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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 11: Geburtstag



So kam der 22. Halimath. Frodos und Bilbos Geburtstag.
Frodo erwachte früh und wollte sofort zu Bilbo gehen, um ihm zu gratulieren, doch konnte er sich nicht dazu bewegen, aus seinem warmen Bett zu kriechen. Stattdessen kuschelte er sich müde in seine Decke und drehte sich zur Seite.
Der 22. Halimath, sein Geburtstag; und er hatte nicht einmal daran gedacht, Geschenke zu machen. Seine Mutter war ihm in den vergangenen Jahren bei der Auswahl behilflich gewesen, doch in diesem Jahr hatte er völlig darüber vergessen.
Zumindest Merry und Bilbo wollte er etwas schenken, doch so sehr er auch darüber nachdachte, er fand nichts, das er ihnen hätte geben können. Bestimmt würde sich in seinem Zimmer ein Mathom für Merry finden, wenn er nur lange genug suchte, doch für Bilbo wollte Frodo nichts einfallen und noch während er darüber nachgrübelte, fielen ihm die Augen wieder zu.



~*~*~

Primula stellte die Kerze auf das Nachtkästchen und setzte sich auf die Bettkante ihres Sohnes. Lächelnd strich sie ihm über die Haare und küsste seine Stirn. Frodo blinzelte.
"Guten Morgen, mein Kleiner!" sagte sie sanft. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!"
Frodo strahlte über das ganze Gesicht und die Flamme der Kerze spiegelte sich in seinen Augen. Verschlafen legte er den Kopf auf ihren Schoß, umarmte ihre Taille und begrüßte sie murmelnd, während sie ihm zärtlich durch die Haare strich, wie sie es morgens häufig tat.
Als Frodo nach einer Weile den Kopf drehte, sodass er sie ansehen konnte, lag ein verschmitztes Grinsen auf seinem Gesicht. Er hatte nicht vor, ihre Nähe lange zu genießen, denn er musste sofort an den Frühstückstisch, wo ganz bestimmt eine große Geburtstagstorte auf ihn wartete. Kichernd sprang er schließlich auf, wand sich aus den Armen seiner Mutter und zog sich eiligst an, ehe er rasch aus dem Zimmer stürmte. Seinen Vater, der gerade herein kommen wollte, bemerkte er erst, als es zu spät war, doch Drogo reagierte schnell, fing seinen Sohn auf, ehe dieser stolpernd mit ihm zusammengestoßen wäre und hob ihn hoch.
"Hat man es mit elf nicht mehr nötig die Augen offen zu halten?", fragte er lachend und wuschelte ihm durch die Haare.
"So lange man aufgefangen wird, nicht", entgegnete Frodo mit einem breiten Grinsen und legte die Arme um seinen Hals. "Gute Morgen!"
"Guten Morgen!" rief Merry gutgelaunt, als er den Gang herab gesprungen kam.
Drogo stellt seinen Sohn lächelnd zurück auf den Boden, sodass dieser seinen Vetter begrüßen konnte, doch ehe der junge Hobbit dazu kam, brach Merry in einen reichlich schiefen Geburtstagsgesang aus.
"Erbarmen!" rief Frodo lachend und hielt sich die Ohren zu. "Verschone mich."
Ohne das Ende des Liedes abzuwarten, ergriff Frodo Merrys Arm und zog ihn den spärlich beleuchteten Gang entlang, fest entschlossen, noch vor der Geburtstagstorte im Esszimmer anzukommen. Merry ließ sich lachend von ihm mitziehen, setzte jedoch immer wieder zu neuen, selbst erfundenen Strophen an.
Drogo sah den beiden kopfschüttelnd, aber mit einem Lächeln im Gesicht hinterher. Primula trat an seine Seite und er legte einen Arm um sie. "Ein Jahr macht keinen großen Unterschied."

