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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 13: Dunkle Nächte



Seufzend trat Bilbo in seine Höhle und ließ seinen Rucksack in die Ecke fallen. Eine angenehme Wärme durchströmte sein Zuhause und er dankte Ham Gamdschie im Stillen für seine Zuverlässigkeit. Müde hängte er seinen Umhang an einen der Kleiderhaken und griff nach seinem Rucksack mit der Absicht, ihn in der Küche auszupacken. Doch Bilbo stutzte und runzelte die Stirn, als ihm plötzlich auffiel, dass Frodo nirgendwo zu sehen war.
"Frodo?", rief er besorgt in den spärlich beleuchteten Hauptgang von Beutelsend, doch keiner antwortete ihm.

Frodo war sofort in das hinterste Zimmer der Höhle gerannt, das er immer bewohnte, wenn er hier war. Wie bei seinem letzten Besuch blieb er erst in der Tür stehen und sah hinein, ließ sich vom sonderbaren Gefühl der Vertrautheit gefangen nehmen, das ihn bei seinem ersten Blick in das Zimmer immer umgab. Dieses Mal war kein Feuer geschürt und das Bett nicht für ihn vorbereitet, doch fühlte er sich sofort wie zu Hause.
Langsam ging er hinein, zog seinen Umhang aus und setzte sich auf das Bett, wobei er sich schweigend im Zimmer umsah. Sonnenstrahlen strömten durch das südliche Fenster, ließen kleine Staubkörnchen in der Luft sichtbar werden, die verspielt im Licht tanzten.
"Seltsam", sagte Frodo schließlich zu sich selbst, überrascht über das Gefühl der Geborgenheit, das ihn auf einmal umgab. Es war angenehm, wohltuend und Frodo ließ es schweigend auf sich wirken, ehe er nach seinem Rucksack griff und sein Bild hervorholte, das er behutsam auf den kleinen Nachttisch stellte, um es zufrieden zu betrachten.

"Hier bist du."
Ein Lächeln erschien auf Frodos Gesicht, als er Bilbos Stimme vernahm. Der alte Hobbit stand in der Tür, sah ihn verwundert an und Frodo, von plötzlicher Freude beschwingt, sprang auf ihn zu und umarmte seinen Onkel, der ihn mit einem überraschten Ausruf auffing.
"Ich bin froh, wieder hier zu sein!" rief er glücklich, wobei er die Arme um den Hals seines Onkels schlang und das Gesicht in dessen Nacken vergrub.
Bilbo war verblüfft über Frodos überschwängliches Verhalten, schien er doch noch vor wenigen Augenblicken völlig am Boden zerstört, was bei dem Gespräch der beiden Hobbits im Grünen Drachen auch nicht verwunderlich war. Nichtsdestotrotz war er erleichtert und hauchte einen Kuss in das dichte, dunkle Haar seines Neffen.
"Ich freue mich auch, dich wieder hier zu haben!"



~*~*~



Das Zimmer wurde nur vom Schein einer Kerze erhellt, als Frodo spät abends im Bett lag. Er betrachtete die tanzende Flamme und hing seinen Gedanken nach. Morgen war der 1. Winterfilth und er durfte bis zum nächsten Jahr bei Bilbo bleiben. Das waren drei Monate. So lange war er noch nie von zu Hause weg gewesen, erst recht nicht alleine. Er seufzte und ließ den Blick zu seinem Bild wandern.
"Allein." Seine Stimme war nur ein Wispern. Eine einzelne Träne stahl sich aus seinen Augen. Von nun an würde er immer alleine sein.
Frodo konnte Schritte hören. Bilbo tapste durch den Gang, war vermutlich ebenfalls auf dem Weg in sein Zimmer, das gleich neben seinem lag. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen, als er an den alten Hobbit dachte. Er war nicht ganz alleine. Bilbo würde bei ihm sein.



~*~*~

Frodo ging den Stockweg entlang und sah staunend nach oben. Die bunten Blätter raschelten im Wind und die Kronen der Bäume schienen golden zu glitzern, als das Licht der Sonne sie berührte. Übermütig drehte er sich einmal um sich selbst und ließ sich dann in einen Laubhaufen fallen.
Ein Rascheln hinter ihm ließ ihn aufblicken. Ein Eichhörnchen hatte die Nase in die Luft gestreckt und schnupperte, als es scheu auf Frodo zusprang. Erfreut kroch auch der junge Hobbit etwas näher, doch das erschreckte das Tier und es war blitzschnell auf einem der Bäume verschwunden.
"Warte doch!" rief Frodo ihm hinterher und rannte zu dem Baum, auf den es geklettert war.
Das Eichhörnchen saß auf einem der Äste und blickte neugierig herunter, hüpfte schließlich auf den nahe gelegenen Ast eines anderen Baumes. Frodo rannte ihm übermütig hinterher.
"Lauf nicht zu weit weg, Frodo!" hörte er Bilbo rufen, doch der Junge hatte keine Zeit, um zu antworten. Stattdessen rannte er weiterhin dem Eichhörnchen hinterher, bis er es schließlich nicht mehr finden konnte.

