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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 22: Merimas



Rethe 1382 AZ:



"Merimas, nicht!"
Frodo sprang erschrocken auf, doch es war bereits zu spät. Der Wäschekorb kippte und begrub den neun Monate alten Hobbit unter sich, der mit einem vergnügten Quieken nach einem schmutzigen Hemd griff.
Frodo hob den Korb auf und der darunter zum Vorschein kommende kleine Hobbit grinste über das ganze Gesicht und hielt ihm voller Freude das Hemd entgegen.
"Was machst du denn?", jammerte er, kniete sich neben dem Kind nieder und stopfte die schmutzige Wäsche wieder in den Korb. Er hatte Merimas nur für einen kurzen Augenblick den Rücken zugedreht, um einen frischen Scheit in das Feuer im Kamin zu geben, und schon war der kleine Hobbit am anderen Ende des großen Zimmers verschwunden. Merimas konnte zwar nicht laufen, hatte noch nicht einmal Haare auf den Füßen und doch war er schon flinker, als Frodo es vermutet hatte.
Das Zimmer war in ein behagliches Licht getaucht, das von den Wandlampen und dem Kaminfeuer herrührte. Hanna Brandybock schob sich eine ihrer hellen, braunen Strähnen zurück, ehe sie einen Stapel frische Wäsche vom Bett nahm und die Hemden im Schrank verstaute.
"Er hält einen ganz schön auf Trab, was?", meinte sie gut gelaunt.
Frodo seufzte: "Das tut er. Da lässt man ihn einen Moment aus den Augen und schon sitzt er in der anderen Ecke und stellt irgendetwas an. Ich hätte nie gedacht, dass er so schnell sein kann, wo er doch nur kriecht."
Hanna trat zu ihnen herüber, um ihren Sohn in die Arme zu nehmen. "Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann er sehr schnell werden." Sie lächelte und küsste die Wange des Kindes, was diesem ein erfreutes Glucksen entlockte.
Frodo nickte bestätigend, während er die letzten Wäschestücke in den Korb stopfte und schließlich vom Fußboden aufstand.
"Danke für deine Hilfe, Frodo. Ich denke, ich komme jetzt alleine zurecht und du hast bestimmt auch etwas Besseres zu tun, als auf diesen kleinen Lausebengel hier aufzupassen." Hanna wuschelte ihrem Sohn durch die Haare und strich anschließend mit dem Zeigefinger über Stirn und Nase des kleinen Hobbits. Merimas lachte vergnügt und hüpfte aufgeregt auf ihrem Schoß auf und ab.
"Ich passe gern auf ihn auf", entgegnete Frodo, der die beiden gedankenverloren beobachtete.
Merimas griff nach Hannas Finger, wollte ihn sich in den Mund stecken, doch sie entzog ihm ihre Hand, kitzelte ihn stattdessen am Bauch. Das Kind kicherte vergnügt, drückte den Kopf an ihre Brust und kuschelte sich an sie.

Frodo hatte ein seltsames Gefühl in der Magengegend, als er sie beobachtete. In gewisser Weise beneidete er Merimas. Es war jetzt über achtzehn Monate her, seit seine Eltern gestorben waren. Er hatte geglaubt, der Schmerz über ihren Verlust würde mit der Zeit nachlassen, doch dem war nicht so. Oft vergaß er über seine Trauer, doch in Augenblicken wie diesen, überkam ihn erneut eine starke Sehnsucht nach ihnen.
Nachdem Marroc ausgezogen war, war alles besser geworden. Es war sogar noch besser geworden, als einige Tage darauf Marmadas zu ihm gekommen war und verkündet hatte, dass er gerne mit Frau und Kind einziehen wollte. Frodo hatte nichts dagegen, war sogar froh, Marmadas in seiner Nähe zu wissen. Er und sein Vater waren sehr gute Freunde gewesen und hatten viel Zeit miteinander verbracht.
Doch auch ihr Einzug änderte nichts an Frodos unruhigen Nächten. Zwar weinte er sich nur mehr selten, aus Angst und Trauer, selbst in den Schlaf, wurde aber von Weinen um den Schlaf gebracht. Merimas schrie oft nächtelang so herzzerreißend, dass selbst Frodo keine Ruhe mehr finden konnte.

