsse arbeiten. Der Herr war der Ansicht gewesen, dass er seine Kraft im Stall am sinnvollsten einsetzen konnte. Marroc selbst hielt von dieser Idee überhaupt nichts, und hätte sein Vater dies vorgeschlagen, hätte er sich aufgelehnt, doch gegen Saradocs Wort kam er nicht an, nicht in dieser Angelegenheit. Er hasste den Herrn dafür und war fest entschlossen, seine Arbeit schlecht zu machen, doch ständig war jemand an seiner Seite, trieb ihn zur Eile oder wies ihn zurecht, wenn er unordentlich wurde. Noch mehr als den Herrn von Bockland hasste Marroc die Ställe und jenen, dem er diese Arbeit zu verdanken hatte. Zweifelsohne war der Herr nur wegen dem kleinen Jammerlappen auf die Idee gekommen, ihn hier zur Arbeit zu verpflichten und Marroc konnte den Tag seiner Rache kaum abwarten. Frodo würde dafür bezahlen, dass er jetzt von allen die Arbeit aufgeladen bekam, für die sie zu faul waren.

Überrascht wandte er sich um, als er ein leises Zischen vernahm. Sein Vetter trat aus den Schatten hinter dem Heuboden und Marroc grüßte ihn mit einem Kopfnicken. Seit er nicht mehr dazu in der Lage war, immer wieder ein Auge auf Frodo zu werfen und so den richtigen Augenblick für seine Rache zu wählen, hatte er Reginard mit dieser Aufgabe betraut. Mit seiner Hilfe wollte Marroc einen Zeitpunkt wählen, an dem Frodo sowohl alleine, als auch leicht angreifbar war. Der heutige Tag war ihm dafür gut geeignet erschienen, denn der Sohn des Herrn, der wie eine Klette am Muttersöhnchen hing, war endlich fort. Doch er hatte Frodo nur morgens bei der Ernte beobachten können und es hatte ihn verärgert, dass ein zufriedenes Lächeln sein armseliges Gesicht geziert hatte. Anders als ihm, schien Frodo diese Schinderei auch noch Spaß zu machen und das hatte Marroc nur noch mehr Hass empfinden lassen. Sofort hatte er Reginard damit beauftragt, Frodo zu beobachten. Er würde seine Rache kriegen, und er würde sie heute bekommen.
"Wo ist er?", zischte Marroc, während er die Gabeln an die Wand lehnte.
Reginard blickte sich versichernd um, ein Anflug von Unruhe in seinem Ausdruck. Marroc war wegen Frodo schon häufig in Schwierigkeiten mit dem Herrn geraten, doch ihm schien das offensichtlich nichts auszumachen. Im Gegensatz zu seinem Vetter war Reginard jedoch nicht dazu bereit, sich wegen jemandem wie Frodo Ärger einzuhandeln und wollte dies, zumindest vorerst, Marroc überlassen. Sollte der Kleine seine Lektion dann noch immer nicht begriffen haben und seine Schwester weiterhin auch nur ansehen, würde ihm jedoch nichts anderes übrig bleiben, als ebenfalls einzugreifen. Und dann würde es nicht bei einer Drohung bleiben.
"Heute Nachmittag ging er nach Süden", erklärte er. "Ich vermute, dass er sich irgendwo dort am Flussufer herumtreibt, denn bisher habe ich ihn nicht zurückkehren sehen."
Den ganzen Nachmittag hatte er immer wieder nach Süden geblickt. Seine Schwester war zur Teezeit zurückgekehrt, um sich mit ihren Freundinnen am Fluss zu treffen, doch von Frodo fehlte jede Spur.
Ein gemeines Grinsen zeigte sich auf den Zügen seines Vetters und Reginard war froh, dass er nicht Ziel dieser funkelnden Augen war. Früher war er es manchmal gewesen, der Opfer von Marrocs Zorn geworden war, doch hatte sich das geändert, seit dessen Hass auf Frodo zugenommen hatte. Da Frodo es war, der auch Ziel seiner eigenen Wut war, zumindest seit er es gewagt hatte, seine Schwester anzufassen, empfand Reginard kein Mitleid mit ihm, hätte Marroc auf seinem Rachefeldzug am liebsten begleitet und sei es nur, um zuzusehen, wie der Kleine um Gnade bettelte, wie er es scheinbar schon einmal getan hatte.
"Ich werde mich um ihn kümmern", sagte Marroc schließlich und das Licht, das durch die Risse im Holz hereindrang, malte unheimliche Schatten auf sein Gesicht. Zufrieden klopfte der Ältere seinem Vetter auf die Schultern, ehe er in die Sonne hinaustrat, zumindest für heute verfrüht mit der Arbeit fertig.



