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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Author notes:
Ich bin kein Heiler und jegliche Behandlungsmethoden, die ich anwende (oder anwenden lasse) basieren auf Recherchen in Bücher und im Internet und ich übernehme keine Verantwortung für die Richtigkeit selbiger.



~*~*~



Kapitel 49: Unerlaubter Besuch



"Frodo, was fällt dir ein!"
Noch ehe Frodo die Flucht ergreifen konnte, packten grobe Finger ihn am Ohr und zogen daran. Ein schmerzvolles Zischen entwich seinen Lippen und er hätte beinahe die Narzissen in seiner Hand fallen gelassen, als er versuchte, sich aus dem schmerzhaften Griff zu winden. Rosamunde zog ihn hinter sich her aus dem Blumenbeet, schimpfte und tadelte und zupfte immer heftiger an seinem Ohr, um ihren Worten Ausdruck zu verleihen.
"… hast du mich verstanden?", schimpfte sie, als sie endlich von seinem Ohr abließ und mit ihrem Finger drohte.
Frodo rieb sich das linke Ohr und blickte zornig in ihre Richtung.
"Spar dir diesen Blick, mein junger Hobbit!" keifte sie. "Und wehe dir, wenn ich dich noch einmal in meinen Blumen erwische!"
Rosamunde wandte sich um und brummte, dass junge Hobbits jeglichen Respekt vor den Pflanzen verloren hatten und nun alles an ihr blieb, den Garten vor achtlosen Kindern zu schützen.

Frodo schnitt eine Grimasse, ehe er sich noch einmal das wunde Ohr rieb. Trotzig blickte er auf die drei Narzissen in seiner Hand, die er gepflückt hatte. Immerhin hatte sie ihm die nicht genommen. Sie wusste ja nicht einmal, wozu er die Blumen brauchte und hatte kein Recht, ihn so zu behandeln. Erneut warf er einen wütenden Blick in die Richtung in die Rosamunde verschwunden war, ehe auch er sich in Bewegung setzte.

Es war ein warmer Frühlingstag, der Rethe war erst vor wenigen Tagen in den Astron übergegangen und die Temperaturen waren nun endlich gestiegen. Vögel zwitscherten und der Duft von Blumen erfüllte die Luft, als Frodo durch die Haupteingangstür im Brandyschloss verschwand. Er verhielt sich so unauffällig wie möglich, als er durch die Gänge schlich, auf dem Weg in das Zimmer seiner Großmutter. Mirabella lag schon seit beinahe zwei Wochen krank im Bett und niemand durfte zu ihr. Fastred hatte Lungenfieber festgestellt und Saradoc hatte daraufhin angeordnet, dass keines der Kinder mehr zu ihr durfte, aus Angst, sie könnten sich bei ihr anstecken. Anfangs hatte sich Frodo nichts dabei gedacht, schließlich kam es häufig vor, dass manche für einige Tage niemanden empfangen durften, da sie eine ansteckende Krankheit hatten und niemand wollte, dass alle Bewohner des Brandyschlosses ebenfalls erkrankten.

Inzwischen aber waren elf Tage vergangen und noch immer bestand das Besuchsverbot für Kinder. Selbst Merry war inzwischen misstrauisch geworden und wollte wissen, weshalb er seine Urgroßmutter nicht besuchen durfte, doch Saradoc gab ihm immer dieselbe Antwort: "Sie ist krank und ich will nicht, dass sie dich oder eines der anderen Kinder ansteckt."
Die Tatsache, dass sie inzwischen schon elf Tage krank war, schien Saradoc dabei überhaupt nicht zu berücksichtigen. Frodo fragte sich, ob nach elf Tagen noch eine Ansteckungsgefahr bestehen konnte und kam zu dem Schluss, dass dem bestimmt nicht so war. Deshalb war er bereits kurz nach dem Frühstück im Garten verschwunden, um einen Strauß Narzissen zu pflücken, den er seiner Großmutter bringen wollte. Allerdings hatte er nicht vermutet, dass Rosamunde sich deswegen so sehr aufregen würde, war es schließlich für einen guten Zweck.

