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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 64: Erkenntnisse



Sie hat gesagt, ich wäre ihr Freund. Es tut gut das zu wissen, doch die Blicke, die sie mir beim Kartenspielen schenkt, lassen mich unruhig werden. Etwas ist anders. Ihre Blicke machen mich verlegen, was sie zuvor nie taten. Selbst ihre Sticheleien haben sich irgendwie verändert. Ich weiß nicht genau, was daran anders ist, doch manchmal weiß ich nichts darauf zu erwidern und auch das war früher nie der Fall.
Manchmal, wenn ich sie ansehe, kehrt das Kribbeln in meinen Bauch zurück. Es ist kein unangenehmes Gefühl, doch…
Sie mag meine Freundin sein, doch soll sie nichts zum Kribbeln bringen, schließlich macht Merry das auch nicht. Trotzdem ist bei ihr etwas anders. Vielleicht ist dieses Gefühl nur da, weil ich erst seit kurzem weiß, dass sie meine Freundin ist? Vielleicht liegt es daran, dass sie ein Mädchen ist? Vielleicht…



"Was schreibst du da?
Mit einer raschen Handbewegung klappte Frodo das Buch zu und überkreuzte die Arme darüber. Die Kerze, die vor ihm auf dem Schreibtisch stand, flackerte, ließ sowohl seinen, als auch Merrys langen Schatten an der Wand tanzen.
Drei Monate waren seit dem Umzug vergangen und Frodo hatte sich inzwischen daran gewöhnt, nicht mehr alleine zu sein, auch wenn Merrys ständige Präsenz ihm bisweilen etwas unbehaglich war, vor allem dann, wenn er in sein Tagebuch schrieb.
"Nichts", entgegnete er, wobei er sich mit einem möglichst unschuldigen Lächeln an Merry wandte, der ihn mit einem ungläubigen Blick betrachtete. Sein Vetter hatte ihn in den vergangenen Wochen häufig beobachtet, wenn er in sein Tagebuch geschrieben hatte und obwohl er ihn gewähren ließ, war er zunehmend neugieriger geworden, was Frodos Unruhe noch verstärkte. Es war nicht so, dass er seinem Vetter nicht vertraute, doch zu wissen, dass Merry wusste, wo er sein Tagebuch aufbewahrte, hatte es ihm in den vergangenen Tagen immer mulmiger werden lassen.
"Es ist mein Tagebuch", fügte er schließlich ernst hinzu, "und es geht dich nichts an. Ebenso, wie mich die Eintragungen in deinem Tagebuch nichts angehen würden, hättest du eines."
Merry ließ sich auf den anderen Stuhl sinken und stützte beleidigt den Kopf in die Hände. Das Kerzenlicht warf verspielte Schatten auf seinen zerzausten Lockenkopf und den verletzten Gesichtsausdruck des Jüngeren.
"Traust du mir wirklich zu, dein Tagebuch zu lesen?"
Frodo taten seine strengen Worte beinahe Leid und er legte entschuldigend den Kopf schief, während er die Feder zurück in die Halterung steckte. Eine Hand ließ er dennoch auf dem ledernen Einband ruhen. Er vertraute Merry und er vertraute auf ihre Freundschaft, doch gerade deshalb glaubte er daran, dass Merry sein Tagebuch lesen würde, wenn sich ihm eine Möglichkeit dazu bot. Einst hatte er seinem Vetter all seine Sorgen anvertraut und auch wenn Merry noch immer mehr wusste, als jeder andere, hätte sein Tagebuch auch ihm eine Reihe wohl gehüteter Geheimnisse offenbart und Frodo wusste, dass Merry sich dessen durchaus klar war.
"Wenn du dort hineinschreibst, heißt das, dass du unglücklich bist?"
Inzwischen war Merry dazu übergegangen, mit dem Wachs der Kerze zu spielen und dadurch das gleichmäßige Licht der Flamme zu stören. Auch wenn sein Vetter ihn nicht ansah, wusste Frodo um dessen besorgten Gesichtsausdruck. Es bekümmerte ihn, Merry so zu sehen und er legte einen Arm auf dessen Schulter. Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, ließ sein Gesicht freudig erstrahlen.
"Glaub mir, es wären wesentlich weniger Seiten gefüllt, wenn dem so wäre."
Merry lächelte zufrieden und Frodo war erleichtert, keine Sorge in seinem Blick zu erkennen.
Frodo hatte den bedrückten Blick seines Vetters, wenn er in sein Tagebuch schrieb, selbst dann spüren können, wenn er ihm den Rücken zugewandt hatte. Es schmerzte ihn, dies zu sehen, machte ihm manchmal sogar Angst. Was, wenn Merry mit Saradoc über seine Sorge um ihn sprach und dieser daraufhin eine Nachricht an Bilbo schickte? Bilbo würde erfahren, dass er nicht so stark war, wie er ihn in seinen Briefen glauben lassen wollte, sich noch mehr von ihm abwenden und er würde die Liebe seines Onkels niemals gewinnen und für den Rest seines Lebens ohne ein Zuhause bleiben. Frodo fürchtete diesen Gedanken und setzte alles daran, jegliche Sorgen aus Merrys Gesicht zu wischen und auch sonst niemandem den Kummer seines Herzens aufzubürden. Die anderen hatten mit ihren eigenen Lasten genug zu tragen und er wollte zeigen, dass er auch ohne ihre Hilfe zurechtkam, selbst wenn das hieß, dass er sein Tagebuch an einen anderen Ort bringen musste.
Er vertraute Merry, doch sein Vetter sollte sich nicht jedes Mal Gedanken machen, wenn er die leeren Seiten des Buches mit Worten füllte, schließlich zeugten seine Einträge nicht immer von Kummer. Dennoch gab es genügend Zeilen, die Merry betrüben würden und Frodo wollte sicher gehen, dass er diese niemals zu Gesicht bekam. Er würde ein anderes Versteck für sein Tagebuch finden, wusste sogar schon wo.



