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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 26: Ein Picknick im Grünen


Die Sonne war noch nicht aufgegangen, da waren die drei Hobbits auch schon wieder auf den Beinen. Nicht aus Spaß, denn dieses Mal hatten sie eine Aufgabe zu erfüllen. Auf Zehenspitzen schlichen sie durch die spärlich beleuchteten Gänge des Brandyschlosses, immer wieder ängstliche Blicke um sich werfend, um sich zu vergewissern, dass sie auch nicht gesehen wurden.
Endlich erreichten sie Pippins Zimmer. Ein letzter Blick in alle Richtungen und...
"Guten Morgen, Peregrin!"
Wie versteinert und mit offenen Mündern blickten die drei Hobbits auf die Person, die, mit dem Gesicht zur Wand, in einem Schaukelstuhl vor ihnen saß. Frodo und Merry warfen sich unsichere Blicke zu. Pippin schluckte.
"Guten Morgen, Papa!" brachte er etwas stockend hervor.
"Wie ich hörte, hattest du eine aufregende Nacht."
Eine Kerze brannte auf dem kleinen Tischchen in der Ecke. Die Flamme loderte für einen Augenblick auf, als Paladin leicht zu schaukeln begann, die Hände auf seinem Bauch ruhend. Er wandte sich jedoch nicht zu den Kindern um, die sich unsichere Blicke zuwarfen.
Frodo zuckte zusammen, als hinter ihnen die Tür zufiel, während Pippin einen zaghaften Schritt auf seinen Vater zu machte.
"Du hörtest, Papa?", fragte er neugierig und setzte dabei eines seiner unschuldigsten Gesichter auf.
"Eure gelegentlichen Ausrufe und die darauf folgenden Ermahnungen blieben nicht ganz ungehört", meinte der Thain mit ernstem Ton. "Außerdem habt ihr wohl vergessen, dass Pippin und ich uns ein Bett teilen und ich nicht so dumm bin, nicht zu merken, wenn ein Kissen anstelle meines Sohnes neben mir liegt."
Die drei Hobbits schluckten. Scheinbar hatten sie bei der Planung ihrer aufregenden Nacht mehrere wichtige Dinge nicht bedacht.
Pippin blickte zu seinen Vettern zurück, runzelte unsicher die Stirn, trat dann weiter auf seinen Vater zu. Der Schaukelstuhl knarrte leise, doch der Thain rührte sich nicht.
"Und was willst du jetzt machen?"
Langsam erhob sich Paladin, drehte sich um und ging mit strengem Ausdruck auf Pippin zu. Von dessen unschuldiger Miene war nun nichts mehr zu sehen und er erwartete angespannt die Reaktion seines Vaters, während Merry und Frodo das Geschehen, nicht weniger nervös, beobachteten.
Paladin legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes und begann ganz unerwartet zu lachen. "Was denkst du denn, was ich mit dir mache, Peregrin? Was sollte ich machen?"
Pippin sah ihn fragend an und zuckte mit den Schultern.
"Wenn ich nicht gewollt hätte, dass du bei ihnen bleibst, hätte ich dich schon viel früher wieder in dein eigenes Bett zurückgebracht. Ich hatte zwar befürchtet, dass ihr nachts auf dumme Ideen kommen würdet, da Merry und Frodo in solchen Dingen auch recht begabt sein sollen", er warf den beiden Hobbits einen wissenden Blick zu, der sie beide verlegen die Augen abwenden ließ, "doch ihr habt nichts angestellt. Weshalb, Pippin, sollte ich euch also bestrafen wollen?"
Merry und Frodo atmeten hörbar auf, tauschten einen erleichterten Blick.
"Ich weiß nicht!" meinte Pippin schließlich grinsend, "Du hast mir jedenfalls einen ordentlichen Schrecken eingejagt."
Paladin lachte. "Das sollte dir eine Lehre sein, dich nie wieder heimlich aus deinem Zimmer zu schleichen und mich mit einem Kissen veralbern zu wollen." Er wuschelte Pippin durch die Haare. "Ich habe es nicht einmal bemerkt, als ich abends nach dir gesehen habe. Erst als ich mich selbst hinlegen wollte und aus dem Wohnzimmer trat, wusste ich plötzlich, dass nicht du es warst, der abends im Bett gelegen hatte, denn lautes Geschrei drang an mein Ohr. Ich ging also den Gang hinunter und hörte euch einige Zeit zu, wollte noch einmal nach euch sehen, als es schließlich leise wurde, doch obschon ich deine Stimme zuvor laut und deutlich gehört hatte, konnte ich dich nirgendwo entdecken."
Paladin sah ihn ratlos an. "Sag mir, mein Sohn, wo haben sie dich versteckt?"
Pippin runzelte verwundert die Stirn, doch dann hellte sich seine Miene plötzlich auf. "Dann warst du es, den ich für einen Schatten gehalten habe?"
"Einen Schatten?", fragte Paladin verdutzt und warf erst Pippin, dann Frodo und Merry einen verwirrten Blick zu. Letzterer zuckte ahnungslos mit den Schultern, während Frodo verlegen den Blick abwandte. Paladin glaubte, zu erkennen, dass seine Wangen sich röteten und runzelte verwundert die Stirn. Er wollte schon fragen, was es damit auf sich hatte, doch Pippin schüttelte lächelnd den Kopf und meinte, dass das nicht so wichtig wäre.



