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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 19: Zweifel



Drei Monate waren seit dem Vorfall mit Marroc vergangen. Frodo hatte nicht weiter darüber gesprochen und auch Merry hielt geheim, was er wusste. Selbst Saradoc war nicht weiter auf den Vorfall eingegangen, doch hatte er Frodo seither nicht wieder um einen Gefallen gebeten.
Hanna hatte sich nach der Geburt ihres Sohnes Merimas gut erholt und der kleine Hobbit hatte für einige Aufregung im Brandyschloss gesorgt.
Die Sommermonate waren schnell vergangen und auch wenn es tagsüber noch immer heiß war, wurden die Nächte wieder kühler. Frodo und Merry hatten die meiste Zeit gemeinsam verbracht, waren zum Bruch gegangen oder hatten nahe dem Fluss gespielt. Dank Merry hatte Frodo seine Furcht vor dem Wasser wieder verloren. Lange Zeit hatte er nicht gewagt, auf den Steg zu gehen oder nahe dem Ufer zu spielen, doch inzwischen ließ er seine Füße mit Freuden wieder in das kühle Wasser baumeln.

So verbrachten sie auch diesen Nachmittag zusammen. Frodo saß auf einem Felsen, der an einer seichten Stelle aus dem Fluss ragte und ließ seine Zehen im glitzernden Wasser kreisen, während Merry sich daran versuchte, Fische mit bloßer Hand zu fangen. Überraschte Ausrufe waren dabei keine Seltenheit und Frodo konnte sich vor Lachen oft kaum auf dem Felsen halten, wenn er Merry bei seinen komischen Verrenkungen beobachtete. Er nannte das die "Brandybock-Sonder-Fischfang-Position", doch Frodo konnte nur einen unbeholfenen Hobbit erkennen, der des Öfteren aus lauter Übermut und "besonderen Fischfang-Positionen" der Länge nach im Wasser landete.
"Ich glaube, jeder Fisch in diesem Fluss lacht dich aus!" meinte Frodo und hielt sich den Bauch, als Merry wieder einmal nach einem missglückten Versuch im Wasser landete.
"Meinst du?", fragte Merry, als er sich wieder aufrappelte und das knietiefe Wasser nach Fischen absuchte. "Der Einzige, der hier lacht, bist du. Weißt du, dass du mir damit alle Fische vertreibst?", meinte er mit gespielt ernstem Ton, als er feststellen musste, dass keine Fische mehr in seiner Nähe waren.
"Die vertreibst du auch alleine. Dazu brauchst du mein Gelächter nicht", erklärte Frodo sachlich, begann dann jedoch wieder zu kichern. "Du solltest dich sehen, Merry! Man kann gar nicht anders, man muss einfach lachen!"
Merry kletterte neben Frodo auf den Felsen und sah ihn beleidigt an.
"Vielen Dank, Vetter! Als Dankeschön sollst du einmal in den Arm genommen werden!" erklärte er, vor Nässe tropfend, und ein verschmitztes Grinsen huschte über sein Gesicht.
"Nein! Bleib mir vom Hals!" rief Frodo und wich zurück, doch es war zu spät. Merry legte seine Arme um ihn und drückte ihn kräftig an sich. Frodo gab einen angeekelten Laut von sich, als die Feuchtigkeit von seinen Kleidern aufgesogen wurde. Er verzog das Gesicht, als sich Merry schließlich von ihm löste und sich ein triumphierendes Lachen nicht verkneifen konnte.
"Du solltest es selbst einmal versuchen", meinte Merry schließlich, während Frodo noch damit beschäftigt war, das Wasser von seinem Hemd zu reiben.
Frodo zog eine Augenbraue hoch. "Fischen?"
"Natürlich", erklärte Merry. "Ich glaube, ich könnte dir die Brandybock-Sonder-Fischfang-Position beibringen."
Frodo rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. "Nein, danke! Ich habe meine eigene Methode, Fische zu fangen."
"Welche?", fragte Merry neugierig.
Frodo konnte sich das Lachen kaum verkneifen, als Merrys Blick interessiert auf ihm ruhte. Er entschied, die Geduld des jüngeren Hobbits auf die Probe zu stellen, so wie es dieser beizeiten gerne mit ihm tat und blickte einen Augenblick schweigend über das Wasser.
"Ich gehe auf den Markt und lasse mir den Fisch frisch verkaufen", verkündete er dann grinsend, als er Merrys fordernden Blick nicht länger ertragen konnte.
Sein Vetter verdrehte die Augen und ließ en nassen Lockenkopf auf Frodos Schulter ruhen.
"Du machst mich wahnsinnig!" murmelte er und schloss die Augen.
Ein sanfter Wind wehte über den Fluss, ließ das ruhig fließende Wasser sich kräuseln, während vorbeiziehende Wolken Schatten über den Brandywein und dessen Ufer wandern ließen.
Frodo legte ihm lächelnd einen Arm um die Schulter und tätschelte seinen Vetter.
"Du wirst dich von mir doch nicht unterkriegen lassen?"
"Keine Sorge, das mach ich nicht", antwortete Merry, setzte sich wieder auf und sah ihn ernst an. "Du solltest das genauso wenig."
Verwundert blickte Frodo in Merrys wachsame Augen. "Wie meinst du das?"
"Ich spreche von Marroc", antwortete er ohne zu zögern. "Du lässt dich von ihm unterdrücken und machst nichts dagegen."