~*~*~



Milo und Päonie waren in den ersten Tagen des Astron eingezogen, doch Frodo hatte feststellen müssen, dass, welches Band auch immer ihn einmal mit seinem älteren Vetter verbunden hatte, nicht länger vorhanden war. Schon vor Milos Umzug ins Westviertel war dieses nicht mehr besonders stark gewesen, doch jetzt, da er zurück war, schien es Frodo, als hätte dieses Band nie existiert. Zwar hatte Milo ihn mit einem freundlich gemeinten durch die Haare wuscheln begrüßt, sich seither jedoch nicht ein einziges Mal mit ihm unterhalten. Er sprach viel lieber mit Merimac, Seredic und Saradoc über Geschäfte, von denen Frodo seiner Meinung nach ohnehin nichts verstand.
Zu allem Überfluss war Päonie bereits bei ihrer Ankunft hochschwanger gewesen und hatte schon zwei Wochen nach ihrem Einzug ihren ersten Sohn, Mosco, geboren. Die Geburt war ohne Probleme verlaufen, doch Fastred, der zu der Zeit häufig im Brandyschloss gewesen war, hatte bei einem seiner Besuche dennoch einen Blick auf Mutter und Kind geworfen. Lily, seine jüngste Tochter, hatte ihn, wie auch schon an vielen anderen kalten Wintertagen, begleitet. Offensichtlich war sie bei ihm in die Lehre gegangen. Frodo wusste noch genau, wie das Mädchen ihn vor mehr als einem Jahr gemustert hatte, als er dem Heiler Salben brachte. Er erinnerte sich noch gut an das unbehagliche Gefühl, da er zitternd auf der Schwelle gestanden und dem urteilenden Blick in den grünen Augen hilflos ausgesetzt gewesen war. Sie mochte nett sein, doch er konnte sich nicht vorstellen, sich freiwillig von ihr untersuchen zu lassen, war er ihrem kritischen Blick dann doch noch schutzloser ausgeliefert.
Die Augen, denen er seine Aufmerksamkeit hingegen sehr viel lieber schenkte, gehörten Nelke. Seine Blicke waren in den vergangenen Wochen immer häufiger zu ihr gewandert und nicht selten hatte er sie dabei ertappt, wie auch sie zu ihm herüber sah. Wann immer sich ihre Blicke kreuzten, zierte ein breites Lächeln ihre Lippen und eben jenes Lächeln war oft Grund für das Kribbeln in seinem Bauch. Selbst beim Kartenspielen bedachte sie ihn manchmal mit diesem Blick, oder rutschte näher an ihn heran als ihm lieb war. Sie mochte seine Freundin sein, doch sie blieb immer noch ein Mädchen.

Auch als er nun an den Regalen der Bibliothek entlang schritt, ein Bündel, das er mit sanften Fingern an seine Brust drückte, in der rechten Hand, waren seine Gedanken bei Nelke. Er erinnerte sich daran, wie sie mit ihm hier gewesen war, am selben Tag, als sie ihm auch den geheimen Gang gezeigt hatte, den er seither nicht wieder betreten hatte, auch wenn er mehr Zeit mit Nelke verbrachte als zuvor. Manchmal tauchte sie plötzlich neben ihm auf, wenn er ein Buch las und schielte über seine Schultern oder schloss sich mit ihren Freundinnen den Kartenspielen der Jungen an. Ein seltsames Mädchen, auch wenn er sich eingestehen musste, dass ihm ihre Nähe lieb war.
Die Finger seiner linken Hand strichen beinahe zärtlich über die Buchrücken im Regal. Bis auf den Schein einer einzelnen Kerze, die er von draußen mit herein getragen und auf dem Tisch abgestellt hatte, war es dunkel im Raum und hätte er in den Büchern lesen wollen, hätte er kaum ein Wort erkennen können. Doch Frodo ging es nicht um die Bücher, auch wenn ihn deren Duft und deren bloßes Vorhandensein sofort in ihren Bann zogen. Er konnte diesen Raum nicht verlassen, ohne zumindest einmal über die ledernen Buchrücken zu streichen. Seine Absichten waren jedoch andere.
Erst vor wenigen Tagen, als er, auf der Suche nach einem Buch, an den Regalen entlang gegangen war, hatte er in der linken, hinteren Ecke eine lose Diele entdeckt. Die Diele schloss mit der Wand ab, ebenso, wie es das raumhohe Regal tat, und Frodo hätte nicht einmal bemerkt, dass sie nicht fest saß, hätte er sich nicht auf den Zehenspitzen abgemüht, ein Buch, zwei Regale oberhalb seines Kopfes zu erreichen. Lautes Knarren, ein Geräusch, das sich gefährlich nach einem drohenden Einbrechen des Bodens angehört hatte, hatte ihn darauf aufmerksam werden lassen. Neugierig war er zurückgetreten, hatte den Boden untersucht und war auf einen Hohlraum unter der Diele gestoßen. Die lose Holzplatte war nicht besonders breit und Frodo hatte schon gefürchtet, dass ihm dieser vermeintliche Eingang zu einem weiteren Geheimgang nichts nutzen würde, als ihm aufgefallen war, dass der Hohlraum sich über die gesamte Bibliothek erstreckte - zumindest über die lose Diele und jene in ihrer unmittelbaren Umgebung, jenen Teil, den er mit dem spärlichen Licht einer Kerze beleuchten und mit seiner Hand ertasten hatte können.
An eben jene Holzplatte hatte er am vergangenen Abend gedacht. Der Hohlraum darunter erschien ihm das beste Versteck für sein Tagebuch. Niemand würde es hier vermuten und keiner würde sich Gedanken machen, wenn er ab und an in der Bibliothek verschwand, tat er dies schließlich häufig. Hier würde er auch ungestört schreiben können, denn auf dem Tisch standen bereits eine Feder und die dazugehörigen Tintenfässchen, eigentlich dazu gedacht, einem eifrigen Leser die Möglichkeit zu bieten, sich wichtige Dinge zu notieren. Frodo erinnerte sich daran, dass seine Großmutter bisweilen Gebrauch davon gemacht hatte, wenn sie in einem der älteren Bücher über das Auenland Notizen zu irgendwelchen Kräutern gefunden hatte. Hier wäre sein Tagebuch wohl aufgehoben, er würde wieder die nötige Ruhe haben, um seine Einträge zu schreiben und Merry würde sich keine Sorgen mehr machen.

