Stories of Arda Home Page
About Us News Resources Login Become a member Help Search

Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 33: Stummes Flehen



Ende Solmath 1383 AZ:



Fünf Wochen daheim und schon ist alles wieder wie zuvor. Nun, nicht gar alles. Manche Dinge haben sich geändert. Merry, zum Beispiel, verbringt viel mehr Zeit mit seinem Vater. Er meint, Saradoc zeige ihm, welche Aufgaben man als Herr von Bockland erfüllen muss und er dürfe ihm dabei helfen, manche Dinge zu erledigen. Es scheint ihm sehr viel Spaß zu machen, doch ich bezweifle, dass er Saradoc eine große Hilfe ist. Welche Aufgaben könnte Merry denn übernehmen? Worin bestehen Saradocs Aufgaben überhaupt? Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, dass er meist sehr beschäftigt ist und trotzdem er über alles Bescheid weiß, was sich im Brandyschloss abspielt, zumindest, wenn es Merry oder mich betrifft. Oder bemerke ich es nur dann und er ist über noch viel mehr Dinge informiert?
Im Augenblick passiert hier wenig. Seit über einer Woche regnet es nun schon und es ist furchtbar kalt. Das einzig Gute daran ist, dass die Abende am Kamin verbracht werden, wo Gorbadoc meist eine Geschichte erzählt. Seine Geschichten sind natürlich nicht halb so gut, wie die von Bilbo, aber zumindest Merimas scheinen sie zu begeistern, wenn der Kleine einmal so lange aufbleiben darf, um sie zu hören.
In der Zeit in der ich weg war, ist er ein ganzes Stück gewachsen. Er hat mich gar nicht wirklich erkannt, als ich zurückgekommen bin, doch schon nach dem zweiten Nachmittag, an dem ich mit ihm spielte, war wieder alles beim Alten. Hanna ist froh, wenn ich ihr mit Merimas helfe. Sie ist schwanger und erwartet bereits in den nächsten vier Wochen Nachwuchs. Noch ein Baby! Ich frage mich, wie sie das alles schaffen will. Marmadas hilft ihr, wo er kann und ich könnte ja auch weiterhin auf Merimas aufpassen, wenn ihr das Recht ist.



Frodo legte die Feder weg und versteckte das Buch, als er hörte, dass jemand an der Tür war. Es hatte noch keiner geklopft, als die Tür etwas unbeholfen geöffnet wurde. Frodo drehte sich verwundert um und erblickte Merimas, der stolpernd eintrat. Der kleine Hobbit kaute an einem Holzring, den er mit seiner rechten Hand fest umklammert hielt und trat neugierig an ihn heran.
"Na, mein Kleiner", Frodo begrüßte ihn und beugte sich zu ihm hinab, "langweilst du dich auch?"
Merimas lächelte und murmelte etwas Unverständliches in den Kauring, den er nicht aus dem Mund nehmen wollte.
Frodo hob ihn hoch und setzte ihn auf seinen Schoß. Merimas war erfreut darüber, bot ihm sogar einen Holzring an, doch Frodo lehnte dankend ab, als er plötzlich Hanna nach ihrem Sohn rufen hörte. Sofort stellte er den kleinen Hobbit auf den Boden, nahm ihn bei der Hand und führte ihn aus dem Zimmer.
"Suchst du diesen kleinen Ausreißer?", fragte er.
Hanna stand unter einer Lampe, wandte sich überrascht um. Erleichtert atmete sie auf, als sie Merimas bei ihm erkannte. Der Kleine grinste über das ganze Gesicht, als er zu seiner Mutter lief, die ihn mit offenen Armen empfing.
"Da lässt man dich eine Minute aus den Augen und schon bist du wieder in Frodos Zimmer verschwunden", schimpfte sie.
Merimas sah sie entschuldigend an, bot ihr zur Wiedergutmachung seinen Holzring an, doch Hanna schüttelte den Kopf und wuschelte ihm mit einem Seufzen durch die Haare.
"Das ist schon in Ordnung", meinte Frodo, der die beiden lächelnd beobachtete. "Ich hatte ohnehin nichts zu tun."
"Trotzdem darf er nicht einfach in die Zimmer anderer gehen. Wo würde das denn hinführen?"
Frodo überlegte einen Augenblick, zuckte schließlich mit den Schultern.