~*~*~



Nach dem Frühstück war es an Frodo und Merry den Tisch abzuräumen und Pippin leistete ihnen Gesellschaft. Skeptisch beobachtete Frodo Marroc, der als Einziger noch am Tisch saß und an einem Stück Brot kaute.
Merry trat möglichst unauffällig an ihn heran und versicherte ihm, dass er sogleich zur Stelle sein würde, sollte es Marroc tatsächlich noch wagen, ihm irgendetwas zu tun. Frodo schüttelte den Kopf. Marroc würde nichts mehr machen, und wenn doch, so würde er alleine mit ihm fertig werden. Zumindest hoffte er das.
Merry nickte nur, aber sein Blick verriet, dass er Marroc nicht traute.

Pippin beobachtete das Geschehen mit fragenden Blicken. Etwas stimmte nicht, das konnte er in den Augen seiner Vettern erkennen. An der Schwelle zur Küche trat er an Merry, der die letzten Besteckstücke zusammengetragen hatte, heran.
"Wer ist er und weshalb schaut ihr so kritisch?"
"Das ist Marroc", verkündete Merry, dessen Tonfall alles andere als freundlich war. "Er ist ein Rüpel und vor etwa einem halben Jahr hatte Frodo große Probleme mit ihm. Marroc meint, er könne alles und jeden unterdrücken, der kleiner, oder jünger ist, als er selbst."
Pippin sagte nichts weiter, warf aber einen kurzen Blick zurück zum Esszimmer, wo sich Frodo um das letzte Geschirr kümmerte.

Angespannt ging Frodo um den Tisch herum und stapelte die restlichen Teller aufeinander. Er spürte seine Nervosität, spürte, wie sein Herz schneller schlug. Immer wieder warf er unsichere Blicke auf Marroc, der zufrieden kauend am Tisch saß, ihn scheinbar nicht zu beachten schien.

Ruhig blieben. Er wird mir nichts tun. Er hat aus seinen Taten gelernt. Er muss daraus gelernt haben. Zumindest ist in den letzten Monaten nichts passiert. Warum sollte sich das jetzt ändern? Saradoc hat ihn bestraft und Marroc weiß, wo seine Grenzen liegen. Er wird sie nicht überschreiten. Er wird mir nichts tun. Ansonsten weiß ich mich zu verteidigen. Ich weiß jetzt, dass er keine Macht über mich hat. Alleine deswegen wird er nichts machen. Weil auch er weiß, dass er mir eigentlich gar nichts tun kann, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen.

Frodo holte einmal tief Luft bevor er sich den Stapel Geschirr schnappte und an Marroc vorbei stapfte. Zu spät bemerkte er das hinterhältige Grinsen in dessen Gesicht und eh er sich versah, stolperte er über Marrocs ausgestrecktes Bein und fiel mit einem entsetzten Aufschrei zu Boden. Die Teller flogen durch die Luft, landeten schließlich klirrend und polternd auf dem Fußboden. Manche zerschellten, blieben als scharfe, gefährliche Tonscherben liegen.