An einem Winterabend war Frodo einmal in das benachbarte Zimmer gegangen und hatte Hanna auf ihrem Bett sitzend vorgefunden. Sie hatte Merimas in den Armen gehalten und ihm die Brust gegeben. Frodo hatte gezögert, wollte sie in einem solch vertraulichen Moment alleine lassen, doch Hanna hatte ihn zu sich gerufen und so hatte er sich neben sie gesetzt und das Baby beim Trinken beobachtet.
Frodo hatte Hanna und ihre gütige, liebevolle Art lieb gewonnen. Nach ihrem Einzug war er oft in ihrem Zimmer gewesen, denn es war ihm, als hätte der Raum mit dem Einzug von Marmadas und seiner Familie auch seine einstige Behaglichkeit zurück gewonnen. Das Gefühl der Geborgenheit hieß ihn wieder willkommen, wenn er eintrat und Hanna hatte ihm erlaubt, zu ihr zu kommen, wann immer es ihm beliebte.
Dass er sie dabei jedoch beim Stillen störte, war bisher nie eingetroffen und so hatte er sich an jenem Winterabend erst unbehaglich gefühlt. Doch dann ließ er sich von der Ruhe, die Mutter und Kind ausstrahlten, anstecken und ihm war, als könne er hier das ständige Kommen und Gehen des Brandyschlosses vergessen.
Hanna musste das ebenfalls gespürt haben, denn sie hatte ihm angeboten, dass er jeden Abend kommen konnte, wenn er wollte und Frodo hatte freudig zugestimmt. Mit seinen Besuchen hatte sich jedoch sein Interesse am jungen Merimas gehäuft und oft hatte er Hanna Fragen gestellt, die keiner besser beantworten konnte, als die Mutter. Einmal hatte Hanna ihm schließlich das Kind auf den Arm gelegt, als Frodo, wie so oft, seine Augen nicht von dem Baby hatte nehmen können. Anfangs war er unsicher gewesen, doch je länger ihn die großen, dunklen Augen Merimas' forschend gemustert hatten, umso sicherer war er geworden. Vorsichtig waren seine Finger über die weiche Haut des Babys gewandert und als Merimas ihm schließlich ein Lächeln geschenkt hatte, das Frodo erwiderte, noch ehe ihm das bewusst geworden war, hatte er das hilflose Bündel in seinen Armen in sein Herz geschlossen.
Beinahe jeden Tag war er seither bei Hanna gewesen, hatte ihr nicht nur vor dem Zubettgehen Gesellschaft geleistet, sondern war oft auch schon nachmittags in ihrem Zimmer gewesen und hatte mit Merimas gespielt, sofern sie mit ihrem Sohn nicht in eines der Wohnzimmer gegangen war. Inzwischen war er jedoch froh, dass er nur gelegentlich auf Merimas Acht geben und nicht ständig auf ihn aufpassen musste. Erst vor wenigen Tagen hatte der junge Hobbit zu krabbeln begonnen und seither hatte er nichts, als Unsinn im Kopf, was Frodo gerne zur Verzweiflung trieb.

Frodo seufzte leise und ging zur Tür, wo er sich noch einmal umwandte. "Darf ich heute Abend wieder kommen?"
Hanna lächelte: "Wenn du willst, gerne."