Frodo runzelte die Stirn und betrachtete seinen Vetter skeptisch. Wie kam Merry auf Marroc? Musste er an einem solch schönen Tag von ihm sprechen? Er war Marroc über den Sommer, mehr oder weniger erfolgreich, aus dem Weg gegangen. Dennoch stand dieser manchmal plötzlich in seinem Zimmer, drohte ihm etwas an oder verlangte, dass er ihm bei einer seiner Grausamkeiten behilflich war. Frodo hatte meist keine Wahl, als zu gehorchen. Er war sich sicher, dass Saradoc inzwischen mehr als nur enttäuscht von ihm war, denn er konnte es in seinen Augen sehen. Dennoch wagte er es nicht, mit ihm zu sprechen. Zu gefährlich klangen Marrocs Drohungen und zu gering war sein Mut. Außerdem hatten Marrocs Taten Wirkung gezeigt und Saradoc hatte aufgehört, ihm zu glauben. Nicht mehr nur, wenn es sich um Marroc handelte, sondern auch sonst. Frodo hatte Saradoc einmal dabei beobachtet, wie er eine seiner Aussagen persönlich nachprüfte. Es kränkte ihn, doch was konnte er dagegen machen, ohne sich dabei größerem Leid auszusetzen?
"Das ist meine Sache. Du weißt nichts davon", entgegnete er knapp und wandte den Blick ab.
"Doch das tue ich. Ich weiß mehr, als dir vielleicht lieb ist!" antwortete Merry und betrachtete ihn verständnislos.