~*~*~



Stunden später schlurfte Frodo suchend durch die Hallen des Brandyschlosses. Er hatte Merry seit dem Mittagessen nicht mehr gesehen. Ob sein Vetter wohl noch immer damit beschäftigt war, Saradoc zu helfen? Der Herr von Bockland hatte über die Wintermonate mehr Zeit für seine Familie und da war es nur verständlich, dass er diese meist mit seinem Sohn verbrachte. In gewisser Weise beneidete Frodo Merry darum.
"Frodo! Da bist du ja! Ich habe dich bereits gesucht. Meine Eltern und einige andere sitzen in der Küche und essen Kuchen. Kommst du mit?"
Merry war von hinten auf ihn zugerannt, hatte ihn sogleich bei der Hand genommen und zog ihn nun Richtung Küche, sodass eine Antwort nicht mehr von Nöten war.

Die beiden Hobbits saßen, mehr oder weniger schweigend, am Tisch und aßen ein Kuchenstück nach dem anderen. Der Raum war von Lampen hell erleuchtet und ein knisterndes Feuer schenkte ihm eine behagliche Wärme. Überrascht hob Frodo den Kopf, als der Teekessel pfiff und Mirabella sich anschickte, diesen vom Feuer zu nehmen.
Gorbadoc lachte. "Ihr schaufelt, als hätte man euch in den letzten zwei Tagen hungern lassen. Bekommt ihr denn zu wenig zu essen?"
Merry nickte fleißig und schob sich den letzten Bissen seines Kuchenstückes in den Mund, während er einen auf Zustimmung bedachten Blick mit Frodo tauschte, der ihn mit einem schiefen Grinsen bedachte, dann jedoch kichernd nickte.
Saradoc warf den beiden einen vollkommen verdutzten Blick zu, sorgte er doch dafür, dass niemand unter seinem Dach hungern musste, doch brachte er die Kinder dadurch nur noch mehr zum Kichern. Mit einem resignierenden Seufzen schüttelte er schließlich den Kopf, woraufhin Esmeralda ihm tröstend auf die Schulter klopfte.
"Dein Sohn, Saradoc. Er ist dein Sohn", sagte sie mit einem Lächeln.
"Ja, dein Sohn", meinte Merry ernst, lehnte den Kopf an Saradocs Arm und sah mit einem dämlichen Grinsen zu seinem Vater auf.
Saradoc nickte bitter, setzte das gleiche dumme Grinsen auf und legte seinen Arm um Merry, der sich aus der vermeintlichen Umarmung nicht mehr zu befreien musste.

