Stories of Arda Home Page
About Us News Resources Login Become a member Help Search

Schicksalsjahre eines Hobbits I - Bockland  by Lily Dragonquill

Kapitel 7: Alleine



An der Hand von Esmeralda ging Frodo zum Begräbnis seiner Eltern. Der Friedhof Bocklands und des Bruchs lag ein ganzes Stück nördlich des Brandyschlosses. Dort, unter dem Schatten einiger Pappeln, lagen die Gräber der Brandybocks, wo auch seine Eltern ruhen sollten. Er versuchte tapfer zu sein, hielt seine Tränen mit aller Gewalt zurück, als sein Blick kurz über die angereisten Verwandten wanderte. Seine Tante Dora war vermutlich mit seinem Onkel Dudo angereist, da sie selbst keine Familie hatte. Dudo Beutlin hatte seine Familie jedoch mitgebracht und neben seiner Tochter Margerite, deren Ehemann sie begleitete, war auch Maybell, seine Gattin an seiner Seite. Sie waren Frodos nächsten Verwandten auf der Seite seines Vaters und offensichtlich die einzigen Beutlins, die es geschafft hatten, rechzeitig anzureisen, denn von Bilbo fehlte jede Spur. Auch Tuks waren nur wenige angereist und Frodo erkannte unter den Verwandten aus Buckelstadt und den Smials nur Paladin, der ihn wehmütig betrachtete. Frodo wandte den Blick ab, wehrte sich gegen die Tränen, die seine Augen zu füllen drohten. Er drückte Merrys Hand etwas fester und der jüngere Hobbit zog ihn versichernd näher zu sich.

Merry hielt Frodos andere Hand und sein Gesichtsausdruck war entschlossen. Jeglichen Kummer wollte er von seinem Vetter fernhalten, doch das fiel ihm schwer. Viele waren gekommen, auch wenn die meisten Bewohner Bocklands und des Brandyschlosses waren und alle warfen Frodo traurige, mitleidige Blicke zu. Merry wünschte von Herzen, sie würden aufhören, ihn anzusehen. Für ihn machte das alles noch schlimmer. Er drückte Frodos Hand noch fester, als er sah, wie eine Träne über dessen Wange lief.

Frodos Wille tapfer zu sein, war schwach, und alle Stärke schien vergessen, als er die aufgebarten Särge sah. Sie bestanden aus Eichenholz, waren nicht verziert. Kränze aus Blumen waren darauf gelegt worden, die im Sonnenlicht in allen Farben schimmerten.
Der Anblick schmerzte Frodo sehr und er drängte sich an Esmeralda, als wolle er sich hinter ihr verstecken, versuchte, nicht hinzusehen. Der Gedanke daran, dass seine Eltern in jenen Eichensärgen ruhten, erfüllte ihn mit Grauen und er war nicht gewillt, auch nur einen Schritt näher darauf zuzugehen, doch wanderte sein Blick immer wieder in diese Richtung. Weshalb musste all das geschehen?
Plötzlich fielen seine Augen auf Bauer Maggot. Sein Herz setzte einen Schlag aus und er wandte erschrocken den Blick ab.

Bauer Maggot sah betrübt zu dem Jungen hinüber. Vor zwei Tagen hatte er die Tracht Prügel noch für angebracht gehalten, doch jetzt, da er ihn sah, hatte er Mitleid mit dem Kind. Die Augen des Jungen waren geschwollen und er war blass, wirkte hilflos und verloren an der Hand seiner Tante. Was hatte er alles durchmachen müssen?
Der Bauer blickte auf den Rucksack auf seinem Schoß. Er würde ihn Saradoc geben und nichts von den Pilzen erzählen. Der Junge war hinreichend dafür bestraft worden und er wollte ihm weiteren Kummer ersparen.


