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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 16: Trautes Heim, Glück allein



Müde ließ Frodo sich von seinem Pony gleiten und klopfte ihm den Hals. Sie waren den ganzen Tag geritten. Saradoc war mit zwei Ponys nach Hobbingen gekommen, sodass Frodo auf einem eigenen Tier hatte reiten können, denn dies war angenehmer für Pony und Reiter.
Die Sonne war schon lange untergegangen, als die Lichter Bockenburgs in der Ferne auftauchten, und für gewöhnlich wäre Frodo um diese Zeit bereits in seinem Bett gewesen. Saradoc sprang vom Rücken seines Reittieres und griff nach den Zügeln von Frodos Pony.
"Ich werde mich um die Tiere und das Gepäck kümmern. Geh du hinein und leg dich schlafen. Es war ein langer Tag."
Frodo nickte und stolperte zur Hintertür, froh sich bald hinlegen zu können. Gerade als er nach dem Türknauf greifen wollte, öffnete sich die Tür mit einem Ruck und Merry stürmte ihm mit einem lauten "Frodo!" entgegen, wobei er ihn beinahe zu Boden warf. Das schwache Licht einiger Lampen strömte in die Nacht heraus und warme Luft wehte Frodo entgegen, was seine kalten und müden Glieder noch eifriger werden ließ, endlich in die warme Höhle zu kommen. Merry ließ ihm dazu jedoch keine Möglichkeit und klammerte sich so fest an ihn, dass Frodo sich kaum noch rühren konnte.
"Merry, komm herein! Es ist kalt draußen!" Esmeralda tauchte in der Türe auf, winkte beide ins Innere der Höhle. "Willkommen zu Hause, Frodo! Wie war deine Reise?"
Frodo löste sich aus der festen Umarmung seines Vetters, der übermütig neben ihm her tänzelte, während er in die Höhle trat.
"Ich bin vollkommen erschöpft. Ich hatte schon befürchtet, auf meinem Pony einzuschlafen."
"Ich bin so froh, dass du wieder hier bist", ließ Merry in wissen, wobei er nach seiner Hand griff, als wolle er sicher gehen, dass er nicht wieder wegging. "Es war so langweilig ohne dich."
Esmeralda legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"In der Küche gibt es noch etwas zu Essen für dich", sagte sie, ehe sie in der kalten Nacht verschwand, mit der Erklärung, sie wolle Saradoc mit den Ponys helfen.

"Hat Papa von der wichtigen Sache erzählt?", fragte Merry mit einem geheimnisvollen Ton, als sie durch die Gänge des Brandyschlosses gingen.
"Das hat er", entgegnete Frodo, wobei er den Schal um seinen Hals löste und die Knöpfe seines Mantels öffnete, "Ich hatte vermutet, dass es sich hierbei um Marroc handelt."
Merry nickte. "Du hast richtig vermutet. Er..."
Weiter kam er nicht, denn Gorbadoc kam ihnen entgegen.
"Hallo Frodo! Schön dich wieder hier zu haben", sagte er und wuschelte seinem Enkel durch die Haare, ehe sein Blick auf Merry fiel. "Solltest du nicht schon längst im Bett sein?"
Merry hatte Erlaubnis gehabt, bis zu Frodos Ankunft aufzubleiben und da er seinen Vetter nun begrüßt hatte, gab es keinen Grund mehr, ihn noch länger durch das Brandyschloss streifen zu lassen. Doch noch wollte er Frodo nicht verlassen, schließlich hatten sie sich lange nicht mehr gesehen und es gab eine Vielzahl von Dinge zu besprechen. Mit bittenden Augen sah er zu dem alten Hobbit auf, doch Gorbadoc blieb streng.
"Ihr könnt euch morgen weiter unterhalten", ließ er Merry wissen und scheuchte den Jungen in sein Zimmer.