Er wandte sich versichernd um. Nichts rührte sich in der Dunkelheit, nicht einmal das sanfte Licht der Kerze wurde durch einen verirrten Windhauch gestört wie es manchmal der Fall war. Unwillkürlich schloss Frodo seine Finger fester um das Bündel, während er sich hinkniete und mit seiner linken Hand den Boden abtastete. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er die lose Diele fand, das Bündel schließlich zur Seite legte und die Holzplatte vorsichtig löste. Ein leises Knarren hallte durch den Raum, ließ Frodo erschrocken zusammenzucken. Wieder wandte er sich um, sah sich beinahe ängstlich in der Bibliothek um, doch war nichts zu erkennen, außer dem schwachen Licht der Kerze.
Das Küchentuch, das er zuvor aus dem Stapel frisch gewaschener Wäsche hatte mitgehen lassen, zurückschlagend, holte er tief Luft und offenbarte sein Tagebuch. Schweigend betrachtete er es, die Stirn sorgenvoll in Falten gelegt. Eine unbestimmte Angst bemächtigte sich seiner und immer wieder blickte er sich um, als fürchte er, erwischt zu werden. Die kühle Luft der Bibliothek machte ihn frösteln und er schloss für einen Augenblick die Augen.
Er hatte Angst davor, sein Tagebuch hier zurückzulassen, unbewacht und in einem Raum, in dem er nicht halb so oft war, wie in seinem Zimmer. Ein Raum, zu dem jeder freien Zugang hatte. Frodo glaubte nicht, dass jemand von der losen Diele wusste, hatte er sie schließlich selbst nur durch Zufall entdeckt, doch was, wenn dem nicht so war? Was, wenn er eines Tages her kam und sein Tagebuch verschwunden war?
Wieder wanderten seine Augen durch den Raum, während seine Hand Besitz ergreifend auf dem Buch ruhte. Plötzliche Zweifel schlichen sich in sein Herz. Jeder konnte hierher kommen und niemand würde Verdacht schöpfen, verließ er das Zimmer mit einem Buch in der Hand. Wollte er sein Tagebuch wirklich hier aufbewahren, unbewacht?
Frodo schüttelte den Kopf. Er musste es hier verstecken, denn einen sichereren Ort gab es nicht. Früher oder später würde Merrys Neugier über seine Vernunft siegen und er würde darin lesen, wenn es weiterhin in seinem Nachttisch ruhte. Jene Einträge waren für keine Augen, außer für seine eigenen, bestimmt, denn sollte sie dennoch ein anderer zu Gesicht bekommen, wäre der daraus resultierende Ärger groß. Das Tagebuch musste hier bleiben, oder vernichtet werden.
Der Gedanke, sein Buch zu verbrennen, war Frodo schon einmal gekommen. Auch das war ihm anfangs als eine gute Lösung erschienen. Es gehörte sich für einen Jungen nicht, Tagebuch zu schreiben und mit der Vernichtung desselben hätte er zwei Probleme auf einmal beseitigt. Niemand konnte mehr darin lesen und die anderen hatten einen Grund weniger, ihn als anders, als verrückt zu bezeichnen. Doch diese Tat hätte er niemals über sein Herz gebracht. Sein Tagebuch war ihm beinahe ebenso wichtig wie das Bild seiner Eltern. Es war ein Teil von ihm. Er konnte über seine Sorgen nicht sprechen, seinen Gedanken nicht entfliehen, doch er vermochte sie niederzuschreiben und seinen eigenen Schmerz dadurch zu lindern, selbst wenn er nicht vergessen konnte.
Das Tagebuch musste hier bleiben. Entschlossen, doch nicht völlig angstfrei wickelte er es wieder in das Tuch und legte es behutsam in den Hohlraum unter der Diele. Beinahe zufrieden betrachtete er sein Werk, versicherte sich erneut, dass das Buch hier gut aufgehoben war, sah sich ein letztes Mal um und legte die Diele wieder an ihren Platz, ehe er sich erhob und sich den Staub von den Hosen klopfte. Erleichtert atmete er auf, auch wenn er das konstante Pochen seines Herzens deutlich spüren konnte. Besorgt trat er einige Schritte zurück, den Blick sorgenvoll auf dem Fußboden ruhend. Nichts deutete darauf hin, dass hier eben noch eine Platte gelöst gewesen war und das beruhigte ihn. Er hatte sich ein gutes Versteck ausgesucht.

