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Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 9: Neuer Mut



Esmeralda brach es das Herz Frodo im Fieberwahn immer wieder nach seiner Mutter rufen zu hören. Drogos und Pirmulas Tod hatte tiefe Wunden in Frodo aufgerissen, die niemals ganz verheilen würden und Esmeralda konnte nur hoffen, dass sie die Kraft aufbrachte, seinen Schmerz zumindest ein wenig zu lindern.
Wieder wrang sie ein Tuch aus und tupfte Frodo den Schweiß von der Stirn. Das Fieber war nicht gesunken, wie Fastred vermutet hatte, sondern noch gestiegen. Frodo war nur einmal im Laufe des Nachmittages aufgewacht und hatte eine Tasse Tee getrunken.
Inzwischen war es später Abend. Der Junge lag wimmernd im Bett, die Stirn verstört in Falten gelegt und flüsterte. Er sprach viel, doch Esmeralda verstand nur, dass er immer wieder nach seinen Eltern rief. Ab und an wälzte er sich von einer Seite zur anderen und Esmeralda vermochte kaum, ihn zu beruhigen.

Ein warmer Feuerschein und das Licht einiger Kerzen erhellten das Zimmer, als Merry in die Tür trat und sich mit einer Hand am Türrahmen festhielt. Sein Blick war besorgt und ungeweinte Tränen glitzerten in seinen blauen Augen. Das Haar seiner Mutter schimmerte golden im Kerzenlicht, doch Merry hatte nur Augen für seinen Vetter. Dessen Wangen waren gerötet und einige der dunklen Locken klebten an Stirn und Schläfen.
Ein leises Schluchzen entrann seiner Kehle und ließ seine Mutter auf ihn aufmerksam werden.
"Mach dir keine Sorgen, Merry", versicherte sie flüsternd, "er wird wieder gesund, ganz bestimmt. Er braucht nur ein wenig Ruhe. Geh jetzt. Dein Vater wird dich heute zu Bett bringen. Ich werde bei Frodo bleiben."
Merry wollte zu ihr gehen und sie umarmen, entschied sich dann aber dagegen. Frodo dort liegen zu sehen, schwach und vom Fieber geschüttelt, schmerzte ihn und er fürchtete sich davor, ihn aus der Nähe zu betrachten und noch mehr Dinge zu erkennen, die ihm anzeigten, wie krank sein Vetter war. Das hatte Frodo nicht verdient.
Traurig wandte er sich ab, stapfte mit gesenktem Kopf in sein Zimmer und legte sich in sein Bett, wobei er sich die Decke bis unter das Kinn zog. Als sein Vater zu ihm kam, strich dieser ihm durch die Haare, streichelte dann beruhigend über seinen Rücken, während Merry sich wortlos an ihn kuschelte.



~*~*~



Frodo blinzelte. Sein Blick war verschwommen, ließ ihn nur Schatten erkennen. Mühevoll versuchte er, seine Augen offen zu halten, doch seine Lider flatterten nur schwach, ehe er den Kampf aufgab und sie wieder schloss. Die Stimme seiner Tante drang an sein Ohr, als würde sie aus weiter Ferne zu ihm sprechen. Ein seltsames Rauschen klang in seinen Ohren, verwirrte ihn. Mühsam drehte er den Kopf in die Richtung, aus der die schwache Stimme zu kommen schien und blinzelte noch einmal. Der Schatten ihrer Gestalt war in einen schwachen Lichtschein gehüllt, ließ sie noch ferner wirken, als ihre Stimme ihm Glauben machte. Etwas kühles berührte seine Wange und Frodo schloss erleichtert die Augen. Er hatte das Gefühl in seinem Innern lodere ein Feuer, das ihn langsam verbrannte und war dankbar für die kalte Flüssigkeit, die von seiner Wange über seine Lippen lief, fand jedoch nicht die Kraft, seine Verbundenheit zu äußern.