Erfreut wandte er sich um, als er erneut ein Geräusch hinter sich vernahm und ging näher auf die raschelnden Büsche zu, in Erwartung auf ein weiteres Eichhörnchen.
"Du bist schuld!" zischte jemand hinter den knorrigen Ästen des Strauches, was Frodo erschrocken zurückweichen ließ.
Er kannte diese Stimme, voller Hass, Zorn und Verzweiflung, und er fürchtete sie. Er war zurück. Sein Ebenbild aus seinem Traum, das um ein Haar mit seinen Eltern ertrunken wäre, war wieder da. Die Kleider des Hobbits waren nass, seine Haare tropften und seine Lippen waren blau. Eisige Kälte starrte ihm aus seinen Augen entgegen.
Frodo wollte schreien, als der andere plötzlich aufsprang und ihn am Kragen packte, doch seine Kehle war wie zugeschnürt.
"Du hast sie auf dem Gewissen, und dafür wirst du bezahlen müssen."
Das Rascheln der Blätter verstummte. Frodo spürte, wie er gegen den Stamm eines Baumes gedrückt wurde, versuchte sich zu befreien. Er schrie auf, doch seine Stimme ging im Grollen der Donner unter. Regen peitschte auf ihn nieder, als er sich plötzlich an den Ufern des Brandyweins wieder fand, auf dem Hügel auf dem er schon einmal gestanden war und den schrecklichen Unfall mit angesehen hatte.

"Da war Wasser. So viel Wasser. Ich glaubte, ich würde ertrinken!" schluchzte er und schnappte dabei nach Luft, als wenn er dem Ertrinkungstod nur knapp entronnen wäre. Seine Hände krallten sich an ihrem Nachthemd fest, als hinge sein Leben davon ab.
"Sh"; versuchte Primula ihn zu beruhigen, streichelte zärtlich über seinen Rücken und durch die schweißfeuchten Locken an seinem Nacken, wobei sie ihn sanft hin und her wiegte, wie sie es getan hatte, als er noch ein Kleinkind gewesen war und nicht einschlafen wollte.
"Es war nur ein Traum."

"Ein Traum?!" Die abweisende Stimme des anderen Hobbits drang an sein Ohr, als Frodo sich seines Albtraums erinnerte. "Du hast es gewusst und du hast sie nicht gewarnt!"
"Nein!" Frodo stieß sein Ebenbild von sich weg und vergrub das Gesicht in seinen Händen, doch der andere griff nach seinen Armen. Kalte Finger schlossen sich um seine Handgelenke.
"Du hättest sie warnen können! Du bist an allem schuld!"
Der Junge sah ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut an. Sein kalter, stinkender Atem wehte Frodo ins Gesicht. Panik machte sich in ihm breit und er wollte fliehen, doch seine Knie gaben nach und er sank weinend zu Boden.
"Nein, das ist nicht wahr!" schluchzte er immer wieder. "Das ist nicht wahr!"

~*~*~



Frodo schreckte aus seinem Traum hoch, sah sich ängstlich um. Sein Herz raste, seine Hände zitterten und ein dünner Schweißfilm bedeckte seinen Körper.
Er war dabei gewesen! Sein Ebenbild war dabei gewesen, als er mit Bilbo nach Beutelsend gegangen war. Er hatte ihn beobachtet, als er dem Eichhörnchen gefolgt war, er war dort gewesen!
Ein kalter Schauer der Furcht lief ihm über den Rücken. Schnell griff er nach dem Bild seiner Eltern und drückte es an sich.
"Er hat nicht Recht!" sagte er sich mit festem Tonfall. Seine Stimme zitterte, während er gegen die Tränen ankämpfte, die in ihm aufzusteigen drohten. "Er hat doch Unrecht?"
Fragend blickte er auf das Bild, als hoffe er, von ihm eine Antwort zu erhalten.



~*~*~



Frodo erzählte Bilbo nichts von seinem Traum, als sie am nächsten Morgen gemeinsam auf den Markt gingen. Auch widerstand er der Versuchung, den Markt auf eigene Faust zu erkunden und blieb die meiste Zeit an Bilbos Seite. Er hatte gehofft, auf Sam zu treffen, doch im Getümmel konnte er ihn nirgendwo entdecken. Zu seiner Freude war Hamfast Gamdschie im Graten beschäftigt, als sie gegen Mittag nach Hause kamen und Frodo fragte ihn sogleich nach Sam, woraufhin dieser ihm versicherte, seinen Sohn am Nachmittag vorbeizuschicken.

Frodo war dabei den Tisch abzuräumen, den Geschmack von Kraut und Würstchen noch auf der Zunge, als es an der Türe klopfte.
"Ich mach auf!" rief er entzückt, während er in die Halle eilte, schmutzige Teller und Besteck bereits vergessen.
Mit einem Ruck öffnete er die Tür und erblickte Sam, der mit einem unsicheren Grinsen im Gesicht auf der Schwelle stand und nervös mit seinen Fingern spielte.
"Hallo, Frodo!" grüßte er schüchtern, wagte kaum, den älteren Jungen anzusehen. "Mein Ohm hat gemeint, du hättest nach mir gefragt?"
Frodo grinste über das ganze Gesicht, erheitert von Sams Schüchternheit. Samweis machte häufig einen unsicheren Eindruck, wenn er bei ihm war, doch nie schien er so beunruhigt, als wenn er die Gartentür von Beutelsend durchschritt. Nichtsdestotrotz war Frodo glücklich, seinen Freund wieder zu sehen und umarmte ihn freudig zur Begrüßung, was den jüngeren Hobbit noch mehr zu überraschen schien. Einen Augenblick sah Frodo ihn verdutzt an, lächelte dann aber. "Ich habe mir gedacht, wir könnten den Nachmittag zusammen verbringen, wenn du Zeit hast."
Mit einem Mal schien Sams Unsicherheit von ihm abzufallen und machte einem breiten Grinsen Platz.
"Ich habe Zeit", erklärte er, "und wenn wir zum Markt hinuntergehen, treffen wir bestimmt auch die Hüttingers."
Frodo war begeistert von dieser Idee und noch mehr von der Tatsache, dass sein Onkel dem Marktbesuch sofort zustimmte, auch wenn er versprechen musste, nicht zu spät zurückzukommen.