Frodo wäre unter diesen Worten beinahe zusammengezuckt. Merrys Worte erfüllten ihn mit Furcht und Hoffnung gleichermaßen, was er sich jedoch nicht anmerken lassen wollte. Wenn Merry tatsächlich etwas wusste, dann hatte er endlich jemanden, der ihm Glauben schenkte, jemanden, mit dem er seinen Kummer teilen konnte. Doch brachte sich Merry dadurch selbst in Gefahr. Marroc würde zu verhindern wissen, dass Saradoc von den Geschehnissen erfuhr und er würde auch Merry zum Schweigen bringen, ebenso, wie er ihn zum Schweigen gebracht hatte.
Den Blick stur auf das Wasser gerichtet, lauschte Frodo angespannt Merrys Worten.
"Ich weiß, welche Lügen er verbreitet", fuhr dieser fort, "ich habe ihn beobachtet. An jenem Tag, als Merimas geboren wurde, hat er dir befohlen, zum Fluss zu gehen, sodass du aus der anderen Richtung nach Hause kamst, scheinbar von dem Ort zurückkehrend, an dem Marroc dich an jenem Nachmittag gesehen haben wollte. Was er nicht hat. Du warst niemals am Fluss. Ich weiß, dass er dich aufgehalten hat und trotzdem hast du die ganze Schuld auf dich genommen."
Frodos Augen weiteten sich in Entsetzen. Sein Vetter wusste tatsächlich Bescheid. Das Herz schlug ihm wild in der Brust, als er entgeistert zu Merry aufblickte, doch dieser ließ ihn nicht zu Wort kommen.
"Ich weiß nicht, was er dir erzählt hat, Frodo, doch du solltest zu meinem Papa gehen. Ich habe nachgeforscht seit jenem Tag und..."
"Ich werde nicht mit deinem Vater sprechen", unterbrach ihn Frodo, ein nervöses Funkeln in den Augen. "Er würde es nicht verstehen. Er glaubt mir nicht."
"Dann müssen wir versuchen, es ihm zu erklären. Wir müssen es ihm doch irgendwie beweisen können!" beharrte Merry.
"Wie denn? Du kannst das vielleicht machen, aber ich nicht. Ich muss in seinem Ansehen inzwischen so weit gesunken sein, dass ihn das nicht einmal mehr interessiert", antwortete Frodo traurig.
"Red keinen Unsinn! Wir werden mit ihm sprechen und dann..."
"... dann wird Marroc bestraft werden. Aber das wird mir nichts nützen. Er wird weiterhin tun, wonach ihm der Sinn steht!" entgegnete Frodo scharf. Dann wurde sein Ton wieder ruhiger. "Nein, Merry. Ich kann nicht mit ihm sprechen und du wirst es auch nicht tun."
Frodo sah ihn streng an. Merry hielt seinem Blick stand, doch dann senkte er den Kopf und nickte. "In Ordnung. Aber du musst mir versprechen, dass du es mir sagst, wenn ich dir irgendwie helfen kann."
‚Du kannst mir nicht helfen, Merry', dachte er, doch seine Antwort war eine andere. "Das werde ich, mach dir keine Sorgen."


~*~*~



Die Schatten wurden länger, als sich Merry und Frodo auf den Heimweg machten. Der Saum von Merrys Hose war noch immer nass, da sich dieser am späteren Nachmittag noch einmal darin versucht hatte, Fische zu fangen. Das Unterfangen war jedoch, ebenso wie das vorangegangene, erfolglos geblieben und hatte nur zu Frodos Erheiterung beigetragen. Sie hatten den Fluss bereits hinter sich gelassen, konnten in der Ferne schon den Bockberg erkennen. Die Luft war kühler geworden und der Wind wehte heftiger, als noch am Nachmittag, brachte das Gras auf den Hügeln Bocklands zum Tanzen.