"Frodo?", flüsterte Esmeralda, als der Junge den Kopf drehte und sie für einen kurzen Moment die blauen Augen unter den flatternden Lidern erkennen konnte. "Bist du wach?"
Prüfend legte eine Hand auf seine Stirn. Das Fieber war noch immer nicht gesunken. Vorsichtig strich sie mit dem feuchten Tuch über seine Wangen, benetzte die erhitzte Haut mit ein wenig Wasser. Ein zufriedener Ausdruck huschte über Frodos Gesicht, ließ Esmeraldas Herz ruhiger schlagen. Sie war erleichtert zu sehen, dass er sie wieder wahrzunehmen schien und fand, dass es an der Zeit war, ihn dazu zu bringen, eine weitere Tasse des Tees zu trinken. Das Tuch beiseite legend, warf sie seine Decke zurück, legte sanft die Hände unter seine Achseln und setzte ihn auf. Frodo stöhnte und blinzelte erneut, als Esmeralda ihn stützte und sich hinter ihm auf die Bettkante setzte, sodass sein Kopf an ihrer Brust lehnen konnte. Vorsichtig legte sie dann eine Tasse warmen Tees an seine Lippen, forderte ihn auf zu trinken.
Durch die Bewegung wachgerüttelt, öffnete Frodo seine Augen. Er verstand nicht sofort, was mit ihm geschah und zuckte erschrocken zusammen, als er den Tassenrand an seinen Lippen spürte und Esmeraldas Stimme vernahm. Nur langsam lichtete sich der Nebel in seinen Gedanken und er trank widerwillig einen kleinen Schluck des seltsam riechenden Tees. Lieber hätte er die Tasse selbst festgehalten, doch seine Hände schienen ihm nicht gehorchen zu wollen und auch wenn er seine rechte Hand hob, um die Tasse zu stützen, zitterte sie viel zu sehr, als dass er in der Lage gewesen wäre, selbst zu trinken.
Dennoch trank er gierig, nachdem der erste kleine Schluck seine trockene Zunge auf den Geschmack gebracht hatte und musste von Esmeralda gebremst werden, um sich nicht zu verschlucken.
Müde ließ sich Frodo wieder zurück ins Bett gleiten, während Esmeralda ihn zudeckte, die Tasse wegstellte und neben ihm auf einem Stuhl Platz nahm.
"Wie geht es dir?", wisperte sie und strich ihm über die Stirn.
Frodo antwortete nicht sofort, sondern überdachte ihre Frage. Er fühlte sich erschöpft, hatte jedoch die Kraft gefunden, seine Augen offen zu halten. Sein Kopf schmerzte noch immer, ebenso wie beinahe alle anderen seiner Körperteile. Hitze und Kälte schienen sich in ihm abzuwechseln und während er in einem Moment glaubte, Decke und Nachtgewand von sich werfen zu müssen, war er im nächsten der Ansicht mindestens noch eine zweite Decke zu benötigen.
"Es geht", antwortete er schließlich mit schwacher, leiser Stimme.
Der Tee hatte ihm gut getan und er fühlte sich bereits ein wenig kräftiger. Doch der Schein trog, denn als er sich aufsetzen wollte, schwindelte ihm und seine zitternden Hände brachen unter dem Gewicht seines Körpers weg.
"Du solltest vorsichtig sein", mahnte Esmeralda, legte sanft ihre Hände auf seine Schultern und hinderte ihn so an einem weiteren Aufstehversuch. "Du bist nicht bei Kräften, aber dem kann ich mit einem heißen Teller Brühe Abhilfe schaffen."
Frodo nickte zögernd und Esmeralda versprach, ihm später einen Teller Suppe zu bringen. Es war seltsam, sie an seiner Seite zu haben und nicht seine Eltern. Doch was konnte Esmeralda für ihn tun? Sie mochte eine Mutter sein, doch seine Mutter war sie nicht. Ihre Art war eine andere. Sie war anders. Esmeralda mochte ihn pflegen, in der Hoffnung, dass er wieder gesund wurde, doch ihre Pflege war nicht die, die eine Mutter ihrem Sohn zukommen lassen würde. Seine Mutter hätte ihn nicht sofort wieder ins Bett gelegt, nachdem er den Tee getrunken hatte, sondern hätte ihn in ihren Armen gehalten, vielleicht sogar ein Lied gesummt, und über seine Wange gestreichelt. Er hätte ihren Herzschlag im Ohr gehabt, während er ihrer Stimme gelauscht und ihre Nähe gespürt hätte.
Esmeralda lächelte zaghaft, als sie bemerkte, dass seine großen, blauen Augen fragend auf sie gerichtet waren. Sie fühlte sich beinahe unwohl unter dem forschenden, eingehenden Blick, doch wollte sie ihn das nicht spüren lassen.
"Stimmt etwas nicht?"
Frodo schüttelte den Kopf, bereute diese Tat jedoch, denn der ganze Raum schien plötzlich in Bewegung zu geraten. Überrascht darüber schloss er die Augen und wartete ab, bis auch die Übelkeit abklang, die das ungeahnte Drehen mit sich gebracht hatte. Mit einem erleichterten Seufzen ließ er sich dann tiefer in das Kissen sinken und öffnete erneut die Augen. Den Blick richtete er auf die Decke, wo seltsame Schatten tanzten. Er wagte nicht, seine Tante anzusehen.
"Was hat Fastred gesagt?", fragte er schließlich zögernd und Esmeralda konnte hören, wie seine Stimme zitterte. "Werde ich wieder gesund?"
"Natürlich, wirst du das!" versicherte sie rasch, von seiner zweiten Frage völlig aus der Fassung gebracht. "Du hast Fieber, aber das wird bald vergehen. Du wirst sehen, in ein paar Tagen wirst du wieder mit Merry durch die Felder streifen können."

Frodo runzelte die Stirn. Er glaubte nicht daran, bald wieder mit Merry unterwegs zu sein. Dazu fühlte er sich im Augenblick viel zu schwach und zumindest um die Felder des Bruchs würde er in Zukunft ohnehin einen Bogen machen. Mit Grauen erinnerte er sich an Maggots kläffenden Hunde, die ihm knurrend und bellen und schnappend hinterher gejagt waren. Ein kalter Schauer der Angst lief ihm über den Rücken, als er an die zornigen Augen des Bauers dachte, und an die Angst, die er empfunden hatte, als er von ihm geprügelt worden war, während die Hunde um ihn herum gestanden waren, als würden sie nur darauf warten, ihn zerfleischen zu können.
"Ist alles in Ordnung?", fragte Esmeralda besorgt, als sie bemerkte, dass Frodo zitterte.
Frodo nickte rasch. Sie sollte nichts von den Geschehnissen jenes Tages erfahren. Niemand sollte das. Es würde für immer sein und Merrys Geheimnis bleiben.