Frodo hielt inne, als er an der Abstellkammer vorüber kam. Die Blumen benötigten Wasser und so holte er eine Vase aus einem Schrank in der Kammer, die er in der Küche mit Wasser füllte, ehe er sich erneut auf den Weg zu seiner Großmutter machte.
Stimmen drangen an sein Ohr und er blieb stehen, spähte vorsichtig um die Biegung, wo Gorbadoc und Fastred gerade aus Mirabellas Zimmer traten.
"Ich weiß es nicht. Es sieht nicht sehr gut aus. Ich wage nicht, ihr ein weiteres Mal etwas von dem Tollkirschengift zu verabreichen. Auch wenn es gering dosiert ist, kann es gefährlich werden und in ihrem Zustand würde ich davon abraten. Im Augenblick können wir nicht viel mehr für sie tun, als abzuwarten und die Behandlungsmethoden beizubehalten."
Gorbadoc seufzte. "Es gibt wirklich nichts, was wir sonst noch tun könnten?"
"Ich fürchte nicht", entgegnete Fastred kopfschüttelnd. "Manchmal sind mir auch als Heiler die Hände gebunden und ich kann nur zusehen und abwarten und hoffen, dass es besser wird."
"Wird es denn besser werden?", Gorbadocs Stimme hatte jeglichen Klang verloren, schien weder Hoffnung noch Hoffnungslosigkeit auszudrücken.
Das tiefe Luftholen Fastreds drang an Frodos Ohr. "Ich weiß es nicht."
Gorbadoc antwortete nicht und führte Fastred wortlos in sein Arbeitszimmer.

Frodo verharrte regungslos in der Ecke und versuchte, die Worte zu ordnen, die er eben vernommen hatte. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Fastred hatte nicht sehr ermutigend geklungen und auch Gorbadoc schien mehr erschöpft und traurig, als hoffnungsvoll. Das ungute Gefühl in Frodos Magen breitete sich aus und verwandelte sich langsam in Angst. Angst davor, wie gut oder schlecht es seiner Großmutter wirklich ging. Stirnrunzelnd blickte er auf die Blumenvase in seiner Hand. Die Entschlossenheit, die er am frühen Morgen noch gefühlt hatte, schien schwächer zu werden und er war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob er Mirabella wirklich besuchen wollte. Frodo schielte den Gang hinunter und für einen Augenblick fragte er sich, ob er froh sein sollte, dass das Arbeitszimmer seines Großvaters noch weiter hinten lag und er deswegen nicht erwischt wurde, oder ob es besser gewesen wäre, Gorbadoc hätte ihn hier entdeckt.

Frodo trat aus der Ecke hervor und tapste zur Zimmertüre seiner Großmutter. Zögernd blickte er sich nach beiden Seiten um, lauschte und griff dann nach dem Knauf, doch öffnete er die Tür nicht sofort.

Dunkelheit hieß ihn willkommen, als er den Knauf vorsichtig drehte und in das Zimmer spähte. Die Vorhänge waren zugezogen und nur ein Feuer im Kamin erleuchtete den Raum. Die Luft im Zimmer wirkte abgestanden und es roch nach Tee, Schweiß und Kräutern. Das Feuer im Kamin prasselte. Es war das einzige Geräusch, das neben den schnellen, schweren, röchelnden Atemzügen Mirabellas noch zu hören war.

Frodo schluckte. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und versuchte verzweifelt, das Gefühl der Angst, das ihn umgab, zu unterdrücken. Leise schloss er die Tür hinter sich und blickte zum Bett, wo er unter Unmengen von Decken seine Großmutter zu erkennen glaubte. Zögernd ging er darauf zu. Auf dem Nachttisch standen eine halbleere Tasse und eine Teekanne. Daneben war ein Teller mit Suppe platziert worden, der offensichtlich unangetastet geblieben war.