Frodo winkte ihm hinterher, als dieser mit betrübtem Ausdruck verschwand. Inzwischen war er aus seinem Umhang geschlüpft, den er nun in der Hand hielt. Die Kälte, der er den ganzen Tag über ausgesetzt war, verflüchtigte sich bereits und würde bald nicht mehr, als eine Erinnerung sein. Müde schlurfte er in die Hauptküche, wie Esmeralda es ihm aufgetragen hatte, wo er sogleich von seiner Großmutter und einigen anderen Tanten und Verwandten empfangen wurde. Mirabella ließ sogleich nach einer großen Schüssel Suppe schicken, während seine Tante Amaranth ihm eine Tasse Tee reichte, die Frodo dankend annahm. Zu müde für Gespräche, aß er schweigend, was ihm aufgetischt wurde.
Gerade als er sich verabschieden wollte, trat Saradoc, gefolgt von Esmeralda, in die Küche.
"Ich habe deine Sachen bereits in dein Zimmer gebracht", ließ er ihn wissen.
Frodo bedankte sich, griff nach seinem Mantel, dem Schal und dem Umhang und wünschte allen eine gute Nacht. Die vielen Stimmen, die er auf dem Weg in sein Zimmer vernahm, schienen ihm beinahe ungewohnt, bis er schließlich in den abgeschiedenen, östlichen Gang trat, vorbei an einem der kleineren Badezimmer, um schließlich den Knauf seiner Türe zu drehen und von absoluter Dunkelheit und Stille willkommengeheißen zu werden. Schon der östliche Gang war spärlicher beleuchtet gewesen, als der restliche Bereich das Brandyschlosses und Frodo trat blind in sein Zimmer, tastete nach dem Kerzenhalter, der immer auf seinem Nachtkästchen stand und entzündete ihn mit den Streichhölzern, die daneben lagen.
Seine Kleider warf er auf den Stuhl, ehe er sich völlig erschöpft auf sein Bett fallen ließ und für einen Moment die Augen schloss.
Müdigkeit ergriff Besitz von ihm, doch er rappelte sich noch einmal auf, griff nach dem Rucksack, den Saradoc neben den Schreibtisch gelegt hatte und kramte sein Bild hervor. Lange Zeit betrachtete er es, strich beinahe zärtlich über den Rahmen.
"Nun bin ich also wieder zurück", flüsterte er, als er die liebevoll gemalte Zeichnung der Familie Beutlin an ihren Platz auf dem Nachtkästchen stellte.
Er gähnte. Es war höchste Zeit, schlafen zu gehen. Rasch hatte er ein Nachthemd aus dem Schrank geholt, sich umgezogen und war in sein Bett gekrochen, als ihn plötzlich ein seltsames Gefühl der Sehnsucht überkam. Sein Blick glitt zur Tür.
"Nein", sagte er sich selbst und schüttelte den Kopf. Bevor er mit Bilbo gegangen war, hatte er sich dazu entschlossen, wieder in seinem eigenen Bett zu schlafen, er würde jetzt nicht wieder in das seiner Eltern klettern. Seine Finger krallten ich an der Bettdecke fest, als er gegen den Wunsch ankämpfte, in ihr Zimmer zurückzukehren.
‚Nur einen Augenblick', hörte er die Stimme seines Herzens flüstern und es war schwer, diese Stimme zu ignorieren. Er schloss die Augen.
"Nur einen kurzen Moment", versicherte er sich dann, warf die Decke zurück und trat, wenn auch nur mit zögernden Schritten, in den Gang hinaus. Als er schließlich langsam die Tür zum Schlafzimmer seiner Eltern öffnete, fühlte er sich ungemein erleichtert. Doch was er dann sah, raubte ihm den Atem. Für einen Moment stand er starr vor Schreck und mit vor Entsetzen geweiteten Augen da.

Verlassen. In der Mitte des Raumes stand das große Bett, nicht mehr für den Gebrauch bestimmt. Die bestickte Tischdecke, die das Tischchen in der Ecke geziert hatte, war verschwunden. Keine Bilder hingen mehr an der Wand. Die Regale waren ausgeräumt, die Türen des Kleiderschranks offen, der Kleiderschrank selbst leer.
Frodo spürte, wie er zu zittern begann.
"Was...?", fragte er atemlos, wobei er nach dem Türrahmen tastete, um seinem Körper Halt zu geben.
"Frodo? Was machst du hier? Ich dachte, du würdest bereits schlafen."
Esmeralda trat an ihn heran, legte eine Hand auf seine Schulter. Verwirrt wandte er sich zu ihr um, blickte mit ungläubigen Augen zu ihr auf.
"Was... was ist hier geschehen?", fragte er mit stockender Stimme. "Wo sind ihre Sachen?"
"Wir haben das Zimmer ausgeräumt", erklärte sie. "Die Sachen wurden nicht mehr gebraucht. Wir haben sie weggeräumt. Komm jetzt, es ist schon spät."
Verzweifelt schlug Frodo ihre Hand weg, als sie ihn wegführen wollte, starrte weiterhin ungläubig in das Zimmer, suchte nach etwas, dass diesen Raum wieder zum Zimmer seiner Eltern machte, zu dem Ort, an dem er sich immer am wohlsten gefühlt hatte.
Esmeralda kniete sich vor ihm nieder, um ihm in die Augen sehen zu können und legte ihre Hände auf seine Schultern. Frodo sah sie nur widerwillig an, die Augen noch immer voller verzweifelter Verwirrung.
"Es tut mir Leid, Frodo, aber es musste sein", sagte sie ruhig. "Es leben viele Familien im Brandyschloss und viele von ihnen in einem kleinen Zimmer. Es gibt genügend Hobbits in deinem Alter, die kein eigenes Zimmer haben. Vermutlich wird einer von ihnen in nicht allzu ferner Zukunft hier einziehen." Sie lächelte ihm freundlich zu, als sie sich erhob und nach seiner Hand griff, um ihn in sein Zimmer zu führen. "Sei nicht traurig."
Frodo warf einen letzten, verzweifelten Blick in den nun verlassenen Raum, ehe er sich schweren Herzens von Esmeralda zu Bett bringen ließ.

Obschon er zuvor vollkommen erschöpft gewesen war, lag er nun wach in seinem Bett und starrte in die Dunkelheit, die ihn umgab. Er konnte nicht glauben, dass sie ihr Zimmer einfach so ausgeräumt hatten. Hatten sie dazu überhaupt das Recht?
Die Sachen wurden nicht mehr gebraucht.
Sein Herz weinte, als er an Esmeraldas Worte dachte.
"Ich brauche sie", wisperte er kaum hörbar, rollte sich traurig unter der Bettdecke zusammen und schloss die Augen.