~*~*~



Frodo trat in eines der vielen Wohnzimmer, das dritte, das er nun auf seiner Suche nach Merry durchforstete. Wie in jedem der Wohnzimmer hing auch hier ein großer Leuchter von der Decke und tauchte den Raum in ein angenehmes Licht. Ein Feuer prasselte im Kamin und strahlte eine wohlige Wärme aus.
Dort, unter vielen Verwandten und anderen Bewohnern, entdeckte Frodo seinen Vetter schließlich. Voll beladen mit Bechern und Pinseln, lief er zu einem der freistehenden Tische, dicht gefolgt von Esmeralda, die weitere kleine Becher in der Hand hielt. Frodo rannte auf sie zu.
"Was machst du da?", fragte er neugierig und schielte in die Becher, die sein Vetter sorgsam auf dem Tisch platzierte.
"Ich...", begann Merry, doch er wurde von einem lauten Aufschrei unterbrochen.
"Farben!" rief Frodo entzückt, platzierte sich sogleich neben Merry am Tisch und langte nach einem Pinsel.

Kurze Zeit später waren die beiden vollkommen in ihre Bilder vertieft. Merry bemühte sich, einen Fluss zu malen und einen Hobbit auf einem Boot, während Frodo versuchte, Elben zu zeichnen. Große, strahlende Wesen mit goldenem Haar, tanzend in den Wäldern unter dem nächtlichen Sternenhimmel.
Merry schielte auf sein Blatt und runzelte die Stirn, während er sich mit dem Pinsel an die Lippen tippte. "Wer ist das?"
"Elben, Merry!" entgegnete Frodo verträumt, blickte zufrieden auf sein Blatt. "Elben!"
Merrys Augen wurden groß und er blickte voller Staunen erst zu Frodo, dann zu dessen Zeichnung. "Sag bloß, du hast welche gesehen?"
"Das habe ich nicht, aber Bilbo. Und eines Tages werde auch ich Elben sehen."
Frodo sprach wie in einem Traum, schloss die Augen und lächelte entrückt.
"Du und deine Elben", lachte Merry und schüttelte den Kopf, ehe er sich wieder seinem Bild widmete und hier und da noch kleine Details ergänzte.
Frodo ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und hing weiterhin seinen Gedanken nach.

Ein schelmisches Grinsen trat auf Merrys Gesicht, als er seinen Vetter beobachtete. Ohne lange zu überlegen, tauchte er den Pinsel in die blaue Farbe und begann seelenruhig, blaue Punkte auf Frodos Wange zu tupfen. Frodo bemerkte das Kitzeln, runzelte die Stirn und strich sich mit der Hand über die Backe. Merry schaffte es gerade noch, unbemerkt den Pinsel wegzuziehen, als Frodo seine Augen öffnete, um die unangenehm feuchte Hand zu begutachten. Verzweifelt darum bemüht, sich das Lachen zu verkneifen, blickte Merry unschuldig in die andere Richtung und presste die Lippen zusammen.
Frodo schnappte erschrocken nach Luft, starrte fassungslos auf seine blaue Hand. Entgeistert wandte er sich zu Merry um, der gerade herüber schielte, weil er sich diesen Gesichtsausdruck nicht nehmen lassen wollte. Der junge Hobbit prustete los und Frodo, zwar noch immer völlig aus der Fassung, begann zu verstehen. "Was machst du denn da?!"
Merry war nicht in der Lage, zu antworten. Er hielt sich den Bauch und krümmte sich vor Lachen, eher er schließlich unter endlosem Gekicher und Gegluckse ein freches "Blau steht dir gut!" heraus brachte.
Frodos völlig verdutzte und verständnislose Miene war zuviel für Merry. Er hätte sich keinen amüsanteren Gesichtsausdruck vorstellen können. Verzweifelt schnappte er nach Luft und wischte sich die Tränen aus den Augen, doch immer, wenn er glaubte, sich beruhigt zu haben, brach er erneut in schallendes Gelächter aus.
Frodo erholte sich sehr viel schneller, als sein Vetter und schenkte ihm einen säuerlichen Blick, als dieser erneut losprustete, kaum dass er sich zu ihm umgedreht hatte.
"Na warte!" brummte er und tauchte zwei seiner Finger in die rote Farbe, um anschließend Merry quer über das Gesicht zu streichen.
Nun war es an Merry, dumm zu schauen, was wiederum Frodo zum Kichern brachte. Dieser tauchte seine Finger erneut in die Farben. Dieses Mal sollte es ein kräftiges Grün werden.
Merrys Erstaunen hielt jedoch nicht lange genug an und noch ehe Frodo die grüne Farbe auf seinem Gesicht verteilen konnte, hatte dieser seine Finger in den Becher mit Gelb getaucht und war bereit, die Farbe auf Frodos Hals zu verteilen. Gerade als er dazu kommen wollte, ließ Frodo jedoch seine Finger auf Merrys linke Wange klatschen und die Farbe spritzte dem jungen Brandybock bis in die Haare. Die beiden kicherten und lachten vergnügt, ehe sie zu einem weiteren Angriff übergingen.