Frodos Vermutung hatte sich bestätig, denn der Kuchen stand bereits auf dem Tisch, als er ins Esszimmer trat und jeder, der das Glück hatte, zur selben Zeit zu frühstücken, wie er, bekam ein Stück davon.
Nach dem Essen wandte Frodo sich an seine Mutter, um mit ihr die Geschenke zu verteilen, die sie gemeinsam ausgesucht hatten. Für jeden von Frodos engsten Verwandten und Freunde hatten sie eine Kleinigkeit gefunden und nur ein Geschenk hatte der Junge bisher selbst vor Primula geheim gehalten. Viele lange Nachmittage war er an jenem Geschenk gesessen und war nicht selten kurz davor gewesen, aufzugeben. Er hatte versucht von der großen Eiche aus ein Bild des Brandyschlosses in ein Holzbrett zu ritzen, was ihm nicht immer leicht gefallen war. Am Ende war er jedoch zufrieden damit, auch wenn er einige Mal abgerutscht war, doch diese kleinen Fehler fielen nicht auf.
Unter die Zeichnung hatte er mit großen Lettern "Ich hab euch lieb!" geschrieben und heute sollte der Tag sein, an dem er das Geschenk für seine Eltern, das er mit soviel Mühe und Liebe geschaffen hatte, endlich überreichen durfte.
Mit einem Lächeln im Gesicht ließ sich Frodo von Merry die Schnitzerei reichen. Er hatte seinen Vetter damit beauftragt, sie bis zu seinem Geburtstag zu verwahren, denn er hatte gefürchtet, dass seine Mutter sie finden könnte, würde er sie in seinem Zimmer aufbewahren.
Frodos Augen leuchteten vor Aufregung, als er das Geschenk schließlich an seine Eltern überreichte, die es voller Freude entgegennahmen. Er konnte es kaum erwarten, bis seine Mutter endlich die rote Schleife gelöst hatte, die er darum gebunden hatte.
Drogo blickte über Primulas Schulter hinweg auf das Geschenk seines Sohnes und es erfüllte ihn mit Stolz und Staunen, die Mühe zu sehen, die hinter dieser Arbeit steckte.
"Das ist wunderschön", ließ er seinen Sohn anerkennend wissen und beugte sich zu ihm hinab, um ihn zu umarmen, doch Primula kam ihm zuvor. Mit Tränen der Rührung in den Augen fiel sie Frodo um den Hals, küsste erst seine Stirn, dann seine Wange und ließ ihn voller Freude wissen, welch großen Gefallen sie an dem Geschenk fand.
Frodo blickte mit einem seligen Lächeln über die Schulter seiner Mutter hinweg zu seinem Vater, der ihm lächelnd den krausen Lockenkopf zerzauste, und war glücklich, seinen Eltern mit seinem Geschenk so große Freude bereitet zu haben, bis sich Merry plötzlich zu Wort meldete.
"Das war auch eine Menge Arbeit!" erklärte der jüngere Hobbit mit einem Tonfall, als hätte er die Schnitzerei gemacht. "Tagelang konnte ich ihn zu nichts anderem überreden. Ganz gleich, was ich ihm vorgeschlagen habe, er hat immer nur daran weitergearbeitet."
Frodo warf ihm einen vielsagenden Blick zu, woraufhin Merry sofort verstummte und den Blick von ihm abwandte, während allgemeines Gelächter den Raum erfüllte.

Später an diesem Tag, rief Drogo seinen Sohn zu sich in eines der Studierzimmer. Als Frodo in den von Kerzen hell erleuchteten Raum trat, blickte Drogo vom Schreibtisch auf und schenkte seinem Sohn ein Lächeln.
"Du hast mich vor einigen Wochen um eine Bootsfahrt gebeten. Damals habe ich es nicht erlaubt, aber ich denke, dass wir es heute wagen können. Das Wetter ist gut und das Wasser ruhig."
Frodo strahlte über das ganze Gesicht und fiel seinem Vater jubelnd um den Hals und nur wenige Minuten später begab sich die Familie Beutlin mit einem Picknickkorb auf den Weg zum Ufer des Brandyweins.



