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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 10: Pläne


Das Licht des Feuers erhellte den geräumigen Raum, als Frodo früh am nächsten Morgen erwachte. Er blinzelte verschlafen blickte sich im Zimmer um. Ein leises Prasseln drang an sein Ohr und der beruhigende Duft von Holz lag in seiner Nase. Frodo verspürte ein leichtes Pochen in den Schläfen, als er seinen Blick über die vom Feuer beschienen Möbelstücke wandern ließ. Etwas war anders, als noch zu dem Zeitpunkt, als er eingeschlafen war, doch er wurde sich nicht sofort klar, was es war.
"Bilbo", murmelte er plötzlich in die Stille, sich seines Onkels erinnernd, doch keiner antwortet ihm. Frodo stützte sich auf seine Ellbogen, ließ seinen Blick ein weiteres Mal durch das Zimmer gleiten, als hoffe er, Bilbo doch noch irgendwo zu entdecken, doch der alte Hobbit war nicht hier. Mit einem verzweifelten Seufzen, das einem leisen Wimmern gleich kam, ließ er seinen Kopf zurück in die Kissen sinken. Hatte er etwa nur geträumt, dass Bilbo bei ihm gewesen war? War er noch immer alleine?
Traurig rollte er sich auf die Seite und gedachte seines Onkels. Wie lange er ihn nun schon kannte und doch hatte er ihn nur selten gesehen. Nur zwei oder drei Mal im Jahr war er mit seinen Eltern zu ihm gegangen, immer für etwa ein oder zwei Wochen. Genau so oft war Bilbo nach Bockland gekommen, um sie zu besuchen. Frodo hatte viel von ihm gelernt. Bilbo war es gewesen, der als erster Frodos Interesse an Büchern entdeckt hatte und ihm bei seinen ersten kläglichen Schreibversuchen zur Seite gestanden war, auch wenn Frodo diese Kunst später mit seinem Vater perfektionierte.
Frodo dachte an die vielen Stunden, die er gemeinsam mit seinem Vater in einem der Studierzimmer des Brandyschlosses verbracht hatte, nur weil er Bilbo unbedingt einen Brief hatte schreiben wollen und so lange geübt hatte, bis er in den Unterrichtsstunden, die an kalten Wintermorgen abgehalten wurden, nicht mehr aufzupassen brauchte.
Jetzt waren beide nicht mehr hier. Nun würde er weder mit seinem Vater üben, noch einen Brief an Bilbo schreiben können. Natürlich konnte er Bilbo noch immer schreiben, doch was sollte er sagen? Er konnte ihn nicht nach Bockland bestellen, nur weil er ihn bei sich wollte. Das wäre selbstsüchtig. Außerdem hatte Bilbo in zwei Tagen Geburtstag und bestimmt andere Pläne, als an seinem Krankenbett zu sitzen.
Frodo schüttelte den Kopf. Er würde ihm nicht schreiben.
Müde beobachtete er, wie die Finger seiner linken Hand kleine Kreise auf das Kissen malten, als Erinnerungen an einem Traum in ihm wach wurden, die so klar waren, dass Frodo erst glaubte, sich eines vergessenen Sommerabends zu erinnern.
"Du wirst auch ohne uns zurechtkommen."
Jene Worte berührten Frodo tief und er wusste, dass seine Mutter sie nicht bereits im Sommer gesprochen haben konnte. Es war also doch nur ein Traum, woran er sich erinnerte, doch die Erinnerung beruhigte ihn und Frodo versprach sich, jene Worte und jene Geborgenheit, die er in ihren Armen gefühlt hatte, nie zu vergessen.
"Das hoffe ich", wisperte er und tastete nach dem Bild seiner Eltern, das auf dem Nachttisch lag. Zärtlich hielten seine Finger die Zeichnung umklammert, während er lange in ihre lächelnden Gesichter blickte. "Macht euch keine Sorgen. Ich werde es versuchen. Ich werde von nun an alleine zurechtkommen."