Esmeralda nahm ein frisches Tuch zur Hand, tauchte es in das Wasser und legte es Frodo auf die Stirn, während sie ihn eingehend beobachtete. Der Junge hatte die Augen wieder geschlossen und ein Ausdruck lag auf seinem Gesicht, den Esmeralda nicht zu deuten wusste. Fastred hatte Recht gehabt. Kummer zehrte an den Kräften des Kindes. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen und auch wenn seine Wangen durch das Fieber gerötet waren, wirkte er krank und hilflos. Esmeralda fragte sich, was jetzt wohl in ihm vorgehen mochte. Er hing so sehr an seinen Eltern und musste doch alleine zurückbleiben. Er litt darunter, das war ihm deutlich anzusehen, doch was dachte er, was fühlte er? Sie wollte seinen Kummer lindern, wollte für ihn da, ihm eine Mutter sein, so gut sie es eben konnte. Doch noch wusste sie nicht, wie ihr das jemals gelingen sollte. Frodo war schon immer verschlossen gewesen, doch jetzt schien er ihr noch in sich gekehrter als zuvor. Esmeralda fand das keineswegs verwunderlich, vermutete, dass selbst Merry sich in solch einer Situation verschließen würde, obschon es bei Frodo dennoch anders zu sein schien.
Primula hatte ihr einst gesagt, Frodo wäre etwas Besonderes. Damals hatte sie nicht sonderlich darauf geachtet, schließlich war jede Mutter davon überzeugt, dass ihr Kind einzigartig und besonders war. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie davon, dass Primulas Sohn wirklich etwas Besonderes war. Jetzt, da sie Frodo hier liegen sah, obschon geschwächt von Kummer und Fieber, schien es ihr, als würde ein sonderbares Licht in ihm schimmern. Es war nur schwach, doch Esmeralda glaubte, sich daran zu erinnern, es schon öfter bemerkt zu haben, auch wenn sie es nie wirklich wahrgenommen hatte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie ihm sanft eine seiner dunklen Locken aus der Stirn strich.
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie ihren Gedanken damit abrütteln können.
"Ein Schimmern?", murmelte sie abwesend und legte die Hand auf seine Wange. "Vielleicht hatte Primula doch Recht."



~*~*~



Die Tage vergingen und Frodos Zustand besserte sich nicht. Zwar sank das Fieber ein wenig, doch blieb er schwach und kränklich und so schickte Esmeralda erneut nach Fastred. Der Heiler war gerne bereit, noch einmal nach Frodo zu sehen, doch untersuchte er ihn nur kurz, ehe er darum bat, mit dem Jungen alleine sein zu dürfen. Esmeralda war verwundert, ließ ihn jedoch gewähren.

Es war warm im Zimmer und ein Feuer flackerte im Kamin. Züngelnd langten die Flammen nach frisch eingelegten Holzscheiten und ließen ein leises Knistern vernehmen. Fastred saß auf einem Stuhl neben dem Bett und blickte Frodo lange an.
Der junge Hobbit saß im Bett, hatte den Kopf an die Wand gelehnt und die Augen auf das Fußende des Bettes gerichtet. Er fühlte sich unwohl unter dem eingehenden Blick des Heilers und seine Finger spielten unruhig mit der Bettdecke.
"Willst du mir nicht sagen, was dich quält, Frodo?", fragte Fastred schließlich besorgt.
Seine Muskeln spannten sich an. Seine Finger beendeten ihr nervöses Spiel. Eine unangenehme Stille erfüllte den Raum, die nur vom Knistern des Feuers unterbrochen wurde. Frodo zögerte lange, ehe er aufsah und seine traurigen Augen auf Fastred richtete.
"Du weißt es bereits", flüsterte er, "Ich sehe es in deinen Augen. Du hast es schon gewusst, als du mich das letzte Mal gefragt hast und dennoch vermagst du nicht, mir zu helfen."
Fastred schüttelte den Kopf, hielt aber den Blick des Jungen, als er ihn ernst ansah. "Das letzte Mal habe ich nach deinen Gefühlen gefragt, dieses Mal frage ich direkt."
"Das macht keinen Unterschied", antwortete Frodo missmutig, wollte dem Blick ausweichen, fand jedoch, dass er das nicht konnte. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Er erinnerte sich daran, wie rasch er dem Heiler das letzte Mal geantwortet hatte, wie die Worte seine Lippen verlassen hatten, noch ehe er gewusst hatte, was er sagen wollte. Fastred sah mehr, als manch ein anderer und es machte Frodo Angst, nun so von ihm angesehen zu werden. Er fühlte sich bloßgestellt, schutzlos, nackt, so als könne er kein Geheimnis, kein Gefühl, keinen Gedanken vor jenen eindringlichen Augen verbergen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und er schluckte schwer.
Fastred schien seine Unruhe zu spüren, denn auch wenn er seinen Blick nicht losließ, schien doch dessen Intensität nachzulassen, was Frodo zumindest ein wenig ruhiger werden ließ.
"Ich denke schon", sagte der Heiler ruhig und mitfühlend, "denn damals war ich mir nicht ganz sicher, was du fühlst und jetzt bin ich es. Nun möchte ich wissen, was genau es ist, das dich schmerzt. Willst du es mir nicht sagen?"
Frodo runzelte die Stirn und die Flammen des Feuers spiegelten sich in seinen Augen. Seine Stimme klang leise, beinahe zweifelnd, als er fragte: "Was würde das ändern?"
"Ich weiß es nicht", gestand Fastred und Frodo war über die Ehrlichkeit in seiner Stimme überrascht. "Vielleicht würde es dir besser gehen, wenn du wüsstest, dass jemand über das Bescheid weiß, was in dir vorgeht."
"Das geht niemanden etwas an!" rief Frodo, schärfer als beabsichtigt. Ein Funkeln trat in seine Augen und schließlich fand er die Kraft, den Blick abzuwenden. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, die zitternd auf der Bettdecke ruhten.
"Wenn du meinst. Das ist deine Entscheidung", sagte Fastred, unbeeindruckt von seinem Tonfall. Er legte sanft eine Hand auf Frodos zitternde Faust. "Doch lass mich dir sagen, dass es besser ist, wenn du dich jemandem anvertraust, Frodo. Angst ist etwas Gefährliches und wenn sie weiß, dass du alleine bist, kann sie noch viel grausamer sein. Lass es nicht soweit kommen, dass nur mehr die Angst von dir zehrt, Frodo. Es ist schwer, doch das Leben muss weiter gehen. So vieles liegt noch vor dir. Lass die Angst hinter dir und blicke nach vor."
Frodo spürte Tränen in sich aufsteigen. Fastred hatte einiges gesehen, als er ihn zuvor betrachtet hatte. Dinge, die selbst vor ihm verborgen geblieben waren. Woher wusste dieser Hobbit so vieles über ihn? Woher nahm er das Recht, seine Ängste und Sorgen laut auszusprechen?
Dennoch wusste Fastred nicht alles, und Frodo würde sich hüten, ihm noch mehr zu sagen. Der Heiler konnte ihm nicht helfen. Er konnte ihm die Angst nicht nehmen, nur verdrängen, und das würde nicht lange anhalten.
"Ich blicke nach vor und sehe nichts. Es wird sich nichts ändern. Sie werden niemals zu mir zurückkehren können", wisperte er, verzweifelt seine Tränen zurückhaltend. Den Blick hielt er auf seine Hände gerichtet, die sich nun beinahe krampfhaft an der Decke festklammerten.
Fastred schüttelte mitfühlend den Kopf und drückte seine Hand ein wenig fester.
"Nein, das werden sie nicht. Doch du wirst dein Leben dennoch meistern, Frodo."
Frodo sah verwundert auf, blickte Fastred lange an. Etwas lag in den braunen, liebevollen Augen des Heilers, das den jungen Hobbit tief berührte, sodass er seine Tränen kaum mehr zurückhalten konnte. Eine einzelne Träne löste sich aus seinen Augen und lief ihm über die Wange. Es war ein Gefühl, eine Sehnsucht, die ihn förmlich dazu zu drängen schien, Fastred von all seinen Sorgen und Ängsten zu erzählen und, ganz gleich, was er zuvor darüber gedacht hatte, sich dem Heiler noch weiter zu öffnen, zog er es nun dennoch in Betracht.
Seine Lippen bewegten sich, während er nicht einmal den Blick von den dunklen Augen nahm, doch kein Wort formte sich in seiner Kehle. Frodo senkte den Kopf und eine weitere Träne stahl sich aus seinen Augen. So sehr er es sich für einen Augenblick auch gewünscht hatte, zu sprechen, schien ihm Fastred doch nicht der Richtige. Der Heiler mochte mehr wissen, als er zu wissen vorgab, doch jene Worte, die alles offen legten, was er im Augenblick empfand, waren nicht für seine Ohren gedacht.