Plötzlich stand Frodo auf einem Hügel nahe dem Ufer, konnte beobachten, wie er selbst in eines der Boote stieg. Primula setzte sich hinter ihn, hielt ihn fest, während Drogo die Taue löste und das Boot langsam ins Wasser stieß.
Seine Nackenhaare sträubten sich und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er sah, wie das Boot langsam stromabwärts trieb. Er erinnerte sich an seinen letzten Geburtstag, wusste, dass nichts geschehen war und doch war er nun von einer unbestimmten Furcht ergriffen und je länger er sich selbst mit seinen Eltern im Boot sitzen sah, umso ängstlicher wurde er. Die Angst wuchs in seinem Magen heran, breitete sich von dort aus über seinen ganzen Körper aus, bis er plötzlich den Hügel hinuntereilte und immer wieder nach den Hobbits im Boot rief, doch keiner nahm Notiz von ihm.
Während er rannte schlug plötzlich das Wetter um und wo zuvor noch die Sonne vom Himmel gelacht hatte, erschienen dichte, dunkle Wolken. Donner grollte und kalter Regen prasselte auf ihn nieder.
Seine Mutter hatte Mühe, das Boot im schneller werdenden Strom des Flusses ruhig zu halten und Frodo rief noch einmal nach ihr, doch niemand schien ihn zu hören. Er beobachtete, wie seine Mutter die Ruder einholte, den Kampf gegen die Strömung aufgab und stattdessen verzweifelt ihren Sohn in die Arme schloss. Frodo hörte seinen Vater rufen, Primula solle sich festhalten, doch ganz gleich, was sie taten, es brachte nichts. Die Strömung wurde schneller und der sonst so ruhige Fluss brachte plötzlich Wellen hervor. Das Boot kenterte und die darin sitzenden Hobbits wurden vom Wasser verschlungen.
Außer Atem von seinem Lauf und vor Angst keuchend, erreichte Frodo schließlich das Ufer, suchte verzweifelt die Wasseroberfläche ab. Er konnte sich selbst im Wasser treiben sehen, entdeckte auch das blaue Tuch seiner Mutter, doch von seinen Eltern fehlte jede Spur. Tränen der Verzweiflung traten in seine Augen, als er flussabwärts rannte, in der Hoffnung, vielleicht weiter unten etwas zu entdecken. Doch auch als er erneut stehen blieb, um noch einmal alles abzusuchen, entdeckte er niemanden. Selbst den jungen Hobbit, der mit seinen Eltern im Boot gesessen war, sah er nicht mehr.
Erschrocken schrie Frodo auf, als kalte Finger seinen Knöchel umklammerten und ihn zu Boden stürzen ließen.
"Du bist an allem schuld!" klagte eine verzweifelte Stimme und Frodo erkannte sein anderes Ich, das sich über ihn gebeugt hatte und seine Handgelenke fest umklammert hielt. Frodo zitterte vor Angst, wollte weglaufen, doch der andere Hobbit hielt ihn erbarmungslos fest.
Tränen waren in den kalten, blauen Augen des anderen, als dieser schmerzvoll das Gesicht verzog und ihn mit einer Stimme voller Zorn, Trauer und Verzweiflung anschrie.
"Du hast es gesehen und sie nicht gewarnt! Du bist schuld! Du hast sie in den Tod getrieben!"
Frodos Augen weiteten sich vor Entsetzen und er versuchte verzweifelt, sich aus dem klammernden Griff zu befreien.
"Nein!" rief er ängstlich. "Ich kann nichts dafür! Ich wusste es nicht!"
Ein Blitz erhellte den Himmel und der Regen wurde stärker. Frodo konnte spüren, wie die kalten Tropfen auf sein Gesicht prasselten, während er weiterhin versuchte, sich aus dem Griff zu lösen.
"Du bist schuld!" sagte der andere Hobbit, der aussah, wie er, noch einmal mit donnernder Stimme.
Frodo schüttelte den Kopf, hielt die Augen fest verschlossen. Er hatte es nicht wissen können, er trug keine Schuld.
Eine grobe Hand packte ihn plötzlich an der Schulter, zog ihn hoch und Frodo schlug erschrocken die Augen auf, während er versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Doch noch ehe ihm das gelang, spürte er kalte Finger an seinem Rücken und wurde mit einem heftigen Hieb in den Fluss gestoßen.