Die jungen Hobbits waren in eine rege Unterhaltung vertieft, die immer wieder durch lautes Lachen und überschwängliche Gesten unterbrochen wurde, und so bemerkten sie nicht, wie sich jemand von hinten an sie heran schlich.
"Wen haben wir denn da? Meriadoc Brandybock und Frodo Beutlin! Na wenn das kein Zufall ist."
Frodo erstarrte, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte und auch Merry verharrte auf der Stelle, als Marroc an ihnen vorüberging und sich vor ihnen aufbaute.
"Was willst du, Marroc?", sagte Merry ernst. "Lass uns vorbei!"
Marroc packte auch ihn an der Schulter, nachdem er von Frodo wieder abgelassen hatte, doch Merry schlug seine Hand weg.
"Du bist mutiger, als dein kleiner Freund hier", entgegnete Marroc, während er mit einem hämischen Grinsen vor Frodo, der wütend zu ihm aufblickte, jedoch nicht wagte etwas zu sagen
Er warf einen kurzen Blick hinter die beiden Hobbits, wo er Sadoc und Ilberic erkannte, ehe er sich an Frodo wandte. "Du hast keinen Mut. Nicht erst seit dem Tod deiner Eltern bist du ein jämmerlicher Anblick. Ich glaube ja nicht daran, dass sie tot sind. Ich denke eher, dass sie gegangen sind. Geflüchtet, möchte man vielleicht sagen, vor jemandem wie dir."
"Wie kannst du es wagen!" schrie Merry wütend und stürmte nach vor. Marroc wich zurück, doch das wäre nicht nötig gewesen. Sadoc hatte den jungen Hobbit sofort gepackt und hielt ihn fest, auch wenn dieser sich heftig wehrte.
Frodo blickte starr zu Boden. Seine Hände hatten sich zu zitternden Fäusten geballt und sein ganzer Körper bebte. Er atmete schwer.
"Lass dir das nicht gefallen, Frodo!" rief Merry ihm zu, doch Frodo reagierte nicht auf ihn. Auch sah er das wütende Funkeln in Marrocs Augen nicht, als dieser seinem Vetter zornig riet, still zu sein, ehe er sich wieder ihm zuwandte.
"Bist du nicht auch meiner Meinung?", fragte er nach und sein spöttisches Grinsen wurde immer breiter. Schließlich runzelte Marroc die Stirn. "Vielleicht war es aber auch ganz anders. Es gibt viele Gerüchte um ihren Tod. Eines davon besagt, dass Primula deinen Vater ins Wasser gestoßen haben soll und Drogo hat sie mit sich in die Tiefe gerissen."

Wut flammte in Frodos Herzen. Lügen über ihn zu verbreiten, war eine Sache, aber Gerüchte über den Tod seiner Eltern in die Welt zu setzen, war eine ganz andere. Vor allem, wenn es sich um Gerüchte dieser Art handelte. Lügen. Seine Eltern hatten sich geliebt und daran hegte er keinen Zweifel. Sie liebten sich mehr, als alles andere in der Welt.

Seine Wut gab ihm Kraft, von der er nicht wusste, dass er sie besaß. Mit einem Satz sprang Frodo nach vor und warf Marroc zu Boden. Marrocs Augen weiteten sich erschrocken. Es ging viel zu schnell, als dass Ilberic hätte eingreifen können. Marroc hatte sich jedoch schnell wieder gefasst und die Situation unter seine Kontrolle gebracht. Zwar konnte Frodo einen kräftigen Schlag in dessen Gesicht landen, doch noch ehe er zu einem zweiten hatte ausholen können, hatte Marroc ihn von sich gestoßen und sich auf ihn gerollt. Als Frodo sich heftig wehrte, sich beinahe wieder hätte befreien können, legte Marroc die Hände um seinen Hals und sperrte dem jüngeren Hobbit die Luft ab.

"Was soll das?! Marroc! Frodo! Hört sofort auf damit!"
Saradoc rannte auf die Gruppe Jungen zu. Er war gerade von den südlichen Feldern zurückgekehrt, als er sah, wie sich Frodo ohne weiteres auf Marroc stürzte. Wütend dachte er an den Jungen, der ihn in den letzten Monaten einige Nerven gekostet hatte. Immer wieder hatte es Auseinandersetzungen mit Marroc gegeben und Saradoc hatte bald nicht mehr gewusst, wem er glauben sollte.

Marroc ließ sofort von Frodo ab und auch Merry wurde gehengelassen. Dieser lief sogleich zu seinem, der hustend und keuchend auf dem Boden lag und eine Hand an seinen schmerzenden Hals gelegt hatte. Marroc stellte sich neben seine Freunde, setzte eine fassungslose Miene auf und wischte sich das Blut von der Nase.