~*~*~



Schon beim Frühstück leistete Merry Frodo Gesellschaft. Er hatte zwar schon gefrühstückt, als Frodo endlich aufgestanden war, doch war er der Ansicht, dass ein weiterer Happen nicht Schaden konnte. Sie saßen in einigem Abstand zu Mirabella, die sich mit einigen Damen am anderen Ende des Esszimmertisches bei einer Tasse Tee unterhielt. Merry hoffte, so seinem Vetter ungestört von den Vorkommnissen der letzten Monate berichten zu können.
"Einige Wochen vor Jul wurde dann das Zimmer ausgeräumt", fuhr Merry in seinem Bericht fort, schwieg jedoch einen Augenblick, als er den traurigen Ausdruck in Frodos Gesicht bemerkte. "Die Sachen wurden alle aufgehoben", versicherte er, doch sein Blick war beunruhigt, denn Frodos Ausdruck änderte sich nicht. "Es tut mir Leid, dass du nicht da warst, um etwas dagegen einwenden zu können."
Frodo schüttelte den Kopf, blickte nachdenklich in seine Teetasse.
"Mach dir keine Gedanken darüber, Merry", sagte er nach langem Schweigen. "Es musste so kommen, auch wenn mir lieber gewesen wäre, sie hätten sich etwas Zeit damit gelassen."
Merry lächelte. "Es freut mich, dass du so darüber denkst."
Er war froh, zu sehen, dass Frodo sich anscheinend nicht mehr so viele Gedanken über seine Eltern machte. Als sein Vetter weggegangen war, war er sehr betrübt gewesen, hatte sich große Sorgen gemacht und war nun umso erleichterter, dass es Frodo sehr viel besser zu gehen schien, als noch bei seinem Aufbruch.
"Was ist denn nun mit Marroc?", Frodo senkte seine Stimme, lehnte sich verschwörerisch zu seinem Vetter. "Du hast mir noch immer nicht erzählt, was vorgefallen ist. Hattest du wieder Streit mit ihm?"
Merry vergewisserte sich mit einem kurzen Seitenblick, dass ihnen auch wirklich keine Beachtung geschenkt wurde, bevor er antwortete: "Dazu wollte ich gerade kommen. Und, um deine Frage zu beantworten, ja, wir hatten wieder einen Streit. Keiner weiß davon, und dabei soll es auch bleiben!" Er warf Frodo einen vielsagenden Blick zu. "Mein Vater braucht nichts davon zu wissen und auch alle anderen nicht. Worum es bei dem Streit ging, ist unwichtig, denn das ist es nicht, worüber ich mit dir sprechen will. Jedenfalls ist er gleich zu meinem Vater gegangen, als er erfuhr, dass ein Zimmer frei werden sollte."
Frodo starrte ihn entgeistert an. Völlig um ihre Heimlichkeit vergessend, rief er entrüstet: "Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass er in das Zimmer meiner Eltern ziehen wird?!"
Mirabella hob den Kopf, sah fragend zu ihnen herüber. Frodo, sich seines Fehlers bewusst werdend, legte rasch eine Hand auf den Mund, als Merry ihn erschrocken ansah. Auf Mirabellas Blick antworteten sie mit einem unschuldigen Lächeln, ehe sie erneut die Köpfe zusammensteckten.
"Lass mich doch erst einmal ausreden", verlangte Merry mit gesenkter Stimme.
Frodo sah ihn ungeduldig an. Jeder Muskel seines Körpers war gespannt.
"Papa hat gesagt, er überlegt es sich noch, für was er das Zimmer später verwenden wird und hat ihm nicht zugesagt", fuhr Merry fort. "Es ist noch nicht einmal die Rede davon, dass überhaupt jemand dort einzieht."
Frodo stand ruckartig auf. Saradoc konnte niemanden im Zimmer seiner Eltern einziehen lassen und noch weniger sollte es für andere Zwecke verwendet werden. Frodo wurde plötzlich klar, dass er zu lange von hier weg gewesen war und nun alles, das er einst geliebt hatte, dabei war, zu zerbrechen.
"Was immer dein Vater vorhat, Marroc wird dieses Zimmer nicht bekommen!" sagte er entschlossen und stapfte aus dem Esszimmer.

Merry sah ihm verblüfft hinterher. Er hatte nicht erwartet, dass Frodo sich so sehr darüber aufregen würde, hatte er doch kurz zuvor noch davon gesprochen, dass er es akzeptieren musste, dass das Zimmer nun verlassen war. Verwirrt runzelte er die Stirn, lächelte dann Mirabella an, die fragend zu ihm herüberblickte.

Frodo war auf dem Weg in sein Zimmer, als Marroc ihm entgegen kam. Der groß gewachsene, kräftig gebaute Hobbit wurde von seinen Freunden Sadoc und Ilberic begleitet.
"Sieh an, du bist also doch wieder zurückgekehrt", sagte der ältere spöttisch.
Frodo blitzte ihn wütend an, sagte jedoch nichts. Für den Augenblick hatte er vor, sie zu meiden. Er musste erst einen Plan schmieden, um zu verhindern, dass bald ein Unglück geschah. Ohne ein Wort, drängte er sich an ihnen vorüber und ging in sein Zimmer, beinahe überrascht, dass keiner der drei versuchte, ihn aufzuhalten, auch wenn Marrocs hämisches Grinsen nichts Gutes versprach.