Ohne erneut zurückzublicken, wandte er sich schließlich um, ging raschen Schrittes am Regal entlang, nahm die Kerze vom Tisch und ging zur Tür. Vom schwachen Licht einer Wandlampe willkommen geheißen, pustete er die Kerze aus und stellte den Halter auf das dafür vorgesehene Regal.
"Ich hätte auch gleich darauf kommen können, in der Bibliothek nachzusehen als du nicht draußen warst. Das hätte mir eine lange Suche erspart."
Frodo lächelte in sich hinein, den Blick nicht von der Wand nehmend. Niemand war zu sehen, doch er wusste, dass sie sich hinter der Biegung im Schatten versteckt hielt, vermutlich hoffend, ihn durch ihre, wenn auch sanft gesprochenen Worte, zu erschrecken. Wenn dem so war, sollten ihre eigenen Waffen sie nun zur Strecke bringen. So leise es ihm möglich war, schlich er sich an der Wand entlang und gerade als er um die Biegung spähte, sagte er: "Du hättest es wissen müssen, hast du sie schließlich selbst als meinen Lieblingsplatz erkannt."
Nelke sog scharf die Luft ein, wich erschrocken einen Schritt zurück, die rechte Hand überrascht auf ihrer Brust ruhend.
"Du Dummkopf!" schimpfte sie, was Frodo ein siegreiches Grinsen entlockte. "Bist du des Wahnsinns, mich so zu erschrecken?!"
Er sah sie beinahe beleidigt an, nicht ohne den goldenen Schimmer der Lampe in ihrem offen getragenen Haar zu bemerken. Mit einem sehr selbstzufriedenen Grinsen ging er an ihr vorüber, angestrengt darum bemüht, das Kribbeln, das ihr Anblick hervorrief, nicht zu beachten.
"Nicht weniger wahnsinnig, als du", bemerkte er dann, "schließlich wolltest du mich zuerst erschrecken."
Nelke sah ihm entrüstet hinterher und auch wenn er sich nicht zu ihr umdrehte, konnte er ihren Blick auf sich spüren und es erfüllte ihn mit einer heimlichen Freude, sie ärgern zu können. Die Sorge um sein Tagebuch hatte er schon fast wieder vergessen. Sein Lächeln verschwand jedoch, als sich das Mädchen plötzlich bei ihm einhakte, sich verschwörerisch den Zeigefinger an die Lippen legte und ihn mit einem hinterlistigen Lächeln bedachte, das ihn nicht wenig an Marroc erinnerte. Verwundert runzelte er die Stirn, doch noch sie reagierte nicht darauf, ergriff stattdessen seine Hand und eilte raschen Schrittes durch einen der hinteren und wenig benutzten Gänge in jenen, in dem ihr Zimmer lag. Sie begegnetem niemandem, was Frodo erleichterte, denn so aufgeregt und neugierig ihn ihre Heimlichtuerei auch machte, so unbehaglich ließ sie ihn werden.
"Was hast du vor?", fragte er mit leisem Ton und entzog ihr seine Hand, kaum dass sich ihm eine Möglichkeit dazu bot. Sie standen vor ihrer Zimmertür und Nelke blickte sich erst verschwörerisch nach beiden Seiten um, ehe sie vorsichtig in das Zimmer spähte. Ohne seine Frage zu beachten, sprang sie hinein und zog ihn mit sich.
Frodo war gar nicht erst dazu gekommen, sich seiner Lage klar zu werden und sich ebenfalls umzublicken, als sich seine Hand erneut in der ihren wieder fand. Die zarte Berührung wärmte seine kalten, noch immer mit einer dünnen Staubschicht bedeckten Finger.
Mit einem erfreuten Lächeln, das Frodo mehr in ihrer Stimme hörte als dass er es sah, wandte sich Nelke zu ihm um. "Der erste Teil wäre geschafft."
Dieses Mal war sie es, die ihre Finger von den seinen gleiten ließ und er ertappte sich dabei, wie er ihre Hand für einen Augenblick festhielt, plötzlich Gefallen daran findend. Nelke verharrte reglos, ihre Haltung eine aufgeregter Überraschung, die ihm das Blut zu Kopfe steigen ließ. Rot bis zu den Ohrenspitzen zog er seine Hand eiligst zurück, im Stillen dankbar, dass der Raum dunkel war und nur ein blasser, kaum Licht spendender Schein durch den Spalt unter der Tür hereindrang.
Das Kribbeln in seinem Bauch ließ sich nicht länger verschweigen. Es kam einer wohligen Wärme gleich, die sich wie eine knisternde Flamme in seinem Innern ausbreitete. Frodo ließ seinen Blick heimlich zu Nelke wandern, die die Lampe auf ihrem Nachttisch entzündete. Ein leises Zischen war zu hören, als das Streichholz Feuer fing und ein schwacher, rötlicher Lichtschein für einen Augenblick ihr Gesicht erhellte. Wie nicht selten zuvor, fiel ihm die Schönheit auf, die in ihren Zügen lag und er wandte erschrocken den Blick ab, als er sich dessen bewusst wurde und sie sich lächelnd zu ihm umdrehte.
Seine Wangen glühten, seine Atmung zitterte. Was war nur mit ihm los? Es schien ihm, als hätte Nelke eine geheimnisvolle Macht über ihn. Nur sie konnte ihn so verlegen machen. Nur ihr Anblick ließ ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlagen. Dabei gab es nicht einmal einen Grund, aufgeregt zu sein und auch keinen, seine Hand länger in der ihren ruhen lassen zu wollen. Was dachte er sich überhaupt dabei?

"Frodo ist verliebt!"
Pippins Gekicher in seinen Ohren, riss er die Augen auf. Sein Vetter hatte ihn mit seiner Aussage necken wollen, doch was, wenn er im Recht war? War er verliebt? Unwillkürlich schüttelte Frodo den Kopf. Nelke war eine Freundin und er konnte unmöglich in sie verliebt sein.

"Frodo?"
Er war nicht überrascht, als er erkannte, dass Nelke nun wieder vor ihm stand, den Kopf fragend zur Seite gelegt, die Brauen verwirrt zusammengezogen. "Ist alles in Ordnung?"
Ein zaghaftes Lächeln huschte über seine Züge und er nickte eiligst.
"Komm mit", sagte sie dann und kniete sich hinter ihrem Bett auf den Boden, um den Gang, der hinter der kleinen Tür mit dem Messingknauf verborgen lag, zu betreten.
Seiner Lage plötzlich bewusst, blickte Frodo sich unruhig um. Er war in Reginards Zimmer und, anders als Marroc, der in diesem Frühjahr seine ersten Lehrtage als zukünftiger Stallbursche des Brandyschlosses angetreten hatte und ihm nicht mehr allzu schnell zu nahe kommen würde, konnte Nelkes Bruder jederzeit in sein Zimmer treten. Frodo schluckte schwer, ließ seinen Blick beunruhigt zur Tür wandern, als befürchte er, Reginard stünde bereits dahinter. Mit klopfendem Herzen beeilte er sich, hinter Nelke her zu kriechen. Wie schon beim ersten Mal wurde das Rascheln von ihren Röcken zu seinem ständigen Begleiter, während der Schein der Lampe vor ihm jede Ecke des niedrigen Ganges ausleuchtete, bis sie schließlich den kleinen Raum erreichten und es sich auf der ausgebreiteten Decke gemütlich machen konnten.
Frodo blickte sich staunend um. Das Licht der Lampe tauchte die Wände in einen goldgelben Schimmer, ließ lange Schatten daran tanzen. Die Faszination, die dieser Ort auf ihn ausübte, war auch bei seinem zweiten Besuch nicht weniger geworden, auch wenn sich seither nichts verändert hatte. Ein Gefühl von Abenteuer schien dem Raum beizuwohnen und Frodo konnte es sich nur mit Mühe verkneifen, Nelke mit einer neuerlichen Geschichte über den geheimen Gang zu einem Drachenhort zu ärgern.
Ein Kribbeln in seinem Nacken gebot ihm sich umzuwenden. Das Mädchen musterte ihn eingehend, ein Lächeln auf ihren Zügen und ein freudiger Glanz in den grünen Augen. Sie war glücklich und eh Frodo wusste, wie ihm geschah, ging ihr Entzücken auf ihn über und er konnte nicht anders als ihr Lächeln zu erwidern, wenn auch nur zaghaft und mit verlegen niedergeschlagenen Augen.