~*~*~


Schweigend schlurfte Frodo hinter Esmeralda und Saradoc her, als sie ihren Heimweg antraten. Merry hielt noch immer seine Hand, doch Frodo achtete kaum auf seinen Vetter, hielt den Blick starr auf den erdigen Weg gerichtet. Auch die vielen Stimmen hinter sich, nahm der junge Hobbit kaum wahr. Die meisten der Trauergäste waren zu einem großen Abschiedessen eingeladen worden, wie das bei Begräbnissen üblich war und sie alle pilgerten nun zum Brandyschloss, wo die Mahlzeit aufgetischt werden sollte. Frodo war nicht nach Essen zumute, ebenso wenig wie nach Gesprächen mit der versammelten Verwandtschaft. Ihm war übel und er fühlte sich schrecklich. Er konnte es nicht ertragen. Sein Herz würde zerspringen vor Verzweiflung, noch ehe dieser Tag vorüber war.
Der Anblick der Eichensärge hatte ihn mit Grauen erfüllt, doch zu sehen, wie sie in die frisch ausgehobenen Gräber hinab gelassen wurden, ehe jeder der Anwesenden eine Schaufel Erde darauf geschüttet hatte, hatte ihn hoffnungslos weinen lassen. Zu sehen, wie Erde jene umschloss, die er liebte, sie einsperrte und ihnen jegliches Sonnenlicht, jegliche Hoffnung verwehrte, hatte ihm die Endgültigkeit des Todes bewusst gemacht. Zwar hatte er gewusst, dass seine Eltern nicht mehr zu ihm zurückkehren würden, doch war ihm zuvor nicht klar gewesen, was die Ereignisse der vergangenen Tage mit sich bringen würden. Er war alleine. Nichts konnte seine Eltern jemals wieder zu ihm zurückbringen.
Merry hielt noch immer seine Hand, doch Frodo beachtete ihn wenig. Auch der strahlende, blaue Himmel interessierte ihn nicht. Sein Blick war starr auf den Boden gerichtet. Jetzt, da er die Särge gesehen hatte, war ihm die Endgültigkeit von dem, was geschehen war, bewusst geworden. Nichts konnte sie jemals wieder zurück bringen. Er hatte den Begriff zwar erst vor kurzem gelernt, als er ihn aus dem Mund seines Großvaters vernommen hatte, doch Frodo wusste, er war zum Waisen geworden und würde den Rest seines Lebens verlassen und alleine sein.
Ein leises Wimmern kam über seine Lippen und Frodo konnte sein Herz in seinen Ohren pochen hören, als er verzweifelt gegen die neuerlichen Tränen ankämpfte.

Frodo zuckte erschrocken zusammen, als er Maggots Stimme vernahm und sah, wie der Bauer an Saradoc herantrat. Seine Augen weiteten sich in blankem Entsetzen und er konnte hören, wie Merry neben ihm hörbar die Luft einzog. Für den Bruchteil einer Sekunde blieben sie stehen, doch dann liefen die jungen Hobbits weiter, gingen Esmeralda hinterher, die zu ihrem Glück nicht stehen geblieben war. Frodo vermied es, den Bauern anzusehen. Sein Herz raste und er folgte seinem Vetter gerne, als dieser, von derselben Angst getrieben, rasch voraneilte und ihn hinter sich herzog. Maggot würde alles verraten und diesen Tag zu einem noch schlimmeren machen, als er es ohnehin schon war.

Zu Hause ging Frodo, sehr zum Verdruss von Esmeralda und Saradoc, die ihn zurückhalten wollten, sofort zurück in das Zimmer seiner Eltern. Die Gesellschaft von Abschiednehmenden ließ ihn zurückschrecken, denn er war mit seiner Trauer lieber für sich. Vorsichtig entzündete er eine Kerze, setzte sich dann in den Sessel seines Vaters, der für ihn alleine viel zu groß schien. Die Zeichnung seiner Eltern hielt er dabei in den Händen. Er hatte sie schon den ganzen Tag bei sich gehabt, sicher verborgen in der Westentasche seiner dunkelgrünen Weste, die er inzwischen wieder ausgezogen hatte. Zärtlich strichen seine Finger über die gemalten Gesichter seiner Eltern und das Herz wurde ihm schwer. Er würde sie nicht wieder sehen. Der Gedanke verfing sich in seinem Kopf und je länger Frodo daran festhielt, umso erschrockener wurde er. Er hatte lange Zeit benötigt, um zu verstehen, doch jetzt wusste er, mit einer Gewissheit, die ihn so sehr erschreckte, dass er unkontrolliert zu zittern begann, dass er alleine war.
Alleine. Nie wieder würde er ihre Nähe spüren, ihre Stimmen hören. Ihre Unterstützung, auf die er so sehr angewiesen war, würde ihm in Zukunft nicht mehr zuteil werden. Er war auf sich allein gestellt, ohne Hilfe, ohne Schutz, ohne die Liebe seiner Eltern.
Von plötzlicher, hilfloser Furcht ergriffen, zog Frodo die Knie an die Brust und schlang Schutz suchend die Arme darum, wobei er ständig das Bild betrachtete. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, ließ ihn noch heftiger erzittern, als zuvor.
"Mama", flüsterte er kaum hörbar und Tränen füllten seine müden Augen.