Er war tief in Gedanken, als er nach seinem Rucksack griff, um seine Kleider auszupacken.
Wie hatte Saradoc das Zimmer Marroc versprechen können? Wenn jemand dort einziehen sollte, dann war er das. Frodo war sich sicher, dass Marroc das mit Absicht gemacht hatte. So hatte er bessere Möglichkeiten, ihn zu erniedrigen, wie er es schon immer getan hatte, wenn sich ihm die Gelegenheit geboten hatte. Marroc wusste, wie sehr er an seinen Eltern hing und hatte sich oft darüber lustig gemacht, wie wenig er ohne sie zurechtkommen würde.
Frodo hielt sich an einem Hemd fest, das er in den Schrank legen wollte und schluckte schwer. Wenn er daran dachte, wie verlassen, wie verloren er sich fühlte, seit er den ausgeräumten Raum gesehen hatte, musste er sich eingestehen, dass Marroc Recht hatte. Ohne seine Eltern war er zu nichts mehr Nutze. Wen hatte er denn nun noch? Wen konnte er um Hilfe bitten, wenn Marroc tatsächlich einen fiesen Plan hatte, jetzt wo sein Vater solche Dinge nicht länger richtig stellen konnte?
Seine Hände ballten sich zu Fäusten, als ein Zittern ihn durchlief.
"Reiß dich zusammen!" schimpfte er sich selbst und kramte einige Hosen aus dem Rucksack.
Er war bei Bilbo alleine zurechtgekommen und das würde ihm auch hier gelingen. Marroc sollte dieses Zimmer nie bekommen, dafür wollte er sorgen. Frodo wusste auch schon wie. Nach dem Abendessen wollte er mit Saradoc sprechen und ihn bitten, selbst dort einziehen zu dürfen. Wenn das stimmte, was Merry ihm gesagt hatte, war im Moment noch nichts entschieden und Saradoc würde gewiss einsehen, wie wichtig es ihm war, im Zimmer seiner Eltern zu leben. Marroc würde weiterhin ein Zimmer am anderen Ende der Höhle haben, wo er ihm nichts anhaben konnte.
Zufrieden mit seiner Entscheidung lächelte Frodo, als er auch den leer geräumten Rucksack im Schrank verstaute, blickte dann überrascht auf, als es an der Tür klopfte. Merry spähte herein.
"Kommst du mit ins Wohnzimmer?", wollte er wissen. "Gorbadoc hat versprochen, eine Geschichte zu erzählen."
Bei dem Gedanken an eine Geschichte hellte sich Frodos Miene auf und die beiden huschten rasch durch die Gänge des Brandyschlosses um kein Wort der Erzählungen zu versäumen.

Während Frodo und Merry Gorbadocs Worten lauschten, ging der Nachmittag schnell vorüber. Gemeinsam mit vielen anderen Kindern jeden Alters hatten sie es sich auf dem Fußboden eines der Wohnzimmer gemütlich gemacht und im Schein des Kaminfeuers und einiger Wandlampen Gorbadocs Geschichte gelauscht. Sie handelte vom Alten Wald, der sich östlich des Bocklands befand und gleichzeitig auch die Grenze des Auenlandes darstellte. Die Behauptung, die Bäume in diesem Wald würden miteinander sprechen, sich sogar bewegen, war im ganzen Auenland bekannt, doch vor allem in Bockland gab es unzählige Geschichten darüber.
"Die seltsamsten Dinge passierten im Tal der Weidenwinde", sagte Gorbadoc und seine Stimme klang Furcht einflößend, ließ den Kindern einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Nichtsdestotrotz wollten sie mehr darüber erfahren, doch Gorbadoc wandte sich anderen Dingen zu, berichtete stattdessen davon, wie die Bäume eines Tages vor vielen Jahren nahe an die Hecke kamen, die eigens dafür errichtet worden war, um das Bockland vom Wald abzutrennen. Er erzählte vom großen Feuer, das damals entzündet worden war, um die Bäume zu vertreiben und das sie sich seither nicht wieder so nahe an die Hecke herangewagt hatten.
"Warst du denn schon einmal im Wald, Großvater?", fragte Frodo neugierig. Sein Interesse für Geschichten war schon immer groß gewesen und der Alte Wald hatte ihn schon sein ganzes Leben ungemein fasziniert.
"Das war ich, vor vielen Jahren", antwortete dieser ernst. "Manch ein Brandybock ist schon hinein gegangen, wenn er Lust dazu verspürte. Die meisten bei Tageslicht, denn nachts soll es sehr gefährlich sein." Seine Stimme senkte sich, nahm einen bedrohlichen Unterton an. "Die Bäume mögen keine Fremden. Tagsüber genügt es ihnen, dich zu beobachten, doch nachts, Frodo, nachts beginnen sie zu flüstern. Sie strecken ihre Zweige nach dir aus und bringen dich zum Stolpern."
Gorbadoc sah sie einen nach dem anderen an, einen Furcht einflößenden Ausdruck in den Augen, der Frodo unwillkürlich frösteln ließ. Er spürte Merrys Hand, die sich nervös an seinen Arm klammerte. Sie tauschten einen unsicheren Blick, beide ein ebenso mulmiges Gefühl in der Magengegend, wie alle Kinder im Raum.
Gorbadoc lachte laut auf und ließ die jungen Hobbits erschrocken zusammenzucken.
"Lasst euch nicht schon so früh am Abend von meinen Geschichten erschrecken", lachte er, wobei er Minto Platschfuß, der ihm am nächsten saß, durch die Haare wuschelte. "Jetzt sollten wir erst einmal etwas essen."
Als wäre dies ein heimliches Stichwort gewesen, erhoben sich plötzlich alle Kinder und trotteten zum Esszimmer, dicht gefolgt von den meisten Erwachsenen.