"Du magst sie auch, nicht wahr?"
Hannas Worte hallten plötzlich in seinen Ohren. Jene Unterhaltung vor fast einem Jahr hatte er vergessen geglaubt. Damals hatte er Hanna nicht ganz glauben können, war sich seiner Empfindungen zu unsicher gewesen, doch nun wurde ihm plötzlich klar, dass er Nelke nicht nur mochte, sondern sie sogar sehr gern hatte. Nach Merry schätzte er sie am meisten, wenn auch auf eine etwas andere Art, denn schließlich war sie ein Mädchen und besaß diese geheimnisvolle Macht über ihn.
"Frodo ist verliebt!"
Er schüttelte den Gedanken vehement ab.
"Was hast du vor?", fragte er stattdessen noch einmal. "Weshalb bin ich hier?"
Nun war es an Nelke, den Blick abzuwenden und selbst im schwachen Licht der Lampe, glaubte Frodo erkennen zu können, wie sich ihre Wangen röteten. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, so als wisse er nicht, ob ihre Verlegenheit Unbehagen oder ein schadenfrohes Lächeln hervorrufen sollte. Verwirrt legte er den Kopf schief, betrachtete sie eingehend, ohne zu wissen, was er noch sagen sollte, denn immerhin war sie es, die ihn hierher gebracht hatte.
"Ich wollte reden", sagte sie plötzlich und hob zaghaft den Kopf.
Jene Aussage genügte, um einen Pfeil der Anspannung durch Frodos Körper zu senden und jegliches Kribbeln durch Misstrauen zu ersetzen. Seine Augen verengten sich, doch er bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Sie wollte reden. Er wusste nicht worüber und deshalb gab es auch keinen Grund, unruhig zu werden. Sie wollte nur reden, weder über ihn, noch über Bilbo. Dies war keines der problematischen Gespräche, die Saradoc und Esmeralda häufig zu führen versuchten, sondern eine Unterhaltung mit Nelke, nicht schlimmer als jedes ernste Gespräch mit Merry. Vielleicht war sie nicht so glücklich wie es den Anschein hatte und wollte nun ihre Sorgen mit ihm teilen. Er war gerne bereit, ihr den nötigen Trost zu spenden.
"Ich wollte über dein Zimmer sprechen."
"Über mein…", Frodo legte verwundert die Stirn in Falten. "Warum denn das?"
Sie zuckte mit den Schultern, sah ihn mit einem Ausdruck verwirrter Entschuldigung an und brachte ein kaum sichtbares Lächeln zustande. Jegliche Anspannung wich aus seinem Körper, während er ihr Gesicht betrachtete als wäre es das einer Fremden. Er verstand sie nicht, wusste nicht, worauf sie mit ihrer Aussage hinaus wollte. Hatte sie ihn am Ende nur hierher gebracht, um ihn zu ärgern?
Nelke war es, die das unangenehme Schweigen, das zwischen ihnen aufgekommen war, zuerst brach. Sie war auf ihren Knien gesessen, hatte sich nun jedoch zur Seite gleiten und ihre Füße unter ihren Röcken verschwinden lassen.
"Ich wollte wissen wie es dir gefällt, dein Zimmer zu teilen, denn schließlich hast du zuvor alleine gelebt", sagte sie schließlich, ohne den geringsten Hauch von Verwirrung, der sich zuvor noch auf ihrem Gesicht abgezeichnet hatte. "Das letzte Mal hast du dein Zimmer noch mit mir tauschen wollen, um nicht mehr alleine zu sein und ich habe mich gefragt, ob es jetzt besser ist, da du mit Merry zusammenlebst."
Frodo konnte seine Überraschung über ihre Aussage kaum verbergen. Mit leicht geöffnetem Mund starrte er sie an. Er hatte ihr nicht zugetraut, dass sie über solche Dinge nachdachte. Dennoch ließen ihn ihre Worte schmunzeln bis er schließlich in leises Gekicher verfiel.
"Dein Zimmer wollte ich doch nicht, weil du es mit deinem Bruder teilst, sondern wegen dem Geheimgang!" Er lachte, während er seinen Blick durch eben jenen wandern ließ. "Ich habe dir schon mehrmals gesagt, dass ich gerne alleine bin und auch mein Einzug bei Merry hat daran nichts geändert."
Für einen Augenblick wirkte sie sowohl geknickt, als auch überrascht, ehe sie schließlich voller Überzeugung kundtat, dass er in diesem Fall wohl lieber in seinem alten Zimmer, als bei seinem Vetter leben würde.

Jene Worte schienen ihn wie einen Schlag zu treffen, denn er wandte den Blick von ihr ab und das Lachen war mit einem Mal aus seinem Gesicht verschwunden. Nelke beunruhigte das. Eigentlich hatte sie nur nach einer Ausrede gesucht, ihn mit sich hierher zu bringen und nicht damit gerechnet, auf ihre nicht ernst gemeinte Bemerkung eine solche Reaktion zu erhalten. In den letzten Monaten hatte sie geglaubt, Frodo wäre zunehmend glücklicher geworden, doch nun fragte sie sich, ob sie sich geirrt hatte. Mit besorgtem Ausdruck betrachtete sie den Jungen, dessen Gesicht schmeichelnd vom Licht der Kerze umspielt wurde. Sie wollte etwas sagen, doch als er den Kopf hob und ihre Blicke sich für einen kurzen Augenblick trafen, fand sie sich unfähig, den Mund zu öffnen.
"Ich bin glücklich dort wo ich jetzt bin", ließ er sie wissen und die Ehrlichkeit in seinen Augen wurde durch seine leise Stimme nicht völlig bestätigt, "doch manchmal wünsche ich mir mein altes Zimmer zurück und die Ruhe, die mir dort vergönnt war."