Fastred lächelte ihm aufmunternd zu, als er erkannte, dass Frodo nicht gewillt war, mit ihm zu sprechen.
"Ich bin vermutlich nicht der, dem du solche Gedanken preisgeben willst", begann er, "Dennoch hoffe ich, dass du jemanden findest, mit dem du deine Sorgen teilen wirst. Es kann dir nur Vorteile bringen."
Frodo sah ihn verwundert an. Konnte dieser Hobbit Gedanken lesen? Die Nase hochziehend, wischte er sich die Tränen aus den Augen und ließ sich die Worte des Heilers noch einmal durch den Kopf gehen.
Womöglich hatte Fastred Recht und es war wirklich besser für ihn, wenn er seine Gedanken jemandem anvertraute und vielleicht würde er das eines Tages auch tun, schließlich hatte er nichts mehr zu verlieren. Doch nicht heute, nicht Fastred. Er musste erst entscheiden, wer ihm soviel bedeutete, als dass er ihn an seinen Gedanken teilhaben lassen würden. Außerdem musste er selbst dazu bereit sein, sich zu öffnen und das war er jetzt noch nicht. Er würde schweigen, bis der richtige Zeitpunkt und die richtige Person gekommen waren.

Fastred lächelte, als er bemerkte, wie Frodo nachdachte. Er hatte erreicht, was er wollte. Nie hatte er gedacht, dass Frodo seine Gedanken mit ihm teilen würde, doch immerhin machte er sich nun Gedanken darüber, dass er sich jemandem anvertrauen sollte. Vielleicht hatte er auch schon jemanden gefunden, der dieser Geheimnisse würdig war. Er drückte noch einmal Frodos Hand, die sich inzwischen wieder entspannt hatte und erhob sich dann.
"Ich werde deiner Tante einen Tee geben, der das Fieber senken sollte. Ich denke, es müsste dir dann bald besser gehen", meinte er noch immer lächelnd. "Auf Wiedersehen, Frodo!"
Frodo nickte und ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Lippen. Er wollte sich bei dem Hobbit bedanken, fand jedoch, dass Worte nicht ausdrücken konnten, was er fühlte und so nickte er dem Heiler nur höflich zu. "Auf Wiedersehen!"