~*~*~



Frodo saß auf einem Stein am Ufer des Flusses und ließ die Füße baumeln. Nur kurz war er im Wasser gewesen, hatte den Fluss jedoch wieder verlassen, nachdem er nur zwei Schritte von dem Stein entfernt, auf dem er es sich nun gemütlich gemacht hatte, bis über dem Bauchnabel im Wasser gestanden war. Frodo mochte einen Großteil seiner Angst vor dem Fluss verloren haben, doch er war nicht gewillt, zu testen, wie tief er wohl im Wasser stehen würde, wenn er zwei weitere Schritte tat.
So begnügte er sich damit, seine Füße abzukühlen, während er verträumt den Fluss beobachtete. Verspielt kräuselte sich das braune Nass um einen Felsen, der unweit seiner Uferseite aus dem Wasser ragte. Einige Wasserläufer bewegten sich mit ihren langen Beinen flink über den Fluss und Frodo fragte sich im Stillen, weshalb sie nicht untergingen. Die Sonne hatte ihren Weg nach Westen fortgesetzt und er würde bald aufbrechen müssen, wenn er nicht zu spät zum Abendessen kommen wollte. Doch Frodo war unwillig, diesen Ort zu verlassen, denn er genoss die Ruhe, die ihm hier zuteil wurde. Den ganzen Nachmittag hatte er mit Nelke hier verbracht, doch das Mädchen war schon lange zu ihren Freundinnen gegangen, hatte ihn alleine zurückgelassen, was ihn jedoch nicht störte. Er hatte diesen Ort viel zu lange gemieden, denn die Erinnerung hatte ihn geschmerzt. Sie schmerzte noch, doch war es keine Qual mehr, auch wenn manche Bilder, die ihn hier unweigerlich heimsuchten, einen schwermütigen, fast schon bitteren Beigeschmack besaßen.

"Ich weiß zwar nicht, was du an diesem Ort findest, doch ich bin dir dankbar, dass du die Einsamkeit suchst. So machst du es mir leichter."
Erschrocken fuhr Frodo herum. Er hatte nicht damit gerechnet, hier auf jemanden zu treffen, erst recht nicht auf Marroc, dessen Stimme er erkannt hatte, noch ehe er ihn sah. Breitbeinig hatte sich dieser hinter ihm aufgebaut und Frodos Augen weiteten sich sorgenvoll, während er sich beeilte, die Füße aus dem Wasser zu nehmen und sich dem Älteren zuzuwenden. Sein Peiniger hatte sich lange im Hintergrund gehalten, zu lange. Mit wachsender Unruhe wurde Frodo plötzlich klar, wie unvorsichtig er geworden war und fürchtete bereits, dass er nun dafür bezahlen musste.
"Was willst du?", fragte er mit einer Stimme, die zu seiner Überraschung nichts von dem Unbehagen, das seinen Körper ergriffen hatte, preisgab, und fügte in Gedanken noch hinzu, Wie hast du mich gefunden?
Einzig Nelke wusste, dass er hier war, doch sie würde ihn nie verraten.
"Ich will viele Dinge", erklärte Marroc mit einer Gleichgültigkeit, die seiner Stimme einen unheilvollen Unterton verlieh, "doch nur wenige werden mir zuteil."
Angespannt musterte Frodo den älteren Hobbit, der vor dem Stein auf und ab ging, ohne ihn auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen. Die Abendsonne spielte mit dem nussbraunen Haar und Frodo wusste mit Übelkeit erregender Gewissheit, dass dieser Ruhe ein Sturm folgen würde, sollte er Marroc nicht schnell genug entgehen können. Er schalt sich selbst für seine Dummheit. Seit Marroc in den Ställen arbeitete, war Frodo ihm noch seltener begegnet und er hatte geglaubt, dass nun keine Gefahr mehr drohte. Wie hatte er nur so leichtsinnig sein können?
"Etwas werde ich mir gleich selbst gönnen", fuhr Marroc in demselben ruhigen Ton, der Frodo das Blut in den Adern gefrieren ließ, fort "während anderes von dir…", er machte eine kurze Pause, als müsse er seine Wortwahl bedenken, "… besorgt werden kann."
Frodos aufkeimende Angst schärfte seine Sinne. Er hörte den Wind säuseln, hörte das gemächliche Plätschern des Flusses, hörte wie sein rechter Fuß auf dem Gras zu ruhen kam, nachdem er sich endlich vollends vom Brandywein abgewandt hatte. Er biss sich auf die Lippen, hoffend, dass Marroc dieser Dinge nicht ebenfalls gewahr war, denn er wollte jenen Augenblick zur Flucht nutzen, an dem sein Peiniger am weitesten von ihm entfernt stand. Doch Marrocs Augen ruhten auf ihm, schienen ihn mit ihrem Blick an dieser Stelle festzunageln. Seine Atmung ging schwer, zitterte mit jedem Luftholen mehr. Die Zeit des Redens würde nicht mehr lange anhalten und Frodo war nicht erpicht, zu erfahren, was Marrocs Worten folgen sollte.