"Was ist das hier?" Saradoc trat zwischen die Hobbits und sah von einem zum anderen.
Frodo kam wieder auf die Beine, machte sich nicht einmal die Mühe, das Gras aus seinen Kleidern zu klopfen, sondern funkelte wütend zu Marroc.
"Ich weiß nicht, was er hat, Saradoc. Er ist plötzlich auf mich losgegangen", sagte Marroc mit erschrockenem Tonfall und unschuldigen Gesichtsausdruck.
"Du bist ein Lügner!" schrie Frodo wutentbrannt und stürzte sich auf seinen Gegenspieler, noch ehe Merry ihn davon abhalten konnte. Saradoc packte Frodo am Handgelenk. Er wollte auch nach seiner anderen Hand greifen, um den wild fuchtelnden Jungen aufzuhalten, doch Frodo entzog ihm diese.
"Er lügt!" rief er aufgebracht. "Durchschaust du denn sein falsches Spiel noch immer nicht?" Frodo hatte sich zu Saradoc umgewandt, versuchte jedoch weiterhin, sich aus dessen Griff zu winden, um Marroc anzugreifen. Für diese Beleidigung sollte der ältere Junge büßen müssen. Saradocs Griff wurde jedoch immer fester, anstatt dass er sich lockerte und das ließ Frodo noch wütender werden, doch richtete sich sein Zorn nun auf den Herrn von Bockland.
"Du willst es nicht erkennen! Du hasst mich! Du...", schrie er zornig, doch weiter kam er nicht.
Eine Hand schnitt durch die Luft und hinterließ einen roten Abdruck auf seiner Wange. Frodo verharrte in seiner Bewegung. Unwillkürlich strichen seine Finger über die schmerzende Backe, ehe er entsetzt zu Saradoc aufsah, die Augen geweitet vor Schrecken. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er war unfähig, zu sprechen, schien von Überraschung und Furcht wie versteinert.

Merry starrte seinen Vater entgeistert an. Nie zuvor hatte er erlebt, dass er jemanden ohrfeigte. Mit offenem Mund sah er von Saradoc zu Frodo, dann kurz zu Marroc und den anderen und schließlich wieder zu seinem Vater. Gingen Marrocs Lügen wirklich schon so tief, dass sein Vater so schnell die Geduld verlor, wenn es um Frodo ging? Merry wollte es nicht glauben, doch nach allem, was er in den letzten Monaten herausgefunden, nach allem, was er erlebt hatte, konnte das durchaus möglich sein.

Marroc und seine Freunde blickten ebenfalls einen Moment erstaunt auf das Schauspiel, das sich ihnen soeben geboten hatte. Keiner schien wirklich zu begreifen, was geschehen war und nur über Marrocs Gesicht glitt ein boshaftes Grinsen, das jedoch ebenso schnell verschwand, wie es erschienen war. Er hatte sein Ziel erreicht. Saradoc verlor die Geduld mit Frodo.

Verblüfft sah Saradoc auf seine Hand, spürte das Kribbeln, das sich von seiner Handfläche über seine Finger zog. Sein verwirrter Blick fiel auf Frodo, der ihn entgeistert und ängstlich anstarrte. Das rechte Handgelenk des Jungen hielt er noch immer fest umklammert, doch lockerte er seinen Griff nun ein wenig, ließ ihn jedoch nicht gehen, während sein Blick bekümmert auf Frodos furchtsamen Augen ruhte. Was war in ihn gefahren? Nie zuvor hatte er jemanden geschlagen, geschweige denn ein Kind. Frodo, der Sohn seiner Tante. Wie konnte es soweit kommen?
Es dauerte einen Augenblick, doch schließlich fand er seine Stimme wieder. "Ich möchte, dass du gehst, Frodo!"
Frodos Augen weiteten sich in purem Entsetzen.
"Geh nach Hause und warte in deinem Zimmer auf mich", forderte er den Jungen auf und löste den Griff um seinen Arm.
Frodo rannte sogleich von dannen. Merry wollte ihm folgen, doch Saradoc hielt ihn auf.
"Du bleibst hier", bestimmt er, darum bemüht, wieder Haltung einzunehmen. "Ihr vier werdet mir nun berichten, was geschehen ist. Wahrheitsgetreu!"
Das letzte Wort betonte er besonders ausdrucksstark und richtete seinen Blick dabei auf Marroc. Dieser zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern hielt dem Blick stand, als hätte er nichts zu befürchten. Auch als Saradoc ihnen schließlich auftrug, sich ins Gras zu setzen, wollte Marroc noch nicht aufgeben und blieb bei seiner Darstellung der Ereignisse. Merry unterbrach ihn bei jedem seiner Sätze und stellte ihn richtig, doch gab er das bald auf, je länger das Gespräch dauerte.