Gerade in diesem Moment öffnete sich die Tür und im sanften Lichtschein, der vom Gang herein strömte, betrat Bilbo das Zimmer. In den Händen hielt er ein großes Tablett, beladen mit frischem Brot, Butter, Marmelade, einer großen Kanne dampfenden Tees und zwei Tassen.
"Guten Morgen, mein Junge!" rief er erfreut. "Wie ich sehe bist du schon wach!"
Frodo starrte ihn entgeistert an.
"Bilbo? Dann habe ich also nicht geträumt?"
"Natürlich nicht!" antwortete Bilbo kopfschüttelnd und stellte das Tablett auf den Nachttisch. Er setzte sich auf die Bettkante, wie er es schon am Abend zuvor getan hatte und fühlte Frodos Stirn.
"Du hast noch immer Fieber, aber es scheint besser zu sein, als gestern Abend", sagte er lächelnd. "Wie geht es dir heute?"
Ein Lächeln huschte über Frodos Lippen. "Es geht. Ich habe nur ein wenig Kopfschmerzen."
"Das freut mich", meinte Bilbo und strich ihm einige Haarsträhnen aus der Stirn, ehe er mit einem Kopfnicken auf das voll beladene Tablett deutete. "Ich habe mir sagen lassen, du hättest schon längere Zeit sehr wenig gegessen." Er bedachte ihn mit einem schiefen, beinahe strafenden Blick. "Damit muss jetzt Schluss sein. Jetzt wird erst einmal ordentlich gefrühstückt und danach sehen wir weiter."

Frodo senkte beschämt den Kopf, lächelte aber und richtete sich in seinem Bett auf, während Bilbo ihm eine Tasse Tee einschenkte. Dankend nahm Frodo die Tasse an, nippte gedankenverloren daran. Er war nicht besonders hungrig, doch Bilbo zuliebe wollte er eines der Brote essen, die dieser ihm mit großer Sorgfalt zubereitete.
Nur ein kleiner Bissen fand den Weg in seinen Mund und Frodo ließ ihn langsam auf seiner Zunge zergehen. Der Geschmack von Erdbeermarmelade und frisch gebackenem Brot ließ seinen Magen fordernd knurren. Frodo kam dem gerne nach, nahm einen zweiten, größeren Bissen, den er wesentlich schneller schluckte, als noch den vorherigen. Es schmeckte köstlich und Frodo musste rasch einsehen, dass er sehr viel hungriger war, als er geglaubt hatte. Erst jetzt bemerkte er das Loch, das sich in seinem Magen gebildet hatte und war gerne bereit, dieses zu stopfen, indem er Bilbo ein Brot nach dem anderen schmieren ließ.

Bilbo war froh, zu sehen, wie der Appetit seines Neffen zurückkehrte. Den Tag mit einem vernünftigen Frühstück zu beginnen, war der beste Weg, wieder zu Kräften zu kommen. Zu sehen, wie Frodo nun beinahe gierig aß, ließ ihn dennoch nachdenklich werden und er fragte sich, weshalb er das nicht schon zuvor getan hatte, schließlich hatten sowohl Esmeralda als auch Mirabella erzählt, sie hätten den Jungen nicht zum Essen gebracht. Im Augenblick machte Frodo jedoch nicht den Eindruck, als wolle er sich aushungern, ganz im Gegenteil.
Das schmieren der Brote ließ ihn selbst hungrig werden und so machte er es sich schließlich am Fußende des Bettes bequem und verhalf sich zu einer Scheibe Brot.

Frodo lachte, als er daran dachte, wie es wohl aussah, sollte jemand sehen, wie er und sein Onkel zufrieden frühstückend und mit angezogenen Knien im Bett saßen: Frodo in demselben dünnen Nachtgewand, das er schon seit Tagen trug und Bilbo, der sich ständig darum kümmerte, dass ihnen die geschmierten Brote nicht ausgingen, in seinen üblichen Kleidern, die, obschon sie Alltagskleider waren, ebenso edel schienen, wie jene, die der Herr von Bockland zu festlichen Anlässen trug. Das Tablett hatten sie zwischen sich auf die Bettdecke gelegt.
Frodo war glücklich. All seine Sorgen schienen vergessen während er mit Bilbo speiste und er fand, dass dieses Frühstück eines der Besten war, das er jemals gehabt hatte.