Das laute Gelächter blieb nicht ungehört und Mirabella, Esmeralda und einige andere Damen, die an einem Tisch unweit der Vettern saßen, unterbrachen ihr Gespräch und blickten von ihrer Handarbeit auf.
"Du liebe Güte, Merry!" Esmeralda stockte der Atem. Schnell warf sie Nadel und Wolle zur Seite und eilte zu den Kindern, die noch immer übermütig Farbe auf Haut, Haar und Kleidung des anderen verteilten.
Sie erreichte die beiden gerade in dem Augenblick, als Merry einen weitern Versuch startete, Frodo farbenfroher zu gestalten. Schnell packte sie sein Handgelenk und zog ihn zurück. Ein fataler Fehler, denn so war sie es, die von Frodos Gegenangriff, einer handvoll blauer Farbe, getroffen wurde. Die Tropfen verteilten sich auf ihrem Kleid und auch ihre Schürze erhielt ein neues Farbmuster. Esmeralda zog scharf die Luft ein und wich einen Schritt zurück.
"Frodo!" rief sie erschrocken und wütend zugleich.
Mit einem überraschten Ausruf ließ Frodo seine Hände sinken und versteckte sie hinter seinem Rücken.
"Was in allen Auen ist in euch gefahren?", fragte sie zornig, ließ den Blick von ihrer Schürze zu den beiden Kindern wandern.
Sie hatte Merrys Handgelenk wieder losgelassen, woraufhin ihr Sohn sich neben Frodo gestellt hatte und mit einem verschmitzten Grinsen immer wieder zur blauen Schürze schielte. Auf ihre Worte hin, blickten jedoch beide mit großen, unschuldigen Augen zu ihr auf und versuchten verzweifelt, sich das Lachen zu verkneifen.
"Das ist nicht lustig!" ließ Esmeralda verlauten.
Die beiden Hobbits pressten die Lippen zusammen und setzten eine noch unschuldigere Miene auf.
"Seht euch nur einmal an!" schimpfte Esmeralda. "Und wer, glaubt ihr, macht dieses Durcheinander hier wieder sauber?"
Merry sah sich kurz um und lachte in sich hinein.
Auch Frodo warf einen schuldbewussten Blick auf Tisch und Stühle, die von Farbklecksen ebenfalls nicht unverschont geblieben waren, und verkündete schließlich lächelnd: "Jetzt ist es wenigstens etwas bunter."
Merry prustete los und Frodo konnte nicht anders, als auch zu lachen.
"Es ist bunter?!" rief Esmeralda wütend. "Euch wird das Lachen noch vergehen!"

Sie packte die beiden Hobbits an den Ohren und führte sie aus dem Wohnzimmer, während ihr die neugierigen Blicke der anderen Anwesenden, die das Schauspiel belustigt beobachtet hatten, folgten. Mirabella schüttelte lachend den Kopf. "Diese Kinder! Nur Dummheiten im Sinn!"