Frodo lachte, als er die beiden herumalbern sah und doch spürte er, wie sich tiefe Traurigkeit in ihm regte. Er schluckte sie hinunter, versuchte, sie nicht zu beachten.
"Hilf mir, Frodo!" keuchte Merry, mit einer Stimme, als wäre er dem Tode nahe. Seine Finger krallten sich an Frodos Ärmel fest während er seinen Vetter mit großen, verzweifelten Augen betrachtete.
"Du bist sein Sohn", murmelte Frodo, in dessen Stimme ein Hauch von Melodramatik mitklang. Voll hoffnungslosem Mitleid blickte er in die Hilfe suchenden, grünen Augen. "Ich kann dir nicht helfen."
Merry sah ihn entsetzt an. Er schnappte ein letztes Mal nach Luft, ehe er die Augen schloss und sich auf den Schoß seines Vaters sinken ließ.
Die Augen aller waren auf Vater und Sohn gerichtet und in manch einem Gesicht zeigte sich ein erheitertes Grinsen. Eine gespannte Stille war ausgebrochen, die nur vom Knistern der Flammen gestört wurde.
Saradoc warf sowohl Frodo, als auch seiner Frau einen verschmitzten Blick zu, der Frodo sehr an seinen Vetter erinnerte, dann rutschte er mit seinem Stuhl ein Stück vom Tisch weg. Merry, der sich noch immer nicht rührte, zog er ganz einfach mit sich.
"Was könnte ich jetzt nur machen?", murmelte der Herr nachdenklich, während seine Hand zu Merrys Bauch wanderte. Er wartete einige Sekunden, bevor er ihn in die Seite knuffte. Merry zuckte erschrocken zusammen und stieß Saradocs Hand weg. Doch dieser beließ es nicht bei einem leichten Zwicken, sondern kitzelte Merry, der entsetzt aufsprang. Dabei verlor dieser jedoch das Gleichgewicht, stolperte rückwärts und landete schließlich auf dem Boden.
Frodo brach in schallendes Gelächter aus, das er sich verzweifelt zu verkneifen versuchte, nachdem sein Vetter ihm einen missbilligenden Blick zu warf. Er war jedoch nicht der Einzige, der lachte, denn alle, der am Tisch sitzenden Hobbits, hatten das Schauspiel beobachtet und fanden es nicht weniger amüsant.
Saradoc half seinem Sohn wieder auf die Beine, doch dieser hatte inzwischen andere Pläne und, anstatt sich wieder an den Tisch zu setzen, schnappte er sich Frodo und die beiden gingen in eines der Wohnzimmer, wo sie den Rest des Nachmittags vor dem Kamin verbrachten und Kartenhäuser bauten.

Auch nach dem Abendessen setzten sie sich wieder vor den Kamin eines Wohnzimmers und hofften, dass Gorbadoc eine seiner Geschichten erzählen würde. Der alte Hobbit hatte jedoch keine Lust dazu und vertröstete sie auf den nächsten Tag.
So saßen sie alleine zusammen, der warme Schein des Feuers im Rücken, der weiche Duft von Zedernholz in den Nasen, umgeben vom sanften Licht des Leuchters, das dem Wohnzimmer zusätzliche Behaglichkeit verlieh.
Merry erzählte, dass er Saradoc am nächsten Tag beim Durchgehen der Post und diversen anderen Kleinigkeiten behilflich sein durfte, nachdem der allmorgendliche Unterricht vorüber war.
"Für gewöhnlich erledigt Papa diese Arbeiten morgens", ließ Merry ihn wissen, "doch weil er meine Hilfe braucht, verschiebt er sie auf den Nachmittag."
Ein stolzes Grinsen zierte sein Gesicht, doch Frodo wirkte überhaupt nicht begeistert, sah ihn stattdessen entgeistert an. "Aber morgen wollten wir doch gemeinsam nach etwas suchen, um uns die Langeweile zu vertreiben, die hier schon seit über einer Woche herrscht. Wir wollten reiten gehen, wenn es einige Zeit aufhört zu regnen."
Merry wirkte überrascht, runzelte verwundert die Stirn. "Das hatte ich vollkommen vergessen", gestand er betrübt, sah ihm dann jedoch hoffnungsvoll in die Augen. "Können wir es auf übermorgen verschieben?"
Unsicher und zugleich enttäuscht, sah Frodo seinen Vetter an. "Übermorgen?"
Merry nickte eifrig.
"Du wirst es nicht vergessen?"
"Bestimmt nicht", versicherte der Sohn des Herrn.
"In Ordnung", meinte Frodo schließlich, wobei er sich nicht anmerken ließ, wie enttäuscht er eigentlich war. Dennoch senkte er betrübt den Kopf, als Merry ihm voller Freude um den Hals fiel und verkündete, dass er der Beste sei.