Als er glaubte, keinen Bissen mehr essen zu können, schob er das Tablett schließlich weiter zu Bilbo und rutschte unter die Bettdecke. Er hielt sich den Bauch und tat mit einem zufriedenen Seufzen kund, dass er zuviel gegessen habe.
Bilbo lachte: "Ach was, spätestens heute Mittag wirst du bestimmt wieder hungrig sein, wenn nicht schon früher. Ich denke, selbst hier in Bockland sind das zweite Frühstück und der Elf-Uhr-Imbiss bekannt?"
Frodo nickt grinsend und Bilbo erhob sich lachend von seinem Platz am Fußende des Bettes. "Sehr gut! Wenn du fleißig isst, wird es dir im Nu besser gehen, du wirst sehen."
"Das hoffe ich", sagte Frodo und gähnte herzhaft.

Bilbo nahm das Tablett vom Bett und stellte es zurück auf den Nachttisch, ehe er auf der Bettkante Platz nahm und Frodo lächelnd eine Locke aus der Stirn strich. Er betrachtete den Jungen eingehend und war erleichtert, zu sehen, dass das Kind einen sehr viel besseren Eindruck machte, als noch am Abend zuvor. Selbst das Leuchten in Frodos Augen, das Bilbo bei seiner Ankunft so sehr vermisst hatte, war zurückgekehrt.
Frodo bemerkte den Blick seines Onkels und runzelte verunsichert die Stirn, sah Bilbo fragend an.
"Stimmt etwas nicht?", begehrte er zu wissen, doch Bilbo schüttelte lächelnd den Kopf.
"Ganz und gar nicht, mein Junge. Es ist alles in bester Ordnung."
Frodo nickte, behielt seinen Onkel jedoch einen Moment lang misstrauisch im Auge. Etwas an seinem Blick, beunruhigte ihn. Plötzlich verschwand der Ausdruck jedoch und Frodo schüttelte sein Misstrauen ab und ließ seinen Kopf tiefer in die Kissen sinken. Es dauerte nicht lange, bis er in einen sanften Schlummer fiel.

Bilbo wollte gerade das Tablett wegräumen, als sein Blick auf ein Bild fiel, das auf dem Nachttisch lag, er aber bisher noch nicht bemerkt hatte. Es war eine Zeichnung, mit Kohle gemalt, die Frodo gemeinsam mit seinen Eltern zeigte. Bilbo betrachtete es lange. Es musste vor wenigen Jahren gemacht worden sein, denn Frodo schien auf dem Bild nicht älter als acht Jahre. Sein Blick wanderte zu seinem Neffen, der sich im Schlaf rührte, aber sehr zufrieden aussah. Zärtlich strich er ihm über die Wange.
Es klopfte an der Tür und Esmeralda trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. "Wie geht es ihm heute?"
Bilbo sah überrascht auf, legte einen Finger an die Lippen, um ihr anzudeuten, leise zu sein.
"Es geht ihm um einiges besser", flüsterte er und wies mit einem Nicken auf das Tablett.
Ein Ausdruck des Erstaunens lag auf ihrem Gesicht. "Du musst großes Glück haben, Bilbo Beutlin", meinte sie mit einem erfreuten Lächeln, "denn ich hatte bereits befürchtet, ich würde ihn nicht wieder zum Essen überreden können."
Bilbo grinste von einem Ohr zum anderen, während er erklärte, dass Frodo keinerlei Überredung nötig hatte, woraufhin ihr Lächeln noch ein wenig breiter wurde. Doch der fröhliche Ausdruck in Esmeraldas Gesicht schwand ebenso schnell, wie er gekommen war, denn ihr Blick fiel auf das Bild, das Bilbo noch immer in der Hand hielt.
"Er muss es am Morgen nach ihrem Tod gefunden haben. Seither hat er es ständig bei sich."
Bilbo betrachtete das Bild noch einmal, steckte es dann ein und verließ mit Esmeralda das Zimmer.