~*~*~


Es war Nachmittag, als Saradoc mit einem Korb voller Holzscheite in das Zimmer trat. Es war noch nicht an der Zeit, ein Feuer zu entzünden, doch Saradoc glaubte, dass der Herbst nicht mehr lange auf sich warten ließ und er wollte vorbereitet sein. Außerdem gefiel es ihm nicht, dass Frodo den ganzen Tag im dunklen Zimmer saß und er hoffte, mit dem Licht des Feuers auch ein wenig Licht in Frodos Leben zu bringen. Betrübt sah er auf den Jungen, der ohne ihn zu beachten im Sessel saß und den Blick leer und traurig auf ein Bild gerichtet hatte, während er mit geübten Handgriffen die Holzscheite im Kamin platzierte und sie zum Brennen brachte. Ein goldenroter Feuerschein wärmte sein Gesicht und er lächelte zufrieden, als er das leise Knistern und Prasseln vernahm und der eine oder andere Funke von den Scheiten sprang. Mühsam erhob er sich dann, blickte erneut zu Frodo, trat an seine Seite.
"Du musst jetzt sehr stark sein, Frodo", ließ er den Jungen mitfühlend wissen, wobei er ihm tröstend eine Hand auf die Schulter legte. "Ich weiß, dass es wehtut, doch das wird vergehen. Dein Leben geht weiter."

Frodo sah mit einem Ausdruck zwischen Erstaunen und Entsetzen zu ihm auf. Wie konnte er es wagen, so etwas zu sagen? Am liebsten hätte er ihn angeschrieen, all seinen Zorn, seine Verzweiflung, seine Trauer herausgebrüllt, doch kein Wort verließ seine Lippen. Was wusste Saradoc schon davon? Seine Eltern waren gestorben, da hatte er längst eine eigene Familie gegründet, hatte einen Ort gehabt, an den er hingehörte. Frodo hatte das nicht. Verletzt presste das Kind die Lippen zusammen, stieß Saradocs Hand von seiner Schulter, vergrub dann das Gesicht in seinen Armen.

Seufzend sah Saradoc noch einen Moment länger auf den jungen Hobbit. Frodo wollte seine Hilfe nicht. Schließlich wandte er sich ab, ging noch einmal zu dem Korb mit dem er die Holzscheite gebracht hatte und holte einen Rucksack hervor. Er hatte ihn von Maggot erhalten. Scheinbar hatte Frodo ihn vor zwei Tagen im Bruch liegen gelassen und, da der Bauer die Kinder dort gesehen hatte, hatte er vermutete, dass der Rucksack einem von ihnen gehörte und ihn zurück gebracht. Mit einem letzten Blick auf Frodo legte Saradoc den kleinen, ledernen Ranzen neben den Kamin und verließ das Zimmer.