Frodo hatte gerade den letzten Bissen seines Kümmelkuchens geschluckt, als Saradoc sich von seinem Platz erhob.
"Ich habe heute zwei freudige Nachrichten zu verkünden."
Der Herr von Bockland war einer der Ersten, die das Mahl bereits beendet hatten, wollte scheinbar sicher gehen, dass jeder von dieser Ankündigung erfuhr. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Frodos Magen aus und, hätte er noch einen Teil seines Abendessens auf dem Teller gehabt, wäre ihm der Appetit vergangen. Unruhig sah er zum Herrn.
"Die Erste von ihnen", fuhr dieser fort, "betrifft Marmadas und seine Frau Hanna."
Saradoc bedeutete Marmadas Brandybock aufzustehen. Dieser nickte ihm dankend zu, wirkte jedoch sehr unruhig, als er sich erhob. Er schenkte seiner Frau ein verlegenes Lächeln, das sie nicht weniger verschämt erwiderte.
"Hanna und ich", begann er zögernd, "wir erwarten noch in diesem Jahr unser erstes Kind."
Tosender Applaus und freudige Zurufe aller Bewohner ließen Marmadas und Hanna über das ganze Gesicht strahlen. Auch über Frodos Züge stahl sich ein Lächeln. Er kannte die beiden gut und es freute ihn, sie so glücklich zu sehen.
Als die Hobbits sich wieder beruhigt hatten und Marmadas sich wieder setzte, ergriff Saradoc erneut das Wort. "Die zweite Neuigkeit betrifft einen unserer jüngeren Mitbewohner."
Das Lächeln in Frodos Gesicht verschwand und seine Unruhe, für kurze Zeit vergessen, kehrte wieder. Er warf Merry einen fragenden Blick zu, doch dieser zuckte ahnungslos mit den Schultern.
"Marroc Boffin, ich habe mich entschieden dir dein eigenes Zimmer zu geben. Fortan wirst du im östlichen Bereich des Brandyschlosses hausen."
Frodo riss die Augen auf. Entsetzen spiegelte sich in ihnen wieder. Merry sah überrascht zu ihm auf, als er sich ruckartig von seinem Platz erhob, den Blick direkt auf Saradoc gerichtet.
"Das kannst du nicht machen!" schrie er. Ein Hauch Verzweiflung lag in seiner Stimme. Seine Hände ballten sich zu krampfhaften Fäusten.
Alle Augen waren nun auf ihn gerichtet. Marroc warf ihm einen mitleidigen Blick zu, was Frodo nur noch mehr verärgerte und ihn in seinem Gedanken bestätigte, dass der ältere Hobbit dies schon von langer Hand geplant hatte.
"Frodo, bitte beruhige dich", versuchte Saradoc ihn zu besänftigen, doch Frodo wollte sich nicht abregen. Er musste schleunigst etwas tun und schalt sich selbst, dass er nicht schon früher gehandelt hatte. Weshalb hatte er warten müssen?
Verzweifelt sah er sich um, blickte in die verwunderten Gesichter seiner Verwandten und Bekannten. Tränen brannten in seinen Augen und schließlich konnte er ihre Blicke nicht länger ertragen und er fand nicht den Mut sein Anliegen vor allen vorzutragen. Wütend und elend zugleich stürmte er aus dem Esszimmer.
"Frodo, warte!" Merry wollte ihm hinterher laufen, doch Esmeralda hielt ihn zurück. Ratlose Augen wurden auf den Stuhl gerichtet, auf dem Frodo noch kurz zuvor gesessen hatte und leises Getuschel erfüllte den Raum. Nur Merry bemerkte das hämische Grinsen in Marrocs Gesicht, als dieser Saradoc etwas ins Ohr flüsterte.

Frodo saß auf seinem Bett, hatte die Arme um die Knie geschlungen und ließ seiner Verzweiflung freien Lauf. Tränen strömten über seine Wangen. Das durfte nicht geschehen.
Wenn Marroc erst einmal hier eingezogen war, würde er keine ruhige Minute mehr haben. Er hegte keinen Zweifel daran, dass Marroc dann keine Möglichkeit mehr auslassen würde, um ihn zu quälen und sich über ihn lustig zu machen. Jetzt, da sein Vater kein Auge mehr darauf werfen konnte, würde ihn niemand mehr vor dem älteren Hobbit schützen. Frodo bezweifelte, dass sein Zimmer dann noch sein Zimmer sein würde. Der östliche Gang führte nur zu zwei Räumen: seinem eigenen und dem, welcher nun das neue Heim von Marroc werden sollte. Keiner würde bemerken, was vor sich ging. Marroc würde tun und lassen können, was er wollte.
Der bloße Gedanke daran, ließ Frodo einen Schauer der Furcht über den Rücken laufen. Er musste sofort mit Saradoc sprechen und retten, was es noch zu retten gab.
Rasch trocknete er seine Tränen und öffnete die Tür, nur um Merry vor sich zu entdecken.
"Ich wollte gerade zu dir", erklärte sein Vetter. "Es tut mir Leid. Ich wusste das nicht."
"Du kannst nichts dafür, Merry", sagte Frodo rasch und ging bereits den spärlich beleuchteten Gang entlang, fest entschlossen, Saradoc entgegenzutreten. Merry folgte ihm mit einem verwirrten Ausdruck.
"Ich muss deinen Vater davon überzeugen, dass es ein großer Fehler wäre, Marroc hier einziehen zu lassen."
Merry nickte mitfühlend. "Es schaudert mich, wenn ich daran denke, dass du Tür an Tür mit diesem Rüpel leben sollst."
Frodo entgegnete nichts darauf, schenkte seinem Vetter jedoch ein dankendes Lächeln. Merry würde ihn unterstützen und mit ihm an seiner Seite, würde Saradoc ihn bestimmt nicht zurückweisen.