~*~*~



Schweigend saß Frodo im Bett seiner Eltern und hing seinen Gedanken nach. Fastreds Worte ließen ihn nicht los. Hatte der Heiler Recht und er sollte seine Gefühle mit jemandem teilen? Frodo wusste es nicht und wollte im Augenblick auch nicht über das sprechen, was in den vergangenen Tagen geschehen war. Der Tod seiner Eltern war ihm noch zu nah und selbst wenn er genau wusste, dass sie nicht wieder zu ihm zurückkehren würden, ertappte er sich immer wieder dabei, wie er daran dachte, ihnen etwas erzählen zu wollen. Ihr Tod war eine Gewissheit, doch Frodo konnte sich ein Leben ohne seine Eltern nicht vorstellen. Es schmerzte ihn tief in seinem Herzen und Frodo konnte nicht über jenen Schmerz sprechen, der stärker war, als jeder andere, den er jemals empfunden hatte. Er fürchtete sich davor, sich selbst noch mehr zu verletzen, wenn er über seine Gefühle sprach. Er war jetzt schon krank. Würde er noch mehr Schmerz ertragen können? Noch dazu wusste er nicht, wem er soviel Vertrauen hätte entgegen bringen können. Seine Eltern waren die einzigen gewesen, die immer für ihn da gewesen waren und ihm zugehört hatten, selbst wenn Kummer ihn plagte. Sie hätten auch gewusst, sie sie ihm helfen konnten, doch wer wusste das nun noch? Wer würde den Mut haben, ihm zuzuhören, sollte er jemals den Mut finden, zu sprechen? Frodo wusste es nicht. Im Augenblick war ihm das auch gleich, denn er dachte nicht daran, sich jemandem zu öffnen, nicht einmal Merry. Es war seine Sache. Er musste erst lernen, alleine damit fertig zu werden und dann, dann würde er vielleicht in der Lage sein, sich jemandem anzuvertrauen, auch wenn er jetzt noch nicht wusste, wem.

Überrascht hob er den Kopf, als Esmeralda in das Zimmer trat.
"Du hast Besuch", verkündete sie mit einem Lächeln.
"Ich?", fragte Frodo verwundert und schielte neugierig zur Tür.
"Frodo, mein Junge!" Frodo hörte seinen Onkel, noch ehe er ihn durch die Tür eilen sah. Der alte Hobbit war Esmeralda auf den Fuß gefolgt, hatte seinen Neffen überraschen wollen, dann aber doch nicht die Geduld dazu aufgebracht, als er dessen traurige Stimme vernommen hatte.
Frodo starrte ihn mit offenem Mund an, unfähig, sich zu rühren, als der Alte an sein Bett trat, ihn erst zaghaft, dann jedoch fest an sich drückte. Zögernd legte Frodo seine zitternden Hände auf dessen Schultern und erwiderte die Umarmung. Er konnte es kaum fassen. War Bilbo am Ende doch noch gekommen? In den letzten Tagen hatte er immer wieder an den alten Hobbit denken müssen, war traurig und enttäuscht gewesen, dass er nach dem Tod seiner Eltern nicht gekommen war. Von allen Verwandten, die angereist waren, hatte Frodo sich nur seinen Besuch gewünscht und ausgerechnet er war nicht gekommen.
"Wie geht es dir?", fragte der Hobbit besorgt.
Ungläubig sah Frodo in das Gesicht seines Onkels. Tränen glitzerten in den alten, besorgten Augen und Frodo konnte spüren, dass auch ihm zum Weinen zumute war. Er hatte lange auf sich warten lassen, doch nun war Bilbo hier. Er war hier.
Frodo antwortete nicht auf Bilbos Frage, sondern zog den Hobbit in eine weitere Umarmung, fester und entschlossener als die vorangegangene und atmete den Duft von Tinte und Pfeifenkraut und einiger anderer Dinge ein, die Bilbo ausmachten. Es war tatsächlich sein Onkel, der vor ihm stand.

Bilbo drückte den Jungen an sich, strich sanft durch dessen Haare und über seinen Rücken. Seit ihrer letzten Begegnung hatte sich so vieles verändert.
"Es tut mir Leid", sagte er leise, "Ich hätte schon viel früher kommen sollen, doch ich war nicht zu Hause, als mich die Nachricht hätte erreichen sollen."
Frodo schüttelte den Kopf und Bilbo konnte die Tränen des Jungen an seinem Hals spüren.
"Das macht nichts", murmelte Frodo mit zitternder Stimme. "Jetzt bist du schließlich hier."
Das Herz brach Bilbo bei diesen Worten und er küsste zärtlich erst die Wange dann die Stirn des Kindes. "Ja, das bin ich, und ich werde noch lange bleiben."
Nur widerwillig schien Frodo sich aus der Umarmung zu lösen und der Unglauben wich nicht aus seinem Gesicht, als Bilbo ihn lange und eingehend betrachtete. Die Finger seiner rechten Hand hörten dabei nicht auf, zärtlich über die feuchten Wangen des Jungen zu streichen. Er hatte ihn noch nie so gesehen. Dunkle Ringe lagen unter Augen, die von Kummer und Schmerz erzählten und von Leiden, die ein solch junges Herz nicht hätte ertragen dürfen. Das Leuchten, das einst so klar in ihm geschienen hatte, war schwächer geworden und Bilbo fühlte einen schmerzhaften Stich in seinem Herzen, als er das bemerkte. Dies war nicht mehr der fröhliche Junge, der ihn vor weniger als sechs Monaten besucht hatte. Der Junge, der nun vor ihm saß, hatte eine schmerzvolle Erfahrung gemacht, die ihn um einiges älter erscheinen ließ und das fröhliche Kind von damals langsam verzehrte. Soweit sollte es jedoch nicht kommen.