~*~*~



Frodo genoss die wohlige Wärme seines Bettes und hielt die Augen geschlossen, selbst nachdem er aufgewacht war. Verschlafen rollte er sich auf die linke Körperseite und blinzelte kurz, ehe er geräuschvoll gähnte.
"Du bist wach! Das wurde auch langsam Zeit!"
Erschrocken die gespielt ernste Stimme seines Vetters zu vernehmen, öffnete Frodo die Augen, war überrascht, als Merrys heller Lockenkopf hinter dem Fußende des Bettes auftauchte. Der junge Hobbit eilte lächelnd an seine Seite.
"Mir wurde gesagt, dir würde es besser gehen und deshalb bekam ich auch endlich Erlaubnis, in deinem Zimmer zu spielen, allerdings musste ich leise sein", erklärte der jünger Hobbit, sah dann einen Augenblick besorgt in seine Augen. "Habe ich dich etwa geweckt?"
Frodo lächelte kopfschüttelnd. "Das hast du nicht und von nun an darfst du soviel Lärm machen, wie du willst."

Merry lächelte erfreut und kletterte auf das Bett. Er war in den letzten Tagen nur sehr selten bei Frodo gewesen, da seine Mutter meinte, sein Vetter brauche sehr viel Ruhe. Wenn er dann doch einmal hier gewesen war, hatte Frodo meist geschlafen, oder war schweigend im Bett gelegen, ohne viel auf ihn zu achten. Merry hatte das zwar gestört, aber nicht so sehr, als dass er Frodo einen Vorwurf gemacht hätte. Bilbo hatte heute Früh ein gutes Wort für ihn eingelegt, nachdem sich Merry einige Male nach Frodo erkundigt und nachgefragt hatte, wann er ihn denn wieder sehen dürfe. Er vermisste seinen Vetter und selbst wenn dieser den ganzen Morgen verschlafen hatte, freute er sich, zumindest in seiner Nähe spielen zu dürfen.

Frodo wollte sich aufsetzen, um sich besser mit seinem Vetter unterhalten zu können, doch Merry legte ihm sanft aber bestimmt die Hände auf die Schultern und drückte ihn zurück in die Kissen.
"Bleibt liegen, Herr Frodo", verlangte er mit ernstem Blick, "Ihr seid schwer krank!"
Frodo sah ihn verwundert an, doch dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Gewillt bei Merrys Spiel mitzumachen, ließ er sich zurück in die Kissen sinken.
"Was fehlt mir, Herr Brandybock?", fragte er mit kratziger Stimme und versuchte dabei so krank wie möglich auszusehen. .
"Nun, es sieht nicht gut aus", erklärte Merry kopfschüttelnd. Der junge Hobbit legte ihm prüfend eine Hand auf die Stirn und machte einen sehr nachdenklichen Gesichtsausdruck, ehe er schließlich nickte. "Ihr habt Fieber und Euch fehlt eindeutig die Gesellschaft Eurer Vettern!" behauptete er streng und bedachte ihn mit einem ernsten Blick. "Außerdem müsst Ihr viel mehr essen! Ein gewisser Herr Bilbo meinte heute allerdings, dass dieses Problem bereits gelöst sei." Fragend sah Merry ihn an.