Frodo spürte einen Stich in seinem Herzen, als er schließlich neben dem Bett stand und für einen Augenblick stockte ihm der Atem. Mirabella war bis zum Hals zugedeckt. Ihr Gesicht war blass, ihre Lippen bläulich und dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren geschlossenen Augen ab. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn und ihr Gesicht wirkte alt und eingefallen. Ihre weißen Locken lagen stumpf und zerzaust auf dem Kissen und einzelne Strähnen klebten auf ihrer schweißnassen Stirn. Sie hatte ihren Mund leicht geöffnet, doch das Atmen fiel ihr dennoch schwer und jeder Atemzug schien ihr Schmerzen zu bereiten. Frodo erinnerte sich daran, wie sie vor etwas mehr als drei Monaten fröhlich und ausgelassen getanzt hatte und glaubte, nun eine vollkommen andere Frau vor sich zu haben. Dies konnte unmöglich seine Großmutter sein. Seine Großmutter war eine starke, lebensfrohe Frau. Sie konnte nicht so schwach und krank sein, sie durfte es nicht sein.

Eine plötzliche Angst ergriff Besitz von ihm. Rasch stellte er die Blumen auf den Nachttisch und eilte zum Fenster. Warum hatte man das Zimmer verdunkelt? Wie sollte seine Großmutter hier drinnen gesund werden können, wenn der Frühling ausgesperrt wurde? Mit ein wenig warmem Sonnenlicht ginge es ihr bestimmt bald besser. Warum hatte Fastred das nicht schon lange angeordnet?