~*~*~



Er hat es vergessen. Er vergisst in letzter Zeit viel zu oft, wann wir gemeinsam etwas geplant hatten. Ob es daran liegt, dass ich so lange weg war?
Saradoc lässt ihn oft bei der Arbeit helfen. Zu oft. Ich darf dann den Nachmittag alleine verbringen und sehen, womit ich die Zeit am besten totschlage.
Er albert mit ihm herum.
Wie oft habe auch ich mit meinem Papa, auf genau dieselbe Art und Weise, herum gealbert. Warum vermisse ich sie noch immer so sehr? Ist es, weil ich zuviel nachdenke?
Warum sitze ich hier allein? Ich bin dazu verdammt allein zu sein. Allein mit meinen Gedanken. Aber diese sind schrecklich. Ich will es nicht, ich will es wirklich nicht. Ich habe nicht das Recht, so zu denken. Warum mache ich es dennoch?
Aufhören, ich muss aufhören, darüber nachzudenken.
Es geht nicht, wie so oft.
Bin ich undankbar, wenn ich so denke? Ich beneide ihn. Ich beneide ihn sogar sehr. Er hat all das, was ich gerne wieder hätte und ist sich dessen nicht einmal bewusst.
Er hat gesagt, ich wäre der Beste. Das würde er nicht mehr, würde er wissen, wie ich denke. Ich habe ihn in den letzten Tagen beobachtet. Er genießt die Zeit mit seinen Eltern, vergisst dann meist alles um sich herum. Ich mache ihm keinen Vorwurf, es ist nur...



Frodo seufzte und klappte das Buch zu. Wie er es am vergangenen Abend befürchtet hatte, hatte er diesen Tag wieder alleine verbracht. Nach dem Unterricht war er in die Bibliothek gegangen und hatte sich ein Buch geholt mit dem er sich auf der Holzbank vor dem einzigen Kachelofen im Brandyschloss niedergelassen hatte.
Merry war er nach dem Mittagessen nicht wieder begegnet, doch wann immer er an seinen Vetter gedacht hatte, hatte sich seine Miene verfinstert.
Ärgerlich über seine eigenen Gedanken, warf Frodo sich auf das Bett. War es jetzt tatsächlich schon soweit gekommen, dass er Merry die Zeit mit seiner Familie neidig war?
Er griff nach seinem Bild. Wie lange war es her, dass ihn jemand so in den Arm genommen hatte, wie es seine Eltern auf der Zeichnung taten?
Er musste nicht lange nachdenken. Wirklich in den Arm genommen worden, war er das letzten Mal von Bilbo, vor mehr als einem halben Jahr. Von Bilbo selbst hatte er nichts mehr gehört, seit er ihm geschrieben hatte, dass er zu Pippin gehen würde. Frodo überlegte einen Augenblick. Inzwischen musste sein Brief angekommen sein, in dem er berichtete, dass er nun wieder zurück war.

Es klopfte an der Tür und Esmeralda trat ein, bat ihn, zum Abendessen zu kommen. Frodo nickte stumm, doch anstatt vorauszugehen, während er sein Bild wieder auf den Nachttisch stellte, kam Esmeralda zu ihm, setzte sich neben ihm auf das Bett.
"Was ist los, Frodo? Du bist so schweigsam", fragte sie und für einen kurzen Augenblick glaubte Frodo, Sorge aus ihrer Stimme zu hören. Verwundert sah er zu ihr auf, doch weder ihre Augen, in denen sich die Flamme der Kerze spiegelte, noch ihr Ausdruck, ließen ihn erahnen, was sie dachte. Ein wenig enttäuscht, wandte er den Blick ab, zuckte mit den Schultern.
Esmeralda lächelte mitfühlend, strich ihm über den Hinterkopf. "Nach dem Abendessen geht es dir bestimmt wieder besser", versuchte sie ihn aufzuheitern. "Du solltest nicht den ganzen Tag allein in deinem Zimmer sitzen."
Er nickte schwach, doch verdrehte er genervt die Augen und konnte nur knapp verhindern, dass sich seine Hände zu Fäusten ballten, die seinen Neid auf Merry verraten hätten. Ohne ein Wort zu sagen, ließ er sich schließlich von Esmeralda ins Esszimmer führen.