Frodo und Merry war das Lachen inzwischen tatsächlich vergangen, zu sehr waren sie damit beschäftigt, ihre Ohren aus Esmeraldas Fingern zu befreien.
"Fasst nichts an!" verlangte sie, während sie in eines der Badezimmer gingen.
Die Herrin von Bockland machte sich daran, Wasser aufzusetzen, während die beiden Hobbits vorsichtig ihre Ohren rieben. Esmeralda füllte einen Zuber mit warmem Wasser und bereitete zusätzlich einen Eimer vor, in dem die farbigen Kleider wieder sauber gemacht werden sollten.

Merry wurde zuerst in die Wanne geschickt, während Frodo seine Kleider im Eimer waschen musste. Er war nicht gerade erfreut darüber, denn Esmeralda hatte verlangt, dass kein Farbtropfen mehr zu sehen sein durfte und dies schien beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. So saß er auf dem Steinfußboden, der unweit der großen Feuerstelle inmitten des Raumes noch angenehm warm war, und rieb lustlos zwei Enden seines Hemdes aneinander.

Merry grinste noch immer, als Esmeralda ihm die Haare zum dritten Mal einschäumte. Ohne Vorwarnung pustete er eine handvoll Schaum in Frodos Richtung. Frodo kicherte, als einige schaumige Wölkchen kribbelnd über seinen Rücken liefen.
Durch einen leichten Schlag auf den Hinterkopf wurde Merry davon abgehalten, erneut Schaum auf Frodo zu blasen und ein wütender Blick von Esmeralda ließ Frodo aufhören zu kichern und eifriger schrubben.

Zwei Stunden später saßen beide Hobbits frisch gewaschen im großen Esszimmer und warteten ungeduldig auf das Abendessen. Außer ihnen hatten sich erst wenige Hobbits eingefunden und um keine Langeweile aufkommen zu lassen, begann Merry mit der Gabel einen Takt zu klopfen. Frodo stimmte sogleich mit ein, indem er seinen Löffel zwischen seinem und Merrys Glas hin und her schwingen ließ, sodass eine klimpernde Melodie entstand.
Esmeralda trat, beladen mit dem letzten von mehreren Tellerstapeln, ein und die beiden ließen abrupt ihr Besteck fallen und verschränkten die Arme. Merry wollte eine ernste Miene aufzusetzen, wurde aber immer wieder von gelegentlichen Kicheranfällen geschüttelt. Frodo versuchte möglichst unschuldig auszusehen.
"Verteilt die Teller! Dann habt ihr wenigstens eine sinnvolle Beschäftigung", meinte Esmeralda streng und verschwand wieder in der Küche.
Merry sprang sofort auf und tänzelte übermütig auf die aufgestapelten Teller zu. Das Licht des Leuchters und der Wandlampen ließ seine noch feuchten Haare funkeln.
"Ich nehme die eine Hälfte und du die andere!" ließ er Frodo wissen.
Frodo nickte und nahm einige Teller in die Hand. Als hätten sie es abgesprochen, stellten sich die beiden genau gegenüber voneinander auf und verteilten die Teller mit schwungvollen Bewegungen auf dem Tisch.
"Vorsichtig! Ihr beide habt heute schon genug angestellt. Ich will nicht, dass auch noch Geschirr zu Bruch geht."
"Papa!" rief Merry freudig und sprang dem Herrn von Bockland in die Arme. "Du weißt davon? Woher?"
"Ich weiß alles", entgegnete Saradoc mit einem Lächeln, als er seinen Sohn hochhob. "Hallo, Frodo!"
Frodo grüßte kurz und machte sich dann daran, die restlichen Teller zu verteilen, dieses Mal mit mehr Vorsicht.