Ruckartig riss Frodo die Vorhänge zurück und sogleich wurde der Raum von Sonne durchflutet. Geblendet schloss Frodo die Augen. Erst als er sich an das Licht gewohnt hatte, bemerkte er zu seiner Überraschung, dass die Fensterscheiben angelaufen waren. Verwundert runzelte er die Stirn.
"Wer ist da?"
Frodo zuckte zusammen, als er die schwache, raue und zittrige Stimme vernahm. Dies konnte unmöglich die Stimme seiner Großmutter sein, auch wenn sie ihr sehr ähnlich war. Langsam drehte er sich zum Bett um, ging dann zögernd darauf zu. Mirabella hatte ihre müden Augen geöffnet und blickte sich nun verloren im Zimmer um. Ihre rechte Hand war unter der Bettdecke hervorgerutscht. Frodo ergriff sie und erschrak ob der Kälte der zittrigen Finger. Ohne ihn wirklich wahrzunehmen, wandte Mirabella sich ihm zu. Frodo kniete nieder um auf ihrer Augenhöhe zu sein und legte auch seine andere Hand um ihre kalten Finger.
"Ich bin es, Großmutter, Frodo", wisperte er, einen Hauch von Angst in der Stimme.
Mirabella sah ihn an, doch ihr Blick war leer.
"Oma?"
Mirabellas Augen hellten sich plötzlich auf und für einen kurzen Moment huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. "Frodo, mein Kind. Wie schön dich zu sehen."
Sie hob ihre Hand, wollte seine Wange berühren, fand jedoch die nötige Kraft nicht. Frodo ergriff ihre Hand und lehnte sich ein wenig nach vor, um ihr die Berührung zu ermöglichen. Er schloss die Augen, als er ihre kalte Haut auf der seinen spürte. Erst als die Hand seiner Großmutter sie verwischte, spürte er, dass ihm eine Träne über die Wange lief.
Auch Mirabella schien dies zu spüren, denn ihre Stirn legte sich in Falten. Schwach sank ihre Hand wieder auf das Bett zurück, wo Frodo sie zärtlich umklammert hielt und sie zu wärmen versuchte.
"Du weinst, Kind", flüsterte sie. "Was bedrückt dein Herz?"
"Du bist krank", wisperte er und drückte ihre Hand etwas fester.
"Jeder wird in seinem Leben früher oder später einmal krank, Frodo", antwortete sie, ehe sie keuchend nach Luft rang. "Das bleibt keinem erspart."
"Aber…", Frodos Finger strichen verzweifelt über die kalte, knochige Hand Mirabellas, "du bist schon so lange krank. Du musst doch inzwischen wieder gesund sein."
Mirabellas Atmung klang schwer, als sie keuchend antwortete: "Ich bin alt, Kind. Manche Dinge brauchen nun einmal mehr Zeit, wenn man älter wird."
Frodo schluckte und wischte sich die Träne weg, die Mirabella zuvor verwischt hatte. Erneut griff er nach ihrer Hand, die sich zu weigern schien, die Wärme seiner eigenen Hände anzunehmen.
"Es wird dir also bald wieder besser gehen?", fragte er und versuchte das Gespräch zwischen Fastred und Gorbadoc, das er mitangehört hatte, aus seinen Gedanken zu verdrängen.
Mirabella antwortete nicht. Sie hatte ihre Augen geschlossen und rang nun mit schnellen, kurzen Atemzügen nach Luft.
"Oma?", flüsterte Frodo tonlos und rieb stärker an ihrer Hand. Ihre Art zu atmen, beunruhigte ihn.
"Du bist hier unglücklich, Kind", flüsterte sie.
Frodo hob überrascht den Kopf und blickte in ihre liebevollen Augen. Mirabella hob erneut die Hand und Frodo führte sie an seine Wange.
"Ich sehe es manchmal in deinen Augen. Was ist es, das dich so traurig sein lässt?"
Ein Zittern durchlief ihn, doch ob von der Kälte ihrer Hand, oder von dem Wissen, das in ihren Worten steckte, wusste er nicht zu sagen.
"Ich bin nicht unglücklich", erklärte er dann und lehnte sich etwas mehr in ihre Berührung.
Ein kurzes, gequältes Lächeln zeigte sich auf Mirabellas blassem Gesicht, ehe sie keuchend und mit leiser Stimme fortfuhr. "Du brauchst es nicht zu verheimlichen, Frodo. Ich weiß es bereits. Doch bitte, sag deiner alten Großmutter, was dir dein Herz schwer macht."