Ruckartig stieß er sich vom Stein ab und stürmte davon, doch wie er es gefürchtet hatte, hatte Marrocs Aufmerksamkeit nicht nachgelassen und ehe Frodo mehr als fünf Schritte getan hatte, hatte Marroc seine Arme um seine Brust geschlungen, beraubte ihn dadurch der Luft in seinen Lungen und seiner Bewegungsfreiheit. Die Furcht, die er zuvor unter Kontrolle hatte halten können, brach wie eine Welle über ihn herein. Wie wild geworden trat er um sich, keuchte, versuchte mit aller Gewalt, sich aus Marrocs Griff zu winden, doch dieser hielt ihn nur noch fester. Er war gefangen wie eine Fliege im Netz der Spinne. Ein hohles Gefühl breitete sich in seinem Bauchraum aus. Er konnte das wilde Pochen seines Herzens am Hals spüren, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen.
"Lass mich gehen!" verlangte er, doch konnte er die Angst auch in seiner Stimme nicht länger verbergen. Die Worte klangen schrill in seinen Ohren. Schrill und hilflos.
"Weshalb sollte ich das tun, jetzt da ich dich endlich habe?"
Marrocs Worte ließen ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen und Frodo war nicht in der Lage, das angstvolle Zittern, das diesen begleitete, zu unterdrücken. Er konnte Marrocs hämisches Grinsen mehr spüren, als dass er es sah. Verzweifelt versuchte er, seinen Gegner ins Schienbein zu treten, doch Marroc war schneller, trat ihm erst auf die Zehen, sodass er ins Straucheln geriet und verpasste ihm dann mit dem Knie einen heftigen Stoß, woraufhin er der Länge nach zu Boden fiel.

Frodo biss sich auf die Lippen, hatte jedoch keine Zeit, Schmerz zu empfinden, sondern rappelte sich sogleich auf, um einen erneuten Fluchtversuch zu wagen. Wieder war Marroc schneller. Frodo hatte nicht einmal Zeit, zu sehen, wo sein Peiniger war, als dieser ihn erneut packte und zu Boden warf. Dieses Mal schlug er mit dem Hinterkopf im Gras auf. Neben sich konnte Frodo den Fluss hören und als er sich mit der linken Hand aufzustützen suchte, griff er ins Wasser. Von entsetzlicher Furcht ergriffen, war er zu keinem klaren Gedanken fähig, wusste nur, dass er Marroc nicht entkommen konnte. Inzwischen hatte sich sein Peiniger vor ihm aufgebaut und die Sonne schien golden in sein Gesicht. Mit dem letzten bisschen Verstand, das ihm in seiner Lage noch geblieben war, zwang Frodo sich dazu, sich zusammenzureißen. Wenn Marroc ihn verprügeln wollte, sollte er das tun und er würde sich verteidigen, so gut er es eben konnte, aber aufgeben würde er nicht. Entschlossen blickte er zu seinem Gegner auf, bereit, seinem Schicksal entgegenzutreten, ganz gleich, wie sehr es ihn ängstigte.