Frodo verdrängte die Müdigkeit für einige Zeit. Zu groß war seine Freude über den Besuch seines Onkels. Ihre letzte Begegnung lag schon so lange zurück. Damals war er noch mit seinen Eltern nach Beutelsend gefahren, begleitet von Merry und Pippin. Was für eine glückliche Zeit das gewesen war. Keiner hätte sich träumen lassen, dass ihr nächstes Zusammentreffen unter einem solch unglücklichen Stern stehen würde.
Frodo schüttelte diesen Gedanken ab und mit ihm die Tränen, die sich seiner Augen bemächtigt hatten. Er wollte aufhören, daran zu denken. Bilbo war hier und das war alles was wichtig war.
Der alte Hobbit setzte sich auf die Bettkante und im warmen Schein des Feuers unterhielt er sich so unbeschwert und froh mit Frodo, als hätte der Junge nicht erst vor kurzem seine Eltern verloren. Auch Frodo schien Esmeralda wie ausgewechselt und sie war erleichtert, ihn wieder lachen zu hören, auch wenn es nicht ganz so fröhlich klang, wie sie es noch in Erinnerung hatte.

Esmeralda verließ sie nach einiger Zeit, doch Frodo und Bilbo nahmen dies kaum wahr. Sie waren sehr vertieft in ihr Gespräch, tauschten sich über die Geschehnisse in Hobbingen und dem Bockland aus und Frodo ließ sich genauestens berichten, was er seit seinem letzten Besuch alles verpasst hatte.
Lange konnte er seine Müdigkeit jedoch nicht verbergen und immer wieder unterdrückte er ein Gähnen, bis Bilbo es schließlich bemerkte.
"Wo habe ich nur meine Gedanken?", rief er aus und schlug sich mit der Hand auf die Stirn. "Da komme ich zu dir und weiß genau, dass du krank bist und Ruhe brauchst und trotzdem halte ich dich mit langweiligen Geschichten wach!"
Frodo lächelte. "Du hast mich nicht wach gehalten. Ich bin froh, dass du gekommen bist."
"Das freut mich, mein Junge", erwiderte Bilbo und ein Lächeln umspielte seine Lippen, während er sich erhob und beobachtete, wie Frodo sich unter seine Decke gleiten ließ und müde die Augen schloss, als sein Kopf schließlich auf dem Kissen ruhte. Er deckte den Jungen ordentlich zu, strich ihm dann eine Strähne des dunklen Haares aus der Stirn und bemerkte, dass diese noch immer recht heiß war. Besorgt runzelte er die Stirn.
"Soll ich dir kühle Tücher bringen?"
Frodo schüttelte den Kopf. "Davon hatte ich in den letzten Tagen mehr als genug."
Er blickte lange in das Gesicht seines Onkels, bis ihm vor Erschöpfung die Augen zu fielen. Das leise Knistern des Feuers drang an sein Ohr und Frodo seufze erleichtert. Er konnte noch immer kaum glauben, dass Bilbo tatsächlich bei hm war, doch er genoss seine Nähe und war froh, sich mit ihm unterhalten zu können. Es schien ihm beinahe, als hätte Bilbos Anwesenheit ausgereicht, um ihm einen Teil seiner Sorgen zu erleichtern. Doch jetzt da Bilbo nicht mehr auf seiner Bettkante saß, beschlich ihn ein ungewisses Gefühl, das Furcht gleichkam. Mühevoll zwang sich Frodo dazu, seine Augen noch einmal zu öffnen und erkannte, dass Bilbo noch immer neben seinem Bett stand.
"Wirst du bleiben?", fragte er seinen Onkel flüsternd.
Frodo glaubte, ein Lächeln über das Gesicht des älteren Hobbits huschen zu sehen, als sich dieser wieder auf die Bettkante setzte und ihm zärtlich über die Wange strich, sodass er nicht länger gegen seine schweren Lider ankämpfen konnte.
"Natürlich", hörte er ihn flüstern und fühlte sich dadurch ungemein erleichtert, beinahe so, als hätte er sich davor gefürchtet, alleine zu sein.
Frodo verfolgte den Gedanken nicht weiter, sondern rutschte im Bett etwas weiter hinab, sodass er seinen Kopf auf Bilbos Schoß legen konnte und wisperte ein leises Dankeschön, ehe der Schlaf ihn übermannte.

Bilbo betrachtete den schlafenden Hobbit auf seinem Schoß. Tränen rannen über seine Wangen, als er über die letzten Tage des Jungen nachdachte. Was musste er alles durchgemacht haben? Er selbst hatte sich sehr gut mit Drogo und Primula verstanden und ihr Verlust schmerzte ihn sehr. Wenn er daran dachte, wie sehr Frodo an seinen Eltern gehangen hatte, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Was mochte in einem so jungen Hobbit wie Frodo nur vorgehen, nach solch einem Schicksalsschlag? Dass er ihren Tod nicht gut verkraftet hatte, war ihm deutlich anzusehen, doch das Gespräch mit dem Jungen hatte Bilbo auch gezeigt, dass noch nichts verloren war und es ihm gelingen konnte, das Leuchten und die Fröhlichkeit des Jungen wieder zurückzubringen und das würde er, ganz gleich, was er dafür tun musste.