Frodo nickte grinsend, doch war das Lächeln rasch wieder erloschen und Frodo wandte betrübt den Blick ab. Seine Gedanken wanderten zu dem Abend, ehe er krank geworden war. Er erinnerte sich, wie Merry ihn gebeten hatte, zum Essen zu kommen, ihm sogar gestanden hatte, dass er sich um ihn sorgte. Frodo wusste nicht, was damals über ihn gekommen war, dass er seinen Vetter dennoch mit Gewalt aus dem Zimmer vertrieben hatte. Schon damals hatte er sich bei ihm entschuldigen wollen, doch dann war alles anders gekommen.
Auch Merry schwieg und blickte traurig zu Boden. Seine Gedanken wanderten zu demselben Abend. Das erste Mal in seinem Leben hatte er Angst vor Frodo gehabt, auch wenn er das niemals zugeben würde und er verstand nicht, weshalb sein Vetter, der ihn sonst immer so freundlich und liebevoll behandelt hatte, plötzlich so grob hatte werden können. Schließlich hatte er keine bösen Absichten gehabt.
"Merry?", hörte er seinen Vetter fragen, doch sah er nicht auf.
Frodo richtete sich auf, legte den Kopf schief und sah den jüngeren Hobbit lange an, in der Hoffnung, er würde sich ihm zuwenden. Als dieser jedoch keine Anstalten machte, sich zu rühren, holte er tief Luft und begann stotternd zu sprechen.
"Es... es tut mir Leid. Was ich an jenem Abend getan habe, wollte ich nicht. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Du hast es nur gut gemeint, aber ich war so...", Frodo stockte, suchte nach den richtigen Worten. "…mit mir selbst beschäftigt, dass ich keine Rücksicht auf dich genommen habe. Es…", er stockte erneut, wandte für einen kurzen Moment den Blick ab, "…es tut mir Leid."
Frodo seufzte kaum hörbar, als Merry noch immer nicht aufblicken wollte. Was hatte er auch erwatet? Er war wütend gewesen und auch wenn Merry ihn schon oft verzürnt erlebt hatte, so war er doch niemals so zornig gewesen. Er selbst hatte sich noch nie so erlebt und konnte es nicht verstehen. Wie konnte er das dann von seinem Vetter erwarten?

"Ich weiß", flüsterte Merry schließlich und schluchze leise. "Du kannst nichts dafür."
Er hatte nicht vorgehabt, Frodo von seinen Ängsten zu erzählen, tat es dann aber doch, schließlich hatte er mit Frodo immer über alles sprechen können, ohne fürchten zu müssen, ausgelacht zu werden. "Ich war nur so erschrocken und ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Nicht nur an diesem Abend, auch an vielen Abenden danach. Du hast sonst immer mit mir geredet und ich konnte dich aufheitern und dort konnte ich es nicht. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Dann wurdest du auch noch krank und ich konnte gar nichts mehr für dich tun. Ich hatte solche Angst."
Frodo war tief berührt von seinen Worten, legte ihm sanft einen Arm um die Schulter und zog ihn schließlich in eine liebevolle Umarmung, drückte ihn fest an sich und flüsterte: "Ich wollte das nicht."

Bilbo betrat das Zimmer, ohne von den beiden bemerkt zu werden, blieb jedoch überrascht in der Tür stehen. Merrys leises Schluchzen drang an sein Ohr und er wollte besorgt zum Bett eilen und nachfragen, was geschehen war, entschied sich dann aber dagegen. An Frodos Gesichtsausdruck konnte er erkennen, dass, was immer zwischen den beiden vorgefallen war, sich bereits selbst wieder in Ordnung gebracht hatte.
Lautlos wandte er sich um, entschloss sich dazu, noch einen Augenblick zu warten.

"Ihr habt Recht, Herr Merry", sagte Frodo schließlich, als Merry aufgehört hatte zu weinen. Er griff nach Merrys Schultern, half dem jüngeren Hobbit so, sich wieder aufzusetzen und zwang ihn gleichzeitig dazu, ihn anzusehen. "Ich vermisse meine Vettern. Vor allem einen, mit dem ich meine Zeit am liebsten verbringe. Er ist der beste Freund, den sich ein Hobbit wünschen kann."
Merry lächelte: "Nun, Herr Frodo, wenn das so ist, denke ich, dass sich das einrichten lässt."
Das Lächeln auf Merrys Gesicht wurde noch breiter und Frodo konnte nicht anders, als es zu erwidern.
"Ich glaube nicht, dass sie dich mit nach draußen lassen, aber wir können auch hier drinnen spielen", meinte Merry, sprang vom Bett und deutete auf einige Spielfiguren für Brettspiele, die im Zimmer verstreut lagen.
Frodo zog eine Augenbraue hoch, sah seinen Vetter zweifelnd an, lächelte aber. Er wollte gerade aufstehen, als die Tür geöffnet wurde und Bilbo erneut das Zimmer betrat.
"Du erwachst genau zum richtigen Zeitpunkt", meinte dieser, als Frodo überrascht den Kopf hob. "Das Mittagessen wird gleich aufgetischt. Ich hoffe, du hast Hunger."
Bilbo zwinkerte seinem Neffen zu, als er auch Merry begrüßte und sich dann auf die Bettkante setzte, wo er prüfend eine Hand auf Frodos Stirn legte. Ein erfreutes Lächeln glitt über sein Gesicht und er nickte zufrieden.
"Das Fieber ist nicht wieder gestiegen", erklärte er. "Wie geht es deinem Kopf?"
"Dem geht es sehr gut", antwortete Frodo und grinste stolz von einem Ohr zum anderen. "Nichts tut mehr weh."
Bilbo war sehr zufrieden. Der Junge befand sich zweifelsohne auf dem Weg der Besserung und nichts hätte ihn im Augenblick glücklicher gestimmt. Noch einmal fragte er, ob Frodo hungrig wäre. Dieser nickte ein wenig zögernd, lächelte dabei Merry zu.
"Der Heiler hat gemeint, es würde mir gut tun", erklärte er, was Bilbo erst verwundert eine Augenbraue hochziehen ließ, ihn dann aber zum Lachen brachte.
Frodo erhob sich, ließ sich von Bilbo in frische Kleidungsstücke und machte sich dann, begleitet von Merry und seinem Onkel, auf den Weg zum Essenzimmer