Bald darauf wurde das Essen aufgetischt und die beiden überdrehten Hobbits beruhigen sich endlich, waren vollständig auf ihre Mahlzeit konzentriert.
Frodo hatte gerade den letzten Bissen hinuntergeschluckt, als er sah, wie ein Zimmermädchen, ein junges Mädchen, gerade erst in ihren Tweens, das erst vor kurzem hier eingezogen war, in das Zimmer trat. Sie hatte den Auftrag, auf Merimas zu achten, während dessen Mutter zu Abend aß. Nachdem sie einige kurze Worte mit Hanna gewechselt hatte, entschuldigte sich diese höflich und verließ das Esszimmer. Frodo sah ihr hinterher, blieb aber noch eine Zeit lang bei Merry sitzen und unterhielt sich mit ihm, ehe auch er sich verabschiedete.

Frodo klopfte zaghaft, ehe er eintrat. Ein Feuer flackerte ihm Kamin, tauchte den Raum in ein wohliges Licht. Hanna saß in einem Sessel vor dem Kamin und lächelte ihm zu. Ihren Sohn hielt sie zärtlich im Arm, wobei sein Kopf auf ihrer Schulter ruhte. Er hatte die Augen geschlossen und die kleinen Hände zu Fäustchen geballt.
Leise trat Frodo ein, setzte sich schließlich ihr gegenüber in den anderen Sessel und beobachtete die beiden. Das Wohlbehagen, das von Mutter und Sohn auszugehen schien, ließ auch ihn nicht unberührt und er fühlte sich seltsam zufrieden.
"Willst du ihn halten?", fragte Hanna sanft.
Frodo nickte eifrig und setzte sich bequemer hin, als Hanna ihm das Kind vorsichtig in die Arme legte. Der Kleine rührte sich im Schlaf und bewegte die Lippen, als würde er noch immer saugen. Frodo lächelte, unfähig den Blick von dem kleinen Bündel in seinen Armen zu nehmen.

"Du hast den Kleinen sehr gerne, nicht wahr?", fragte Hanna, die die beiden lächelnd beobachtete.
Sie hatte Frodo gerne erlaubt, abends zu ihr zu kommen, denn sie hatte bemerkt, dass es ihm Wohl tat, wenn er nach den Ereignissen des Tages nicht sofort alleine in seinem Zimmer war. Er sprach wenig, hüllte sich vor allem dann in Schweigen, wenn sie ihm Fragen über seine Eltern stellte. Auch über sein Befinden verlautete Frodo wenig, doch Hanna hatte gelernt zu sehen, wann es ihm nicht so gut ging, wie er gerne glauben machen wollte. Sie war eine junge Mutter und hatte Frodo erst vor etwas weniger als fünf Jahren kennen gelernt, als sie im Brandyschloss eingezogen war, doch schon bei ihrer ersten Begegnung hatte sie den aufgeweckten, spitzbübischen Jungen in ihr Herz geschlossen. Seit dem Tod seiner Eltern hatte er sich sehr verändert, doch auch wenn sein Gemüt besinnlicher geworden war, strahlte er noch immer jene Herzenswärme aus, die sie damals schon bemerkt hatte. Sie hatte ihn lieb gewonnen und für sie war er beinahe zu einem Teil ihrer Familie geworden und dies nicht nur, weil sein Zimmer als einziges so nah an ihrem lag.

Frodo sah etwas überrascht auf. "Ja, ich... er hat etwas an sich, das…"
Er stockte und runzelte die Stirn, als er einen Augenblick nachdachte. Verwundert stellte er fest, dass er gar nicht beschreiben konnte, weshalb er den kleinen Hobbit mochte.
"Man muss ihn einfach lieb haben", sagte er schließlich und sah Hanna in die Augen. Er fragte sich, ob das die richtige Antwort gewesen war, doch besser wusste er nicht auszudrücken, weshalb er gerne auf Merimas aufpasste.
Hanna betrachtete ihren Sohn lächelnd, dann sah sie in Frodos Augen.
"Du hast Recht. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn machen würde", sagte sie sanft und strich dem Kind über die Wange.