Bald darauf eilten die jungen Hobbits die Bühlstraße hinunter und hielten auf den Markt von Hobbingen zu. Es war angenehm warm für die Jahreszeit und kaum ein Wölkchen trübte den tiefblauen Himmel.
"Mein Ohm meint, es wird Regen geben. Er sagt, er kann ihn riechen."
Frodo sah Sam verdutzt an. "Den Regen riechen?"
"Er kann das", beharrte Sam mit einem überzeugten Nicken. "Ich habe es schon oft erlebt, allerdings weiß ich nicht, wie er das macht."
Darauf schien Frodo keine Antwort zu wissen, denn für eine lange Zeit ging er schweigend neben Sam her, bis diesem plötzlich auffiel, dass er die Nase in die Luft streckte und angestrengt schnupperte.
"Was machst du da?", fragte er überrascht.
Frodo warf ihm einen ahnungslosen Blick zu. "Ich versuche, den Regen zu riechen, aber ich rieche nichts", ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Lippen, "nichts, außer den Pilzen von denen ich heute Morgen schon gekostet habe."
"Ich glaube, du schnüffelst zu angestrengt", meinte Sam und versuchte sich daran zu erinnern, wie sein Ohm sich verhielt, wenn er glaubte, Regen zu riechen.
Sein konzentrierter Gesichtsausdruck ließ Frodo in schallendes Gelächter ausbrechen. "Wenn du meinst! Komm jetzt, oder die Pilze sind alle weg ehe wir da sind."

Der Nachmittag verging schnell. Frodo und Sam trafen nicht nur die Hüttingers sondern auch viele der anderen jungen Hobbits. Gemeinsam durchstreiften sie den Markt, begutachteten einzelne Stände ein wenig genauer und genossen das schöne Wetter. Bald jedoch bedeckten dunkle Wolken den Himmel und es war gerade mal Zeit für den Vier-Uhr-Tee, als sie sich wieder auf den Heimweg machten.
"Siehst du, mein Ohm hatte Recht!" meinte Sam stolz, ehe er sich von Frodo verabschiedete und den Beutelhaldenweg entlang eilte, um nicht vom Regen erwischt zu werden.

Frodo entkam den ersten Regentropfen nur knapp. Als er nach Beutelsend zurückkehrte, fand er Bilbo in seinem Arbeitszimmer über einem seiner vielen Bücher sitzend. Frodo sah sich staunend um. Bilbos Arbeitszimmer erschien ihm noch größer als Saradocs und war neben dem großen Schreibtisch, dem Kamin und zwei Kommoden auch mit vielen Bücherregalen ausgestattet, die Frodo mit großen Augen betrachtete.
"Hast du alle Bücher gelesen?", fragte das Kind verblüfft.
„Nicht alle, aber die meisten“, erklärte Bilbo lächelnd, wobei er sein Buch zuklappte und beobachtete, wie Frodo voller Staunen an den raumhohen Regalen vorüber lief. Eines der Fächer betrachtete er genauer, hielt Bilbo schließlich einen Stapel Karten entgegen.
"Was ist das?"
Mit gerunzelter Stirn nahm Bilbo die Karten an sich, betrachtete sie eingehend, während Frodo erwartungsvoll zu ihm aufsah.
"Diese Karten habe ich aus Elronds Haus", erinnerte er sich. "Ich glaube, es gibt ein Spiel zu dem sie gebraucht werden, aber ich weiß nicht, wie es geht."
"Darf ich sie haben?"
Frodos Augen ruhten auf den Karten, als wären sie das Wertvollste, das er in Beutelsend hätte finden können und Bilbo reichte sie mit einem Lächeln an ihn zurück.
"Natürlich, wenn du etwas mit ihnen anzufangen weißt, nimm sie."
Mit strahlendem Gesicht rannte Frodo ins Wohnzimmer und setzte sich auf einen Stuhl. Die Karten breitete er vor sich auf dem Tisch aus. Sie waren weiß und auf jeder war ein anderes Muster eingezeichnet. Feine Linien, wie mit Gold gemalt, zierten ihre Rücken und Frodo strich behutsam über die feinen Wölbungen. Sie schienen nicht hinaufgemalt, sondern hineingestanzt, doch er erkannte keine Spuren, die ihre Machart preisgegeben hätten.
Bilbo war ihm ins Wohnzimmer gefolgt, hatte einen frischen Scheit ins Feuer gelegt und sich vor dem Kamin niedergelassen.
Frodo nahm ihn jedoch kaum wahr. Selbst der Regen, der gegen die Fensterscheibe prasselte, ließ ihn völlig unbeeindruckt. Er hatte nur mehr Augen für die besonderen Karten und tastete behutsam deren Ränder ab. Sie schienen stabil genug, um ein Kartenhäuschen zu bauen.
Vorsichtig nahm er zwei Karten in die Hände und stellte sie auf. Seine Augen glänzten, als das erste Häuschen stehen blieb. Schnell baute er eine Schutzwand aus anderen Karten darum, bevor er sich behutsam an das nächste Häuschen machte. Karte um Karte, Häuschen um Häuschen, baute er übereinander auf, bis er schließlich auf den Stuhl stehen musste, um die letzten beiden Karten darauf zu setzen. Er wagte kaum zu atmen und erstarrte in seiner Bewegung, als der Turm gefährlich ins Wanken geriet. Voller Stolz präsentierte er dann sein Kunstwerk, während er möglichst behutsam vom Stuhl kletterte, in der Hoffnung, keinen Luftzug zu erzeugen, der das Kartenhaus in sich hätte zusammenstürzen lassen.