Es war in einem der gewöhnlichen Esszimmer gedeckt worden, denn die Gäste für die Trauerfeierlichkeiten waren bereits abgereist und nur mehr die Bewohner des Brandyschlosses und einige wenige andere Besucher waren zurück geblieben.
Ohne nachzudenken setzte Frodo sich an seinen Platz, während es sich Bilbo neben ihm bequem machte. Er ließ seinen Blick über die bereits versammelten Hobbits wandern, bis seine Augen auf dem Stuhl rechts neben Bilbo haften blieben. Der Stuhl war leer. Es war der Platz seines Vaters. Frodo schluckte schwer, als ein plötzlicher Schauer ihm über den Rücken lief und sich ein Knoten in seinem Bauch bildete. Instinktiv griff er nach der Hand rechts neben der seinen, dort, wo für gewöhnlich seine Mutter saß, doch ertastete er nicht ihre zarten Finger, sondern jene von Bilbo.
Der alte Hobbit sah ihn besorgt an. "Ist alles in Ordnung, mein Junge?"
Frodo blinzelte, als würde Bilbos Fragen ihn aus seinen Gedanken schrecken. Verwirrt blickte er zu seinem Onkel auf, nickte dann zaghaft. "Ja, es geht mir gut."

Begleitet von Merry ging Frodo nach dem Essen zurück in das Zimmer seiner Eltern.
"Erstaunlich, wie anstrengend ein Mittagessen sein kann", sagte er und ließ sich erschöpft auf das Bett fallen.
"Wenn du dich ausruhen willst, sag Bescheid. Ich kann gehen", bot Merry an, doch Frodo schüttelte entschlossen den Kopf.
"Nein, Merry, bleib hier. Ich werde mich nur ganz kurz ausruhen. Ich bin froh, dass ich endlich wieder aus dem Bett kann. Das muss ich ausnutzen."
Kurze Zeit später war Frodo wieder in sein Nachtgewand geschlüpft und hatte sich unter die Decke gekuschelt. Merry blieb bei ihm und Frodo war froh darüber, denn er genoss die Gesellschaft seines Vetters. Sie ließ ihn gleich viel fröhlicher werden und im Augenblick schien ihm selbst der Kummer der letzten Tage wie ein ferner Traum, der ihn nur ab und an für einen kurzen Moment einzuholen schien.
Sehr zur Freude von Merry, brauchte Frodo nicht lange, um sich von seiner Mahlzeit zu erholen. Bilbo hatte frische Holzscheite ins Feuer gelegt, die nun gierig von den Flammen verspeist wurden und die jungen Hobbits machten es sich auf dem Boden vor dem Kamin gemütlich, wo Merry seinen Vetter sogleich zu einem Brettspiel herausfordert.