Frodo wurde bei ihren Worten das Herz schwer. Sie wusste nicht, was sie ohne ihn tun würde? War für Eltern der Verlust eines Kindes ebenso schlimm, wie für das Kind der Verlust der Eltern? Er konnte sich das nicht vorstellen. Eltern hatten einen Platz im Leben. Sie wussten, wo sie hingehörten, auch wenn sie ihr Kind nicht mehr hatten. Doch was war mit den Kindern? Sie standen alleine.
Frodo schluckte schwer, ließ seinen Blick auf dem Säugling in seinen Armen ruhen. Er wollte nicht daran denken. Er hatte das Brandyschloss und Saradoc und Esmeralda und so viele mehr. Weshalb hatte er dennoch das Gefühl, alleine zu sein?

Merimas hustete und riss Frodo aus seinen Gedanken. Schnell hob er den Kleinen hoch und klopfte ihm den Rücken, wie Hanna es ihm einmal gezeigt hatte. Kurz darauf erbrach sich der junge Hobbit. Frodo verzog das Gesicht, während Hanna ihm das Kind abnahm und es beruhigte, da es zu schreien begonnen hatte.
"Hat er dich schlimm erwischt?", fragte sie, als Frodo sich mit einer Windel angeekelt über die Schulter wischte. Er schüttelte den Kopf, rümpfte jedoch die Nase, ehe er seinen Blick schließlich wieder zu Hanna wandern ließ, die ihren Sohn sanft wiegte. In den Armen seiner Mutter hatte sich Merimas schnell wieder beruhigt und kuschelte sich an sie. Hanna behielt ihn noch einige Momente länger ihm Arm und legte ihn schließlich ins Bett, als sie sicher war, dass er eingeschlafen war.
"Kannst du noch kurz auf ihn aufpassen, Frodo? Ich bringe die schmutzige Windel weg", sagte sie. Frodo nickte, ehe er sich noch ein letztes Mal mit der Windel über die Schulter wischte.
"Ich bin sofort zurück!" versicherte Hanna und eilte aus dem Zimmer.

Frodo gähnte, als er sich Merimas zuwandte und zärtlich durch die seidigen, dünnen Locken strich. Müde legte er sich neben den Jungen in das große Bett und stütze den Kopf auf die Hand, ohne den Blick vom Hannas Sohn zu nehmen. Die ruhige Atmung des Kindes ließ ihn schläfrig werden. Er seufzte leise.
"Du hast es gut, mein Kleiner."

Als Hanna zurückkehrte, fand sie Frodo schlafend vor. Lächelnd trat sie an das Bett, bedachte die feinen Züge des Jungen, die nur erahnen ließen, wie er in späteren Jahren aussehen würde. Sie hatte vorgehabt, ihn aufzuwecken und zu Bett zu schicken, doch er sah so zufrieden aus, dass sie seinen Schlummer nicht stören wollte.
"Zumindest bis Marmadas zurückkehrt", dachte sie lächelnd und deckte ihn zu.

Es dauerte nicht lange, da trat ihr Gatte auch schon in das Zimmer. Er war mit Seredic im Gasthaus Zum Springenden Hecht in Bockenburg gewesen und hatte dort, bei einigen Krügen Bier, einen gemütlichen Abend verbracht. Hanna saß in einem Sessel neben dem Kamin, als er eintrat, und war damit beschäftig, eine seiner Hosen zu flicken und nur das Kaminfeuer spendete ihr das nötige Licht dazu. Er küsste sie zur Begrüßung, ehe er nach seinem Sohn sehen wollte, sein Blick jedoch auf einen anderen jungen Hobbit fiel.
"Frodo?", fragte er verdutzt und sah Hanna fragend an.
Hanna nickte und erzählte ihm, wie sie den Jungen vorgefunden hatte.
"Ich denke, trotz allem werde ich seinen Schlaf nun stören müssen", schloss sie ihren Bericht bevor sie an das Bett trat und Frodo sanft an der Schulter rüttelte. "Wach auf, Frodo!"