Marroc einen erzürnten Blick zuwerfend, rappelte Frodo sich auf und rieb sich das linke Knie, mit dem er zuerst auf dem Boden aufgekommen war.
Er kann es trotz Saradocs Ermahnungen einfach nicht lassen. Er scheint ständig jemanden ärgern zu müssen! Warum immer mich? Ich darf mir das nicht gefallen lassen!
"Du sollst mich in Frieden lassen!" sagte er wütend, stand schließlich vorsichtig auf, bemüht, auf keine der Scherben zu treten.
Marroc lachte, biss sich ein Stück seines Brotes ab, die gleichgültigen Augen auf ihn gerichtete. "Reg dich doch nicht gleich auf!"
Wut flammte in ihm auf und Frodo blitzte den älteren Jungen zornig an, während er sich daran machte, die heil gebliebenen Teller wieder einzusammeln.

"Was ist passiert!" wollte Merry wissen, der gerade zur Tür herein gerannt kam. Er und Pippin hatten Frodo schreien gehört und mit dem Schlimmsten gerechnet. In gewisser Weise war er froh, dass nur die Teller herunter gefallen waren, doch als er den schadenfrohen Blick Marrocs sah, den dieser Frodo zuwarf, wusste er sofort, dass Frodo nicht selbst an der Misere schuld war. Er wollte sofort wütend auf den Hobbit stürzen, doch Frodo bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass alles in Ordnung war. Nichtsdestotrotz blieb Merry in der Tür stehen, nicht gewillt, seinen Vetter aus den Augen zu lassen, so lange Marroc im selben Raum war.

Missmutig hockte Frodo auf dem Boden, sortierte heil gebliebene von zerbrochenen Tellern. Es ärgerte ihn, dass Marroc, der eigentlich an seiner Lage schuld war, keinen Finger rührte, um ihm zu helfen. All seinen Mut zusammennehmend, wandte er sich noch einmal dem Älteren zu, doch konnte er das leichte Zittern seiner Stimme nicht verhindern. "Wenn du uns nicht helfen willst, dann solltest du gehen!"

Marrocs Augen blitzten auf und bevor Frodo wusste, wie ihm geschah, wurde er am Kragen gepackt. Erschrocken schnappte er nach Luft, doch es war zu spät, zurückzuweichen.
"Hör zu, Frodo! Hör mir gut zu!" fauchte Marroc. "Nur weil du glaubst, jetzt unter Saradocs Schutz zu stehen, heißt das noch lange nicht, dass du frech werden kannst."

Merry und Pippin sprangen sogleich auf, doch es bestand kein Grund einzugreifen, denn Marroc ließ bereits von Frodo ab, als eine feste Stimme zu sprechen begann.
"Als frech würde ich eher dein Verhalten bezeichnen, Marroc. Frodo hat vollkommen Recht. Wenn du nicht hilfst, solltest du auch nicht im Weg herum stehen. Ich denke, es wäre nur gerecht, wenn du das restliche Geschirr wegräumst, damit die drei jungen Hobbits anderen Beschäftigungen nachgehen können."

Frodo atmete erleichtert auf, als er Bilbos Stimme erkannte und ein Lächeln stahl sich über seine Lippen. Sein Onkel trat ruhigen Schrittes in den Raum, zwinkerte ihm zu. Frodo zögerte nicht lange, trat vorsichtig von den Scherben weg und eilte zu seinem Onkel. Er konnte spüren, wie Marrocs Blick ihm folgte, doch setzte dieser sich sofort missmutig in Bewegung, als Bilbo ihm mit einem Kopfnicken bedeutete, an die Arbeit zu gehen.
"Du kommst genau im richtigen Augenblick", meinte Frodo, gerade so laut, dass sein Peiniger ihn nicht hören konnte. So schnell hatte sich seine Freude über seinen Mut, Marroc die Meinung zu sagen, in Schrecken verwandelt, dass in seiner Stimme selbst jetzt noch ein ängstlicher Unterton mitklang.
"Es scheint so", antwortete Bilbo, beobachtete Marroc noch einen Augenblick länger und legte dann einen Arm um Frodos Schultern. Saradoc hatte ihm von den Schwierigkeiten, die es gegeben hatte, berichtet, auch wenn Frodo in seinen Briefen nie ein Wort darüber verloren hatte, und er fragte sich nun, ob jene Angelegenheiten wirklich bereits geklärt waren, denn was er eben gesehen hatte, hatte nicht den Anschein gemacht, als wäre der Frieden wieder hergestellt. "Wir sollten ihn besser alleine arbeiten lassen. Komm mit mir!"
Frodo befolgte diese Anweisung mit Freuden und auch Merry und Pippin kamen ihr gerne nach, trotteten zufrieden hinter den beiden her.