~*~*~



Die Sonne war noch nicht untergegangen, als Frodo erneut in sein Bett kletterte und sich unter der Decke zusammenrollte.
"Sei mir nicht böse, Merry, aber ich kann nicht mehr. Das war mehr als genug für heute."
"Das glaube ich auch", meinte Bilbo, der gerade in das Zimmer trat und Frodos letzten Worte mitangehört hatte. Der alte Hobbit hatte eine Tasse Tee in der Hand, die er an Frodo weiterzureichen gedachte, doch der Junge schien unwillig, sich noch einmal aufzurichten, tat es dann aber doch.
Merry beobachtete ihn noch einen Augenblick, unentschlossen, ob er nun bleiben oder gehen sollte. Letzten Endes entschied er sich für letzteres, versprach aber, gleich nach dem Frühstück am nächsten Morgen sofort zu ihm zu kommen. Er winkte seinem Vetter zum Abschied, ehe er das Zimmer verließ.

Frodo reichte die halbleere Tasse an Bilbo zurück und legte sich wieder hin. Die Müdigkeit kam schneller, als er gedacht hatte und er war froh, dass er sich bereits nach dem Mittagessen umgezogen hatte und diese Aufgage nicht noch vor ihm lag. Er verfolgte schläfrig jede von Bilbos Bewegungen, als dieser die Tasse auf den Nachttisch stellte und eine Kerze entzündete.
Entsetzt fuhr er plötzlich hoch.
"Wo ist es? Wo ist das Bild?", rief er und Panik lag nicht nur in seiner Stimme sondern auch in seinem Ausdruck. Frodo wollte bereits aufspringen, um den Nachttisch nach dem Bild seiner Eltern zu durchsuchen, doch Bilbo hielt ihn zurück.
"Keine Angst, mein Junge", sagte er beruhigend, sofort wissend, wonach der Junge fragte, als er die Furcht in den jungen Augen sah. "Ich habe es mir ausgeliehen. Du kriegst es bald zurück."
"Ausgeliehen? Aber weshalb?" Frodo schob Bilbos Hand, die dieser auf seine Schulter gelegt hatte, von sich weg und blickte voller Verzweiflung zu ihm auf. Bilbo durfte ihm das Bild nicht nehmen. Es war alles, was ihm von seinen Eltern noch geblieben war und es gehörte nun ihm. Fastred hatte es nicht nehmen dürfen und auch Bilbo durfte das nicht. Zweifel lagen in seinen Augen, als er den Blick noch einmal über das Nachtkästchen wandern ließ und schließlich mutlos zu seinem Onkel aufsah.
"Weshalb?", fragte er noch einmal und seine Stimme zitterte aus Furcht um das Bild.
Bilbo lächelte ihm aufmunternd zu und sagte geheimnisvoll: "Das wirst du bald sehen."
Frodo beruhigte das nicht und er ließ sich nur widerwillig von Bilbo zurück in das Bett leiten. Er wollte es sehen, musste wissen, dass mit dem Bild alles in Ordnung war oder er würde keinen Schlaf finden.
Bilbo bemerkte seine Unruhe und legte ihm eine Hand auf die Wange. "Dem Bild wird nichts geschehen. Du hast übermorgen Geburtstag und bis dahin wirst du hoffentlich ohne es auskommen."