"Ein weißer Turm", murmelte Bilbo, der an ihn herangetreten war und die Karten mit einem verträumten Blick betrachtete. "So weiß, wie die Weißen Türme im Westen."
Verblüfft sah Frodo zu ihm auf. "Die Weißen Türme im Westen?"
"Es sind Türme der Elben", erklärte Bilbo. "Es heißt, man sehe das Meer von ihrer Spitze, doch ob dem wirklich so ist, kann ich dir nicht sagen. ich war noch nie dort, auch wenn ich die Türme schon gesehen habe."
Frodos Augen glänzten, als Bilbo die Elben erwähnte und ein Lächeln zeigte sich in seinen Zügen. Er wollte noch viel mehr darüber erfahren und war erfreut, als Bilbo auch ohne sein Bitten weiter sprach.
"Wenn du von dort noch weiter nach Westen gehst, erreichst du die Anfurten. Es heißt, dies sei der Ort von dem aus die Elben nach Valinor reisen."
"Valinor?", fragte Frodo, der mit jedem Wort, das Bilbos Lippen verließ, mehr ins Staunen geriet. "Wo ist das? Ich habe den Namen noch nie gehört."
"Natürlich, nicht. Wie solltest du auch?" Bilbo lachte und wuschelte ihm durch die Haare. "Kaum ein Hobbit weiß von den Weißen Türmen, geschweige denn von Valinor. In Elronds Haus habe ich davon erfahren. Ich habe Sagen der Elben gehört und in beinahe jeder davon fiel auch einmal das Wort Valinor. Aman, wie es auch genannt wird, ist ein Land weit im Westen dieser Welt. Ein Land voller Segen und Freude. Dort, auf einem sehr hohen Berg, dem Taniquetil, lebt Manwe mit seiner Frau Varda. Du hast vielleicht schon einmal den Namen Elbereth gehört, mein Junge."
Frodo schüttelte den Kopf und Bilbo legte einen Arm um seine Schultern, doch sein Blick blieb verträumt in die Ferne gerichtet.
"Nun, Elbereth war es, die die Sterne schuf."
Frodo sah mit großen Augen zu seinem Onkel auf. Sie hatte die Sterne geschaffen. Dieselben Sterne zu denen er aufblicken sollte, wenn er traurig war. Seufzend senkte Frodo den Kopf und gedachte seiner Eltern, ehe er erneut fragend zu Bilbo aufblickte.
"Können wir später noch einmal nach draußen gehen?"
Sein Onkel schenkte ihm ein Lächeln. "Nur, wenn es zu regnen aufhört, sonst würdest du die Sterne ohnehin nicht sehen."
Frodo runzelte die Stirn, blickte einen Augenblick verwirrt zu seinem Onkel auf. Woher wusste er, dass er die Sterne sehen wollte? Schulter zuckend wandte er sich schließlich wieder seinem Turm zu, vermutend, dass er Bilbo bereits von seiner Liebe zu den Sternen erzählt hatte, schließlich war diese nicht erst seit seinem Traum erwacht, auch wenn die Worte seiner Mutter, den Wunsch zu den Sternen zu blicken, verstärkt hatten. Er zögerte einen Augenblick, bis er die Frage stellte, die ihn beschäftigte.
"Wie hat Elbereth die Sterne geschaffen?"
Bilbo wusste, dass die Sterne Frodo schon immer fasziniert hatten, und war gerne bereit, sein Wissen an ihn weiterzureichen.
"Elbereth hat sie für die Erstgeborenen, die Elben, geschaffen, mein Junge. Sie schuf sie aus dem Silbertau Telperions, einem der großen Bäume. Seither erleuchten sie jede Nacht diese Welt und jeder, der unter den Sternen wandert, wird von Elbereth beschützt."

Frodo blickte ehrfürchtig auf seinen Turm und murmelte kaum hörbar den Namen Elbereth. Inzwischen war es Abend geworden und kein Licht drang durch das südliche Fenster. Das Zimmer wurde nur mehr vom flackernden Schein des Feuers erhellt. Ein sanfter, roter Schimmer wurde von den Karten reflektiert, ließ den Turm dunkel und bedrohlich wirken.
"Elbereth", murmelte Frodo noch einmal.
Ein Fenster wurde aufgestoßen und pfeifend blies der Wind ins Zimmer. Kalte Luft strich über Frodos Wangen, brachte sein Haar zum Wehen. Starr blickte er auf den dunklen Turm vor sich, als dieser langsam in sich zusammenfiel. Frodo fröstelte, unfähig, den Blick von den einstürzenden Karten zu nehmen. Der Wind pfiff schrill in seinen Ohren und er konnte den Regen prasseln hören, während kalte Luft über seinen Nacken strich, bis sich die feinen Härchen aufrichteten und ein erneutes Zittern ihn durchlief.
"Frodo?" Aus weiter Ferne hörte er jemanden rufen.
"Frodo? Komm, machen wir uns etwas zu Essen!"
Überrascht wandte Frodo sich um. Bilbo hatte das Fenster geschlossen und war nun auf dem Weg in die Küche. Verwirrt runzelte er die Stirn und warf einen letzten Blick auf das zusammengefallene Kartenhaus, ehe er seinem Onkel mit knurrendem Magen folgte.