Frodo wusste nicht, weshalb er ihr das sagte, doch eine plötzliche Welle des Vertrauens hatte es ihm aufgetragen und als er nun in ihre Augen blickte, wusste er, dass sie diese Worte für sich behalten würde. Ein zaghaftes Lächeln huschte über seine Züge. Nelke hatte tatsächlich Macht über ihn, brachte ihn nicht nur in Verlegenheit, sondern auch zum Ausplaudern seiner Gedanken. Nicht einmal Merry wusste davon und er würde sich hüten, seinem Vetter jemals davon zu berichten. Er hatte einen Teil seiner Ruhe zurück gewonnen, indem er sein Tagebuch in der Bibliothek versteckt hatte und das war alles, was er im Augenblick brauchte.

Nelke erwiderte sein Lächeln, überrascht und zugleich erleichtert über seine Worte. Ihr ganzes Leben hatte sie damit verbracht, ihn zu ärgern, auch wenn sie nach dem Tod seiner Eltern ab und an das Gefühl gehabt hatte, auf ihn aufpassen zu müssen. Sie hatte gehört, was die anderen sagten und Frodo verteidigt, wann immer sie den nötigen Mut dazu aufgebracht hatte. Schon damals war etwas an ihm gewesen, das sie nicht losgelassen hatte, auch nicht nachdem er sich nach dem Tod seiner Eltern verändert hatte und zurückgezogener geworden war. Seit ihrem Sieg am Mittjahrstag war ihr Interesse an Frodo noch gestiegen und sie hatte sich immer häufiger dabei ertappt, wie sie ihn heimlich beobachtete und sich schließlich eingestehen müssen, dass sie verliebt war. Sie wusste nicht, ob es Frodo ebenso ging und hatte ihn hierher gebracht, um eben dies zu erfahren. Er mochte sie, dessen war sie sich bewusst, doch…
"Wie sehr magst du mich?"
Frodos Augen weiteten sich, sein Ausdruck eine Mischung aus Überraschung, Verwunderung und purer Erschütterung.
"Ich…", stotterte er hilflos und wandte verlegen den Blick, der zuvor nicht von ihrem Gesicht gewichen war, von ihr ab.

"Frodo ist verliebt!"
Das Kribbeln war mit einem Mal wieder da und er spürte, wie seine Wangen sich röteten. Das Herz klopfte ihm plötzlich bis zum Hals, als eine aufgeregte Neugier ihn erfüllte. Wusste sie bereits, wie sehr er sie mochte und wie froh es ihn stimmte, wenn er mit ihr zusammen sein konnte, auch wenn er sie das nicht wissen ließ? Hatte Pippin schon damals gesehen, was er selbst jetzt noch für beinahe unmöglich hielt?
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Nelke sich bewegte und nur einen Augenblick später spürte er das Kitzeln einer Haarsträhne, die ihr nach vor gerutscht war, an seinem Hals und ihre Lippen auf seiner Wange. Die Flämmchen in seinem Bauch vereinten sich zu einer großen Flamme, die ihre Wärme und ihr Knistern durch seinen ganzen Körper sandte und ihn aufgeregt die Luft anhalten ließ. Er fühlte sich unfähig, sich zu rühren. Freudige Überraschung erfüllte ihn, versetzte jede Faser seines Körpers in Aufregung.
"Ich mag dich nämlich sehr", hörte er Nelke flüstern.

Sie hatte sich nicht zurückhalten können. Etwas in ihr hatte seine Reaktion gedeutet, noch ehe sie sich dessen bewusst geworden war und ein zaghafter Kuss auf die Wange erschien ihr die beste Antwort darauf. Außer ihrem Bruder hatte sie noch keinen anderen Jungen geküsst und selbst dieser war schon viele Jahre lang nicht mehr in den Genuss eines Gute-Nacht-Kusses gekommen.
Sie schluckte, während sie seine Augen fragend auf ihm ruhend ließ. Frodo rührte sich nicht und das ließ sie unsicher werden, bis sie fast davon überzeugt war, einen Fehler begangen zu haben. Sie hatte es geschafft, Frodo zum Freund zu gewinnen und nun küsste sie ihn, ohne überhaupt zu wissen, ob ihm das recht war. Verlegen ließ sie ihren Blick von einer Ecke in die andere wandern, darum bemüht, Frodo nicht anzusehen. Sie fürchtete seine Reaktion, war beinahe froh, dass er nicht geantwortet hatte, doch zugleich konnte sie es kaum erwarten, dass er aus seiner scheinbaren Erstarrung erwachte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Pippin hatte Recht gehabt und Hanna hatte es gewusst. Er war verliebt. Ein Grinsen stahl sich über seine Lippen. Jetzt war er sich sicher: das Kribbeln war alles andere als unangenehm und hatte ihm schon seit langer Zeit verständlich machen wollen, was ihm erst jetzt klar wurde. Er war verliebt. Aufgeregt nahm er einen Atemzug, während seine Hand zögernd über jene Stelle strich, wo eben noch ihre Lippen geruht hatten. Die Haut war warm, doch schien sie unverändert. Er konnte das Blut in seinen Ohren Rauschen hören, ebenso, wie das Pochen seines Herzens. Seine Gedanken waren wirr und er glaubte, Tage zu benötigen, bis er sie wieder geordnet hatte, doch vergingen nur wenige Momente, ehe er mit zitternder Stimme gestand: "Ich habe dich auch sehr gern."
Überrascht hob Nelke den Kopf und ihre Blicke trafen sich. Ihre Augen schienen im Licht der Lampe zu schimmern. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne zurück, lächelte zaghaft. Frodo konnte den Blick nicht von ihr nehmen und in all der Zeit, wurde sein Lächeln noch breiter. Er hatte nicht vorgehabt, jemals eine feste Freundin zu haben, doch jetzt, da er eine hatte, störte ihn das nicht. Nelke war bestimmt eine gute Freundin und er würde sich auch bemühen, dasselbe für sie zu sein, auch wenn er nicht wusste, was einen guten Freund ausmachte. Im Augenblick störte ihn das jedoch wenig und es hätte ihm genügt, sie für den Rest des Tages anzusehen.