Frodo sah sie lange an, während sich ihre Worte in seinem Kopf immer und immer wieder wiederholten. Ihre Hand rutschte von seiner Wange und Frodo legte sie vorsichtig wieder auf das Bett, ohne auch nur ein einziges Mal von ihren noch immer kalten Fingern abzulassen. Ihr keuchender Atem klang in seinen Ohren und er schloss für einen Augenblick die Augen. Etwas rührte sich in ihm, stärker, als je zuvor und er wünschte sich plötzlich nichts mehr, als ein langes Gespräch mit ihr zu führen und ihr jede einzelne Sorge, die auf seinem Herzen lastete, anzuvertrauen. Eine weitere Träne stahl sich aus seinen Augenwinkeln und noch ehe er wusste, was er sagte, begann er zu sprechen.
"Niemand liebt mich. Niemand liebt mich so, wie mein Vater, wie meine Mutter es getan haben. Keiner kommt abends zu mir, um mir eine gute Nacht zu wünschen. Keiner nimmt mich grundlos in den Arm. Keiner…"
Er hätte die Liste noch lange fortführen können, doch der schmerzliche Ausdruck, der sich auf Mirabellas Gesicht zeigte, ließ ihn inne halten. Er biss sich auf die Lippen. Nie hätte er ihr dies sagen dürfen, erst recht nicht in einer solchen Situation. Plötzliche Angst ergriff ihn und er wünschte sich, er wäre niemals in Mirabellas Zimmer gekommen, sondern von Gorbadoc erwischt und fortgeschickt worden. Er wollte gerade aufstehen, als sich Mirabellas schwache Finger um die seinen schlossen. Erschrocken blickte Frodo in ihr Gesicht. Mirabella keuchte, schnappte verzweifelt nach Luft. Eine einzelne Träne trat aus ihren geschwollenen Augen, rann über ihr Ohr und tropfte dann auf ihr Haar.
"Es tut mir Leid, Frodo", wisperte sie mit schwacher Stimme. "Ich hätte wissen müssen, dass das alles zuviel für dich war. Nach dem Tod deiner Eltern hätte ich…", sie keuchte, "… ich hätte mich viel mehr um dich kümmern müssen."
"Nein, Oma", Frodo schüttelte vehement den Kopf. "Das ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür. Wie hättest du es denn auch wissen sollen. Ich wusste es ja selbst nicht. Ich meine…", Frodo hielt inne, suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, um sie nicht noch trauriger zu machen. Es brach ihm das Herz, sie so zu sehen.
"Ich bin deine Großmutter, Frodo", flüsterte sie mit zittriger Stimme. Ein glänzender Schleier aus Tränen lag auf ihren Augen. Sie schnappte nach Luft, um weiter zu sprechen, doch Frodo ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
"Nein, du kannst nichts dafür. Das ist alles meine Schuld. Ich … du, du warst immer gut zu mir", stotterte er, "und ich sollte das zu schätzen wissen, doch stattdessen jammere ich und… das ist nicht richtig. Es tut mir Leid. Ich hätte das nicht sagen sollen und du, du solltest nicht weiter darüber nachdenken. Wirklich nicht. Es ist völlig, völlig…", Frodo stockte und schnappte nach Luft. "Es ist dummes Geschwätz."
Frodo hatte zu zittern begonnen, so aufgewühlt war er. Er hatte seine Großmutter nicht zum Weinen bringen wollen, erst recht nicht jetzt, da sie so schwach und krank war. Wie hatte er ihr das nur antun können?
Tränen sammelten sich in seinen Augen, als er sich näher an sie heranbeugte und flüsterte: "Bitte, Oma, weine nicht. Bitte nicht."
Mirabella hob die Hand und berührte Frodos Wange. "Mein liebes Kind. Es tut mir Leid. All das tut mir so schrecklich Leid." Frodo schüttelte den Kopf und wollte ihr erneut widersprechen, als sie zu husten begann. Ihre Hand sank auf die Bettdecke und sie schloss die Augen, das Gesicht ein Bildnis des Schmerzes. Es dauerte einige Zeit, bis der Hustenanfall vorüber war und sie keuchend wieder zu Atem kam.
"Komm, umarme deine Großmutter so lange du es noch kannst", bat sie dann mit zittriger Stimme.
"Was redest du denn da?", schimpfte Frodo, umarmte sie aber trotzdem, so fest er es in ihrem schwachen Zustand wagte. Ihre Wange berührte die seine und Frodo spürte, dass sie Fieber hatte. "So etwas darfst du nicht sagen. Du wirst wieder gesund."
"Nein, Frodo", flüsterte sie und ihre keuchenden Atemzüge kitzelten sein Ohr. "Ich fühle es. Die Schatten des Todes sind nahe. Spürst du sie, mein Kind? Es wird kalt und alles verschwimmt in Dunkelheit."
Frodo ließ sie los und sah sie entgeistert an. "Hör auf, solchen Unsinn zu reden, Großmutter."
Er sagte es ihr nicht, doch ihre Worte jagten ihm Angst ein. Eine Angst, die sich durch Mark und Bein schlich und ihn vor Kälte erstarren ließ.