Marrocs Augen verengten sich zu wutentbrannten Schlitzen. Wie konnte er es wagen, ihn selbst jetzt noch so anzusehen. Wie er diesen Blick hasste! Dieses entschlossene Glimmen, das ihm trotz der Angst, die Frodos jämmerlicher Gestalt deutlich anhaftete, immer wieder entgegen trat. Er würde das Glühen auslöschen, doch noch nicht. Der Kleine wollte sich erneut aufrappeln, aber Marroc wusste dies zu verhindern, kniete sich mit all seinem Gewicht auf die Brust des Jungen und tastete nach dessen Handgelenken, die Frodo ihm jedoch zu entwinden suchte.

Frodo war fest entschlossen, kein Geräusch von sich zu geben. Weder ein Jammern, noch eine trotzige Antwort oder eine Aufforderung, ihn in Frieden zu lassen. Seine Hoffnungen waren zwar gering, doch vielleicht würde Marroc dadurch das Interesse verlieren. Diesen Vorsatz vergaß er jedoch fast, als ein gefährliches Funkeln in Marrocs Augen trat. Eben jenes Funkeln, das Frodo zuletzt bei ihrem letzten großen Streit gesehen hatte, Momente bevor Marroc wie blind vor Wut auf ihn eingeprügelt hatte. Seine Furcht lähmte ihn, ließ kalte Schweißperlen auf seiner Stirn sichtbar werden. Es war zu spät, jenem Zorn noch zu entfliehen und auch wenn er einen letzten zaghaften Versuch wagte, sich aufzurichten, wusste er, dass er bereits verloren hatte. Marrocs Knie bohrten sich in seine Brust, während er seine Hände zu Boden drückte, sodass er sich nicht verteidigen konnte.

"Weißt du, dass es allein deine Schuld ist, dass ich in diesem verfluchten Stall arbeite?", zischte Marroc durch zusammengepresste Zähne.
Frodo war verwundert, dass er eine Erklärung erhielt, weshalb er verprügelt werden sollte, denn für gewöhnlich bedurfte sein Peiniger dessen nicht. Noch überraschter war er jedoch von Marrocs Worten. War er jetzt völlig verrückt geworden oder suchte er nur nach einer Ausrede, mit der er sich selbst weiß machen konnte, er hätte einen Grund ihn zu verprügeln? Marroc war schließlich ein Tween und jeder Tween musste früher oder später arbeiten. Was konnte er dafür, dass ihm diese Arbeit nicht gefiel?
Die lähmende Angst fiel von ihm ab, machte verständnisloser Wut Platz. Er wollte seinen Vorsatz gerade brechen, als Marroc die Antwort auf seine Frage von alleine preisgab.
"Mein Vater hätte sich nie um eine Lehrstelle gekümmert, hätte nicht der Herr den nötigen Druck ausgeübt. Er meinte, dort käme ich nicht wieder auf die Idee, andere quälen zu müssen. Er will nicht einsehen, dass ich ihm einen Gefallen tue, wenn ich dich aus dem Weg schaffe, will nicht begreifen, dass ein wimmerndes Muttersöhnchen wie keinen Wert hat."
Frodo versuchte, seine Hände aus Marrocs Griff zu winden, doch dessen Finger umklammerten seine Handgelenke nur noch fester, erweckten pochende Schmerzen, die sich bis in seine Finger zogen. Seine Augen funkelten zornig, doch Frodo war zu keiner Antwort fähig, denn jeder Atemzug kostete ihn Mühe und er glaubte, Marrocs Gewicht nicht mehr lange auf seiner Brust aushalten zu können. Er keuchte, versuchte, sich von Marroc wegzudrehen, doch sein Peiniger erlaubte ihm nicht die kleinste Bewegung und Frodo spürte, wie sich eine neue Welle der Angst in ihm ausbreitete. Wenn Marroc nicht sofort von ihm abließ, würde er ihn erdrücken. Das Atmen fiel ihm plötzlich noch schwerer und Frodo kniff angstvoll die Augen zusammen, um nicht in Panik zu geraten. Er musste ruhig bleiben, ruhig bleiben. Völlig verkrampft versuchte er, sich auf die Geräusche des Sommerabends zu konzentrieren, doch nichts drang an sein Ohr, außer Marrocs Stimme.
"Ich könnte dir neuen Wert geben", versprach sie voller Hohn.
Frodo öffnete die Augen, um Marrocs Gesicht zu begegnen, das nun dicht vor seinem lag. Ein unangenehmes Kribbeln durchzog seinen angespannten Körper, während er mühevoll dem stechenden, kalten Blick standhielt.
"Du könntest deine Schuld bei mir abtragen", schlug Marroc vor. "Da du es warst, der mich in diese missliche Lage gebracht hat, bist auch du es, der diesen Zustand angenehmer gestalten kann."
Frodos zitternde Atemzüge stockten und ein hämisches Grinsen zeichnete sich auf Marrocs Gesicht ab, als dieser sich dessen Aufmerksamkeit sicher war. Noch besser, als dem Jungen Schmerz zuzufügen war, ihn für sich arbeiten zu lassen.
"Du wirst mir den Tag versüßen, indem du mir einige Kleinigkeiten besorgst", fuhr er mit sachlichem Tonfall fort, ließ seine Worte jedoch zugleich wie eine Drohung klingen. "Mal wird es ein Apfel sein, mal ein Kuchenstück, mal etwas anderes. Das werde ich aus dem Bauch heraus entscheiden." Das Grinsen in seinem Gesicht wurde noch breiter, als er sah, wie sich Frodos Augen in purem Unglauben weiteten. Dann verdunkelte sich seine Miene jedoch und er verstärkte den Griff um die Handgelenke des Jungen, bis seine Knöchel weiß hervortraten. "Arbeite für mich, oder du wirst deines Lebens nicht mehr froh."