Der Regen hatte aufgehört und die Wolken sich verzogen. Bilbo wollte nur ungern nach draußen, denn auch die Bank vor der Höhle war vom Regen nicht unverschont geblieben, doch Frodo zuliebe nahm er einen alten Umhang und legte ihn auf das feuchte Holz, auf dass ihnen der Anblick der Sterne nicht verwehrt blieb. Er stopfte sich eine Pfeife, während Frodo die Beine von der Bank baumeln ließ und verträumt gen Himmel blickte. Es war ein überraschend klarer Abend, auch wenn der Regen herbstliche Kälte mit sich gebracht hatte. Bilbo nahm einen kräftigen Zug des Krautes und ließ einen Rauchring über den Bühl ziehen. Lange Zeit sagte keiner ein Wort und Frodo war es, der die Stille schließlich brach.
"Bilbo?"
"Ja?", er blickte fragend zu seinem Neffen, der den Blick nun nach unten gerichtet hatte.
Frodo hielt sich mit den Händen am feuchten Holz der Bank fest. Sollte er sich ihm anvertrauen? Sollte er ihm erzählen, was ihn belastete? Unruhig rutschte er hin und her. Fastred hatte gesagt, es wäre besser, doch konnte er das wirklich tun? Konnte er über seine Ängste sprechen? Seine Fragen wurden mit einem Nein beantwortet, doch dieses Nein sollte nicht für immer bestehen, nur vorübergehend. Jetzt war es noch zu früh. Frodo selbst war noch nicht bereit dazu, jemanden an einen Gedanken teilhaben zu lassen, doch der Tag würde kommen.
"Ach, nichts", sagte Frodo schließlich knapp und richtete seinen Blick wieder auf die Sterne und Bilbo tat es ihm gleich.


~*~*~

Frodo saß auf einer Eckbank im Grünen Drachen, an einem der hintersten Tische. Nur wenige Lampen tauchten die große Gaststube in schummeriges Licht. Der Geruch von Pfeifenkraut, Bier und gebratenem Speck drang Frodo in die Nase, doch schien er nun sehr viel konzentrierter, als noch bei seinem letzten Besuch und der junge Hobbit war bemüht, so wenig wie möglich davon einzuatmen.

"Ertrunken sagst du?"
"Ja ja, ich habe es immer gewusst. Diese Bockländer sind komisches Volk. Hobbits sollten sich nicht für Boote interessieren. Der Herr Drogo hätte niemals eine von da drüben heiraten dürfen. Das führt zu einem schlimmen Ende, das habe ich immer gewusst."

Frodo wandte sich um, als er die Stimmen hörte. Wut und Traurigkeit gleichermaßen stiegen in ihm empor. Wie konnten sie es wagen, so von seinen Eltern zu sprechen?
"Sie geben die Schuld meiner Mutter, aber sie ist es nicht, die die Schuld dafür trägt."
Erschrocken erkannte Frodo, dass sein Ebenbild neben ihm saß und voller Hass auf ihn herabblickte. Die nassen Locken hingen ihm ins Gesicht, die Kleider klebten an seinem Körper. Frodo zog erschrocken die Hand zurück, als ein Wassertropfen seine Finger umschloss.
"Du bist schuld!" fauchte der andere, ließ Frodo unwillkürlich zurückweichen.
Die unbeschreibbare Angst, die ihn in der Gegenwart seines jüngeren Ichs immer heimsuchte, ergriff erneut Besitz von ihm.
"Nein, das bin ich nicht!" platzte es aus Frodo heraus, während er so schnell es ihm möglich war, hinter der Eckbank hervorrutschte. Doch der Andere war schneller, ergriff sein Handgelenk.
"Was denkst du denn, weshalb sie so spät noch auf den Fluss hinaus fuhren? Sie wollten dich nicht bei sich haben. Wärest du nicht gewesen, hätten sie an diesem Abend das Brandyschloss gar nicht verlassen!"
Entsetzt starrte Frodo in die kalten, blauen Augen, unwillig, den Worten des Anderen Glauben zu schenken. Doch was, wenn er Recht hatte? Verzweifelt wandte er den Blick ab und starrte zu Boden. Waren sie wirklich nur seinetwegen weggegangen? War er tatsächlich schuld an dem, was geschehen war? Es durfte nicht sein. Es konnte nicht sein. Doch die Worte beinhalteten eine schreckliche Wahrheit und ein Zittern durchlief Frodo, als Tränen in ihm aufstiegen.
"Lass mich in Ruhe!" jammerte er, doch der Andere zeigte kein Erbarmen, blickte voller Hass auf das Häufchen Elend, das zusammengekauert auf der Eckbank saß und mit seinen Tränen kämpfte.
"Du hast es nicht verdient, dass ich dich in Ruhe lasse!" zischte der durchnässte Hobbit. "Du sollst leiden, genau wie sie gelitten haben, genau wie ich jetzt leide!"
Der Griff um seine Handgelenke verstärkte sich noch, als Frodo plötzlich mit einem Ruck zurück in die Ecke gerissen wurden.

~*~*~



Schweißgebadet schreckte Frodo aus seinem Traum. Ängstlich blickte er sich im Zimmer um, griff dann keuchend nach der Bettdecke, wickelte sie um seine Schultern und sprang zum Schreibtisch unter dem Fenster. Dort kauerte er sich auf dem Stuhl zusammen und blickte verzweifelt zu den Sternen auf, die blass am nächtlichen Firmament leuchteten.
"Lass ihn weggehen, Elbereth!" flüsterte er mit Tränen der Angst in den Augen. "Bitte, er soll mich in Ruhe lassen!"