Später am Abend fand Frodo sich im Wohnzimmer wieder. Gemeinsam mit Merry saß er in einer Ecke, der goldene Schein einer Wandlampe im Gesicht, während sein Vetter ihm aufgeregt von diesem und jenem Erlebnis des vergangenen Tages berichtete. Frodo hörte ihm jedoch nicht wirklich zu, nickte nur gelegentlich, um anzudeuten, dass er noch aufmerksam war.
Aufmerksam war er, aber seine Beachtung galt nicht Merry. Er war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, während er seine Augen durch das Zimmer schweifen ließ.
Keiner war alleine. Es hatten sich Gruppen gebildet, mit mindestens zwei oder drei Hobbits. Er war auch nicht allein. Merry saß bei ihm, doch dieser schien so vertieft in seine eigenen Worte, dass er nicht einmal bemerkte, dass Frodo nicht zuhörte. Es stimmte ihn traurig, machte ihm das Herz schwer, doch nicht einmal der betrübte Ausdruck in seinen Augen schien seinem Vetter aufzufallen, wie das früher immer der Fall gewesen war.
Frodo seufzte leise, ließ seinen Blick wieder über die anwesenden Hobbits wandern und bemerkte, dass Gorbadoc sich in seinen Sessel setzte und seine Pfeife stopfte.
"Komm mit!"
Anders als seine Traurigkeit, war Gorbadocs leise Vorbereitung, eine Geschichte zu erzählen, nicht unbemerkt an Merry vorüber gegangen. Sein Vetter zupfte an seinem Ärmel und rannte zum Kaminsims, wo Esmeralda und Saradoc saßen. Frodo ließ ihn laufen, blieb alleine in der Ecke sitzen, während er schweigend beobachtete, wie sein Großvater sich räusperte und schließlich mit einer Erzählung begann.
Im ganzen Raum war es still geworden. Alle lauschten gespannt, was der alte Hobbit dieses Mal zum Besten geben würde und Gorbadocs Erzählstimme drang laut und deutlich in jede Ecke des Zimmers, wurde nur gelegentlich von einem Husten oder einem Niesen eines erkälteten Bewohners unterbrochen. Die weichen, melodischen Worte klangen in seinen Ohren, doch noch ehe Frodo ihre Bedeutung klar wurde, waren sie ihm wieder entfleucht.
Seine Gedanken kreisten und er versuchte verzweifelt, ihnen zu entfliehen.
Frodos Blick fiel auf Merry, der es sich zwischen seinen Eltern bequem gemacht hatte und gespannt der Geschichte lauschte, offensichtlich gleichgültig, dass er nicht bei ihm war. Auch Nelke und Reginard saßen neben ihren Eltern. Selbst Merimas war noch auf, hatte sich in die Arme seines Vaters gekuschelt und kämpfte gegen seine schweren Lider. Frodo war umgeben von Familien, von Paaren, die sich verliebte Blicke zuwarfen und von Kindern, deren Eltern einen schützenden Arm um deren Schultern gelegt hatten.
Verzweifelt schüttelte Frodo den Kopf und schloss die Augen. Er hatte nicht das Recht, eifersüchtig zu sein. Er sollte so etwas nicht denken. Mit einem Satz sprang er plötzlich auf und ging aus dem Zimmer. Hier hielt er es nicht länger aus, nicht allein.
Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass Merry ihm fragend hinterher sah, doch sein Vetter blieb sitzen. Frodo bemerkte nicht, dass Hanna sich kurz nach ihm erhob und ihm folgte.