"Was hältst du von einem Picknick?", fragte Bilbo plötzlich, noch ehe sie sich weit vom Esszimmer entfernt hatten.
Frodo horchte auf. Ein Lächeln stahl sich über seine Lippen, seine Augen glänzten, als er erfreut zu seinem Onkel aufsah. Bei einem Picknick würde er endlich ganz mit Bilbo allein sein können. Es wäre wie in Beutelsend, ganz ohne das ständige Kommen und Gehen, das im Brandyschloss zur Tagesordnung gehörte.
"Ein Picknick?", fragte Pippin aufgeregt und trat von hinten an die beiden heran, die Augen nicht weniger leuchtend, als Frodos.
"Können wir mit?", schloss sich Merry an, blickte hoffnungsvoll zu Bilbo.
Dieser sah fragend zu seinen Neffen und Frodo senkte nachdenklich den Kopf.
Es hätte ihm sehr zugesagt, mit Bilbo allein zu sein, doch konnte er das vor seinen Vettern nicht sagen, denn es wäre ihnen gegenüber ungerecht gewesen. Fieberhaft dachte er darüber nach, was er stattdessen sagen könnte, doch je länger er darüber grübelte, umso klarer wurde ihm, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, die beiden dabei zu haben. Bilbo konnte eine Geschichte erzählen, sodass er das nicht mehr würde übernehmen müssen.
"Natürlich, wenn es Bilbo recht ist!" meinte Frodo schließlich und sah fragend zu seinem Onkel auf. Bilbo nickte, ließ Merry und Pippin dadurch vergnügt aufjubeln.

Als Frodo und Bilbo kurze Zeit später in einer der Küchen waren, um das Essen für das Picknick einzupacken, traten Esmeralda und Hanna an sie heran. Merimas, den Hanna auf dem Arm trug, begann sofort aufgeregte Laute von sich zu geben, als er Frodo erblickte.
Frodo lächelte ihn an, entlockte dem jungen Hobbit dadurch ebenfalls ein erfreutes, zahnloses Lächeln, während Hanna und Esmeralda neugierig den Picknickkorb begutachteten. Bilbo erklärte den beiden von seinem Plan für den Nachmittag, wunderte sich jedoch, dass Esmeralda davon noch nichts wusste, bis ihm klar wurde, dass Merry womöglich seinen Vater um Erlaubnis gefragt hatte. Die beiden Damen schienen von dieser Idee ebenfalls sehr angetan und nach kurzem Überlegen, wurde beschlossen, dass die beiden sie begleiten sollten.
Frodo gefiel das weniger, doch er sagte nichts. Für sein Schweigen bezahlte er teuer, denn bald darauf musste er jegliche Hoffnung auf einen gemütlichen Nachmittag im Freien mit Bilbo begraben, denn Merry und Pippin kehrten zurück, beide mit ihren Vätern an der Hand. Sie hatten Erlaubnis, mitzugehen, doch sowohl Saradoc, als auch Paladin, hätten die kleine Gruppe gerne begleitet. Als sich Marmadas ihnen, kurz vor ihrem Aufbruch, ebenfalls anschloss, konnte Frodo nur noch müde aufseufzen und den Kopf hängen lassen. Es lebten zu viele, viel zu viele Hobbits, im Brandyschloss und nicht einmal ein Picknick alleine mit Bilbo war im vergönnt.