~*~*~



Frodo keuchte, schnappte nach Luft, als er erschrocken aus dem Bett hochfuhr. Panisch blickte er sich um, doch vollkommene Dunkelheit hieß ihn willkommen. Das Herz schlug ihm wild in der Brust, seine Hände zitterten und kleine Schweißperlen bedeckten seinen Körper. Tränen rannen über seine Wangen, während sich seine Finger in die Bettdecke krallten.
Das Feuer im Kamin war ausgegangen und der Duft des Holzes, der das Zimmer am Abend noch durchflutet hatte, war nur mehr eine schwache Erinnerung.
Seine Atmung zitterte, als er die Augen schloss und sich kraftlos zurück in das Bett fallen ließ.
"Ich kann nichts dafür", flüsterte er mit rauer Stimme und schüttelte den Kopf, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen.
Er hatte nichts dagegen tun können. Was geschehen war, war geschehen und er hätte nichts daran ändern können, so sehr er sich das auch wünschte.
Blind starrten seine Augen zur Decke, während er darauf wartete, dass er aufhörte zu zittern und sich wieder beruhigte. Es dauerte einige Zeit, bis er schließlich die Decke zurückwarf und sich aufsetzte. Die Füße von der Bettkante baumelnd, wischte er sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen, blieb dann einen Augenblick ruhig sitzen, unfähig, den Traum zu vergessen.
"Ich kann nichts dafür", wiederholte er dann noch einmal, als wolle er sich damit bestätigen, holte tief Luft und ließ sich schließlich entschlossen aus dem Bett gleiten, um sich anzuziehen.

Langsam trat er aus dem Zimmer und trottete in Richtung Esszimmer. An der Tür blieb er stehen und warf einen zögernden Blick hinein. Ein Großteil der Brandybocks und viele andere Bewohner des Brandyschlosses hatten sich am Tisch eingefunden. Offensichtlich war er zur Hauptfrühstückszeit eingetroffen. Merry blickte von seinem Teller auf, entdeckte ihn und sprang ihm fröhlich entgegen.
"Guten Morgen, Frodo! Wie geht es dir? Herzlichen Glückwunsch! Wie fühlt man sich mit zwölf?"
Frodo gelang es zu lächeln, als der jüngere Hobbit seine Hand ergriff und ihn zum Tisch führte. "Es geht mir sehr gut und bis jetzt fühle ich mich mit zwölf noch kein wenig anders."
"Das wird sich bestimmt noch ändern", meinte Bilbo lächelnd und erhob sich um seinen Neffen zu umarmen. "Ich gratuliere dir."
Frodo erwiderte die Umarmung, blickte dann aber beschämt zu Boden. "Ich habe kein Geschenk für dich", gestand er, wobei er den Blick betrübt in die Runde schweifen ließ, "oder für irgendjemand anderen. Ich habe das völlig vergessen."
Eine Hand auf seiner Schulter spürend, blickte Frodo auf. Bilbo sah ihn lächelnd an, zwinkerte ihm zu und flüsterte, so, dass nur er es hören konnte: "Keine Sorge, ich habe genug Geschenke für uns beide."
Frodos Gesicht hellte sich auf.
"Auch eines für Merry?", fragte er leise.
"Auch eines für Merry", versicherte Bilbo lächelnd und wies ihn an, nach dem Essen mit ihm zu kommen, während er mit einem Kopfnicken andeutete, dass er Platz nehmen solle.