~*~*~



Zwei Wochen waren seit jener Erkenntnis im Geheimgang vergangen. Die ersten Vorbereitungen für die Lithe-Tage hatten bereits begonnen, doch noch schien die Zeit des Feierns fern und der Herr von Bockland war vollends mit der Heuernte beschäftigt. Frodo und Merry waren dieser beschwerlichen Arbeit nur knapp entkommen, indem sie sich freiwillig dazu gemeldet hatten, die Schafe zu hüten.
Da die Weiden unweit des Brandyschlosses bereits von den vielen Nutztieren des Herrn abgefressen oder abgemäht worden waren, mussten Frodo und Merry die Schafe auf eine Wiese weit im Süden führen. Es war nicht immer leicht, die Mutterschafe und ihre Lämmer beisammen zu halten, doch die beiden Hobbits hatten inzwischen viel Erfahrung und meisterten diese Aufgabe mit Leichtigkeit.

Die Sonne lachte warm vom Himmel, als Frodo sich im Schatten einer Buche niederließ und sich einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche gönnte. Merry wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn und lehnte sich an den kräftigen Stamm des Baumes, um müde die Augen zu schließen.
"Solche Schwäche schon am frühen Morgen?", gab Frodo zu bedenken, obwohl von früh längst nicht mehr die Rede sein konnte, war es doch schon fast Zeit für den Elf-Uhr-Imbiss. "Ich bin enttäuscht."
Er kicherte in sich hinein, während er seine heruntergerutschten Ärmel wieder hoch krempelte und sich der Länge nach im Gras ausstreckte. Der Duft von abgemähten Wiesen mischte sich mit dem der Schafe und stieg ihm in die Nase, bis ein Stück Stoff auf seinem Gesicht landete und er die eben noch entspannt geschlossenen Augen erschrocken aufschlug. Merry hatte sich seines Hemdes entledigt und ihm dieses trotzig angeworfen.
"Wenn du glaubst, um so vieles ausdauernder und wacher zu sein, darfst du dich gerne um unser Essen kümmern, anstatt hier faul in der Sonne zu liegen", ließ sein Vetter ihn frech wissen, während er zu ihren Rucksäcken nickte und sich gemütlicher an den Stamm lehnte.
Frodo gähnte herzhaft, warf Merrys Hemd zur Seite und legte die Hände hinter den Kopf.
"Später", tat er kund, denn der Schatten und das kühle Gras waren nach dem anstrengenden Marsch eine Verlockung, der er gerne nachgab.
Merrys Zeh berührte ihn am Kopf, ließ Frodo gestört murren, was seinen Vetter zum Kichern brachte. "Wer selbst zu faul zum Essen ist, soll hungrig bleiben", meinte dieser erheitert, ehe er nach seinem Rucksack langte und sich ein Brot herausfischte, das er genüsslich und geräuschvoll verzehrte, zweifellos, um Frodo zu ärgern.

Frodo ließ sich davon jedoch nicht stören, sondern hing seinen Gedanken nach. In den letzten Tagen hatte er sich häufig mit Nelke getroffen, war beim Kartenspielen unauffällig näher an sie herangerutscht, oder hatte ihre Hand gehalten, wenn keiner hinsah. Jene Hand mit der weichen, blassen Haut, die die Seine in einer solch warmen Berührung umklammert hielt. Die Berührung ihrer Hand war jedoch nichts im Vergleich zu der Sanftheit ihrer Lippen. Nelke hatte ihn nur dieses eine Mal auf die Wange geküsst und alleine die Erinnerung daran ließ ihn erröten. Obwohl er diesen Augenblick genossen hatte, war er froh, dass sie das nicht noch einmal wiederholt hatte. Er wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Natürlich hatte er schon häufig gesehen, wie ein Paar einen Kuss getauscht hatte, nicht zuletzt seine Eltern, doch hatte es nie zu den Dingen gehört, die er selbst tun wollte, erst recht nicht das, was die Tweens beizeiten taten. Die Art wie ihre Lippen sich fanden, empfand er beinahe als widerlich und er war fest entschlossen, seine Lippen niemals in solch einen Kuss zu verwickeln.

"Was geht eigentlich zwischen dir und Nelke vor?"
Frodo schlug überrascht die Augen auf und konnte ein ertapptes nach Luft schnappen gerade noch verhindern. Merry hatte sich unbemerkt auf den Bauch gelegt und stützte seine Hände nun neben seinem Kopf ab, während er die Augen neugierig auf ihm ruhen ließ.
"Nichts", beeilte sich Frodo zu sagen, doch musste er mit Grauen feststellen, dass sich ein wissendes Grinsen auf Merrys Gesicht abzeichnete.