~*~*~



Als Frodo am nächsten Morgen aufwachte, ruhte sein Kopf auf seinen verschränkten Armen auf dem Schreibtisch. Sein Nacken schmerzte, als er müde den Kopf hob. Er hatte nicht geträumt, auch wenn die Erinnerung an seinen früheren Traum ihm einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Weshalb wurde er verfolgt?
Bevor Frodo weiter darüber nachdenken konnte, klopfte es an der Tür und Bilbo kam herein.
"Guten Morgen, Frodo, mein Junge! Oder sollte ich besser sagen, einen schönen Mittag? Du hast sowohl das erste, als auch das zweite Frühstück verpasst und wenn du noch lange hier sitzt wird wohl auch der Elf-Uhr-Imbiss ausfallen."
Bilbo zwinkerte ihm zu, als Frodo überrascht aus dem Fenster sah. Die Sonne stand schon hoch über den Wolken.
"Samweis hat bereits nach dir gefragt. Er war sehr überrascht, als er erfuhr, dass du noch schläfst."

Frodo verlor keine weitere Minute, schlüpfte in sein Hemd und ein Paar Hosen und verließ die Höhle gleich nach einem anständigen Frühstück. Sam verbrachte auch diesen Tag mit ihm. Der jüngere Hobbit führte ihn in ganz Hobbingen herum stellte ihm alles und jeden vor, auch wenn Frodo sich kaum an die vielen Gesichter und neuen Eindrücker erinnern konnte. Sein Albraum und der leichte Schlaf der letzten Nacht, ließen ihn den ganzen Tag über gähnend durch die Straßen gehen und als er zum Abendessen nach Beutelsend zurückkehrte, war er mindestens genauso müde, als wenn er in der vergangenen Nacht überhaupt nicht geschlafen hätte.
Besorgt legte Bilbo eine prüfende Hand auf seine Stirn, als er ihn zu Bett brachte.
"Ich hoffe, du wirst nicht krank. Du scheinst mir sehr müde zu sein. Fühlst du dich nicht gut?"
Frodo schüttelte den Kopf. "Ich habe in der letzten Nacht nur etwas schlecht geschlafen."
Bilbo lächelte, doch die Besorgnis wich nicht aus seiner Stimme. "Dann hoffe ich, dass diese Nacht besseren Schlaf bringt, als die vergangene."
"Das hoffe ich auch", antwortete Frodo und dachte stirnrunzelnd an seinen Traum.



~*~*~

Frodo saß auf der Bank vor Beutelsend und betrachtete die Sterne. Es war eine angenehme Nacht, doch als ein frischer Wind aufzog, fröstelte er und griff nach dem Umhang, der neben ihm lag. Diesen ließ er jedoch sofort wieder los, sprang stattdessen mit einem entsetzten Aufschrei von der Bank, als die Person, die den Umhang trug, ihn mit einem lauten "Fass mich nicht an!" zurechtwies.
Mit weit aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen betrachtete Frodo den durchnässten Hobbit, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war.
"Du hast geglaubt, du könntest dich hier vor mir verstecken, nicht wahr?" Der Andere lachte und sein Gesicht verzog sich zu einer schrecklichen Grimasse. "Nein, Frodo, so einfach mache ich es dir nicht. So leicht wirst du mich nicht wieder los!"
Hasserfüllt blitzten die kalten Augen ihn an und Frodo erschauderte. Plötzliche Furcht ergriff ihn, als sein Ebenbild sich von der Bank gleiten ließ. Erst wich er nur zurück, als die unheimliche Gestalt näher kam, doch dann breitete sich Panik in ihm aus und er rannte verschreckt in die Hobbithöhle, um sich unter seiner Bettdecke zu verkriechen. Hier konnte ihm nichts passieren. In seinem Bett war er sicher, denn wenn nicht hier, wo sonst?
"Er soll weggehen!" flüsterte er mit zitternder Stimme. "Er soll weggehen!"
Jemand kratzte an seiner Tür. Das Geräusch alleine trieb Frodo den Angstschweiß auf die Stirn und er kauerte sich zitternd zusammen. Er würde kommen und ihn holen.
"Du hast sie umgebracht und dafür musst du bezahlen!" krächzte die nun allzu bekannte, raue Stimme.
Frodo presste die Augen zusammen.
"Er soll weg gehen!" flehte er noch einmal und seine Stimme war kaum mehr, als ein Wispern.
Knarrend öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer und Frodo konnte das leise Platschen nasser Hobbitfüße hören. Er war hier nicht sicher. Panisch schlug er die Decke zurück und schrie auf, als er in die kalten, blauen Augen des Anderen blickte.

~*~*~



Frodo saß auf seinem Bett, die Decke fest umklammert. Zitternd und mit vor Angst geweiteten Augen starrte er zur Tür.
"Es war ein Traum", versuchte er sich zu beruhigen. "Er ist nicht hier."
Langsam kletterte er aus seinem Bett, beobachtete misstrauisch den schwachen, gelben Lichtschein unter der Tür. Kein Knarren, kein Kratzen war zu hören. Sein Herz raste, pochte laut in seinen Ohren, als er zögernd auf Tür zuging. Das Feuer im Kamin war ausgegangen und nur mehr die schwach schimmernde Glut spendete ihm Licht. Er schluckte schwer, bevor er langsam und mit zitternden Fingern nach dem Knauf tastete und ihn vorsichtig drehte. Die Scharniere quietschten und Frodo erstarrte in seiner Bewegung, führte sie dann aber dennoch zu Ende. Zögernd spähte er hinaus.
Nichts. Niemand. Er war alleine. Keiner lauerte ihm auf. Keiner.