Gleich nach einem ausgiebigen Frühstück, ließ sich Frodo von Bilbo in die hintersten Zimmer des Brandyschlosses führen. Das Gästezimmer, das der alte Hobbit bewohnte, hatte etwa dieselbe Größe, wie Frodos Zimmer und war nur mit einem Bett und einem Schrank ausgestattet. Bilbo bat ihn, sich auf das Bett zu setzen und holte einen Rucksack aus dem Schrank.
"Ich habe alle meine Geschenke verteilt, bis auf zwei", erklärte er, während er die lederne Tasche durchstöberte. "Ich dachte, das hier wäre vielleicht das Richtige für Merry." Er zog ein großes, in Leder gebundenes Buch aus der Tasche, das er an Frodo weiterreichte. Zaghaft nahm Frodo das Buch an. Im Licht einer Kerze konnte Bilbo die Verwunderung in den blauen Augen sehen und begann lächelnd zu erklären: "Ich habe drei seiner Lieblingsgeschichten genommen und sie aufgeschrieben."
Frodos Augen leuchteten.
"Du bist wunderbar, Bilbo!" rief er erfreut. "Das ist genau das Richtige!"
Zufrieden lächelnd, zog Bilbo ein weiteres Päckchen aus der Tasche. Es war mit Stoff eingewickelt und mit einer Schnur zusammengebunden worden.
"Ich habe zuvor wohl etwas übertrieben, denn mehr habe ich nicht mitgebracht, dass du verteilen könntest."
Frodo lächelte, während er das Buch bewundernd in seinen Händen drehte, glücklich, ein solch großes und wertvolles Geschenk für Merry zu haben. "Das macht nichts."
"Ich habe nur noch dieses hier und das möchte ich dir geben."
Frodo hielt in seiner Bewegung inne, sah ihn verwundert an. Da er vergessen hatte, selbst Geschenke zu machen, hatte er auch nicht damit gerechnet, eines von Bilbo zu erhalten. Zögernd legte er das Buch zur Seite und nahm das Päckchen entgegen, packte es aber nicht sofort auf, sondern ließ seinen Blick fragend auf Bilbo ruhen. Erst als dieser ihm ermutigend zunickte, ließ er seine Finger über die Schnur gleiten, löste vorsichtig den Knoten. Behutsam schob er den Stoff zur Seite und ein Bild in einem wunderschönen, hölzernen Rahmen kam zum Vorschein. Es war ein schlichter Bilderrahmen, hatte kaum eine Verzierung, doch Frodo schien er der Schönste, den er jemals gesehen hatte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
"Mein Bild", flüsterte er, "du hast es eingerahmt."
Bilbo nickte, beobachtete ihn lächelnd, auch wenn es ihn mit Traurigkeit erfüllte, zu sehen, wie liebevoll Frodo das Bild betrachtete, es schließlich zärtlich an sich drückte.
"Ich danke dir", wisperte das Kind und hob den Kopf. Seine Augen glänzten mit ungeweinten Tränen, als er Bilbo in die Arme fiel und das Gesicht in dessen Weste vergrub. "Das ist das schönste Geschenk, das du mir hättest machen können."
‚Das schönste Geschenk, abgesehen von der Rückkehr meiner Eltern', dachte er betrübt, während sich Bilbos Arme um ihn schlossen, ‚doch das kann niemand mir erfüllen.'



~*~*~



Frodo war es noch nicht erlaubt, nach draußen zu gehen und so kam es ihm nur recht, dass es regnete. Auch Merry war froh um das schlechte Wetter, so hatte er genug Zeit sein neues Buch zu bestaunen. Er hatte noch nie ein eigenes Buch erhalten und auch wenn er noch nicht sonderlich gut lesen konnte, wusste er dank Frodos Hilfe sofort um welche Geschichten es sich handelte. So machte er nachmittags kurzerhand aus seinen Eltern, Frodo und Bilbo sein erstes Publikum, vor dem er, der große Abenteurer, der schon fast ganz Mittelerde bereist hatte, von seinen Geschichten erzählte. Zwar tat er dabei so, als würde er vorlesen, doch kannte er die Geschichten auswendig und machte sich deshalb gar nicht erst die Mühe, sich mit Buchstaben zu quälen.