~*~*~



Lustlos stapfte Frodo neben Bilbo her, hielt den Blick die meiste Zeit gesenkt. Sie folgten dem Lauf des Brandyweins, auf einem Pfad, gerade breit genug, dass ein Ponywagen ihn hätte passieren können. Sie waren ein ganzes Stück gelaufen, bis ein kleines Waldstück, das den Weg im Osten säumte, den Blick auf die weiten Hügel Bocklands verwehrte. Auch zu ihrer Rechten, im Westen, wurde das Land immer hügeliger, sodass sich der Brandywein nicht selten ihren Blicken entzog. Es war ein angenehmer Frühlingsnachmittag. Die Sonne lachte vom Himmel und der Duft unzähliger Blüten erfüllte die Luft.
Marmadas hatte sich ein Tragetuch umgebunden, in dem sein Sohn ruhte. Der kleine Hobbit war in den vergangenen Wochen um einiges gewachsen und Marmadas begann bereits das Gewicht zu spüren, als Merry plötzlich zum Halten aufrief, denn sie hatten den, laut ihm, besten Platz für ein Picknick erreicht. Marmadas war sehr froh darüber und legte seinen Sohn auf eine der beiden Picknickdecken, die Hanna und Esmeralda ausbreiteten. Der Kleine, zuvor dem Einschlafen nahe, war sofort wieder hellwach und begutachtete neugierig die neue Umgebung.
Als Bilbo seinen Rucksack, in dem er zusätzlichen Proviant verstaut hatte, ins Gras legte, fiel sein Blick auf Frodo, der betrübt zum Wald hinüberblickte: "Ich dachte, du freust dich auf das Picknick? Dein Gesichtsausdruck lässt jedoch anderes vermuten."
Frodo seufzte und sah zu ihm auf, rang sich ein wenig überzeugendes Lächeln ab. "Ich freue mich. Es ist nur,...", er wandte den Blick ab und seine Stimme wurde leise. "Es ist nichts."
Bilbo runzelte die Stirn, ging in die Knie, um dem Jungen in die Augen sehen zu können. "Etwas bedrückt dich doch, mein Junge?"
Frodo schüttelte den Kopf und das Lächeln, das er Bilbo nun zeigte, wirkte sehr viel fröhlicher, auch wenn es seine Augen noch immer nicht zu erreichen schien. Es genügte jedenfalls nicht, um Bilbo zu überzeugen, doch noch ehe dieser weiterfragen konnte, erschien Merry hinter Frodo und hielt ihm einen Stock an den Rücken.
"Stell dich mir zum Kampf, Frodo Beutlin!" rief er mit strengem Ausdruck.

Das ließ sich Frodo nicht zweimal sagen. Er war froh, dem Gespräch entkommen zu können. Nicht, weil er nicht gerne mit Bilbo sprechen wollte - ganz im Gegenteil - doch nicht über solche Dinge. Er wollte nicht unzufrieden erscheinen. Sein Wunsch war selbstsüchtig. Was würden Bilbo und die anderen von ihm denken? Er würde sich nicht anmerken lassen, dass er lieber mit Bilbo alleine wäre. Er würde das Beste aus diesem Nachmittag machen.

Frodo sprang auf, holte sich dem ersten Stock, den er entdecken konnte und ging sofort zum Angriff über. Die Stöcke schlugen aufeinander, wirbelten einmal durch die Luft, um dann erneut kraftvoll aufeinander zu prallen.
"Seid vorsichtig!" warnte Esmeralda, die sich auf der Picknickdecke niederließ und den imaginären Schwertkampf mit einigen Bedenken beobachtete.
Lass sie doch", meinte Saradoc lächelnd und legte eine Hand um ihre Hüften, während er mit der anderen nach einem belegten Brot langte. "Sie passen schon auf sich auf."
Esmeralda sah ihn stirnrunzelnd an: "Das haben wir ja gesehen, als sie auf der Schaukel waren."
"Es sind Kinder", meinte Bilbo, der sich zu ihnen gesellte und ebenfalls nach einem der Brote griff. "Lass ihnen ihren Spaß."
"Genau!" stimmte Pippin zu und nahm einen weiteren Bissen des Kuchens, obwohl sein Mund noch voll davon war. Kaum einer verstand, was er überhaupt gesagt hatte.
"Peregrin, schluck bevor du sprichst!" tadelte Paladin.
Pippin nickte und schob sich ein weiteres Bissen in den Mund, woraufhin Paladin nur den Kopf schütteln konnte.
"Es war eine gute Idee herzukommen", meinte Hanna lächelnd und lehnte den Kopf an Marmadas' Schulter.