Ein Balken knarrte. Frodo konnte sich nicht einmal umwenden, als er schon entsetzt aufschrie. Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, wer dort auf ihn lauerte und er wollte weglaufen, doch sein ganzer Körper schien erstarrt. Ängstlich kniff er die Augen zusammen und verkrampfte sich, wartete verzweifelt auf ein Schicksal, das nun unweigerlich auf ihn hereinbrechen würde.

Bilbo schreckte aus seinen Träumen, als er Frodo schreien hörte, sprang eiligst aus seinem Bett. Er hatte keine Kinder, doch er wusste, Frodos Schrei war kein gewöhnlicher. Etwas Schreckliches war geschehen und in Gedanken sah er seinen Neffen bereits schwer verletzt in seinem Zimmer liegen. Mirabella würde es ihm nie verzeihen, wenn dem Jungen etwas geschah. Das Schlimmste befürchtend, war Bilbo beinahe überrascht, Frodo zitternd in seiner Zimmertür stehen zu sehen, erkannte jedoch sofort, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
"Frodo, mein Junge, was ist geschehen? Was ist mit dir?"
Er kniete vor dem Jungen nieder, griff nach seinen Schultern und schreckte beinahe zurück vor der Spannung, die er unter seinen Fingern spürte. Jeder einzelne Muskel schien bis aufs Äußerste angespannt. Frodos ganzer Körper schien aus Stein und Bilbo schüttelte seinen Neffen voller Besorgnis und Schrecken, in der Hoffnung, er möge aus seiner Erstarrung erwachen.
"Sieh mich an, Frodo!" bat er verzweifelt. "Schau mir in die Augen. Ich bin es, Bilbo!"
Nur langsam, beinahe zögernd öffneten sich die Lider, bis die blauen Augen, die darunter verborgen lagen, wieder zum Vorschein kamen. Furcht war in ihnen zu lesen, so rein und deutlich, dass Bilbo es selbst mit der Angst zu tun bekam. Was hatte der Junge gesehen, das ihn so sehr erschreckte?
Frodo rührte sich noch immer nicht, sah ihn wie versteinert an. Tränen stiegen ihm in die Augen, quollen über und liefen über seine Wangen wie kleine Rinnsale, bis er plötzlich in sich zusammenbrach und zu Boden sank. Bilbo konnte ihn gerade noch rechtzeitig auffangen und trug ihn vorsichtig in sein Bett.

Erst dort schien Frodo wieder zu sich zu kommen. Er wehrte sich gegen Bilbo, blickte sich panisch im Zimmer um, während er wild um sich schlug.
"Er ist hier! Er weiß, wo ich bin! Ich bin schuld! Er wird mich dafür bezahlen lassen! Ich bin schuld!"
Seine Stimme klang beinahe hysterisch und Bilbo hatte Mühe, ihn zu beruhigen.
"Es ist niemand hier, Frodo. Es war ein Traum", wisperte er und hielt den Jungen fest, auch wenn dieser sich gegen die Berührung sträubte. "Du hast geträumt."
Nur langsam entspannte sich Frodo, hörte schließlich auf, sich zu wehren und ließ sich bitterlich weinend in Bilbos Arme sinken. Bilbo drückte den zitternden Jungen an sich, strich ihm beruhigend über den Rücken. Er hatte selbst mit den Tränen zu kämpfen ob der Verzweiflung seines Neffen. Der Schrecken vor dem, was eben geschehen war, saß ihm in den Knochen, machte ihn zittern. Doch was war eigentlich geschehen? Zärtlich drückte er den Jungen an sich, fragte ihn genau das.
Frodo blickte furchtsam zu ihm auf, unfähig, seine Angst zu vergessen.
"Er war hier", flüsterte er, als hoffe er, von niemandem außer Bilbo gehört zu werden. Ängstlich drückte er sich an Bilbos Brust, verkroch sich förmlich im Leinennachthemd des alten Hobbits. "Es war kein Traum. Er verfolgt mich", er stockte, blickte Hilfe suchend zu seinem Onkel auf. "Ich bin mir sicher, dass er hier war."
"Wer war hier?", fragte Bilbo besorgt.
Ein Zittern durchlief den kleinen Körper und Frodo kauerte sich zusammen. Seine Stimme war noch leiser als zuvor.
"Der andere Hobbit. Er sieht aus wie ich. Er verfolgt mich. Er sagt, ich hätte sie umgebracht. Ich wäre schuld an allem. Er sagt, ich muss dafür bezahlen."
Frische Tränen quollen aus seinen Augenwinkeln und Frodo vergrub das Gesicht in Bilbos Nachthemd, während er sich verzweifelt an dem leinenen Stoff festklammerte.
Frodos Worte brannten sich in Bilbos Herz, als ihm die schrecklichen Schuldgefühle seines Schützlings bewusst wurden. Voller Mitgefühl hielt er den Jungen fest umklammert.
"Du hast keine Schuld. Niemand ist schuld daran. Keiner konnte so etwas ahnen. Du bist der Letzte, der Schuld daran hat und es wird auch nie jemand auf die Idee kommen, dir die Schuld dafür zu geben."
"Aber er hat gesagt, ich hätte sie dazu getrieben. Sie sind nur so spät noch weggegangen, weil das die einzige Zeit war, wo ich ihnen nicht im Weg war", beharrte Frodo hilflos schluchzend.
"Du bist niemandem im Weg, Frodo." Bilbo legte seine Hände auf die feuchten Wangen des Jungen, zwang ihn sanft, ihn anzusehen. "Natürlich brauchten deine Eltern auch Zeit für sich, aber das heißt noch lange nicht, dass du ihnen im Weg warst. Willst du nicht auch manchmal einfach nur alleine sein?"
Frodo nickte traurig, doch seine Tränen wollten nicht versiegen und als Bilbo von seinen Wangen abließ, ließ er seinen Kopf wieder in den Schoß seines Onkels sinken. Auch wenn er nicht sicher war, ob er Bilbos Worten Glauben schenken konnte, fühlte er sich seltsam beruhigt, als er den Duft von Pfeifenkraut und Tinte einatmete, jene Gerüche, die seinen Onkel ausmachten. Der alte Hobbit wiegte ihn sanft hin und her und Frodo spürte, wie die Angst von ihm abließ und er schläfrig wurde. Es tat wohl, getröstet zu werden. Als er beruhigt die Augen schloss, erinnerte er sich plötzlich an einen Gedanken, der ihn vor gar nicht so langer Zeit beschäftigt hatte.
Niemand würde ihn jemals wieder so trösten, wie seine Mutter es getan hatte.
Dennoch umgab ihn bei Bilbo beinahe das gleiche warme Gefühl der Geborgenheit und Frodo fragte sich, ob er sich ihm doch hätte anvertrauen sollen, als sie vor zwei Tagen die Sterne betrachtet hatten. Doch auch dieses Mal lautete seine Antwort ‚nein', auch wenn ein Teil von ihm ein leises ‚noch nicht' hinzufügte.