~*~*~



Am Abend saß Frodo in seinem Bett und blickte aus dem Fenster. Eine Kerze brannte, tauchte den Raum in ein blasses, flackerndes Licht. Er hatte sich dazu entschieden wieder in sein Zimmer zu gehen, nicht nur, weil die Laken im Zimmer seiner Eltern gewechselt werden mussten, sondern auch, weil er glaubte, dass es vielleicht doch besser wäre, wieder im eigenen Zimmer zu sein.
Schweigend kniete er auf seinem Bett und beobachtete die Regentropfen, die an sein Fenster prasselten und sich in verspielten, kleinen Rinnsalen ihren Weg nach unten suchten. Es war schon spät und er hätte eigentlich bereits schlafen sollen, doch Frodo war nicht müde, auch wenn ihn der Regen schläfrig werden ließ. Er ließ ihn sich an seinen Traum erinnern und Frodo erschauderte bei dem Gedanken daran.

Du bist schuld! Du hast sie in den Tod getrieben!
‚Ich konnte es nicht wissen.'
Du hast sie nicht gewarnt!
‚Wann hätte ich das tun können?'
Frodo nahm das Bild seiner Eltern in die Hände. Auf seinem Nachtkästchen hatte er Platz dafür geschaffen und von dort sollte niemand es je wegschaffen.
"Wann?", flüsterte er traurig und blickte in die lächelnden Gesichter der glücklichen Familie.
Finde neuen Mut, Frodo. Trauere nicht länger!
Er seufzte, als er an die Worte seiner Mutter dachte und strich mit vorsichtigen Fingern über den Rahmen.
"Ich versuche es, aber es ist so schwer."

Bilbo hatte die letzten Worte mitangehört, als er leise in das Zimmer getreten war, annehmend, Frodo würde bereits schlafen. Es brach ihm das Herz, seinen Neffen so verzweifelt zu hören. Zweifelsohne hatte der Junge an seine Eltern gedacht und daran, wie es weiter gehen sollte. Er holte tief Luft und legte dem Kind die Hand auf die Schulter.
Frodo zuckte zusammen, sah überrascht auf, blickte in die mitfühlenden Augen seines Onkels, die ihn eingehend musterten.
"Es ist schwer und ich weiß, dass ich dir dabei nicht viel helfen kann", sagte der alte Hobbit und setzte sich auf die Bettkante, "doch ich hoffe, du weißt, dass ich immer für dich da sein werde."
Frodo antwortete nicht darauf, sah ihn aber lange an, ehe er den Kopf zurücklehnte, sodass er an Bilbos Schulter ruhte und wieder aus dem Fenster blickte.
Eine ganze Weile saßen sie so in der Stille und beobachteten den Regen, bis Frodo das Schweigen schließlich mit leiser, fast zögernder Stimme brach. "Wann werden wir nach Beutelsend aufbrechen?"
Bilbo sah ihn einen Augenblick verwundert an, ließ seinen Blick dann aber wieder aus dem Fenster wandern. "Ich würde sagen, wir warten noch etwa eine Woche, bis du wieder ganz gesund und bei Kräften bist."
"Wie lange werde ich bei dir bleiben können?", begehrte Frodo zu wissen und dieses Mal war er es, der den Blick vom Fenster abwandte und stattdessen den alten Hobbit fragend musterte.
"Ich weiß es nicht", gestand Bilbo und legte einen Arm um Frodo, sodass sich der Junge gemütlich an ihn kuscheln konnte. "Es wird bestimmt Winterfilth bis wir in Hobbingen sind. Vielleicht bis Vorjul oder, wenn es dir bis dahin bei mir nicht langweilig wird, bis zum neuen Jahr."
"Dann bis zum neuen Jahr", flüsterte das Kind und schloss beruhigt die Augen, "denn ich glaube nicht, dass es mir langweilig werden wird."





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