Merimas saß auf der Decke und betrachtete gierig die vielen Leckerei, die darauf ausgebreitet waren. Fröhlich brabbelnd krabbelte er auf einen Kuchen zu und griff danach. Esmeralda hob ihn gerade noch rechzeitig auf.
"Das ist nichts für dich", meinte sie lächelnd, doch Merimas war anderer Ansicht. Strampelnd versuchte er, zum Kuchen zurückzukommen.
"Kuchen!" Merry tauchte lachend hinter seinem Vater auf und griff nach eben jenem Stück, das Merimas unbedingt ergattern wollte. Mit großen Augen folgte das Kind Merrys Hand, die den Kuchen in zwei Hälften teilte und eine davon an Frodo weiterreichte. Er begann zu weinen, als er erkannte, dass nichts für ihn übrig bleiben würde.
Frodo kniete sich vor dem Kind nieder und strich ihm über die Wange.
"Eines Tages wirst du es sein, mit dem ich meinen Kuchen teile, Merimas, aber noch nicht heute", sagte er tröstend, ehe er, gefolgt von Merry und Pippin, wieder davon rannte. Merimas sah ihm mit großen Augen hinterher, die Unterlippe noch immer ein wenig zitternd, ehe er das Gesicht schließlich in Esmeraldas Bluse vergrub, unentschlossen, ob er dem Kuchen hinterher trauern sollte, oder nicht.
Auch Bilbo sah Frodo verwundert nach. "Ich wusste gar nicht, dass er so gut mit Kindern umgehen kann", meinte er erstaunt.
"Er kann nicht nur gut mit ihnen umgehen, er scheint auch gerne von ihnen umgeben zu sein", bemerkte Hanna und setzte Merimas auf ihren Schoß. "Er kommt oft zu mir, und fragt, ob er mir bei irgendetwas behilflich sein kann. Ich habe auch schon oft dabei zugesehen, wie er den jüngeren Hobbits Geschichten vorgelesen hat."
Ihre Augen ruhten gedankenverloren auf Frodo, der mit seinen Vettern im Gras saß, offensichtlich eine interessante Entdeckung begutachtend. "So schön das auch ist, manchmal denke ich, dass er sich die Zeit lieber anders vertreiben sollte."
Bilbo sah Hanna verwundert an, folgte dann ihrem Blick, wobei er die Augen gegen die Sonne abschirmte. Scheinbar gab es einiges, wovon Frodo ihm nichts mitgeteilt hatte und er war nicht zu früh gekommen, um mehr über diese Dinge zu erfahren.
Saradoc seufzte. "Du hast nicht ganz Unrecht. Trotzdem ist es besser, er verbringt seine Zeit mit den Kinder, als dass er alleine irgendwo herum sitzt."
"Er sitzt alleine herum?", fragte Bilbo, wandte sich nun dem Herrn von Bockland zu. Die Unterhaltung wurde immer interessanter.
Saradoc nickte. "Manchmal kann ihn nicht einmal Merry aus seinem Zimmer, oder wo er sich sonst gerade befindet, locken. Ich mache mir Sorgen um ihn." Sein Blick, zuvor auf den Kindern ruhend, wandte sich nun Bilbo zu. "Ich habe dir geschrieben, wie verschlossen er ist, Bilbo. Mit mir will er nicht darüber sprechen, genauso wenig mit Esmeralda. Merry hat mir zwar gesagt, dass er manchmal mit ihm über Dinge spricht, die ihn bedrücken, aber auch er will sie mir nicht mitteilen, da er Frodo versprochen hat, mit niemandem darüber zu sprechen."
Bilbo nickte. Seine Sorgen waren nicht unberechtigt gewesen. Er wollte mehr erfahren und sprach noch einige Zeit mit Saradoc, über die Veränderungen Frodos, seit Drogos und Primulas Tod. Vieles von dem, was er hörte, ließ ihn stutzen, hatte Frodo sich in Beutelsend doch meist anders verhalten, als Saradoc nun berichtete und er entschloss, mit Frodo selbst zu sprechen, in der Hoffnung, der Junge würde ihm mehr erzählen, als jenen, in deren Obhut er sich befand.

Bald wandten sich die Hobbits jedoch wieder fröhlicheren Themen zu. Eine sanfte Brise zog über die Hügel, brachte die Gräser zum Tanzen. Einige Ameisen krabbelten über die Decke, wurden jedoch von den ausgebreiteten Leckereien ferngehalten. Bilbo ließ sich die Sonne aufs Gesicht scheinen und sah erst auf, als Merry und Pippin zurückkehrten und sich hungrig auf die Brote und die letzten Kuchenstücke stürzten.
"Wo ist Frodo?", fragte er nicht unbesorgt.
Merry deutete nach Südwesten und nuschelte etwas wie "Dort drüben!" bevor er sich den Rest seines Brotes in den Mund stopfte.