Ein Gähnen von Bilbo, ließ Frodo aus seinem halbschlafartigen Zustand erwachen. Er wischte sich eine Träne weg und sah zu seinem Onkel auf.
"Du siehst müde aus", sagte er mit ernstem Ton. "Du solltest schlafen gehen."
Ein Lächeln huschte über Bilbos Lippen.
"Ich sollte schlafen?", fragte er. "Und was ist mit dir?"
Frodo blickte zu Boden. "Ich sollte das vermutlich auch."
Bilbo nickte, strich ihm zärtlich durch die Haare.
"Kommst du denn alleine zurecht oder soll ich bei dir bleiben?"
"Ich komme zurecht", meinte Frodo und küsste Bilbo zum Abschied auf die Wange, ehe er sich wieder in sein Bett kuschelte und beobachtete, wie sein Onkel die Kerze ausblies und leise das Zimmer verließ.



~*~*~



Bilbo war schon lange gegangen, als Frodo noch immer wach in seinem Bett lag. In der Dunkelheit starrte er zur Decke, versuchte krampfhaft, die Augen offen zu halten, aus Angst, er könne wieder einschlafen. Seine Finger krallten sich an der Bettdecke fest und er lauschte angespannt auf jedes Geräusch. Warum hatte er Bilbo gehen lassen? Sein Onkel hatte ihm sogar angeboten hier zu bleiben, er hätte ihn nicht einmal darum bitten müssen. Doch nun war er fort und Frodo wünschte sich nichts mehr, als Bilbo wieder bei sich zu haben, doch dieser war inzwischen bestimmt schon lange eingeschlafen. Diese Nacht musste er alleine durchstehen.
Seine Lider wurden schwer und schließlich fielen ihm die Augen zu. Erschrocken riss Frodo sie wieder auf. Er durfte nicht einschlafen. Bilbo hatte zwar gesagt, dass sein Ebenbild Unrecht hatte, doch was sollte er tun, wenn der Hobbit aus seinem Traum zurückkehrte?
Frodo erschauderte. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und seine Finger gruben sich noch fester in die weiche Daunendecke. Er konnte diese Nacht nicht alleine verbringen.

Vorsichtig kletterte er aus seinem Bett und schlich zur Tür. Seine Augen wanderten unsicher von einer Seite zur anderen, als er in den Gang hinausspähte und sich in der spärlich beleuchteten Halle umsah. Bilbo hatte fast alle Lampen gelöscht und im schwachen Licht beschlich Frodo ein mulmiges Gefühl. All seinen Mut zusammennehmend, holte er tief Luft und eilte zu Bilbos Zimmertüre, die er leise öffnete.
Der alte Hobbit schlief tief und fest und Frodo konnte sein leises Schnarchen hören. Er lächelte kurz, doch dann huschte ein trauriger Ausdruck über seine Züge. Sein Vater hatte auch manchmal geschnarcht. Frodo zögerte, unsicher, ob er sein Vorhaben umsetzen sollte. Lange Zeit beobachtete er den schlafenden Hobbit, ehe er es schließlich wagte, sich an das Bett zu schleichen und sich nach erneutem Zögern, neben seinem Onkel unter die Decke zu kuscheln. Zwar lag er auf der anderen Seite des Bettes, doch Bilbo bei sich zu wissen, beruhigte ihn. Leise seufzend schloss er die Augen und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Bilbo lächelte, als er spürte, wie Frodo neben ihm ins Bett kroch. Er hatte geahnt, dass er diese Nacht lieber hätte bei ihm bleiben sollen und schimpfte sich, dass er dies nicht auch getan hatte. Doch er war beruhigt, dass der Junge zu ihm gekommen und nicht alleine geblieben war. Er rutschte etwas näher an den kleinen Körper heran und legte zufrieden einen Arm um seinen schlafenden Schützling.





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