~*~*~

Frodo lag gefangen in einem Traum, den er in den letzten Tagen sehr oft geträumt hatte. Er war auf einer großen Wiese und suchte nach jemandem. Obschon ihm im Traum nicht klar war, nach wem er suchte, wusste er doch, dass er seine Eltern zu finden hoffte. Viele der Bewohner des Brandyschlosses hatten sich auf der Wiese eingefunden. Einige standen und saßen zu kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich lachend. Er sah viele Kinder in seinem Alter, wie Merry, die Brüder Madoc und Minto, Viola und ihre Schwester Rubinie, die sich kichernd mit Nelke unterhielt. Sogar Pippin und Bilbo waren hier. Sein Onkel schien dem jüngeren Hobbit eine spannende Geschichte zu erzählen, denn Pippins Augen waren groß vor Staunen und Verwunderung. Frodo eilte zu ihnen, wollte erfahren, was Bilbo seinem Vetter erzählte, doch weder Pippin, noch sein Onkel schienen ihn zu bemerken. Verzürnt wollte Frodo zu Merry gehen, doch auch dieser nahm ihn nicht wahr. So erging es ihm bei jedem anwesenden Hobbit. Ganz gleich, zu wem er ging, er wurde nicht beachtet. Manche wandten sich sogar von ihm ab, während andere ihn anrempelten, als wäre er überhaupt nicht da. Frodo flehte seine Verwandten, seine Freunde und all die Bekannten an, mit ihm zu sprechen, ihn wahrzunehmen, doch niemand rührte sich. Selbst wenn er nach ihren Händen griff oder an Ärmeln zog und sie aus lauter Verzweiflung anschrie mit ihm zu sprechen und ihm bei seiner Suche zu helfen, würdigte ihn niemand auch nur eines Blickes.
Verzweifelt darüber, dass er nicht finden konnte, wen er suchte und verängstigt, weil niemand ihn wahrnahm, setzte sich Frodo schließlich unter einen Baum. Erst im Nachhinein hatte er erkannt, dass es sich dabei um die große Eiche hinter dem Brandyschloss handelte.
In seinem Traum hörte sich Frodo verzweifelt nach seinen Eltern rufen, wissend, dass sie ihn nicht alleine lassen würden, doch nie erhielt er eine Antwort.

Dieses Mal aber, war es anders. Ein helles Licht leuchtete auf und er musste die Augen abschirmen, um nicht geblendet zu werden. Er blinzelte, doch es dauerte einige Zeit, bis er wieder klar sehen konnte und was er dann sah, raubte ihm den Atem. Seine Eltern standen vor ihm, genauso, wie er sie in Erinnerung hatte. Sein Vater trug eine grüne Weste zu seinen braunen Hosen und dem weißen Hemd und seine Mutter war in ein blaues Kleid mit einer blassgelben Schürze gekleidet. Ein schwaches Licht schien sie zu umgeben, doch Frodo nahm dieses kaum wahr. Mit Tränen der Erleichterung in den Augen fiel er ihnen in die Arme und schluchzte jämmerlich.
"Sh, Frodo. Was ist denn geschehen?", beruhigte Primula und ihre Stimme schien ihm das schönste Geräusch, das er je vernommen hatte. Zärtlich strichen die Finger ihrer rechten Hand über seinen Rücken, während ihre linke auf seinem Nacken ruhte.
"Ihr habt mich verlassen", weinte er, die Stimme hilflos und verloren, "und dann war ich keinem mehr wichtig. Sie wollen mich nicht mehr bei sich haben. Ihr dürft nicht wieder gehen. Bitte, bleibt bei mir! Verlasst mich nicht wieder. Ich brauche euch."
Flehend sah er zu seinen Eltern auf, als diese sich ins Gras setzten und er sich mit ihnen zu Boden sinken ließ, ohne seine Umarmung zu lockern. Schließlich wandte er sich seinem Vater zu und immer mehr Tränen sammelten sich in seinen Augen. "Es tut mir Leid, dass ich nicht auf dich gehört habe. Ich habe Dummheiten angestellt. Ich bin auf einen viel zu hohen Baum geklettert und herunter gefallen und...", er stockte, "und dann gingen Merry und ich zu Bauer Maggot. Wir haben Pilze gestohlen. Der Bauer hat mich erwischt und mich geprügelt und die Hunde auf mich gehetzt und dann…", wieder wurde er von Schluchzern unterbrochen. "Ich wollte es nicht und ich verspreche, ich werde es nie wieder tun, aber bitte, bitte kommt zu mir zurück. Lasst mich nicht allein!"
Verzweifelt vergrub Frodo das Gesicht im Schoß seiner Mutter, klammerte sich an ihrer Schürze fest, als könne er dadurch verhindern, dass sie ihn wieder alleine ließe. Primula war inzwischen dazu übergegangen mit den Fingern durch seine Haare zu kämmen, wie sie es so oft getan hatte und Frodo spürte stattdessen die starken Hände seines Vaters über seinen Rücken streichen.
"Es tut mir Leid, Frodo, doch wir können nicht zurück kommen", sagte er sanft.
Frodo blickte verzweifelt zu ihm auf und das Mitgefühl in den Augen seines Vaters ließ ihn beinahe erschrecken. Er schüttelte heftig den Kopf. "Dann bleibe ich hier, hier bei euch."
"Nein", begann Primula und obschon ihre Stimme sanft klang, lag doch ein ernster Tonfall darin verborgen. Sie legte eine Hand unter sein Kinn, sodass er dazu gezwungen war, sie anzusehen. Der Junge wich nicht aus, als ihre liebevollen Augen tief in die seinen blickten. "Nein, Frodo. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Du musst zurück. Du bist nicht alleine. Es gibt viele, die dich lieben. Tante Esmeralda, Onkel Saradoc, Merry, Bilbo, Pippin, dein Vetter Milo und noch viele andere im Brandyschloss."
"Nein, das tun sie nicht", schluchzte Frodo immer verzweifelter und vergrub das Gesicht erneut in ihrem Schoß, tränkte ihre Schürze mit frischen Tränen.
"Natürlich lieben sie dich, Frodo", wiederholte Primula, "Du bist nicht alleine. Dein Vater und ich werden ständig bei dir sein, selbst wenn du uns nicht sehen kannst. Wir werden immer auf dich Acht geben."
Aus Tränen überströmten Augen blickte Frodo zu ihr auf. "Warum kann ich euch nicht sehen? Ich will euch sehen. Geht nicht wieder weg!"
Frodo sog ihren unvergleichlichen Duft in sich auf, während Primula ihn sanft in ihren Armen wiegte. Seine linke Hand tastete nach der seines Vaters, die er fest umklammert hielt. Er hatte die Augen geschlossen und mit seinen Eltern bei sich unter dem Schatten der großen Eiche, dauerte es nicht lange, bis er sich wieder beruhigt hatte. Er genoss diesen Augenblick, hatte gehofft, er müsse nie vorübergehen, doch kaum waren seine Tränen getrocknet, begann seine Mutter erneut zu sprechen.
"Finde neuen Mut, Frodo. Trauere nicht länger, denn du wirst auch ohne uns zurechtkommen. Und wenn du traurig bist, dann sieh zum Himmel und betrachte die Sterne. Vergiss nicht, wir werden immer bei dir sein."
Frodo hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Sie lächelte. Wie sehr hatte Frodo dieses Lächeln vermisst. Primula strich ihm sanft über die Wangen und Frodo schloss seine Augen. Er spürte die Wärme seiner Mutter, als sie sich nach vor beugte und seine Stirn küsste.