Bilbo stand sofort auf, blickte sich um. Er konnte Frodo auf dem Hügel nicht erkennen, vermutete jedoch, dass sich der Junge auf der anderen Seite des Hanges befand und entschied sich, zu ihm zu gehen. Der Wind wehte sanft durch seine Haare, als er die Anhöhe hinaufging und genau, wie er es vermutet hatte, fand er Frodo dort im Gras sitzend vor, genau soweit weg, dass man ihn vom Lagerplatz aus nicht erkennen konnte. Der Junge schien tief in Gedanken, hatte die Arme um die Knie geschlungen und blickte in das Bett des Flusses unter ihnen, dem sie hier sehr viel näher waren, als an ihrem Picknickplatz. Bilbo trat an ihn heran, legte ihm eine Hand auf die Schulter, was den Jungen überrascht zusammenzucken ließ. Erschrocken blicke er auf, doch als er ihn erkannte, wandte er den Blick wieder dem Fluss zu, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
Bilbo ließ sich neben Frodo ins Gras fallen und wartete ab, in der Hoffnung, Frodo würde ihm erklären, weshalb er so alleine hier war. Doch der Junge schwieg und so zog Bilbo nach einiger Zeit seine Pfeife aus der Brusttasche seiner Weste und begann, sie zu stopfen. Frodo sah ihn kurz an, schien einen Moment zu lächeln, doch dann starrten seine Augen wieder in die Ferne. Ein Ausdruck lag in ihnen, der den Jungen älter erscheinen ließ, als er es war.
Bilbo musterte die feinen, kindlichen Züge seines Neffen eingehend und erschrak fast, als dieser plötzlich zu sprechen begann. "Warum bist du hier, Bilbo?"
Verwundert blickte Bilbo in die traurigen Augen des Jungen. "Deinetwegen, Frodo."
"Meinetwegen", murmelte Frodo kaum hörbar und Bilbo runzelte die Stirn, als das Kind betrübt zum Fluss hinunter blickte. Der Wind spielte mit seinem Haar, ließ die dunklen Locken beinahe liebkosend über dessen Wangen streichen.

Frodos Augen folgten blind der ruhigen, braunen Strömung des Flusses. Für gewöhnlich kam keiner seinetwegen. Für gewöhnlich stießen sie zufällig auf ihn. War es Zufall, oder kam Bilbo tatsächlich seinetwegen hierher? Jetzt war er mit ihm alleine, er könnte ihn also fragen, ohne die neugierigen Ohren anderer fürchten zu müssen. Und doch tat er es nicht. Warum nicht? Fürchtete er die Antwort?
Frodo ließ das Kinn auf seine Knie sinken.
"Warum bist du hier?", fragte Bilbo, entzündete ein Streichholz und paffte an seiner Pfeife, um das Kraut Feuer fangen zu lassen.
Frodo sah nicht auf, zuckte mit den Schultern.
Eigentlich wollte er alleine sein. Zumindest hatte er das geglaubt. Doch jetzt da Bilbo hier war, war er in gewisser Weise erleichtert. Weshalb? Er konnte es sich nicht erklären. Vielleicht, weil er sich dann weniger Gedanken um den Fluss, nur wenige Schritte entfernt, machte? Machte er sich überhaupt Gedanken um den Fluss? Wenn er ehrlich war, nicht. Seine Gedanken hingen viel mehr bei der kleinen Gruppe Hobbits, deren Gelächter gelegentlich an sein Ohr drang. Er mochte sie, war gerne mit ihnen zusammen, doch in Momenten wie diesen, wünschte er sich nichts mehr, als weit weg von ihnen zu sein. Sie saßen gemeinsam auf den Decken. Sie gehörten zusammen. Er gehörte nicht dazu. Doch was war mit Bilbo?
Für einen Augenblick schloss Frodo gequält die Augen. Merry hatte Recht, er dachte zuviel nach.