Gemeinsam traten sie in das Arbeitszimmer des Herrn von Bockland. Ein Feuer prasselte im Kamin und tauchte den Raum in ein schummriges Licht. Saradoc saß an seinem Schreibtisch und grübelte über einem Stapel Papiere. Lange Zeit blickte er nicht auf und als er schließlich den Kopf hob, schickte er Merry hinaus, sagte, er wolle mit Frodo alleine sprechen. Der Tonfall, den Saradoc dabei anschlug, ließ Frodo unruhig werden und er ließ seinen Vetter nur ungern gehen, doch hatte er keine andere Wahl. Verunsichert blickte er zu Boden, als Saradoc seufzend seinen ernsten Blick auf ihn richtete.
"Was ist vorhin nur in dich gefahren, Frodo?", fragte er und zu Frodos Überraschung klang er nicht halb so verärgert, wie er befürchtet hatte. Dennoch schluckte er schwer, ließ seinen Blick weiterhin auf den Holzdielen ruhen.
"Es tut mir Leid, dass ich so aufbrausend war, aber…"
"Aufbrausend?", Saradocs Stimme gewann an Lautstärke, ließ Frodo beinahe zusammenzucken. "Das warst du, allerdings."
Der Herr von Bockland schwieg einen Augenblick, eine Stille, die Frodo nicht zu brechen wagte. Mit ruhiger Stimme fuhr Saradoc fort. "Ich bin es, der nun für dich verantwortlich ist und ich versuche mein Bestes. Allerdings machst du es mir mit solchen Taten nicht gerade leichter."
Frodo nickte stumm, spürte erneute Tränen in sich aufsteigen. Er wollte es Saradoc nicht schwer machen, doch was hätte er sonst tun sollen? Tief Luft holend, hob er den Kopf, blickte zum großen Schreibtisch und dem dahinter liegenden Fenster.
"Ich wollte heute Abend mit dir sprechen, wegen dem Zimmer", bemühte er zu erklären und war überrascht, wie kraftvoll seine Stimme klang, in Anbetracht dessen, wie viel Überwindung es ihn gekostet hatte, überhaupt den Mund aufzumachen. "Ich... ich wollte fragen, ob nicht ich dort einziehen darf."
Bittend sah er Saradoc an, doch dieser schüttelte den Kopf, blieb ernst. "Nein, Frodo, das geht nicht."
"Weshalb nicht?", rief er verzweifelt aus. "Dann wäre mein Zimmer jenes, das frei wird und ich hätte das meiner Eltern."
Saradocs Ausdruck blieb unverändert, ebenso wie sein Tonfall. "Es bleibt so, wie es ist. Du lebst schon lange in diesem Zimmer und bisher warst du immer zufrieden damit. Ich sehe nicht ein, warum du es plötzlich verlassen willst."
"Es war das Zimmer meiner Eltern!" wiederholte Frodo noch einmal bestimmt, verletzt und verärgert zugleich, dass Saradoc ihn nicht verstand. Den Blick hielt er unverwandt auf den Herrn gerichtet, in der Hoffnung, doch noch Verständnis in dessen Augen zu finden.
"Das war es", entgegnete der Herr bestimmt, "und ich verstehe durchaus, dass du nun gerne dort einziehen willst. Allerdings werde ich es dir nicht erlauben. Es bleibt so, wie es ausgemacht wurde. Marroc wird dort einziehen."
Er erhob sich von seinem Schreibtisch, ging zur Kommode und holte sich seine Pfeife aus einer der Schubladen. Für ihn war diese Angelegenheit bereits erledigt. Nach allem, was er in den Tagen nach Drogos und Primulas Tod erlebt hatte, war er der Ansicht, dass es besser war, wenn Frodo in seinem eigenen Zimmer blieb und das seiner Eltern an einen anderen weitergereicht wurde.
"Also gut, das Zimmer ist für mich verloren", sagte Frodo, der betrübt den Kopf schüttelte. Den Blick hielt er noch immer stur auf dem Herrn gerichtet, denn er fürchtete, wenn er ihn einmal abwandte, würde er nicht wieder den Mut finden, Saradoc anzusehen. "Aber muss ich es denn ausgerechnet an Marroc verlieren?"
"Frodo, ich bitte dich", Saradocs Stimme war lauter, als er es beabsichtigt hatte. Er hatte dem Jungen den Rücken zugedreht, doch nun wandte er sich wieder zu ihm um. "Ich kann verstehen, dass du sehr am Zimmer hängst, doch ich verstehe nicht, weshalb du dich so darüber aufregst, dass Marroc es bekommen soll."
Frodo starrte ihn ungläubig und mit offenem Mund an, während Saradoc gemächlich zum Schreibtisch zurückging. Hatte er denn nicht bemerkt, dass Marroc nur daran interessiert war, ihn in Schwierigkeiten zu bringen?
"Auch er kann sich vorstellen, wie schwer es für dich sein muss, dass nun ein anderer im Zimmer deiner Eltern wohnt", fuhr Saradoc mit wieder gewonnener Ruhe fort. "Er hat mir nach deinem Ausfall beim Abendessen sogar selbst angeboten, dass du jederzeit in sein Zimmer kommen kannst."
"Ich will aber nicht in sein Zimmer!" schrie Frodo, dessen Unglauben sich immer mehr in Verärgerung umwandelte. "Siehst du denn nicht, was für ein Spiel er spielt? Er hasst mich!" Seine Augen blitzen wütend. Wollte Saradoc ihn nicht verstehen, oder war er wirklich so blind? Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und seine Empörung ließ ihn keuchen, doch Frodo nahm dies kaum wahr. Für ihn zählte nur mehr, Saradoc davon zu überzeugen, dass Marroc nicht in das Zimmer seiner Eltern ziehen durfte.
"Es reicht, Frodo!" Saradoc legte seine Pfeife hin und sah wütend auf den Jungen hinab. Jegliche Ruhe seiner Stimme war inzwischen Strenge gewichen.
"Du weißt wie er ist!" Frodo wagte einen letzten, verzweifelten Versuch. "Du hast von den Streitigkeiten zwischen ihm und Merry erfahren. Du weißt, dass er nur daran interessiert ist, Unheil anzurichten."
"Hör damit auf, Frodo!" schimpfte Saradoc und rang nach Haltung. "Ich weiß durchaus vom Streit im letzten Sommer, doch ein Streit ist nichts Besonderes und so etwas kommt häufig vor. Marroc wurde damals bestraft und seither habe ich von keinen gröberen Zwischenfällen mehr gehört."