Mirabella begann erneut zu husten. Sie röchelte und gab ein ersticktes, gurgelndes Geräusch von sich, als der Hustenanfall vorüber war. Frodo ergriff erneut ihre Hand, als er plötzlich bemerkte, dass Blut aus ihren Mundwinkeln lief. Erschrocken sprang er auf, die Augen weit aufgerissen. Ohne nachzudenken eilte er zur Tür. Er musste sofort Fastred und seinen Großvater holen.
"Frodo, geh nicht", keuchte Mirabella und Frodo blieb stehen, blickte ängstlich auf das Bett und überlegte, ob er auf sein Gefühl oder auf seine Großmutter hören sollte.
"Lass mich nicht allein", bat sie, ehe sie erneut zu husten begann.
Frodo entschied sich, dennoch auf sein Gefühl zu hören, riss die Tür auf und rannte geradewegs in Gorbadocs Arme. Gorbadoc sah ihn verwirrt an, doch dann hörte er Mirabellas Husten, stieß ihn beiseite, eilte hinter Fastred in das Zimmer und schloss die Tür.

Frodo, der durch Gorbadocs rasche Bewegung zu Boden gestolpert war, starrte einige Zeit schweigend auf die verschlossene Tür. Mirabellas ersticktes Husten war noch immer zu hören und Frodo schloss ängstlich die Augen. Er hatte erneut zu zittern begonnen, sollte er jemals damit aufgehört haben, seit er seine Großmutter zu überzeugen versucht hatte, dass sie keine Schuld an dem trug, was er ihr gesagt hatte. Wie hatte er nur so dumm sein können, ihr diese Worte anzuvertrauen? Dinge, die er schon seit so langer Zeit geheim hielt. Warum musste er ihr es sagen? Warum ausgerechnet in einem Augenblick wie diesem? Wenn ihr nun etwas geschah, weil seine Worte sie zu sehr aufgeregt hatten?
Frodo rutschte an die Wand zurück, lehnte sich dagegen, schlang die Arme um die Beine und ließ sein Kinn auf seinen Knien ruhen. Er erschauderte, als er an das Blut dachte, das aus Mirabellas Mund gelaufen war. Warum hatte sie plötzlich geblutet? Was war mit ihr geschehen? Ob sie wieder gesund werden würde? Würde sie ihm seine Worte übel nehmen, wenn sie sich überhaupt noch an das Gespräch erinnerte?
So viele Fragen kreisten in seinem Kopf und auf keine wusste er eine Antwort.

"Die Schatten des Todes sind nahe. Spürst du sie, mein Kind? Es wird kalt und alles verschwimmt in Dunkelheit."
Ihre Worte hatten ihn in so große Angst versetzt, er konnte die Kälte in seinen Knochen noch immer spüren. Sie durfte nicht sterben. Frodo lauschte, doch konnte er Mirabella nun nicht mehr husten hören. Es war still geworden im Zimmer und Frodo hoffte, dass Fastred seiner Großmutter hatte helfen können und etwas gegen das Blut unternommen hatte. Er blickte zum Türknauf, überlegte, ob er hinein gehen sollte, um nachzusehen, wie es Mirabella ging, entschied sich dann aber dagegen. Sein Großvater würde bestimmt wütend werden, wenn er noch einmal in ihr Zimmer ging, wo doch schon sein erster Besuch verboten gewesen war. Mit einem leisen Seufzen stand er auf und ging den Gang entlang. Frodo war gerade um die Ecke gebogen, als er hörte, wie eine Tür geöffnet wurde und inne hielt. Er spähte noch einmal zurück und sah, dass Fastred aus dem Zimmer getreten war, das Gesicht blass, die Augen leer und voller Trauer.
Frodo schluckte und trat einige Schritte zurück, bis seine Schultern die Wand berührten. Er kannte diesen Ausdruck, hatte ihn oft gesehen. Viele Hobbits hatten so ausgesehen und voller Mitleid zu ihm herüber geblickt, als er an jenem Abend vor fünfeinhalb Jahren am Brandywein gestanden war und von Saradoc davon abgehalten wurde, zu seiner Mutter zu gehen. Frodo schnappte nach Luft, spürte Tränen in sich aufsteigen. Warum war er zu ihr gegangen? Weshalb hatte er ihr gesagt, dass er sich nicht geliebt fühlte? Sie hatte sich die Schuld dafür gegeben und jetzt, noch ehe Frodo sie hatte vom Gegenteil überzeugen können, war sie gestorben. Sie war tot. Frodo schnappte erneut nach Luft und spürte, wie seine Knie weich wurden und er der Wand entlang zu Boden glitt.
"Sie kann doch nicht einfach so sterben", flüsterte er, ohne zu bemerken, dass er seine Gedanken laut aussprach.
Fastred blickte überrascht zu ihm herüber und schloss gequält die Augen. Frodo starrte den Heiler an und Tränen traten in seine Augen, doch weinte er nicht. Er blickte einfach nur zu Fastred und schüttelte den Kopf. "Du bist ein Heiler. Wie konntest du das zulassen? Warum hast du sie nicht geheilt?"
Fastred trat an ihn heran. "Es tut mir Leid, Frodo, doch ich kann nicht jedem helfen."
Wut funkelte in Frodos Augen, als er sich mühevoll erhob. Seine Knie zitterten noch immer, als er sich langsam von Fastred entfernte. "Ihr hättest du helfen müssen."
Dann begann er zu laufen, ohne eine Antwort abzuwarten. Es war alles seine Schuld.





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