Saradoc war bald klar, dass Marroc log und Schuldgefühle machten sich in ihm breit. Frodo hatte das oft gesagt, aber er hatte ihm nie geglaubt. Merry ließ verlauten, dass Marroc Frodo schon lange unterdrückte. Dieser stritt die Vorwürfe aufs heftigste ab, doch das bestätigte Saradoc nur noch mehr in seinem Glauben an Merry. Alles, was er am heutigen Tag und auch in den Monaten davor gesehen hatte, erschien plötzlich in einem völlig neuen Licht und er brannte darauf, mehr darüber zu erfahren. Von Marroc würde er allerdings nur Lügen erhalten und so musste Saradoc abwarten. Zu Hause würde er in aller Ruhe sowohl mit Frodo, als auch mit Merry sprechen.
Er bereute die Ohrfeige und schimpfte sich selbst, dass er Frodo nicht geglaubt hatte, ließ sich das bei der Unterhaltung mit den vier Hobbits jedoch nichts anmerken.

Die Sonne war bereits untergegangen, als sie zum Brandyschloss zurückkehrten. Dunkle Wolken waren aufgezogen und Donner grollte, kündigte eines der letzten Sommergewitter an. Ein feiner Nieselregen hatte eingesetzt, der sich alsbald als heftiger Schauer entpuppte.
Saradoc war erschöpft und verschwitzt und sehnte sich nach einem Bad, als er Marroc, Sadoc und Ilberic in die Küche schickte. Erst musste er jedoch mit Frodo sprechen und so schlug er gleich nach seiner Ankunft den Weg zu dessen Zimmer ein. Merry war an seiner Seite. Sein Sohn klopfte an der Tür, rief nach Frodo, doch keiner antwortete ihnen und als sie die Türe öffneten, war das Zimmer verlassen.
Merry sah fragend zu seinem Vater auf. Sorge spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Auch bei Saradoc machte sich Unruhe breit, doch zeigte er diese vor seinem Sohn nicht. Gemeinsam gingen sie in die Hauptküche, doch auch da war Frodo nicht und keiner hatte ihn seit dem Mittagessen gesehen.
"Wir müssen ihn suchen!" verlangte Merry furchtsam, als sie wieder im östlichen Gang standen, nachdem sein Vater und er auch einige der Badezimmer und Wohnzimmer abgesucht hatten.
Saradoc nickte. Sorge hatte sich nun auch wie eine gefährliche Schlinge um seine Brust gelegt und er machte sich schreckliche Vorwürfe. Er musste den Jungen finden und sich bei ihm entschuldigen. So vieles hatte er in den vergangenen Monaten falsch gemacht.
"Ich werde mich sofort aufmachen", tat er kund und legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes, als dieser sich zum Gehen anschickte. "Du bleibst hier, Merry!"
"Aber...", protestierte dieser und sah bittend zu seinem Vater auf.
"Keine Widerrede!" sagte er streng. "Marmadas und Merimac werden mich bestimmt begleiten."

Kurze Zeit später hatte Saradoc alles mit Esmeralda besprochen und ihr aufgetragen, sich in der Höhle nach dem Jungen umzusehen. Sein Bruder Merimac und Marmadas hatten eingewilligt, ihn bei der Suche nach Frodo zu unterstützen. Während sich Merimac auf dem Weg nach Bockenburg umsehen wollte, wollte Marmadas am östlichen Ufer des Brandyweins nach Frodo suchen. Saradoc hatte vor, sich am westlichen Ufer umzusehen.
In Umhänge gehüllt und mit Laternen traten sie schließlich in die regnerische Nacht hinaus, als ein Blitz den dunklen Himmel erhellte.





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