Frodo biss sich auf die Lippen. Er hatte Merry versprochen, nichts vom Streit zu erzählen, und dieses Versprechen würde er halten. Doch Marroc hatte auch ihn schon immer gepeinigt, wenn sie sich begegnet waren. Frodo hatte selten etwas davon gesagt und nur wenn die Auseinandersetzungen überhand genommen hatten, hatte er sich entweder seiner Mutter oder seinem Vater anvertraut. Hatten sie denn nie mit Saradoc darüber gesprochen?

Als Frodo in Schweigen verfiel, ließ sich Saradoc zufrieden zurück in seinen Sessel fallen, vermutend, der Junge habe nun endlich verstanden. Erneut nahm er seine Pfeife zur Hand, und begann damit, sie zu stopfen.

"Du willst mich nicht verstehen, habe ich Recht?" Frodo hatte den Kopf schief gelegt und seine Stimme zitterte.
"Ich verstehe dich durchaus, Frodo. Du willst nicht, dass jemand anderes, als du selbst in das Zimmer deiner Eltern einzieht und versuchst jetzt mit allen Mitteln zu verhindern, dass Marroc es bekommen wird", folgerte Saradoc in geruhsamem Ton.
"Ich glaube das einfach nicht!" Frodos Unverständnis platzte in einer schrillen Anschuldigung aus ihm hervor, ehe er es hatte verhindern können. "Er hasst mich! Er wird niemals einen Schritt der Versöhnung auf mich zu machen!"
Saradoc schlug wütend seine Hand auf den Tisch, erhob sich aus seinem Sessel und funkelte den jungen Hobbit vor sich an. Überrascht über die plötzliche Wut in den Augen des Herrn, wich Frodo einen Schritt zurück.
"Dann wirst du eben den ersten Schritt machen, denn wie mir scheint, bist du es, der nicht mit Marroc auskommt und nicht umgekehrt", donnerte der Herr und seine Stimme ließ Frodo beinahe einen weiteren Schritt nach hinten machen, doch er war aufgebracht und seine Zunge schneller, als gut für ihn war.
"Sollte ich einen Schritt auf ihn zu machen, wird er mir auf die Zehen treten!"
"Dann soll er das machen!" ließ Saradoc ihn zornig wissen und das gefährliche Funkeln in seinen Augen wurde nicht weniger. "Mir scheint du hast es nötig, dass dir jemand auf die Zehen tritt!"
Saradoc hatte den Jungen noch nie so aufgebracht erlebt und er konnte sich nicht vorstellen, dass allein sein Unwillen Marroc gegenüber, den jungen Hobbit dazu brachte, so mit ihm, dem Herrn von Bockland, zu sprechen.

Frodo sah ihn ungläubig an. Tränen verschleierten seinen Blick. Hatte er es wirklich nötig, dass ihm jemand auf die Zehen trat? War er zu weit gegangen? Was sollte er denn noch tun, um Saradoc verständlich zu machen, dass Marroc ein falsches Spiel spielte?
"Er hat das alles geplant!" schluchzte er verzweifelt, die Stimme noch immer schrill in seinen Ohren. "Wenn er erst einmal eingezogen ist, dann..."
"Genug!" Saradoc ballte seine Hände zu Fäusten und schlug erneut auf den Schreibtisch. Was fiel dem Jungen überhaupt ein? Es wurde höchste Zeit, dass er Frodo wieder klar machte, wo seine Grenzen lagen.
"Ich will nichts mehr davon hören, Frodo Beutlin!" zischte er zornig. "Mir scheint, der Besuch bei Bilbo hat dir alles andere als gut getan. Ich glaube, du hast die Regeln, die in dieser Höhle herrschen, vergessen. Ich habe hier das Sagen und ich habe eine Entscheidung getroffen. Es tut mir Leid, dass sie dir missfällt, aber damit musst du dich abfinden. Marroc wird in das Zimmer deiner Eltern einziehen. Du wirst sehen, so schlimm wird es nicht sein, ihn zum Nachbarn zu haben. Sollte es Schwierigkeiten geben, lasse ich jederzeit mit mir reden, aber vorerst ist die Entscheidung gefallen."
‚Die einzige Schwierigkeit ist, dass Marroc dort einzieht!' wollte Frodo erwidern, doch das Funkeln in Saradocs Augen brachte ihn zum Schweigen. Er hatte verloren. Tränen rannen über seine Wangen, als er dem Herrn von Bockland ein letztes Mal flehend in die Augen sah.
Saradoc wandte den Blick von ihm ab, sah stattdessen auf die Pfeife, die er sich vorbereitet hatte. Seine Hände entspannten sich wieder.
"Du solltest jetzt gehen!" ließ er den jungen Hobbit mit kontrollierter Stimme wissen.
Frodo nickte schwach, senkte den Kopf und verließ mit zittrigen Knien und ohne ein weiteres Wort, das Zimmer.