Wie blind eilte er durch die Gänge des Brandyschlosses, verlangsamte seinen raschen Schritt erst, als er in den östlichen Gang trat. Kaum jemand war ihm begegnet, lauschten doch die meisten Gorbadocs Erzählung. Betrübt senkte er den Kopf, hielt einen Augenblick seufzend inne. So sehr er sich auch daran zu gewöhnen versuchte, es schmerzte, alleine zu sein, niemanden zu haben, der einen schützenden Arm um ihn legte und ihn festhielt, wenn er traurig war.

"Leistest du mir ein wenig Gesellschaft?"
Frodo fuhr überrascht herum, als er Hannas Stimme vernahm. Ihre liebevollen Augen musterten ihn, während sie an ihm vorüber ging, das helle, braune Haar schimmernd im Licht der Lampen.
Nicht jetzt; zu viele Gedanken. Nicht jetzt!
Sein Kopf wehrte sich beständig gegen ihre Bitte, doch noch ehe er etwas erwidern konnte, trugen seine Beine ihn in jenes Zimmer, welches einst seinen Eltern gehört hatte.
Im Kamin brannte ein Feuer, das bereits am Ausgehen war und sein schwacher Schein tauchte den Raum in ein sanftes Licht. Hanna setzte sich in den Sessel davor und bat Frodo, etwas Holz hinzu zu geben, um das Feuer wieder neu zu entfachen, da sie selbst nicht mehr dazu in der Lage war. Ihr Leib hatte sich gerundet und ihr Bauch war zu einer Belastung geworden. Ihre Hand ruhte auf ihrem ungeborenen Kind, als sie Frodo lächelnd betrachtete, während er ihrer Bitte wortlos nachkam.
Nachdem er die Zange, mit der er die Glut neu schürte, wieder in die Halterung gesteckt hatte, trat er einige Schritte zur Seite, sah sie unsicher an, die Stirn leicht in Falten gelegt. Ungeduldig wartete Frodo darauf, ob Hanna noch weitere Aufgaben für ihn hatte, oder ob er nun gehen konnte. Er fühlte sich unwohl, hatte ein nervöses Kribbeln im Magen.
Was machte er hier? Weshalb war er her gekommen? Am liebsten hätte er sich entschuldigt und wäre gegangen, doch er blieb. Mit gesenktem Kopf und betrübten Augen stand er neben der Tür, das Gewicht unruhig von einem Bein auf das andere verlagernd.
"Komm zu mir, Frodo", bat Hanna mit sanfter Stimme.
Zögernd trat Frodo näher. Sie ergriff seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Verwundert sog Frodo die Luft ein, wollte seine Hand wegziehen, doch Hanna bedeutete ihm, sie dort zu lassen.
"Fühlst du das?", frage sie, während sie ihn eindringlich betrachtete.
Frodo starrte mit gerunzelter Stirn auf ihren Bauch, als könne ihm das helfen, etwas zu spüren, aber er fühlte nichts. Doch, halt! Beinahe erschrocken war er erneut versucht, seine Hand wegzuziehen, doch Hanna hielt ihn sanft zurück. Was war das gewesen? Fragend sah er zu der werden Mutter auf.
"Das Kind ist sehr munter. Es strampelt gerne, um auf sich aufmerksam zu machen", meinte sie mit einem Lächeln, das Frodo zaghaft erwiderte.
Ungeduldig wartete er darauf, noch mehr zu fühlen, als Hanna sein Handgelenk plötzlich fester umklammerte.
"Du strampelst nicht, nicht wahr? Du machst es genau umgekehrt", sagte sie, ohne ihren eindringlichen Blick von ihm zu nehmen.
Frodos Augen nahmen einen entsetzten Ausdruck an. Er wollte sich von ihr los reißen, doch sie hielt ihn mit einem Griff fest, der stärker war, als er es ihr zugetraut hätte. Warum war er her gekommen? Er hatte es nicht gewollt und jetzt geriet alles außer Kontrolle. Was war nur los mit ihm?
"Du solltest dich nicht verkriechen, Frodo. Wenn du dich verkriechst, wird man dich noch weniger bemerken", ihre Stimme war ruhig. Sie hörte sich an, als würde sie diese Unterhaltung täglich führen und das machte ihm Angst.
Dies war nicht der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch dieser Art. Er hatte schon zuviel nachgedacht. Warum tat sie ihm das an? Weshalb konnte sie ihn nicht einfach gehen lassen?
Erschrocken und verwirrt schüttelte Frodo den Kopf, kniff die Augen zusammen.
Wurde er nun vollkommen verrückt? Hatte er nicht eben erst Merry um die Aufmerksamkeit beneidet, die ihm zuteil geworden war? Hanna gab ihm nun, wonach er sich zuvor gesehnt hatte und doch wünschte er sich jetzt nichts mehr, als allein zu sein.
Er hatte aufgehört, sich zu wehren, starrte noch immer entgeistert in Hannas dunkle Augen, als er spürte, wie er zu zittern begann. Es fing in seinen Beinen an, machte seine Knie weich und arbeitete sich immer weiter nach oben, bis es schließlich auch seine Arme und Hände erreichte.
"Bitte nicht", flüsterte er tonlos. Seine Augen glänzten, mit ungeweinten Tränen.