~*~*~



Der alte Hobbit hatte seine Tränen getrocknet. Frodo war lange Zeit unruhig gewesen und Bilbo hatte begonnen, seinen Rücken zu streicheln, was den Jungen sogleich beruhigt hatte. Anfangs war er erleichtert darüber gewesen, bis er erschrocken erkennen hatte müssen, dass sein Neffe Tränen in den Augen hatte. Konnte er denn nicht einmal in seinen Träumen Ruhe finden? Bilbo versuchte, ihn weiterhin zu beruhigen, als Frodos Hand plötzlich nach seinem Hemd griff. Vorsichtig legte er seine Hand über die kleinen Finger seines Neffen.
"Geh nicht wieder weg!"
"Das werde ich nicht, Frodo. Das verspreche ich dir", flüsterte Bilbo, der neue Tränen in sich aufsteigen spürte.
Bilbo wusste, dass Frodo nur im Traum gesprochen hatte und wartete eine Antwort gar nicht erst ab. Umso überraschter war er, als sich Frodo plötzlich enger an ihn kuschelte und leise nach seiner Mutter flüsterte. Traurig schüttelte Bilbo den Kopf. Wie lange würde es wohl dauern, bis Frodo nicht mehr ständig an sie denken musste?

Bilbo lauschte dem leisen Knistern des Feuers, als sich Frodo wieder beruhigt hatte und in tiefem Schlummer zu liegen schien. Beinahe wäre er selbst müde geworden, hatte er schließlich eine lange Reise hinter sich. Vor etwas mehr als einem Tag war er zu Fuß von Beutelsend aufgebrochen, bekam dann aber immer wieder Gelegenheit mit Handelsreisenden in ihren Wagen mitzufahren. Auch wenn er sonst lieber zu Fuß unterwegs war, hatte er dieses Mal eine Ausnahme gemacht. Sein Besuch in Bockland war verzögert worden, da er sich in Michelbinge befunden hatte, um wichtige Angelegenheiten mit dem Bürgermeister abzusprechen.

Bilbo erschrak sich fürchterlich, als Frodo plötzlich hoch schreckte.
"Mama?", rief der Junge verzweifelt und sah sich verstört im Zimmer um. Die Augen hatte er weit aufgerissen und er ließ sich nicht sofort von Bilbo beruhigen, der noch immer beide Arme um ihn gelegt hatte.
"Sie ist nicht hier, Frodo, mein Junge", sagte der alte Hobbit sanft, wobei er eine Hand auf die erhitzte Wange seines Neffen legte.

Frodo sah seinen Onkel verwundert an und es dauerte einen Augenblick, bis er verstand, wo er war.
Dann war alles nur ein Traum gewesen. Hilflos ließ Frodo seinen Kopf wieder auf Bilbos Schoß sinken. Ein Traum, und selbst dort wären seine Eltern nicht zu ihm zurückgekehrt. Tränen stiegen in ihm auf, die nicht versiegen wollten, als Bilbo ihn sanft hin und her wiegte, um ihn zu beruhigen. Niemals würden sie zu ihm zurückkommen, nicht einmal im Traum. Doch etwas sagte ihm, dass dies kein gewöhnlicher Traum gewesen war. Alles hatte sich viel zu wirklich angefühlt, als dass es nur einem Traum hätte entspringen können. Verzweifelt klammerte sich Frodo an Bilbos Hemd, schluchzte einige Male ehe seine Tränen versiegten.
"Vergiss nicht, dein Vater und ich werden ständig bei dir sein, selbst wenn du uns nicht sehen kannst."
Die Stimme seiner Mutter klang fern und doch klar in seinen Ohren und Frodo konnte nicht anders, als ihr zu antworten.
"Das werde ich nicht", murmelte er und kuschelte sich enger an seinen Onkel. "Das werde ich bestimmt nicht!"
"Was wirst du nicht, mein Junge?", fragte Bilbo, den Jungen noch immer beruhigend im Arm haltend.
Frodo schüttelte den Kopf.
"Gar nichts", antwortete er leise und schloss die Augen.
Seine Eltern würde er nicht wieder sehen, doch sie würden bei ihm sein, für immer. Er spürte eine Wärme in sich, anders, als die Hitze, die in den letzten Tagen in ihm gebrannt hatte. Diese Wärme war wohltuend und er fühlte sich seit langem wieder geborgen. Dennoch war es ein anderes Gefühl der Geborgenheit, wie er es bei seiner Mutter erlebt hatte, doch er war froh, dass Bilbo hier war und hoffte, er würde ihn nie wieder verlassen.
Frodo seufzte erleichtert, bevor er in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.





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