"Weißt du, wann ich das letzte Mal hier war?", fragte er dann und sah in Bilbos verwunderte Augen. Der alte Hobbit zuckte mit den Schultern.
"Es ist lange her, und doch scheint es mir, als wäre es erst gestern gewesen. Wenige Tage bevor...", Frodo wandte den Blick ab, stockte. "Ich war mit meinem Papa hier."
Wieder blickte er zum Fluss, spürte einen unbestimmten Schmerz in seiner Brust. Bilbo legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter. "Es tut mir Leid, mein Junge."
"Es muss dir nicht Leid tun", erwiderte Frodo rasch und schüttelte den Kopf. Doch dann wurde seine Stimme leise und sein Blick wich Bilbos erneut aus. "Es war eine schöne Zeit."
Er griff nach dem Stock, den er zuvor als Schwert benutzt hatte, drehte ihn in seinen Händen und strich mit den Fingern über die raue Rinde.
"Das wäre es auch jetzt noch", fügte er seufzend hinzu.
Plötzlich stand er auf und warf den Stock mit all seiner Kraft in den Fluss. Platschend landete er im Wasser, trieb stromabwärts. Frodos Blick folgte ihm bekümmert und Bilbo glaubte, ungeweinte Tränen in den blauen, undurchdringlichen Augen zu sehen.
"Warum geht er nicht unter?", fragte der Junge betrübt und seine Lider schlossen sich gequält. "Er wäre mir gleich."

Bilbo hatte das Kraut aus dem Kolben geleert und die Pfeife wieder weggesteckt. Dies war kein geeigneter Moment, um zu rauchen. Seine Augen hatten jede von Frodos Bewegungen verfolgt und er wusste nun, weshalb Saradoc in Bezug auf den Jungen ratlos war. Bilbo selbst, wusste nicht, was er sagen, was er tun sollte. Frodo deutete zwar an, was ihn bedrückte, sprach jedoch nicht direkt darüber und wenn Bilbo auf dieses Thema eingehen wollte, tat er es scheinbar gleichgültig ab. Nichtsdestotrotz wollte Bilbo noch einen Versuch wagen.
"Frodo, es...", begann er, doch wurde er unterbrochen.
"Du hast gemeint, ich würde mich nicht auf das Picknick freuen", sagte Frodo, die Stimme noch immer unergründlich, während er ihm geradewegs in die Augen blickte. Nun war sich Bilbo sicher, dass Frodos Grübeleien tiefer gingen, als dieser es zugeben wollte, denn der Glanz von eiligst weg geblinzelten Tränen lag in seinem Blick. "Ich habe mich darauf gefreut. Es war nur, dass ich geglaubt hatte, wir würden alleine gehen. Ich hatte geglaubt, wir könnten miteinander reden."
"Wir können reden, Frodo, jederzeit", versicherte Bilbo, doch Frodo schüttelte den Kopf.

Was machte er hier eigentlich? Er schnitt ein Thema nach dem anderen an, ohne auch nur einen einzigen Gedanken zu Ende zu bringen. Es war, als würde sich seine Zunge selbständig machen. Doch nicht nur, was er sagte, verwirrte ihn, auch seine Gedanken schienen sich im Kreis zu drehen. Er wollte mit Bilbo reden, wollte ihm mehr erzählen, von dem, was er erlebt hatte, seit er wieder nach Bockland zurückgekehrt war, wollte mehr über Elben erfahren, wollte ihm von seiner Geschichte erzählen, die Pippin in der vergangenen Nacht nicht mehr ruhig schlafen gelassen hatte, doch er konnte nicht. Seine Gedanken waren wirr. Nicht einmal mehr er selbst verstand, worauf er, mit dem, was er sagte, hinaus wollte. Er konnte nicht mit Bilbo sprechen. Nicht jetzt.

"Ich weiß", antwortete Frodo schließlich. "Doch nicht jetzt. Ich verstehe es selbst nicht, aber jetzt kann ich mich nicht mit dir unterhalten. Es ist alles so durcheinander. Es tut mir Leid."
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, hatte er sich umgedreht und war davon gerannt.
Bilbo saß wie versteinert, blickte Frodo ratlos hinterher. Er verstand nicht, was soeben geschehen war, was seinen Neffen plötzlich beinahe ängstlich hatte werden lassen. Was in allen Auen ging in diesem Jungen vor? Saradocs Sorgen waren durchaus berechtigt und Bilbo war entschlossen, den Grund für Frodos Verhalten in Erfahrung zu bringen, denn es beunruhigte ihn, mehr als ihm lieb war. Er musste dringend etwas tun.





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