Frodo konnte nicht glauben, was er hörte. Einst mochte er getan haben, was Marroc verlangte, doch diese Zeiten waren vorüber. So leicht würde er sich nicht wieder in die dunklen Machenschaften des Älteren ziehen lassen, erst recht nicht für etwas, wofür er keine Schuld trug.
"Lieber sterbe ich, als dass ich für dich stehle!" brachte er keuchend hervor, ohne sich über die Konsequenzen seiner Worte im Klaren zu sein.
Ein Blitzen trat in Marrocs Augen, das Frodo hätte zurückweichen lassen, wäre er ihm gegenübergestanden und nicht bereits hilflos vor ihm auf dem Boden gelegen.
"Das sollst du haben!" fauchte er und ehe Frodo wusste, wie ihm geschah, war Marroc aufgestanden, hatte ihn am Kragen gepackt und ihn hochgehoben.
Frodo schlug um sich, versuchte, Marrocs Finger zu lösen, doch seine Kraft reichte nicht aus. Jenes unberechenbare Funkeln war in die Augen seines Peinigers zurückgekehrt und Frodo wusste, dass ihn jetzt nichts mehr aufhalten konnte. Kalte Angst ergriff ihn, schnürte ihm die Luft ab und breitete sich, einem unaufhaltbaren Gift gleich, in seinem Körper aus, machte ihn für alles unempfänglich, außer für Marrocs todverheißende Augen. Er schnappte nach Luft, als er plötzlich das kalte Wasser des Brandyweins an seinen Füßen spürte, das langsam aber bestimmt immer weiter anstieg. Erst umspielte es seine Knöchel, dann seine Kniekehlen, dann war es bereits auf Höhe seiner Hüften. Zu spät verstand Frodo, was Marroc vorhatte. Er begann zu strampeln, denn er hatte keinen Boden unter den Füßen. Er traf Marroc, der inzwischen ebenfalls im hüfthohen Wasser stand, mindestens zwei Mal, doch schien ihm dies nichts auszumachen. Frodo wusste, dass ihm das Wasser hier bis zum Bauchnabel reichte, doch der Grund schien ihm unerreichbar.
Seine Stimme endlich wieder findend, schrie er auf, grub seine Finger verzweifelt in Marrocs Arme, doch jegliche Gegenwehr kam zu spät.
Plötzlich konnte er den sandigen Untergrund und die wenigen Steine unter seinen Füßen spüren, doch noch ehe er Halt finden konnte, wurde er tiefer unter Wasser gedrückt. Er schloss die Augen und die Welt verschwamm in Dunkelheit. Nur das Sprudeln des Wassers drang an sein Ohr. Das Wasser war kalt an seinem Nacken und am Kopf. Er strampelte, schlug sich dabei die Ferse an einem spitzen Stein auf, doch er gelangte nicht zurück an die Oberfläche. Marroc hielt ihn erbarmungslos unter Wasser. Frodo griff nach dessen Hand, doch der klammernde Griff des Älteren wollte sich nicht lockern. Er würde ihn umbringen!