Frodo drehte sich um und blinzelte müde. Seine verschlafenen Augen blickten wie gebannt auf Hanna. Im Licht des Feuers schimmerten ihre Haare in einem hellen Braun. Ihre Stimme war sanft, ihre Berührung liebevoll. Frodo war, als würde er noch immer träumen.
"Mama", flüsterte er kaum hörbar und Tränen sammelten sich in seinen Augen.
Noch immer starrte er wie gebannt auf die Person vor ihm, doch plötzlich verschwamm das Bild und vor ihm stand Hanna, die ihn mit einem freundlichen Lächeln betrachtete.
"Du bist eingeschlafen, Frodo. Komm, ich bringe dich in dein eigenes Bett."
Etwas benommen sah er sich um. Er lag tatsächlich noch immer im großen Bett von Hanna und Marmadas. Merimas ruhte direkt neben ihm. Das Zimmer war trüb und dunkle Schatten tanzten an der Decke des Raumes, ließen Schauer über seinen Rücken laufen.

Verwirrt stolperte er aus dem Zimmer, hinein in sein eigenes. Hanna folgte ihm.
"Ist alles in Ordnung?", fragte sie besorgt, als Frodo geistesabwesend die Kerze auf seinem Nachttisch entzündete und nach seinem Nachthemd suchte.
"Ja, es ist nichts. Es… es geht mir gut", antwortete er stammelnd und wenig überzeugend. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, seine Hände zuckten, als wisse er nicht recht, was er mit ihnen anfangen sollte.
"Ich verstehe, wenn du nicht darüber sprechen willst", hörte Hanna sich sorgenvoll fragen.
Sie betrachtete ihn traurig, doch Frodo sah nicht auf und schien erst nach einer langen Zeit des Schweigens, den Mut zu finden, zu antworten. "Ich komme zurecht."
Tröstend legte sie eine Hand auf seine Schulter und nickte schwach. Sie hatte gehört, was er zuvor im Halbschlaf gemurmelt hatte und zum ersten Mal wurde ihr klar, wie sehr Frodo seine Eltern vermissen musste, auch wenn sie nur vermuten konnte, wie groß seine Trauer tatsächlich war. Hanna hätte ihm gerne geholfen, allerdings wusste sie nicht wie und Frodo dazu zwingen, mit ihr zu sprechen, konnte sie nicht.

Frodo weigerte sich noch immer, sie anzusehen, während er sich weiterhin nach seinem Nachthemd umsah. Er wusste, er würde in Tränen ausbrechen. Was war geschehen? Wie konnte er sie mit seiner Mutter verwechseln? Hanna sah ihr, abgesehen von der Haarfarbe, nicht einmal ähnlich. Es war ein solch fröhlicher Tag gewesen, weshalb musste er so enden?
Beinahe krampfhaft umklammerten seine Hände das Nachthemd, als er es endlich entdeckt hatte.
Hanna sollte sich keine Sorgen machen. Sie hatte Merimas und dieser bereitete ihr bestimmt oft genug schlaflose Nächte, und das nicht nur, weil er weinte.
Er riss sich zusammen und rang sich ein Lächeln ab, als er langsam den Kopf hob und ihr in die Augen sah.

"Das ist gut", antwortete Hanna dann und lächelte ebenfalls. "Schlaf gut, Frodo!"
"Gute Nacht!" entgegnete er, die Stimme kaum mehr, als ein Wispern.
Hanna strich ihm noch einmal über die Wange und verließ dann das Zimmer.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, begann Frodo leise zu schluchzen und ließ sich auf sein Bett fallen. Traurig griff er nach dem Bild seiner Eltern. Er seufzte, als er seine Finger betrübt über den Rahmen gleiten ließ. "Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich euch vermisse!"





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