Kaum war Saradoc gegangen, hob Frodo den Kopf. Sein Blick fiel auf den Rucksack. Er blinzelte verwirrt. Konnte es wirklich sein, dass Maggot ihn zurückgegeben hatte? Geschwind ließ er sich vom Sessel gleiten, legte das Bild zur Seite und kniete sich neben dem Rucksack nieder, strich zärtlich über das weiche Leder. Der Ranzen war tatsächlich sein eigener. Frodo konnte es kaum glauben, dass er ihn wieder hatte, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass der Bauer ihn zurückbringen würde. Außerdem hatte er vermutet, dass, sollte Maggot wirklich nach Bockland kommen, eine saftige Strafe die Folge sein würde. Doch noch war nichts dergleichen geschehen und Saradoc hatte auch keinen zornigen Eindruck gemacht.
Der Bauer hatte ihn nicht verraten, dessen war Frodo sich sicher und so sehr er ihn auch fürchtete, erfüllte tiefe Dankbarkeit sein Herz. Tränen traten in seine Augen, als er die Finger im Leder vergrub und den Rucksack fest an sich drückte; eben jenen Rucksack, in den er das Bündel gepackt hatte, welches seine Mutter ihm zur kleinen Stärkung vorbereitet hatte. Viel zu hastig hatte er sie danach verlassen. Er hatte nicht mehr als einen raschen Kuss für sie und eine kurze Umarmung für seinen Vater übrig gehabt, hatte ihnen nicht einmal gesagt, wie sehr er sie liebte. Wussten sie überhaupt, wie groß seine Liebe zu ihnen war? Frodo klammerte sich an seinen Rucksack, wimmerte verzweifelt. Er hätte gar nicht erst gehen dürfen, hätte zu Hause bleiben sollen, bei ihr und seinem Vater. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.


~*~*~


Merry war überrascht Frodo auf dem Boden sitzend anzutreffen, als er abends in das Zimmer trat. Er hatte den Nachmittag mit den angereisten Verwandten verbracht, war nun von seiner Mutter beauftragt worden, Frodo zum Essen zu holen. Schon den ganzen Nachmittag hatte Merry an seinen Vetter denken müssen und er war froh gewesen, als seine Mutter ihn mit dieser Aufgabe betraut hatte. Esmeralda selbst hatte es aufgegeben, dem Jungen zu erklären, dass er etwas essen musste und hoffte, ihr Sohn habe mehr Glück.
Merry legte den Kopf schief, holte tief Luft. Seine Augen brannten, doch er verbiss seine Tränen. Wie sollte er seinem Vetter helfen, wenn dieser nur im Zimmer saß, nicht einmal andeutete, dass er seine Ankunft bemerkt hatte? Er machte sich Sorgen, hatte Angst. Er liebte Frodo von ganzem Herzen und, auch wenn Merry nichts über solche Dinge wusste, verstand er doch, dass es für seinen Vetter nicht gut sein konnte, sich alleine hier zu verkriechen. Einmal tief Luft holend, trat er dann an Frodo heran, legte ihm erst zögernd, doch dann mit fester Entschlossenheit, einen Hand auf die Schulter.
"Es gibt Abendessen", flüsterte er kaum hörbar und zuckt zusammen, als das Feuer im Kamin ein leises Knistern von sich gab, als würde es auf seine Aussage antworten.
Doch auch Frodos Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Durch das Feuer lag ein seltsamer Schatten auf seinem Gesicht und Merry hoffte, Frodo würde ihn ansehen, sodass das beunruhigende Dunkel verschwand. Unruhig verlagerte er das Gewicht von einem Bein auf das andere, als Frodo ihm erklärte, dass er keinen Hunger habe.
"Aber du hast schon seit zwei Tagen nichts mehr gegessen!" rief Merry aus. "Du musst hungrig sein!"
"Ich habe keinen Hunger!" wiederholte Frodo noch einmal bestimmt, machte sich noch immer nicht die Mühe, ihn anzusehen. "Lass mich alleine."
Merry war überrascht, ob dem kalten Tonfall in der Stimme seines Vetters, doch so leicht wollte er nicht aufgeben.
"Aber…", er stockte. Ihm fiel plötzlich auf, dass es ihm nicht darum ging, Frodo zum Essen zu bewegen. Ihm ging es um viel mehr.
"Du machst mir Angst, Frodo", gestand er wispernd und seine Stimme zitterte vor Sorge. "Du isst nichts, du trinkst nichts. Du verlässt noch nicht einmal dieses Zimmer."
"Ich will es so", war die knappe, kalte Antwort, mit der Merry nicht gerechnet hatte. Das Feuer knisterte, brachte den dunklen Schatten auf Frodos Gesicht zum Flackern. Der jüngere Hobbit zögerte, fand nicht sofort eine Antwort und spielte bereits mit dem Gedanken, seinem Vetter den Rucksack wegzunehmen, den dieser umklammert hielt, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, entschied sich dann aber dagegen, als seine Sorge und seine Anteilnahme wieder überhand über den aufkommenden Zorn gewannen.
"Das glaube ich dir nicht!" Seine Stimme war noch immer von tiefem Mitgefühl gezeichnet, gewann dann aber an Bestimmtheit. "Du willst hier nicht alleine sein. Eigentlich würdest du viel lieber bei uns draußen sitzen und…"
"Was weißt du schon davon?!" unterbrach ihn Frodo zornig. Er wandte sich zu ihm um und seine Augen blitzten auf, ließen Merry beinahe zurückweichen. "Lass mich in Ruhe! Du hast in diesem Zimmer nichts verloren!"
Mit diesen Worten sprang Frodo auf die Beine, ließ von dem Rucksack ab und packte Merry am Arm. Noch ehe der jüngere Hobbit wusste, wie ihm geschah, hatte sein Vetter ihn zur Tür gezerrt, ihn in den Gang hinaus gestoßen und ihm die Tür vor der Nase zu geworfen.