Verwundert blickte Frodo zu ihm auf. An seinen Geburtstag hatte er gar nicht mehr gedacht, doch schien ihm das im Augenblick auch nicht wichtig. Seine Gedanken wanderten zurück zu jenen Frühlingstagen vor einem halben Jahr, als er morgens in Beutelsend hatte aufwachen dürfen.
"Erinnerst du dich an meinen letzten Besuch bei dir?", fragte er gedankenverloren und wandte den Blick ab. "Du hast gesagt, wir könnten unseren Geburtstag gemeinsam bei dir feiern, in Beutelsend. Ich glaube kaum, dass daraus noch etwas werden wird. Du kannst nicht einmal eine Feier planen, weil du hier bei mir sitzen musst und das, wo du doch neunzig wirst", Frodo schluchzte. "Ich habe bestimmt all deine Pläne ruiniert."
Bilbo setzte sich auf die Bettkante, sah ihn mitfühlend an. "Aber nein, mein Junge. Du hast gar nichts ruiniert. Ich bin gerne bei dir. Es wird zwar kein Fest geben, aber das stört mich nicht. Außerdem können wir zusammen feiern, wenn auch nicht in Beutelsend. Wir werden ganz einfach hier feiern. Nur wir beide. Was hältst du davon?"
Frodo schluchzte nur noch mehr, kuschelte sich an seinen Onkel und vergrub das Gesicht in dessen Schoß. Er war froh, dass Bilbo bei ihm bleiben würde, doch quälten ihn Schuldgefühle. Bilbo hatte bestimmt andere Pläne, die er nun nicht umsetzen konnte, weil er bei ihm sitzen musste. Frodo konnte das nicht zulassen, wollte nicht, dass er den Geburtstag seines Onkels verdarb. Traurig hob er den Kopf, um den alten Hobbit anzusehen. "Du musst nicht hier bleiben, wenn du andere Pläne hast."
Bilbo war überrascht, das zu hören und es schmerzte ihn beinahe, dass Frodo so beharrlich darauf bestand, dass er seine Pläne weiterverfolgte. Glaubte Frodo denn wirklich, er könne nun nach Hause gehen und zufrieden seinen Geburtstag feiern, wohl wissend, dass sein geliebter Neffe krank war vor Kummer? Entschlossen nahm er Frodos Gesicht in seine Hände, sodass er dem Jungen tief in die Augen sehen konnte.
"Nichts ist mir wichtiger, als bei dir zu sein, Frodo."
Frodos Unterlippe zitterte und immer mehr Tränen traten in seine Augen, während er in Bilbos blickte. Die Ehrlichkeit und das Mitgefühl das er darin sah, ließen ihn eine tiefe Dankbarkeit empfinden, doch Frodo sagte nichts davon, als Bilbo ihn zärtlich in seine Arme schloss.

"Ich habe nachgedacht, Frodo", sagte der alte Hobbit leise nach einem langen Augenblick des Schweigens. "Ich habe mir überlegt, ich könnte dich für eine Weile mit mir nach Beutelsend nehmen, wenn du wieder gesund bist. Vielleicht ein etwas längerer Besuch, als gewöhnlich, solltest du das wollen."
Frodo sah überrascht auf, Unglauben in seinen Augen. "Ich dürfte dich wieder besuchen kommen?"
"Natürlich", antwortete Bilbo, wobei er ihm lächelnd durch die Haare strich, "wenn Esmeralda nichts dagegen hat."
Verträumt dachte Frodo an die große Hobbithöhle, die er so sehr liebte und seine Augen leuchteten vor Freude, als er den Kopf wieder auf Bilbos Schoß sinken ließ und zufrieden seufzte. "Das wäre wunderschön!"



~*~*~



Am nächsten Morgen regnete es und Merry verbrachte den ganzen Tag bei Frodo. Wie schon am vergangenen Tag spielten sie einige Brettspiele, ließen sich aber auch andere Dinge einfallen. Selbst als Frodo müde wurde, blieb Merry bei ihm. Meist kam dann Bilbo zu ihnen und erzählte eine seiner vielen Geschichten. Die beiden Hobbits waren wie immer fasziniert, was Bilbo zu erzählen hatte und konnten gar nicht genug bekommen.
Am Nachmittag unterbrach Bilbo seine Erzählungen jedoch und begann stattdessen mit Frodo zu planen, was sie unternehmen konnten, wenn Frodo erst zu Besuch in Beutelsend war. Viele Vorschläge wurden gemacht, nicht wenige davon von Merry, der so eifrig nach spannenden Beschäftigungen suchte, als würde er selbst zu Bilbo reisen. Unter anderem wurde ein weiterer Besuch auf dem Markt geplant, dieses Mal jedoch ohne Unternehmungen auf eigene Faust.
So verging auch dieser Tag recht schnell. Frodos Zustand besserte sich zusehends und bis zum Abend war sein Fieber schon beinahe gänzlich verschwunden.
Selbst an sein Bild hatte Frodo den ganzen Tag nicht gedacht, nur vor dem einschlafen fragte er noch einmal danach, doch Bilbo wollte es ihm noch nicht wieder geben.





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