Ruckartig wurde er aus dem Wasser gerissen und Frodo schnappte verzweifelt nach Luft. Er war nicht in der Lage, die Augen zu öffnen, ehe Marrocs Stimme erneut an sein Ohr drang.
"Wirst du für mich arbeiten?"
Niemals! Frodo schüttelte entschlossen den Kopf, während er sich nur schwach bewusst wurde, dass Kleider und Haare nass und kalt an seinem Körper klebten und ein dumpfes Pochen sich seines rechten Fußes bemächtigt hatte. Für einen kurzen Augenblick spürte er die Kälte eines schwachen Luftzuges, doch noch ehe er ausreichend Luft geholt hatte, wurden diese Eindrücke wieder durch die dumpfen, beinahe schwerfälligen Laute unter Wasser ersetzt. Er hörte das undeutliche Rauschen seiner strampelnden Bewegungen, hörte das Blubbern der letzten Luftbläschen, die aus seinem Mund entwichen. Das Wasser schmeckte schleimig, war mit einzelnen Sandkörnchen versehen. Wenn er nicht immer wieder mit den Füßen an den Boden geschlagen wäre, hätte er geglaubt, er würde schweben.
Frodo spürte ein Brennen in der Lunge. Er musste atmen - sofort! Verzweifelt biss er sich auf die Lippen, um der Versuchung, nach Luft zu schnappen, nicht nachzugeben, atmete jedoch zugleich durch die Nase ein wenig des Wassers ein.

Hustend und strauchelnd wurde er wieder an die Oberfläche gerissen. Er sog die Luft in sich auf, nur um sich ihrer hustend wieder zu entledigen.
"Deine Antwort?"
Frodo kniff Marroc schmerzhaft in den Unterarm. Er würde nicht stehlen. Seinem Peiniger war dies offensichtlich Antwort genug, denn gerade als Frodo den ersten vernünftigen Atemzug hatte nehmen können, schloss sich der Fluss erneut über seinem Kopf. Dieses Mal öffnete er die Augen. Das Wasser hatte hier eine grünlichbraune Farbe, die immer dunkler wurde, je weiter er nach unten sah. Er hatte Sand aufgewirbelt, der nun vor seinen Augen tanzte, während sich die Sonne spottend an der sich kräuselnden Oberfläche spiegelte. Wieder trat er um sich, in einem verzweifelten Versuch sich zu befreien, doch seine Kräfte reichten nicht aus. Dieses Mal befand sich weitaus weniger Luft in seinen Lungen als zuvor und Frodo begann sich plötzlich zu fragen, ob seine Eltern vor ihrem Tod ebenso empfunden hatten. Hatten sie dasselbe Brennen in ihren Lungen gefühlt, denselben Drang verspürt, zu atmen? Ein Verlangen, so stark, dass es nicht verwehrt werden konnte. Hatten auch sie noch die letzten Strahlen der Sonne gesehen, die ihnen wie zum Hohn den Weg zu einer Oberfläche gezeigt hatten, die sie aus eigener Kraft nicht länger erreichen konnten? Starb er nun auf dieselbe Weise, wie sie es getan hatten?
Tränen stiegen in ihm auf. Er wollte nicht sterben, nicht im Brandywein. Nie hätte er geglaubt, dass Marroc ihn wirklich töten würde, doch hätte er es wissen müssen, als er das gefährliche Funkeln in dessen Augen gesehen hatte.
Seine Augen brannten und als er seine Lider schloss, sah er seine Eltern. Sie trieben im Fluss, schwebten, wie er es nun tat, denn seine Füße hatten aufgegeben, sich vom Grund abstoßen zu wollen. Ihre Kleider bauschten sich um ihre Körper und das dünne, blaue Tuch, das seine Mutter in der einen Hand hielt, wurde vom Wasser zu ihm herüber getragen und legte sich um seinen Hals. Leise wimmernd, ließ Frodo nun auch von Marrocs Unterarm ab und nahm einen tiefen Atemzug.





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