Saradoc seufzte und ließ sich erschöpft auf seinen Sessel fallen. Was war nur in den Jungen gefahren? Hatte er denn jeglichen Respekt vor ihm verloren? Was trieb ihn dazu, in einem solchen Ton mit ihm zu sprechen? War es wirklich nur, um seinen Willen durchzusetzen? Allerdings hatte er sich eingestanden, dass das Zimmer für ihn verloren war. War tatsächlich Marroc selbst das Problem? Er wusste um die Streitigkeiten im vergangenen Sommer. Auch war er sich darüber bewusst, dass Merry und Frodo nicht unbedingt gut auf Marroc zu sprechen waren, doch nach dem, was beim Abendessen vorgefallen war, glaubte er, dass der Grund dafür bei Frodo und Merry lag. Er seufzte noch einmal und rieb sich mit den Fingern zwischen den Augen. Marroc und Frodo würden miteinander auskommen, sollte es dennoch Probleme geben, würde er Wege finden, diese zu beheben.

Schwer atmend lehnte Frodo sich gegen die Wand, nachdem er in den Gang getreten war. Seine Knie waren weich und er zitterte. Woher hatte er den Mut für eine solche Auseinandersetzung mit Saradoc genommen? Nie zuvor hatte er sich gegen die Entscheidungen des Herrn gestellt, nicht zuletzt, weil sie ihn selten betrafen. Erst recht nicht in solch einem hitzigen Wortwechsel. Nicht einmal bei seinem Vater hätte er das gewagt.
Er wischte sich die Tränen aus den Augen und sah sich um. Merry wollte hier auf ihn warten, doch statt Merry lehnte Marroc einige Meter entfernt an der Wand.
"Mir scheint, du hast deinen Willen nicht bekommen", meinte dieser mit einem hinterhältigen Lächeln und trat gemächlichen Schrittes auf ihn zu.
Frodo funkelte ihn wütend an, denn Marroc war genau derjenige, dem er heute nicht begegnen wollte. Für eine weitere Auseinandersetzung war er bereits zu erschöpft.
"Lass mich in Ruhe!"
Marroc lächelte sein boshaftes Grinsen.
"Warum denn gleich so wütend?", hänselte er, "Geht man so mit seinem neuen Nachbar um?"
"Du wirst nicht lange mein Nachbar sein!" ließ Frodo ihn giftig wissen, ehe er sich von ihm abwandte.
"Was willst du denn noch tun?" fragte Marroc und Frodo konnte das höhnische Lachen selbst in seiner Stimme hören. "Hast du Saradoc nicht zugehört? Er hat sich entschieden und ich werde dafür sorgen, dass es keine Schwierigkeiten geben wird, die ihn dazu verleiten könnten, mich wieder in das Zimmer meiner Eltern zu schicken."
Frodo entgegnete nichts, sondern ging weiterhin den Gang entlang. Er konnte hören, dass Marroc ihm folgte, zwang sich jedoch dazu, seine Schritte nicht zu beschleunigen. Sie waren in einem der Hauptgänge des Brandyschlosses und es konnte jederzeit passieren, dass jemand aus einem der Zimmer trat. Marroc würde es nicht wagen, ihm hier zu nahe zu kommen.
Umso erschrockener war er, als er plötzlich grob von hinten gepackt und gegen die Wand gedrückt wurde.
"Hast du mich verstanden, Kleiner?", zischte Marroc und seine böswilligen Augen blickten tief in die seinen. "Es wird keine Schwierigkeiten geben, sonst bist du es, der dafür bezahlen wird."
Überrascht, ängstlich und wütend zugleich sah Frodo zu ihm auf. Er versuchte, die Hand, die ihn am Kragen gepackt hatte, weg zu schlagen, doch Marroc verstärkte seinen Griff noch und drückte ihn fester gegen die Wand, nahm ihm so beinahe den Boden unter den Füßen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und seine Augen wanderten verzweifelt von einer Seite zur anderen, in der Hoffnung, jemand würde sie entdecken, doch der Gang war an diesem Abend überraschend leer.
"Erinnerst du dich an das Gespräch mit Saradoc?", höhnte der ältere Junge, doch seine Worte klangen fast wie eine Drohung. "Es ist keine fünf Minuten her. Erinnerst du dich auch an seine Worte, dass dir der Besuch bei dem alten Bilbo Beutlin nicht gut getan haben soll? Ich erinnere mich sehr gut daran." Ein böswilliges Grinsen schlich über sein Gesicht, doch dann wurde er sofort wieder ernst und beugte sich gefährlich nah, an Frodos Gesicht heran. "Wenn du Probleme machst, Beutlin, werde ich dafür sorgen, dass es nie wieder zu einem Besuch bei diesem Dummschwätzer kommen wird."
Mit diesem Worten ließ Marroc von ihm ab und stapfte davon, als wäre nichts gewesen. Frodo sah ihm entsetzt hinter her, während seine Hände unwillkürlich damit beschäftigt waren, seinen Kragen wieder glatt zu streichen. Seine Finger schienen der einfachen Aufgabe kaum gewachsen, denn er zitterte noch mehr, als zuvor. Konnte Marroc das wirklich tun? Konnte er Saradoc dazu bringen, ihm einen weiteren Besuch bei Bilbo zu verbieten?
"Bilbo", flüsterte er verzweifelt. Das durfte niemals geschehen.

Mit Tränen in den Augen rannte Frodo in sein Zimmer und ließ sich in sein Bett fallen. Er hatte alles verloren. Das Zimmer seiner Eltern. Den Kampf gegen Marrocs Einzug. Sein Leben. Marroc würde fortan mit ihm machen können, was er wollte. Sobald er sich gegen den älteren Jungen stellte, würde dieser dafür sorgen, dass er Bilbo nie wieder besuchen konnte.
Weinend griff Frodo nach dem Bild seiner Eltern und drückte es an seine Brust. Soweit durfte es niemals kommen.





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