Zutiefst erschrocken über diese Tat, ließ sich Merry der Wand entlang zu Boden gleiten. Lautlose Tränen rannen über seine Wangen, während er fassungslos auf die Tür starrte, die Frodo soeben vor ihm verschlossen hatte. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und er zitterte. Für einen kurzen Augenblick, hatte er seinen Vetter gefürchtet. Er hatte Frodo noch nie so erlebt. Sein Vetter hatte immer versucht, Verständnis für ihn aufzubringen, selbst wenn Merry etwas Falsches gesagt oder getan hatte und auch im Streit wäre Frodo nie auf ihn losgegangen, wie er es eben getan hatte.
Als wolle er sich beweisen, dass er sich das nicht nur eingebildet hatte, langte Merry nach seinem rechten Oberarm, den Frodo grob und schmerzhaft umklammert hatte, und rieb abwesend daran. Was war nur mit seinem Vetter los? Weshalb war es ihm nicht möglich, ihm zu helfen, ihn aufzumuntern, wie er das sonst immer konnte?

Als er sich ein wenig beruhigt hatte, wischte Merry sich mit dem Ärmel seines Hemdes über die Augen und stapfte, mit einem letzten verletzten Blick auf die verschlossene Tür, ins Esszimmer. Aufgrund der vielen angereisten Gäste wurde im größten aller Esszimmer diniert, wo bereits alle versammelt waren. Die Lampen an den Wänden waren entzündet worden und Kerzen standen auf den Tischen, ebenso wie die Salatschüsseln aus denen bereits die ersten schöpften, während andere noch in Unterhaltungen vertieft waren. Ängstlich, wütend und traurig zugleich setzte er sich neben seiner Mutter auf einen Stuhl, stützte sich mit den Ellbogen am Tisch ab und legte das Kinn in seine Hände. Er konnte seinen Vetter nicht verstehen und das bereitete ihm Kopfzerbrechen, auch wenn er sonst nur sehr selten grüblerisch war, ganz im Gegensatz zu Frodo, der oft lange über die einfachsten, harmlosesten Dinge nachdenken konnte. Auf einen fragenden Blick seiner Mutter, schüttelte er nur den Kopf.
Gorbadoc, Frodos Großvater, sah diese Geste mit Bedenken und lehnte sich zu Esmeralda. "Wir können ihn doch nicht einfach alleine in diesem Zimmer lassen."
"Er will es nicht anders", sagte Merry in trotzigem Tonfall.
"Er will es nicht anders?", fragten Gorbadoc und Esmeralda einstimmig und sahen ihn überrascht an. "Was soll das heißen?"
Verzweifelt sah Merry zu seiner Mutter auf, spürte Tränen in seinen Augen.
"Er hat gesagt, ich soll ihn alleine lassen. Er hat mich sogar aus dem Zimmer geworfen!" rief er aufgebracht, Unverständnis in der Stimme. "Er kann mich doch nicht einfach aus dem Zimmer werfen, oder Mama?"
Esmeralda blickte verzweifelt zu Gorbadoc, als sie Merry in eine tröstende Umarmung zog und ihm zärtlich durch die Haare strich. Sie wusste sich keinen Rat, fühlte sich beinahe ebenso verzweifelt, wie Merry.
"Lass ihm ein wenig Zeit, Merry. Es war ein schwerer Schlag für ihn. Es braucht seine Zeit, bis er das überwunden hat", sagte sie und hauchte ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn. "Sei ihm nicht böse, weil er dich hinausgeworfen hat. Ich bin sicher, er hat es nicht so gemeint."