Merry waren die Blicke, die Nelke und sein Vetter tauschten, nicht entgangen. In den vergangenen Tagen war dies noch häufiger der Fall gewesen, als in den Monaten zuvor. Etwas war in Gange, von dem er noch nicht wusste, doch er war fest entschlossen, dies herauszufinden und er würde nicht eher Ruhe geben, bis Frodo ihm alles erzählt hatte.
"Dann hat also nichts sie gestern Abend nach deiner Hand tasten lassen?"
Frodos Wangen färbten sich dunkler und für einen kurzen Augenblick schien er darauf keine Erklärung zu wissen, was Merry ungemein verzückte. Er konnte die Aufregung seines Vetters förmlich in dessen Augen erkennen, als dieser sich aufzurappeln suchte und sich schließlich mit den Ellbogen vom Gras abstützte. Einige Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch das Blätterdach gefunden hatten, ließen verspielte Lichtpunkte über seinen Körper tanzen, verliehen den dunklen Locken hier und da einen hellen Schimmer.
Frodo spürte, wie sein Mund trocken wurde und sein Herz zu pochen begann. Wusste Merry etwa auch schon davon? War seine Nähe zu Nelke denn so offensichtlich? Angespannt dachte er an die vergangenen Tage und kam zu dem Schluss, dass er Nelke zwar häufig getroffen hatte - im Wohnzimmer, im Garten oder beim Kartenspiel - aber selten mit ihr alleine gewesen war. Merry mochte vieles erkennen, doch über seine neu gefundene Liebe hatte er bestimmt nichts in Erfahrung bringen können. Dennoch fürchtete er, dass seine Stimme zittern würde, wenn er antwortete und war beinahe überrascht, als dem nicht so war und seine Worte stattdessen gleichgültig und fast ein wenig verwundert klangen.
"Was Nelke mit ihren Händen macht, kann mir gleich sein."
Er hätte nicht weiter sprechen sollen, doch die Worte, weshalb ihn das interessieren sollte, waren aus seinem Mund getreten, noch ehe er es hatte verhindern können.
Merrys Augen blitzten mit plötzlicher Erkenntnis und Frodo hätte sich fast auf die Lippen gebissen, als ihn die Ahnung, durchschaut zu sein, beschlich. Er hielt den Blick seines Vetters fest, doch was sich in dessen grinsendem Gesicht abzeichnete, gefiel ihm nicht. Er war erwischt worden! Merry hatte ihn ertappt! Konnte er denn nicht einmal so etwas für sich behalten? War er so leicht zu durchschauen?

"Sag mir nicht, dass du dich in sie verliebt hast!"
Merry brachte es fertig, seine Stimme entrüstet, überrascht und erheitert zugleich klingen zu lassen und Frodo wandte geschlagen den Blick ab.
"Nelke?!" rief Merry aus, unfähig, sich länger liegend mit seinem Vetter zu unterhalten, sodass er sich in eine sitzende Position aufrappelte. Er hatte etwas in dieser Art befürchtet, doch nicht geglaubt, dass es tatsächlich eintreffen würde. Nelke war immerhin eines der lästigsten Mädchen, das er kannte und noch dazu Marrocs Cousine und Reginards Schwester.
"Sie ist eine Nervensäge!"
Frodo ließ sich zurück ins Gras sinken. Er hatte verhindern wollen, dass Merry es erfuhr, zumindest vorerst, doch offensichtlich war ihm das nicht gelungen. Merry würde ihn nun Tag und Nacht damit necken, ihm keine Ruhe mehr lassen. Wenn er Pech hatte, würde sein Vetter Nelke ebenfalls ärgern. Es war bereits zu spät, etwas anderes zu behaupten und er musste das Beste daraus machen. Merry war schließlich nicht dumm und wenn er ihm seine Gründe erklärte, würde er ihn vielleicht sogar verstehen. Dass dieser Fall eintraf, glaubte er jedoch nicht wirklich, verstand er es schließlich selbst noch nicht ganz, doch er konnte es versuchen und an Merrys Freundschaft appellieren, in der Hoffnung, er würde sich zumindest ein wenig zurückhalten und nicht sofort das ganze Brandyschloss in die Neuigkeit einweihen, wie es Pippin zweifelsohne tun würde.
"Sie ist eine liebenswerte Nervensäge", versuchte er, das Mädchen zu verteidigen und blickte sowohl hoffnungsvoll als auch entschuldigend zu seinem Vetter auf.
Merry verdrehte die Augen.
"Wenn du dich schon verlieben musst, warum dann nicht in ein vernünftiges Mädchen wie… wie…", er warf die Hände in die Luft, plötzlich bemerkend, dass es keine vernünftigen Mädchen gab. Seine laute, entrüstete Stimme brach, wurde zu einer leisen, verzweifelten. "Warum musst du dich überhaupt verlieben?"
Frodo zuckte mit den Schultern, einen ahnungslosen Ausdruck im Gesicht.

Kopfschüttelnd ließ sich Merry neben seinem Vetter ins Gras fallen, legte den Kopf auf dessen Brust und ließ den Blick auf der Baumkrone ruhen. Er wollte Frodo nicht verlieren, nicht an Nelke. Was fand er überhaupt an ihr? Vor einem Jahr hatte er schließlich noch gejammert, als er sie zur Spielpartnerin bekommen hatte und nun war er der Ansicht, sie zu lieben? Konnte das überhaupt sein? Er seufzte schwer.

Frodo runzelte die Stirn. Merrys Reaktion war nicht die, die er erwartet hatte und für einen Augenblick fragte er sich, ob er sich darüber freuen oder besorgt sein sollte. Als Merry laut aufseufzte, entschied er sich für letzteres, legte die Stirn in Falten und versuchte, einen Blick auf seinen Vetter werfen zu können, was ihm nur schwer gelingen wollte.
"Ist alles in Ordnung?", wollte er wissen. Merry entgegnete nichts, schien mit einem Mal erzürnt und betrübt, als hätte er soeben die schlimmste Nachricht seit langem erhalten. Für einen Augenblick schloss Frodo bekümmert die Augen. Es schmerzte ihn, dass sein Glück Merry traurig stimmte. "Ist das denn so schlimm?"

Enttäuscht, dass sein Vetter nicht länger der war, der ihm zur Seite stand, wenn es darum ging, die Mädchen zu ärgern, war Merry nicht gewillt, ihm zu antworten. Eine Weile blickte er stur zum Himmel, bis ihm klar wurde, dass er keinen Grund hatte, auf Frodo wütend zu sein, denn schließlich hatte sein Vetter ihm soeben sein neustes Geheimnis offenbart, wenn auch nicht ganz freiwillig. Zwar konnte er nicht verstehen, weshalb Frodo seine Meinung über Mädchen geändert hatte, und noch weniger was er an einem Mädchen wie Nelke fand, doch übel nehmen konnte er es ihm auch nicht. Frodo war nun einmal Frodo und auch wenn ihm vieles an seinem Vetter unverständlich erschien, war und blieb er doch sein bester Freund.
Er nahm einen tiefen Atemzug der frischen Luft, während sich ein Lächeln über seine Lippen stahl.
"Nein, das ist es nicht."





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