Hanna zögerte einen Augenblick, der Griff um sein Handgelenk wurde lockerer. Hatte sie einen Fehler begangen? Sorge, Furcht und Mitgefühl gleichermaßen regten sich in ihr. Frodo tat ihr unendlich Leid, wie er vor ihr stand, Angst, Verzweiflung und Tränen in den großen, blauen Augen. Und sie hörte auf ihr Herz, zog ihn zu sich und legte seinen Kopf an ihre Brust. Zärtlich strich sie ihm durch die dunklen Locken, während sie beruhigende Worte murmelte.

Frodo konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten. Seine Hand klammerte sich verzweifelt an ihrem Ärmel fest. Warum hatte sie das getan? Er wollte nicht weinen. Er wollte sie nicht beunruhigen. Er wollte...
Eigentlich wollte er genau das. Nur hatte er geglaubt, er würde sich dabei besser fühlen. Aber die Umarmung war, wonach er sich gesehnt hatte. Woher hatte sie das gewusst?
Es spielte nun keine Rolle mehr, denn sie war da, sie war bei ihm und gewährte ihm, was kein anderer ihm in einer langen Zeit gewährt hatte. Seine Tränen versiegten nach einigen Schluchzern. Mit geschlossenen Augen lauschte er ihrem Herzschlag, genoss die Wärme, die ihre Umarmung ihm schenkte.

Hanna atmete erleichtert auf, als sie spürte, wie Frodo sich entspannte und aufhörte zu weinen. Es war also doch richtig gewesen. Zaghaft ließ sich der Junge auf die Knie sinken und legte seinen Kopf vorsichtig auf ihren Bauch. Hanna lächelte ihn an, als er unsicher aufsah und nickte versichernd. Tröstlich strich sie ihm mit einer Hand über den Rücken, froh um die traute Zweisamkeit, die ihr so unerwartet zuteil geworden war. Plötzlich hob Frodo den Kopf, ließ sie fragend die Stirn in Falten legen.
"Ist das der Herzschlag des Kindes?", fragte er voller Verwunderung.
Sie nickte lächelnd. Frodo schien einen Augenblick nachzudenken, legte dann den Kopf wieder auf ihren Bauch und schloss die Augen. Zufrieden lauschte Hanna seiner ruhigen Atmung und seufzte leise.





<< Back

Next >>

Leave Review
Home     Search     Chapter List