Als Merrys Tränen getrocknet waren, erhob sich Esmeralda und ging in die Hauptküche, um nachzusehen, ob alles soweit bereit stand, oder ihre Hilfe noch von Nöten war. Gorbadoc folgte ihr.
"Ich weiß nicht, Esmeralda. Ich mache mir Sorgen um den Jungen", ließ er sie wissen. "Er verkriecht sich jetzt schon seit zwei Tagen in diesem Zimmer. Wir müssen an seine Gesundheit denken. Wenn er sich weiterhin weigert zu essen und zu trinken, müssen wir zu drastischeren Mitteln greifen."
"Ich weiß", antwortete Esmeralda leise, hielt plötzlich inne und lehnte sich schwer gegen die Wand, als würde jegliche Kraft sie verlassen. Ihr Gesichtsausdruck war betrübt und Gorbadoc konnte die Hilflosigkeit, die sie fühlte, förmlich spüren. "Doch wie willst du das machen? Zwingen können wir ihn nicht."
"Das weiß ich nicht", gestand er und schüttelte ahnungslos den Kopf, den Blick ebenso betrübt, wie der ihrige. "Aber ich mache mir ernsthafte Sorgen um ihn. Er muss Tag und Nacht weinen, so geschwollen sind seine Augen. Außerdem ist er blass. Ich befürchte, er könnte krank werden. Wir müssen auf ihn Acht geben."


~*~*~


Frodo lehnte sich an die geschlossene Tür, ließ sich schließlich langsam und von plötzlicher Schwäche übermannt zu Boden sinken. Tränen brannten in seinen Augen, ließen ihn hilflos schluchzen. Was hatte er getan? War er nun vollkommen verrückt geworden? Er wollte Merry zurück rufen, sich bei ihm entschuldigen. Er hatte nicht vorgehabt, grob zu werden. Was war überhaupt in ihn gefahren? Merry war sein Vetter und bester Freund, hatte es doch nur gut gemeint. Wie hatte er ihn so grob und unbedacht hinauswerfen können? Merry konnte schließlich nichts dafür, dass es ihm schlecht ging. Er musste sich sofort bei ihm entschuldigen.
Mühevoll kam Frodo wieder auf die Beine, öffnete langsam die Tür und spähte beinahe zögernd hinaus, doch Merry war verschwunden. Von Schuldgefühlen überwältig, ließ Frodo sich erneut zu Boden sinken, lehnte an der halb geöffneten Tür und wimmerte eine leise Entschuldigung, die ungehört verhallte. Er fühlte sich schrecklich. Einen Freund wie Merry hatte er nicht verdient, nicht, wenn er ihn so behandelte. Wie hatte er das nur tun können? Er musste auf der Stelle zu ihm und ihm sagen, wie Leid es ihm tat, doch stand er nicht auf.
Er fürchtete die Reaktionen der angereisten Verwandten, wenn er plötzlich im Esszimmer auftauchte. Er konnte ihre mitleidigen Blicke nicht ertragen, ebenso wenig, wie ihre scheinbar tröstenden Worte. Er brauchte nichts von alledem. Alles, was er benötigte, waren seine Eltern und die würde er nicht zurückbekommen können.
Frodo rang lange mit sich, ehe er sich schließlich doch dazu entschloss, um Merrys Willen, zum Esszimmer zu gehen. Vorsichtig öffnet er die Tür, kam wieder auf die Beine und schlich sich durch die ungewöhnlich hell erleuchteten Gänge des Brandyschlosses, bis er vor dem größten aller Speisezimmer stand. Dort blieb er stehen, denn ein ungutes Gefühl regte sich in ihm. Zweifel nagten an ihm, wollten ihn umkehren lassen, doch Frodo schob sie beiseite, entschied aber dennoch, erst einen kurzen Blick in das Geschehen zu werfen. Zögernd und mit klopfendem Herzen öffnete er die Tür zum festlich beleuchteten Esszimmer einen Spalt weit und lugte hinein.
Der Duft des Essens kam ihm verlockend entgegen, brachte seinen Magen zum Knurren und doch wurde Frodo dabei übel. Das Licht, das den Saal erfüllte, schien ihm zu hell für den Anlass und er kniff geblendet die Augen zusammen.
Er sah Kinder aus dem Brandyschloss in seinem Alter, wie Minto, Madoc und Nelke, ebenso wie seinen Vetter Marmadoc und die gesamte Brandybock-Verwandtschaft. Sein Vetter Milo führte eine angeregte Unterhaltung mit seiner Cousine Margerite Beutlin, während sich deren Ehemann Griffo zu einer weiteren Portion Kartoffelbrei verhalf. Merry saß am entfernten Ende des Tisches bei seinen Eltern und den engsten Anverwandten Primulas und Drogos, dort, wo an diesen Abend auch seine Tanten Dora und Maybell, ebenso wie sein Onkel Dudo Platz genommen hatten.
Die Stimmung war bedrückter, als gewöhnlich, doch die Hobbits schienen trotz allem fröhlich zu sein. Es war nicht die Art von Hobbits, ihrem Kummer nachzuhängen, doch im Augenblick verstand Frodo seine Verwandten nicht. Keiner schien ihn zu vermissen. Niemand schien auch nur an seine Eltern zu denken.
Frodo spürte einen Stich im Herzen, wich von der Tür zurück. Der Anblick war zuviel für ihn. Er wollte nicht sehen, konnte nicht verstehen, wie alle anderen glücklich waren, wenn sein Herz vor Verzweiflung zu bersten drohte. Merry würde auf seine Entschuldigung warten müssen und Frodo hoffte inständig, sein Vetter würde das verstehen.
Bittere Tränen rannen über seine Wangen. Tränen, von denen er schon lange geglaubt hatte, sie wären nun versiegt, doch wann immer er glaubte, keine mehr übrig und das ständige Weinen, das ihn meist unversehens traf, hinter sich zu haben, fand er neue, ebenso qualvolle Tränen, deren salziger Geschmack seine Wangen, ebenso wie seine Lippen bedeckten.
So schnell es sein geschwächter Körper zuließ, rannte Frodo zurück in das Zimmer seiner Eltern, wo er das Bild vom Sessel aufhob und sich dann auf das Bett fallen ließ. Dort fühlte er sich noch immer am sichersten und auch wenn er dort die meisten Tränen vergossen hatte, fühlte er im Bett seiner Eltern noch eine Geborgenheit, die er nirgendwo sonst fand.
Verzweifelt sah er auf das Bild, sah in die lachenden Gesichter und die fröhlichen Augen und weinte nur noch mehr.
"Warum?", rief er verzweifelt, "Warum habt ihr mich alleine hier zurückgelassen? Hier will mich niemand. Ich bin allen gleichgültig. Nicht einmal Bilbo ist hier. Keiner mag mich mehr. Bitte, kommt zu mir zurück! Warum könnt ihr nicht zu mir zurückkommen?"
Doch seine Frage blieb unbeantwortet, seine Bitte ungehört und so senkte sich langsam eine neue Nacht über das Brandyschloss und schloss den verzweifelten Jungen in ihre Arme.





<< Back

Next >>

Leave Review
Home     Search     Chapter List